Kolumne: Das Altpapier am 26. Januar 2023 Der "Geist von Gruner + Jahr" lebt
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26. Januar 2023, 10:54 Uhr
In Hamburg protestieren Zeitschriftenredakteure für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, die Interessenvertreter der ARD- und ZDF-Redakteure fordern Mitsprache bei der Reform des ÖRR, und in Sachen RBB haut der "Business Insider" mal wieder einen raus. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Was macht der Rabenvater jetzt?
- Redakteure von ARD und ZDF wollen in den "Zukunftsrat"
- Katrin Vernau fehlen die Worte
- Altpapierkorb (Text-Grafik-Schere in der "Welt" , HateAid-Klage gegen Twitter, Nachdreher zur Durchsuchung bei Radio Dreyeckland, bizarrer christdemokratischer "Brandbrief" an Tom Buhrow)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Was macht der Rabenvater jetzt?
Pfeifen, Johlen, Kuhglocken, ein nicht optimal funktionierendes Megaphon - als am Mittwoch rund 250 Mitarbeitende des früheren Verlags Gruner + Jahr in einer "kreativen Mittagspause" gegen den befürchteten "Ausverkauf" ihrer Zeitschriften durch Bertelsmann protestierten (siehe zuletzt dieses Altpapier), war vieles wie sonst auch bei Demonstrationen. Nur daran, dass als Protestutensilien unter anderem auf Pappen geklebte Titelbilder von "Mom", "Beef!", oder "Guido" dienten, musste man sich erst gewöhnen.
Ein guter Brückenschlag zum Tonfall "üblicher" Demonstrationen gelang aber zum Beispiel den Mitarbeitenden eines "Brigitte"-Ablegers. Sie protestierten mit einem Plakat, auf dem zu lesen war "Brigitte Be GREEN – Themen: Überleben des Planeten – Eigenes Überleben: Ungewiss."
Verlesen wurde bei der Veranstaltung auch ein Brief, den Redaktionsbeiräte an die Eigentümer Liz und Christoph Mohn geschickt hatten. Darin wehren sich die Beiräte "gegen die Spaltung, die betrieben wird". Ihre Botschaft: "Gruner + Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert." In der SZ schreibt Anna Ernst über diesen Redebeitrag:
"Nach den Berichten über die Verkaufsverhandlungen habe es die Redaktionen 'erschüttert', dass RTL und Bertelsmann sich nicht schnell und eindeutig geäußert hätten, wie es weitergeht. 'So geht man nicht mit Menschen um, die seit vielen Jahren mit großem Engagement für ihre Marken arbeiten', kritisieren die Redaktionsbeiräte. 'Soll hier eine ganze Belegschaft zermürbt werden?'"
Die Antwort findet man im letzten regulären Altpapier des Jahres 2022 unmittelbar vor dem Korb. Ernst berichtet weiter:
"Auch wenn es das Verlagshaus mit seinem traditionsreichen Namen in dieser Form seit der Fusion mit RTL nicht mehr gibt, lebe 'der Geist von Gruner+Jahr' in der Belegschaft weiter (…) Bertelsmann-CEO Thomas Rabe habe noch im November die 'Stern’-Redaktion besucht und ihr als einziger Redaktion des Verlages eine Zukunft bei RTL zugesichert - 'zu den anderen Redaktionen kam er nicht'. 'Totenvogel!', brüllen Stimmen aus dem Hintergrund, immer dann, wenn der Name Rabe fällt."
Eine andere Bezeichnung, die die Demonstrierenden für den Vorstandsvorsitzenden aus Gütersloh gefunden hatten, lautete: "Rabenvater". Ich habe für die taz Nord über die "kreative Mittagspause" geschrieben - und bin dabei unter anderem auf einen anderen Redebeitrag eingegangen:.
"Martin Klingberg, Mitglied der Ver.di-Betriebsgruppe bei den RTL-Zeitschriften, erinnerte (…) daran, dass die früheren G+J-Hierarchen Stephan Schäfer und Oliver Radtke, die heute nicht mehr für RTL tätig sind, 2021 versprochen hatten, es werde 'bei der Fusion keiner auf der Strecke bleiben. Wir erwarten, dass das Versprechen eingehalten wird’."
