Kolumne: Das Altpapier am 21. Dezember 2022 Der Podcast als ideale Bühne
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21. Dezember 2022, 09:09 Uhr
Die "Tagesschau" begeht an Weihnachten das nächste öffentlich-rechtliche Jubiläum. Die Bundeskanzlerin a.D. spricht in einem True-Crime-Podcast über Richard Wagner. Ihrem Ex-Wirtschaftsminister, Peter Altmaier, wird derweil ein "Spiegel"-Porträt gewidmet, das viele irritiert zurücklässt. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Der Himmel ist blau, und um 20 Uhr kommen die Nachrichten
Hat man erst einmal ein gewisses Alter erreicht, purzeln die Jubiläen aus dem Kalender wie die bayerischen Feiertage. Nach dem 70. Kronjubiläum der ARD, dem 25. Geburtstag von Phoenix, dem 30. von Arte, dem 25. Dienstjubiläum der "Tatort"-Kommissare aus Köln, dem 20. derer aus Münster, dem 10. Geburtstag des Dortmund-"Tatorts" und kurz vor dem 60. Geburtstag des ZDF im April wird dieser Tage lediglich noch das 15. Kornjubiläum von "Inas Nacht" gefeiert – und dann steht auch schon der 70. Geburtstag der "Tagesschau" an.
Man muss noch nicht direkt die Chips kalt stellen, denn es ist erst am 26. Dezember so weit. Mitten im kalten Weltwahrnehmungsloch der mit Filmklassikern ausgefüllten Weihnachtstage steht so ein runder Geburtstag allerdings womöglich nicht gut in der Landschaft. Deshalb sind zumindest die ersten Partytexte schon da.
Im "Tagesspiegel", zum Beispiel, oder auf den Seiten des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Wobei die beiden mit unterschiedlichen Deutungen derselben Zahlen aufwarten. "Gerade zuletzt haben Leid, Elend, Krieg und Krisen die Schlagzeilen bestimmt. Viele Zuschauer schalten deshalb lieber ab. Das merkt auch die 'Tagesschau'", befindet rnd.de, während Joachim Huber bei tagesspiegel.de darauf hinweist, dass es nicht selbstverständlich sei, dass "so viele Menschen in diesen medial hochaufgeladenen und hochgerüsteten Zeiten noch immer live und Punkt 20 Uhr die 'Tagesschau' einschalten".
In aller deutungsbereinigten Sachlichkeit die tagesschauige Nacktfaktdarstellung: 10,1 Millionen Zuschauerinnen und mitgemeinte Männer schalteten im Schnitt 2022 die 20-Uhr-Ausgabe ein, und damit etwas weniger als während der Pandemie, als alle immerzu vor den Nachrichten hingen, aber mehr als vor Corona. Genau genommen gibt es also gerade nichts zu sehen: Der Himmel ist blau wie das "Tagesschau"-Studio, Wasser ist nass, und um 20 Uhr kommen die Hauptnachrichten. So war es immer(*), und so wird es immer sein. Bis es irgendwann einmal nicht mehr so ist.
(* Zuspitzung)
Über zwei Podcasts
Der Podcast als Medium bekommt zum Jahresende noch einmal ein wenig Aufmerksamkeit. Also, nicht dass es ihm an Aufmerksamkeit fehlen würde, aber gemessen daran, dass er sich in den Gewohnheiten vieler Menschen eingenistet hat, wird vergleichsweise wenig darüber geschrieben. Da wäre der Podcast "Cui Bono", der vor allem für den preisgekrönten Mehrteiler "WTF happened to Ken Jebsen" (Altpapier) bekannt ist. Seit einigen Tagen ist aber nun Teil zwei komplett, die Geschichte des gerichtsbekannten, von seinen Hatern aber auch sehr geplagten Youtubers und sogenannten Drachenlords Rainer Winkler. Und die "FAZ" ist voll des Lobs: "[Er] stellt der häufig abgeschriebenen Erzählung vom publicitysüchtigen Youtuber eine andere, komplexere entgegen. Sie handelt von einem jungen Mann in einem sehr kleinen Ort, von den Grenzen unserer Strafverfolgung und vom grenzenlosen Hass im Netz", findet Elena Witzeck.
