Kolumne: Das Altpapier am 19. Januar 2023 "Das Klima rettet man nicht mit Askese"
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19. Januar 2023, 12:48 Uhr
Der Verlag C.H. Beck blamiert sich mit einer Presseerklärung. Die SZ nennt Olaf Scholz "links". Manche Journalisten, die die Grünen hassen, schreiben, als wären sie "im Nebenberuf Pressesprecher der FDP". Im Klimajournalismus könnten internationale Kooperationen hilfreich sein. Die Medienthemen des Tages kommentiert René Martens.
Inhalt des Artikels:
- Das Rumgeeier der Woche
- Die journalistische Albernheit der Woche
- Männer über 50 und ihre Probleme
- Warum mangelt es an länderübergreifenden Recherchen zum Thema Klima?
- Landtag verlangt Auskunft von Anwalts Liebling
- Wie Gangsta Rap in den Medien verhandelt wird
- Die Nominierungen für den Grimme-Preis 2023 stehen fest
- Zum Tod von Simone Bär
- Altpapierkorb (Zahlen-Bingo der Berliner Polizei, Maria Ressa siegt vor Berufungsgericht in Manila, taz wieder mit "Novaya Gazeta"-Beilage)
Das Rumgeeier der Woche
Es ist fast ein Jahr her, dass Hans-Georg Maaßen im Altpapier vorkam, und insofern hatten wir seitdem eine schöne Zeit, aber heute müssen wir den Namen mal wieder erwähnen, weil der Verlag C.H. Beck der Presse eine sehr eigentümliche Erklärung zukommen ließ. Es geht um die Trennung von Maaßen, die dieser am Dienstag selbst vollzog, nachdem der Verlag sich "entschlossen" hatte, "unsere Möglichkeiten zu nutzen, den Verlagsvertrag mit Herrn Dr. Maaßen zu beenden".
In der Erklärung, die die FAZ weidlich zitiert, heißt es unter anderem:
"Hinsichtlich der Person und der öffentlichen Äußerungen von Dr. Maaßen entstand (…) eine heftige Diskussion mit fortschreitender Polarisierung, bei der sich die unversöhnlichen Positionen verselbstständigt haben. Diese schadet dem Grundgesetzkommentar, an dem Herr Dr. Maaßen mitwirkte, dessen Herausgebern und dem Verlag. Wir distanzieren uns von allen extremen politischen Äußerungen von Autoren, die die Grenzen des verfassungsrechtlich Vertretbaren austesten."
Das klingt, als wären nicht die "öffentlichen Äußerungen" Maaßens das Problem, sondern die "heftige Diskussion". Und mit "Wir distanzieren uns von allen extremen politischen Äußerungen von Autoren" lenkt man davon ab, dass es hier um die "extremen politischen Äußerungen" eines Autors geht.
Für einen Irgendwas-mit-Sprache-Laden ist das alles jedenfalls ziemlich jämmerlich. Siehe dazu auch einen Tweet der Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold und die Kommentare dazu. Der Verlag hätte ja durchaus schreiben können, dass Maaßen "sich mit Verschwörungsideologen umgibt und Forderungen nach einem Covid-Impfverbot teilt", wie es die SZ aktuell tut. Oder, dass Maaßen in einem aktuellen Tweet "klassische rechtsextreme Schuldumkehr" betreibe und "sich einmal mehr als Geschichtsrevisionist" zeige bzw. "außerhalb des demokratischen Spektrums" stelle, wie Jens-Christian Wagner, der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, gerade in einem Gastkommentar für die "Jüdische Allgemeine" schrieb.
Die journalistische Albernheit der Woche
Dass Olaf Scholz sich entschieden hat, Christine Lambrechts Posten nicht mit einer Frau zu besetzen, muss Medienkolumnisten wie mich ja eigentlich nicht kümmern. Eine Einschätzung von Judith Wittwer in der SZ unter der Überschrift "Das Dilemma des linken Mannes" tut es dann aber doch:
"Scholz' aufgegebene Parität offenbart mal wieder das Problem des linken Mannes: Er muss Frauen nicht nur fördern, er muss es auch noch aus voller Überzeugung und bei jeder Gelegenheit tun, denn per Parteibeschluss ist er quasi Feminist. Stellt er hingegen einmal eigene Ansprüche, gilt er schnell als Frauenverhinderer. Zieht er andere Männer vor, ebenso."
Scholz ein "linker Mann"? Hätte Wittwer ihn als achtbeinigen Dackel bezeichnet, wäre das ähnlich plausibel gewesen. Wo jemand im politischen Spektrum verortet ist, der oder die Olaf Scholz als "links" bezeichnet, darüber möchte ich lieber gar nicht nachdenken.