Der "Totenvogel" bzw. "Rabenvater" machte zuletzt Ferien, wie die SZ weiß, hat aber jetzt wohl wieder Energie:
"Zuletzt sollen die (Verkaufsgespräche) ins Stocken geraten sein: Nach SZ-Informationen werden sie von Bertelsmann-CEO Thomas Rabe persönlich geführt - und lagen während seines Urlaubs vorübergehend auf Eis. Nun sollen sie aber weitergeführt werden, heißt es von einem Vertreter eines mitbietenden Medienunternehmens."
Apropos: Die Berichterstattung zur Zukunft der alten G+J-Zeitschriften erweckt den Eindruck, dass die "Vertreter" von "mitbietenden Medienunternehmen" ohnehin relativ redselig gegenüber Journalisten sind.
Redakteure von ARD und ZDF wollen in den "Zukunftsrat"
Bleiben wir bei Forderungen von Journalisten: Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) hat einen Offenen Brief an die Rundfunkkommission der Länder geschrieben. Der nimmt Bezug auf deren aktuelle Beschlüsse, die unter anderem die Bildung eines "Zukunftsrats” vorsieht, der die Medienpolitiker berät (Altpapier von Montag). Unter dem Titel "Rundfunkreform: Nicht ohne uns Journalist*innen!" fordern sie, dass auch sie in diesem Gremium vertreten sein müssen. Hubert Krech (ZDF), Gabi Probst (RBB) und Renate Ulm (BR), die für die AG sprechen, schreiben unter anderem:
"Die Sichtweise der Redaktionen von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle muss zwingend in die Debatte einfließen (….) Unsere Expertise und Erfahrung machen uns zu unverzichtbaren Gesprächs- und Verhandlungspartnern in Zukunftsfragen."
Es findet sich in dem Brief auch noch die generelle Forderung "dass wir (…) angehört werden, in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden und ein Mitspracherecht erhalten". Das geht in die richtige Richtung. Es reicht natürlich nicht, dass Journalistinnen und Journalisten einem beratenden Gremium wie dem "Zukunftsrat" dabei sind, dessen Empfehlungen die Entscheider routiniert wegreden oder weglächeln können. Es müssen auch Möglichkeiten gefunden werden, dass Journalistinnen und Journalisten in ihren Sendern über Reformfragen direkt mitentscheiden können.
"Nicht zuletzt die Vorgänge beim RBB und NDR im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass die Mitsprache der Redaktionsvertretungen unverzichtbar ist",
schreibt die AGRA auch noch.
Katrin Vernau fehlen die Worte
Was "Vorgänge" beim RBB angeht, gibt es übrigens auch Neues. Der "Business Insider" berichtet über noch mehr "Gehaltsexzesse":
"Die RBB-Spitze um die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger hat ab Mitte 2021 neben Gehalt und Bonuszahlungen noch eine zusätzliche ARD-Zulage von mindestens 1700 Euro pro Monat kassiert. Angeblicher Grund: Mehrarbeit durch die Übernahme des ARD-Vorsitzes ab 2022."
So lautete der Teaser - wobei es hier im ersten Satz auf das Wort "um" ankommt, denn es sei "unklar", ob Schlesinger selbst diesen "ARD-Bonus" bekommen hat. Aber:
"Sicher ist (…), dass der Sender den damaligen vier Direktoren, der mittlerweile freigestellten Leiterin der Intendanz und dem RBB-Pressesprecher bis Herbst 2022 einen monatlichen ARD-Bonus von insgesamt 10.000 Euro überwiesen hat, den es in anderen Sendeanstalten zuvor offenbar nicht gegeben hatte."
Zu weiteren Details schriebt Jan C. Wehmeyer:
"In der Ergänzungsvereinbarung mit dem amtierenden Produktionsdirektor Christoph Augenstein, der Business Insider vorliegt, heißt es unter anderem: 'Der RBB wird ab 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2023 geschäftsführende Anstalt der ARD werden’ Daran würden sich "verschiedene Aufgaben" knüpfen, für die Augenstein eine 'Vergütung in Höhe von 1700 Euro brutto monatlich’ erhalte. Weiter heißt es: 'Diese Vereinbarung gilt vom 1. Juli 2021 und endet am 30. Juni 2024, ohne dass es einer Kündigung bedarf.’ Das heißt, Augenstein und Co. erhielten bereits sechs Monate, bevor der RBB den ARD-Vorsitz übernommen hat, einen Sonderzuschlag."
