Das Altpapier am 11. Januar 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Kolumne: Das Altpapier am 11. Januar 2023 All eyes on Luetzerath

11. Januar 2023, 10:13 Uhr

Die "Verteidigung" von Lützerath ist eine weltweit beliebte Erzählung. Außerdem: ein Ministerpräsident, der gerne Gremiensitzungen schwänzt, und eine Anzeige wegen "Verunglimpfung" von Ex-Papst Benedikt. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Showdown im "Lützi"

Schon seit Jahresbeginn steht erfreulicherweise ein Klimathema ganz oben auf der medialen Agenda – wobei es bei näherem Hinsehen weniger um Emissionsgrenzen und Klimaschutzmaßnahmen als um Sitzblockaden und Polizeiaufgebote geht. Ab heute nun wird das Dörfchen Lützerath, das dem Braunkohletagebau von RWE weichen soll, tatsächlich von der Polizei geräumt, der "Showdown" (Welt) in "Lützi" steht an.

Dass der Live-Ticker des WDR noch ausbaufähig ist, war gestern hier schon Thema. Nicht aber die große mediale Aufmerksamkeit, die die Räumung auch international auf sich zieht – meist mit einem eindeutigen Dreh, in dem die Aktivisten als Verteidiger des Klimas dargestellt werden.

"Climate activists dig in to defend village from coal mine”,

lautet eine Schlagzeile der "Washington Post". Die australische "Weekly Times" betitelt ein Reuters-Video mit der Zeile:

"Activists defend village earmarked for coal mine”

"Zeit"-Journalistin Annika Joeres twittert dazu:

"Selten so viel internationales Interesse an deutscher Politik gesehen wie an der Räumung von #Luetzerath - bis nach Taiwan reichen die Reportagen, meistens mit dem Hinweis versehen: ‚lignite - the dirtiest form of coal‘ und: ‚surreal lunar landscape‘."

Markus Reuter berichtet derweil bei Netzpolitik.org davon, dass die Berichterstattung sowohl von der Polizei als auch von RWE-Sicherheitsdiensten erschwert werde durch Schikanen und Zugangsbeschränkungen. Persönlich-polemische Eindrücke zum Thema Pressefreiheit liefert Annika Reiß, die für die taz ein "Tagebuch aus Lützerath" schreibt:

"Berichten dürfen wir schon, aber bitte nicht da, wo [Räumungen] passieren und nur von 8 bis 17 Uhr."

Wie sich diese Einschränkungen auf die Berichte heute und in den kommenden Tagen auswirken werden, wird sich zeigen. Dass so viele Presseteams aus dem Ausland vor Ort sind, ist womöglich ein hilfreicher Faktor.

Anzeige wegen Homohetz-Vorwürfen

Als "Zentralorgan der Homolobby" bezeichnet sich das Online-Magazin queer.de gerne. Anders als diese Selbstbeschreibung annehmen lässt, finden sich auf der Seite keine aktivistischen Pamphlete, sondern tagesaktuelle, journalistische Artikel. Die Seite vermeldet LGBTIQ-feindliche Straftaten, bringt Rezensionen zu queeren Serien und berichtet über den aktuellen Stand politischer Reformvorhaben, zum Beispiel im Abstammungsrecht, und liefert viele Informationen, die sich bei größeren Medienhäusern nicht oder nicht so ausführlich finden.

Seit einigen Tagen nun richtet sich ungewohnt viel medienjournalistische Aufmerksamkeit auf das Portal. Das liegt an einem am 31. Dezember erschienenen Nachruf auf Joseph Ratzinger. [Korrektur vom 11.01.2023, 12:42 Uhr: Es handelt sich diesebzüglich nicht um eine vom Herausgeber selbst verfasste Nachricht]. Auf der Webseite der Berliner Polizei hat eine unbekannte Person deswegen Anzeige gestellt wegen der "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" – in Frage kommt laut queer.de nur ein Angehöriger Ratzingers.

Besonders anstößig ist der Nachruf auf den ersten Blick nicht: Neben den Fakten rund um Leben und Sterben des ehemaligen Papstes findet sich auch eine Auflistung seiner Äußerungen rund um Homosexualität. Die schärfste Wertung enthält die Überschrift:

"Mit Ratzinger starb einer der größten queerfeindlichen Hetzer"

Deutlicher wird Autor Schulze dann allerdings in dem Artikel, in dem er selbst "in eigener Sache" über die Anzeige berichtet. Dort heißt es:

"Joseph Ratzinger hat mit seiner Hetze viele gläubige queere Menschen in schwere religiöse Konflikte bis hin zum Suizid getrieben. Dafür hat er sich nie verantworten müssen."

Auf den Medienseiten wird schon seit einigen Tagen über den Fall berichtet, immer auch mit dem Hinweis, dass es für das queere Portal nicht das erste Mal ist, dass gegen Inhalte juristisch vorgegangen wird.

"Wir erleben seit einiger Zeit, dass queerfeindliche Gruppierungen und Personen unsere Redaktion mit Strafanzeigen – oder der Drohung, Anzeige zu erstatten – einschüchtern wollen. Bislang hat das nie zu Ermittlungen geführt."