Männer über 50 und ihre Probleme
Was unterscheidet "Grünenwut" und "autoaggressiv grundierten Grünenhass"? Darüber schreibt Georg Diez in der taz. Kurze Antwort: Erstere kommt von links und richtet sich gegen etwas, das Diez freundlich "Pragmatismus" nennt, letzterer ist unter anderem geprägt vom Narrativ eines grünen Dogmatismus. Diez weiter:
"Ich beobachte das Phänomen vor allem bei Männern über 50, sehr oft Männer mit einem nach außen hin großen Ego. Ein paar davon sind journalistische Kollegen – bei denen ist es schade, weil der Grünenhass dazu führt, dass man mit ihnen schlecht argumentieren kann, sie werden ungenau und bequem in ihrem Denken und heizen ein eh schon überhitztes Diskursklima für billigen Applaus nur weiter an."
Und an anderer Stelle:
"Diese publizistischen Grünenhasser, einzelne Chefredakteure oder Kolumnisten, die so schreiben, als seien (sic!) sie im Nebenberuf Pressesprecher der FDP, gehen dabei extra illiberal vor, denn Druck, Einschüchterung, persönliche Angriffe sind keine Elemente einer genuin demokratischen Praxis."
Als Sonderform des Grünenhasses lassen sich möglicherweise Äußerungen aus der Preisklasse "Luisa Neubauer ist schon mal mit dem Flugzeug geflogen" einordnen. Der Physiker Florian Aigner schreibt dazu in einem Gastbeitrag für den "Volksverpetzer":
"Wer so argumentiert, hat nichts verstanden. Beim Klimaschutz geht es nicht darum, perfekt zu sein und alles richtig zu machen. Das Klima rettet man nicht mit Askese, sondern nur mit strukturellen Reformen. Es geht nicht darum, wer sich selbst am meisten quält, um die maximale Zahl an Klima-Moral-Punkten zu sammeln. Klimaschutz heißt nicht "jeder muss halt ein bisschen verzichten". Klimaschutz heißt: Wir brauchen wissenschaftsbasierte, wirksame Maßnahmen, um dauerhaft eine hohe Lebensqualität zu sichern. Das individualistische Argument vom persönlichen "CO2-Fußabdruck", für den angeblich jeder selbst verantwortlich ist, wurde von der Öl-Industrie erfunden und ist völlig irreführend."
Warum mangelt es an länderübergreifenden Recherchen zum Thema Klima?
Was sich an der Klimaberichterstattung verbessern ließe - das ist einer von zahlreichen Aspekten, der in einem mmm.verdi-Artikel über den "Tag des Auslandsjournalismus" vorkommt, der am vergangenen Wochenende in München stattfand.
"Wie wichtig eine differenzbewusste und internationale Perspektive für die Berichterstattung ist, wird bei den Themen Klima- und Umweltschutz besonders deutlich, denn CO2-Emmissionen machen nicht an Grenzen Halt. ‚Wir nähern uns einer Hochzeit des Auslandsjournalismus, weil das nicht national zu lösen ist’, konstatierte denn auch Sven Egenter, Chefredakteur des Mediendienstes ‚Clean Energy Wire‘ und des Portals klimafakten.de. Allerdings reiche es nicht, Fakten zu vermitteln, man müsse ‚Nähe’ zum heimischen Publikum schaffen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Südostasien-Korrespondentin Lena Bodewein baut auf Parallelen, etwa zwischen Überschwemmungen in Australien und Flut im deutschen Ahrtal, um Betroffenheit für den Klimanotstand zu erzeugen (…)
Was Bodewein auch sagte:
"Durch internationale Teams und länderübergreifende Berichterstattung könne der Druck auf nationale Redaktionen erhöht werden, ressortübergreifend das Klima-Thema zu covern, und Lösungen aus anderen Ländern zu zeigen."
Bei den großen bzw. aufmerksamkeitsträchtigen internationalen Kooperationen zwischen namhaften Medien geht es meiner Wahrnehmung nach in der Tat bisher um andere Themen, und angesichts des Ausmaßes der Klimakatastrophe fragt man sich natürlich, warum das so ist.
Landtag verlangt Auskunft von Anwalts Liebling
Dass der Hauptausschuss im brandenburgischen Landtag vom RBB (mal wieder) "Aufklärung erwartet", steht heute im "Tagesspiegel". Hintergrund sind "1,4 Mio. Euro Anwaltskosten für insgesamt 31 Rechtsanwälte aus vier Kanzleien" (Altpapier von Dienstag), die bisher in die Aufarbeitung des Systems Schlesinger geflossen sind.