Man kann es aber auch wie Alexander Matzkeit sehen, der in einem Thread kürzlich kritisierte, dass, bei aller Qualität, das Innere der Zwiebel ziemlich leer sei: "Große Gesten, sehr kompetent, aufwändig und persönlich erzählt, aber am Ende wenig Erhellendes oder Besonderes."
Und dann wäre da noch ein weiterer Podcast, der gerade häufiger auftaucht: ein True-Crime-Podcast, aber mit Angela Merkel.
Die Bundeskanzlerin a.D. hat in den vergangenen Monaten Kritik an ihrer Energie- und Russlandpolitik zurückgewiesen, dann ein Schrittchen hierhin und eines dorthin gemacht. Sie ließ sich von einem der Reporter, die sie bevorzugt als Ostdeutsche lesen, erst ausführlich auf großer Theaterbühne exklusiv interviewen, dann porträtieren. Und jemand von der "Bild" folgte ihr wohl einmal zum Einkaufen und schrieb dann auf, dass sie Chorizo-Wurst für 34,80 Euro erworben habe. Wie es in einem Peter-Altmaier-Porträt im "Spiegel" formuliert ist:
"Was Angela Merkel macht, wissen wir. Sie schaut 'The Crown'. Sie hört 'Macbeth' beim Spazierengehen. Sie geht mit Barack Obama ins Museum."
Nun hat Merkel in einem Podcast des SWR ausführlich über Wagners "Ring des Nibelungen" gesprochen, in einer "Variation des beliebten Formats True-Crime-Podcast in Richtung eines themengetriebenen Personality-Interviews", wie Johannes Schneider bei zeit.de schreibt. Das folgt womöglich einer klugen Medienstrategie, vielleicht auch nur einer lustvollen Intuition, wie er vermutet. Oder natürlich beides.
"Das Medium ist nach wie vor eine ideale Bühne, um darauf seriös zu überraschen. Weder sitzt man statuarisch im Set eines öffentlich-rechtlichen Einzelinterviews, noch enttäuscht man auf der ganz anderen Seite die Jugend mit einem eigenen YouTube- oder TikTok-Channel, wo dann aber doch alles steril und öde nach Neujahrsansprache aussieht."
Schaden zumindest wird es Merkel nicht, wenn ihr Name fällt, ohne dass "Russland" im selben Satz vorkommt. In die "Tagesthemen" ist sie damit jedenfalls schon mal gekommen, ohne "Russland"-Bezüge.
Diskussionen über ein Altmaier-Porträt
Breiter diskutiert wurde vor allem am Dienstag – vor allem von Journalistinnen und Journalisten, vor allem bei Twitter, wo demnach noch ein paar Medienschaffende anwesend zu sein scheinen – das erwähnte Altmaier-Porträt im "Spiegel".
Zunächst einmal ist es keine ganz schlechte Idee, Peter Altmaier jetzt zu begleiten und zu porträtieren. Erstens ist es legitim, sich für einen Mann zu interessieren, der als Merkels Kanzleramtschef und Minister über Jahre unentwegt präsent gewesen ist, bevor er vor einem Jahr aus dem Bundestag ausschied. Zweitens war er Wirtschaftsminister in Jahren, zu denen Merkel sich immer wieder erklären soll. Warum also nicht er? Altmaier hat sich bereits hier und da zur Industrie- und Energiepolitik seiner Regierungszeit geäußert, aber ein "Spiegel"-Porträt hat eine andere Kraft als ein Auftritt auf einer Fachmesse der Finanz- und Versicherungswirtschaft.