Was sagt RBB-Intendantin Katrin Vernau dazu? Dass "hier Maß und Mitte völlig verloren gegangen" seien. Und: "Dafür, dass diese Zulage dann auch noch ein halbes Jahr vor Beginn des Vorsitzes bezahlt wurde, fehlen mir dann endgültig die Worte."
Wo es auch um den RBB und das Geld ging: Bei einer Güteverhandlung vor dem Berliner Arbeitsgericht über "die Rechtmäßigkeit des Rauswurfs" der ehemaligen Sender-Chefjuristin Susann Lange. Dass diese "gescheitert" sei, berichtet der "Tagesspiegel".
Altpapierkorb (Text-Grafik-Schere in der "Welt" , HateAid-Klage gegen Twitter, Nachdreher zur Durchsuchung bei Radio Dreyeckland, bizarrer christdemokratischer "Brandbrief" an Tom Buhrow)
+++ "Eine von der CDU in Auftrag gegebene Studie beobachtet in den Nachrichtensendungen von ARD, ZDF und RTL mangelnde Vielfalt in der Darstellung der Parteien. Grüne und SPD kommen demnach besonders gut weg", schrieb am Dienstag "Die Welt". Das haben sich die Faktenfreunde vom "Volksverpetzer" natürlich genauer angeschaut. Thomas Laschyks Urteil: Von einer "Studie" könne nicht die Rede sein, und Grafiken, die das "Desinformationsblatt" verwende, zeigten das Gegenteil von dem, was der Text behauptet.
+++ "Die Organisation HateAid und die European Union of Jewish Students (EUJS) haben gemeinsam eine Zivilklage gegen Twitter beim Landgericht Berlin eingereicht (…) Dabei geht es um sechs Beiträge auf der Plattform, die antisemitische Inhalte verbreiten und teilweise den Holocaust leugnen oder verharmlosen sollen. Diese seien Twitter gemeldet, jedoch vom Unternehmen nicht gelöscht worden. In einem Fall von Schoah-Leugnung sei die Löschung 'sogar explizit abgelehnt’ worden, so die Klägerinnen." Darüber berichtet die taz.
+++ "Es ist eine Frage des Willens – und der Klasse –, sich mit den Lebensrealitäten der Menschen von unten auseinanderzusetzen. Neben dem Willen spielen auch Medien eine Rolle: Arm, das sind immer die anderen. Sie stehen in der Schlange von der Tafel, suchen nach Pfandflaschen, betteln. Dass beinahe jeder sechste Mensch in Deutschland in relativer Armut lebt und dass ein Großteil dieser Armut verdeckt ist, das sickert erst langsam durch. Diese Kolumne möchte dazu beitragen, diese öffentlichen Bilder von Armut zu entzerren." Mit diesen Worten begründet Olivier David, warum er fürs ND über diese Themen ab jetzt in einer 14-täglichen Kolumne schreibt. Kolumnentitel: "Klassentreffen".
+++ Zu den Durchsuchungen bei Radio Dreyeckland und in Wohnungen von Mitarbeitern (siehe Altpapier) schreibt die Wochenzeitung Kontext: "Weil der staatliche Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre der Wohnung an strikte Bedingungen geknüpft ist, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die hohen Anforderungen dafür ausformuliert. Exemplarisch in einem Urteil von 2015: 'Die Durchsuchung bedarf einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.’ Ob diese Kriterien im Fall von Radio Dreyeckland ausreichend erfüllt sind, soll nun gerichtlich geklärt werden."
+++ Und dass ein paar Pfiffikusse, die für die CDU im WDR-Rundfunkrat sitzen, auf die Idee gekommen sind, sich in einem "Brandbrief" bei Tom Buhrow über ein Video zu beschweren, das gar nicht beim WDR zu sehen war - das entnehmen wir einem Artikel in der SZ.
Das morgige Altpapier schreibt Ralf Heimann.