"Ende Februar soll der Abschlussbericht von Lutz/Abel vorliegen. Die Öffentlichkeit sollte dann nicht erschrecken, wenn die Anwaltskosten aller befassten Kanzleien weit über dem Betrag liegen, den Patricia Schlesinger für Essen, Massagesessel, Edelsofa und Feinparkett etc. ausgegeben hat",
schreibt Joachim Huber.
Mit einer Schachfigur des Systems Schlesinger beschäftigt sich derweil der "Business Insider": mit Verena Keysers, der Programmchefin des RBB-Kulturradios, deren Rückzug im vergangenem Sommer angekündigt wurde (wie der "Tagesspiegel" seinerzeit berichtetete). Der "Business Insider" schreibt nun:
"(Schlesinger) (…) soll Keysers Mitte 2021 einen Drei-Jahres-Vertrag über 450.000 Euro angeboten haben, obwohl die Programmchefin ihre Führungsrolle nach einem Jahr abgeben wollte. Der RBB betont, Keysers bleibe vorerst weiterhin Chefin."
Der "Bad Blog of musick" der "Neuen Musikzeitung" nimmt wiederum diese Veröffentlichung zum Anlass für einen Rant (um es milde zu formulieren):
"Wie hängt jetzt der wirklich extrem peinliche und schädigende rbb-Intendantinnen-Skandal (…) mit rbbKultur und deren zweifelsohne falscher, schlechter, inkompetenter und erfolgloser (…) Programmreform von September 2020 mit Patricia Schlesinger und ihren Kungeleien zusammen? Wie gesagt: So ganz ist auch das noch nicht aufgearbeitet! Die Programmchefin des Kulturprogramms Verena Keysers zeichnet ja hauptverantwortlich für die Weichspül-und-Einaudi-Reform."
Einaudi? Ja, musste ich auch nachschlagen.
Wie Gangsta Rap in den Medien verhandelt wird
Dass journalistische Texte oftmals mehr über die Verfasserin oder Verfasser aussagen, als über das Thema, über das sie oder er schreibt, ist möglicherweise eine Binse. Es schadet aber natürlich nicht, dies anhand von konkreten Beispielen wissenschaftlich nachzuweisen, und das tun nun Friederike Schmidt, Bernd Dollinger und Katharina Boclk unter der Überschrift "Gangsta-Rap und die Verhandlung von Ordnungen des Populären" bei pop-zeitschrift.de
Worum geht es genau? Vor nun auch schon fast einem halben Jahrzehnt endete die Geschichte des Musikpreises Echo, Anlass war ein Skandal um die Verleihung des Preises an die Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang. Anhand von 48 Beiträgen aus der SZ und 72 Beiträge aus der FAZ wertet das Autorentrio die Debatte aus. Ergebnis:
"In der von uns rekonstruierten Debatte (dokumentiert sich), welche Weltanschauungen und Interessen sich mit der Darstellung von Gangsta-Rap in spezifischen moralischen Milieus der Gesellschaft verbinden (…) Demgegenüber bleibt Gangsta-Rap an sich mitunter sekundär, bzw. es werden ihm Eigenschaften zugeschrieben, die zunächst etwas über die Zuschreibenden, ihre Einstellungen und Interessen offenbaren, und erst sekundär über das Musikgenre."
Die Nominierungen für den Grimme-Preis 2023 stehen fest
Um noch einmal auf das Thema Auslandsjournalismus zurückzukommen: Heute morgen gab das Grimme-Institut die Nominierungen für den Grimme-Preis bekannt (siehe beispielsweise dwdl.de), und in der Pressemitteilung macht das Institut folgende Beobachtung:
"Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist die Berichterstattung über die Lage in Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak zunehmend in den Hintergrund gerückt. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sie von Filmemacher*innen aufgegriffen werden."
Unter den dann aufgeführten Beispielen ist die in der Kommission Information & Kultur nominierte RBB-Dokuserie "Mission Kabul-Luftbrücke", die in diesem Altpapier ausführlich Thema war. Ebenfalls nominiert ist in besagter Kommission die hier unter einem nicht ganz korrekten Titel abrufbare ZDF/arte-Produktion "Spuren und Wunden der NSU-Morde".