Der Text wirkt allerdings wie nicht wirklich fertig: Szenen und Beobachtungen reihen sich aneinander, aber sie fügen sich nicht zusammen. Als läge das viele Material im Koma und müsste noch belebt werden. Es geht auch nur am Rande um Altmaiers Energiepolitik. Online ist im Titel vom "Politpensionär" die Rede, der "verzweifelt" nach einer neuen Rolle suche. Die Frage, die im Printmagazin in der Unterzeile aufgeworfen wird, lautet: "Wie geht es ihm?"
Manche Journalismuspraktiker finden den Text freilich richtig gut; nah dran und traurig. Andere allerdings finden ihn zu schonungslos auf einer zu intimen Ebene, voyeuristisch und herabwürdigend, was etwa an Passagen liegt, in denen es um Altmaiers Essverhalten geht. Der Autor, ein Journalistenschüler, bekommt deshalb nun einiges ab in den Social Media, das man aber eher dem Ressort sagen müsste, das seinen Text so gedruckt hat oder haben wollte. Dass ein medienerfahrener Mann wie Altmaier den Reporter so nah an sich heranließ, ist freilich auch bemerkenswert bis irritierend; dass er davon ausging, dass bestimmte persönliche Dinge nicht veröffentlicht werden, weil sie nicht öffentlich sein sollten, ist deshalb zumindest denkbar. Man verbleibt leicht ratlos.
Altpapierkorb (ARD-Reform, Johann König und die "Zeit", Boris Becker bei Sat.1)
+++ Wie eine reformierte ARD aussehen könnte, skizzieren auf der Medienseite der "FAZ" die beiden WDR-Gremienmitglieder Claudia Schare, Vorsitzende des Finanzausschusses der Gremienvorsitzendenkonferenz, und Rolf Zurbrüggen, der Vorsitzende der Konferenz der ARD. Zentral ist im Text von Helmut Hartung unter anderem die Forderung, "die ARD-Anstalten müssten mehr zeigen, was möglich wäre, und weniger sagen, was nicht möglich sei". Eine dauerhafter interdisziplinäre Steuerungsgruppe solle "der Nukleus einer neuen ARD" sein, wird Schare zitiert: "Wir brauchen mehr Delegation von Aufgaben und Verantwortung an einzelne oder mehrere Einheiten, die zeitlich begrenzt für alle entscheiden".
+++ Um die Berichterstattung der "Zeit" über den Berliner Galeristen Johann König, dem angebliche sexuelle Übergriffigkeiten vorgeworfen werden, gab es juristische Auseinandersetzungen. Sie sind nun beendet, und beide Seiten "verbuchen … die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg in der Sache als Erfolg für sich", schreibt Michael Hanfeld in der "FAZ".
+++Boris Becker ist ein paar Tage auf freiem Fuß, und so konnte er nun für ein ausführliches Interview mit Steven Gätjen bei Sat.1 sitzen; im Pressemitteilungsjargon: "das weltweit einzige Interview mit Boris Becker nach seiner Haftentlassung". Am Dienstagabend, direkt nach der "Tagesschau" auf dem anderen Kanal, wurde es ausgestrahlt, und er erzählte in aller Ausführlichkeit von seinen Monaten in einem britischen Gefängnis (tagesspiegel.de via Agenturen). Holger Gertz, das ist vielleicht das Beste daran, schreibt darüber für die Seiten der "Süddeutschen". Das Zweitbeste ist, dass Boris Becker, wenn er schon wieder zurück in den Medien ist, vielleicht auch bei Sky wieder Tennis kommentieren kann – das machte er vor seinem längeren Aufenthalt in Großbritannien nämlich ziemlich gut.
Es gibt aber auch ein paar Gründe für gelupfte Augenbrauen: erstens weil es "unüblich" ist, Interviewpartner zu bezahlen, wie rnd.de es nennt; es kursieren aber erstaunlich konkrete Zahlen, die auch dann noch hoch wären, wenn man sie halbierte. Und zweitens, weil zumindest die Möglichkeit im Raum steht, dass die Fragen abgesprochen waren, was nicht nur unüblich, sondern "ein No-Go" wäre, so rnd.de.
Das Altpapier vom Donnerstag schreibt René Martens.
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