Das sagte Micha Schulze der taz (und wortgleich dem "Tagesspiegel"). Schon 2019 berichtete das Portal selbst darüber – in einem Jahr, in dem die Redaktion der SZ zufolge zwölf zivilrechtliche Verfahren bestritt. Anna Ernst schreibt dort (€):

"An Hass und auch verschiedenste Formen von Drohungen und Einschüchterungsversuchen habe sich die Redaktion dabei in den fast zwei Jahrzehnten des Bestehens gewöhnt, sagt Micha Schulze. Vor allem über die sozialen Medien käme so etwas haufenweise, ‚dass wir in der Hölle schmoren sollen oder dass man vergessen hat, uns zu vergasen, das sind Kommentare, die wir täglich zu hören bekommen.‘ Schulze sagt, er habe früher oft selbst bei menschenverachtenden Äußerungen, Beleidigungen und Verleumdungen Anzeige erstattet. ‚Das hat aber nie zu etwas geführt.‘"

Inzwischen hat sich auch die Journalistengewerkschaft dju zu dem Fall geäußert, namentlich ihr Vorsitzender Jörg Reichel. Der taz sagte er, dass es zu einer Anzeige gekommen sei, sei

"‘sehr ungewöhnlich‘ und werfe die Frage auf, ob die Angehörigen künftig jegliche kritische Berichterstattung über den wegen seiner frauen-, trans- und homosexuellenfeindlichen Äußerungen umstrittenen Ex-Papst behindern wollen. ‚Joseph Ratzinger hat politisch gewirkt. Seine Angehörigen müssen daher hinnehmen, dass er politisch bewertet wird‘, so Reichel."

Micha Schulze wiederum nimmt aus der Sache schon jetzt auch etwas Positives mit:

"Etwas Gutes haben die skurrilen Ermittlungen immerhin: Sie geben uns Gelegenheit, Joseph Ratzingers oft verharmloste Queerfeindlichkeit noch einmal in das öffentliche Bewusstsein zu rücken."

Wechsel im ZDF-Verwaltungsrat

Was sollten Menschen mitbringen, um in einem Kontrollgremium der öffentlich-rechtlichen Sender zu sitzen? Eine extrem niedrigschwellige Antwort lautet: genug Zeit, um an den Sitzungen teilzunehmen. Insofern ist es eine gute Nachricht, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder seinen Posten im ZDF-Verwaltungsrat niedergelegt hat – und zwar schon im Dezember, wie er der dpa jetzt bestätigt hat (DWDL). FAZ-Autor Michael Hanfeld hat sich das Engagement des CSU-Politikers genauer angeschaut:

"Ausweislich der Protokolle des Verwaltungsrats hat er 2022 gerade mal an einer von fünf Sitzungen teilgenommen."

Dass Söder selbst bei körperlicher Anwesenheit nicht unbedingt engagiert bei der Sache war, hat Boris Rosenkranz bei Übermedien schon 2016 beobachtet.  Das passt zu der Aussage aus der Staatskanzlei, Grund für den Rückzug seien "umfangreiche Verpflichtungen" des Ministerpräsidenten, Stichwort Landtagswahlkampf. Hanfeld kommt angesichts dieser Entscheidung geradezu ins Philosophieren:

"Es ist, als besäßen die Politiker zwei Körper wie einst die Könige (den sterblichen und den unsterblichen) oder verfügten (nach Kantorowicz) über eine öffentliche und eine private Rolle. Im kleinen Verwaltungskreis beschließen sie Maßnahmen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so teuer machen. […] Treten sie dann aus der Tür, beklagen die Länderchefs und ihre Medienstaatssekretäre, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio unfähig seien, sich zu reformieren und ihre Budgets zu begrenzen."

Wie wenig lautstarke medienpolitische Forderungen manchmal mit realem politischen Handeln zu tun haben, zeigt gerade wieder die frisch entflammte Rundfunkbeitragsdebatte, die hier gestern schon Thema war. Nachdem der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD sich gegen eine Beitragserhöhung ausgesprochen hat, hat sich dem nun auch seine Berliner Amts- und Parteikollegin Franziska Giffey angeschlossen, wie der "Tagesspiegel" (€) berichtet. Joachim Huber weist dankenswerterweise gleich zu Beginn seines Textes darauf hin, dass die Politik zwar viel fordern, aber in Sachen Rundfunkbeitrag wenig direkt entscheiden kann: Bezahlt werden muss alles, was die Länder per Programmauftrag bestellt haben.

Dietmar Woidke sitzt übrigens weiterhin im ZDF-Verwaltungsrat, genauso wie CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt. Die Länderchefs würden es vermeiden, in dem Gremium Politik zu machen, schreibt Michael Hanfeld in der FAZ. Was wiederum die Frage aufwirft, ob Politiker dann die richtige Besetzung sind, um beispielsweise außertarifliche Verträge von ZDF-Führungskräften abzusegnen. Wen die Länder anstelle von Söder in den Verwaltungsrat entsenden werden, steht bisher noch nicht fest – die Kachel auf der Verwaltungsratsseite ist vorerst leer.


Altpapierkorb

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+++ "Wer im falschen Moment das Falsche schreibt, kann schnell selbst zum Opfer der Guerreros Unidos, Rojos, Tlacos, Ardillos, Familia Michoacana oder anderer bewaffneter Banden werden." Wolf-Dieter Vogel und Vania Pigeonutt beschreiben in der taz den Wahnsinn, den Journalistinnen und Journalisten in Mexiko täglich erleben. Die 33-jährige Reporterin María Avilés riskiert für ihre Arbeit ihr Leben, muss aber bei der Schwiegermutter wohnen, weil ihr Monatsgehalt von umgerechnet 540 Euro nicht zum Leben reicht.

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Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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