Ich war Mitglied der Kommission, und wir haben uns mit der Nominierung dieses NSU-Films schwer getan. Das hatte überhaupt nichts mit Aysun Bademsoys Film zu tun, der uns auf eindrucksvolle Weise die Sichtweisen der Ehefrauen, Kinder, Geschwister und Freunde der vom NSU Ermordeten nahe bringt, sondern mit ZDF und Arte. Eine Grimme-Preis-Nominierung ist ja immer auch eine Auszeichnung für die beteiligten Sender, und die wollten wir eigentlich nicht würdigen, weil die Programmverantwortlichen im Umgang mit dem Film zwei schwer verzeihliche Fehler gemacht haben. Obwohl die Auswertung des Dokumentarfilms im Kino (dort lief er als "Spuren. Die Opfer des NSU") unter der Corona-Pandemie litt (Kinostart war im Februar 2020) und obwohl es nur wenige gesellschaftspolitische Themen gibt, die dringlicher sind als Rechtextremismus, ließ man den Film zum Ärger der Regisseurin und der dort porträtierten Opfer-Angehörigen lange liegen - und strahlte ihn erst im Juli 2022 aus. Der zweite Fehler: Er lief nur in einer 52-minütigen Version (die Kinofassung ist eine halbe Stunde länger). Es ist zwar Usus, dass Arte gekürzte Fassungen von Kino-Dokumentarfilmen zeigt, aber das heißt ja nicht, dass man nicht auch mal Ausnahmen machen kann. Und bei dem Thema hätte man eine Ausnahme machen müssen. Dass die Regel an sich beknackt ist, steht auf einem anderem Blatt.
Zum Tod von Simone Bär
Den Grimme-Preis gewonnen hat 2018 die Castingdirektorin Simone Bär, als eine von sieben Personen wurde sie damals für die Serie "Dark" ausgezeichnet. Bär, die am Montag im Alter von 57 Jahren gestorben ist, hat das deutsche Fernsehen und den deutschen Film auf eine Weise geprägt, die äußerst ungewöhnlich ist für jemanden, der nicht Regisseur oder Schauspieler ist. Nicht zu vergessen ihren Zusammenarbeit mit Quentin Tarantino, Steven Spielberg und vielen anderen internationalen Regisseurinnen und Regisseuren.
Tobias Kniebe schreibt in der SZ:
"Die Liste bekannter Schauspieler, die sie entdeckt hat, ist lang. ‚Sie hat mich gesehen, noch bevor ich wusste, dass es mich gibt‘, sagt etwa Vicky Krieps, die auch gerade eine Weltkarriere macht (…) Für Fernsehserien wie ‚Babylon Berlin' (…) war sie ebenso verantwortlich wie ganz aktuell für ‚Im Westen nichts Neues', den deutschen Oscar-Kandidaten."
Die Deutsche Filmakademie hat zahlreiche Stimmen zum Tod von Bär gesammelt. Der Regisseur und Filmakademie-Co-Präsident Florian Gallensberger schreibt zum Beispiel:
"Ihr Blick blieb nie an der Oberfläche hängen, sondern schaute in die Tiefe. In die Tiefe der Figuren, in die Tiefe der Geschichten und vor allem in die Tiefe so vieler Schauspieler:innen, die sie mit den richtigen Rollen vermählte."
Altpapierkorb (Zahlen-Bingo der Berliner Polizei, Maria Ressa siegt vor Berufungsgericht in Manila, taz wieder mit "Novaya Gazeta"-Beilage)
+++ "Kontraste"-Redakteur Daniel Laufer beschäftigt sich in zwei Threads (bei Mastodon und Twitter) mit der Berichterstattung des "Tagesspiegel" über immer wieder "neue" Zahlen der Berliner Polizei zu den wegen der Silvester-Ausschreitungen Festgenommenen. "Irgendwann wird wohl aufzuarbeiten sein, wie die Wahrheit verloren ging zwischen schlechter Öffentlichkeitsarbeit und unzuverlässigen, aber vermeintlich privilegierten Quellen", schreibt Laufer unter anderem.
+++ Dass ein Berufungsgericht in Manila die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und die von ihr gegründete Investigativplattform Rappler "von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen" hat, berichtet beispielsweise die FAZ. Die Vorwürfe gegen die zuletzt in diesem Altpapier erwähnte Ressa und den Rappler waren ohnehin konstruiert gewesen. Siehe auch Washington Post.
+++ Morgen erscheint die taz mit einer16-seitigen Sonderausgabe der oppositionellen russischen Zeitung "Novaya Gazeta Europa". Es ist die zweite Beilage dieser Art, die erste im Mai 2022 (siehe Altpapier) war allerdings halb nur so dick.
Das Altpapier am Freitag schreibt Christian Bartels.
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