Kolumne: Das Altpapier am 16. Dezember 2022 Empirie strikes back
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16. Dezember 2022, 09:05 Uhr
Harry und Meghan gehen mit Netflix steil. Dem Talkmoderator Louis Klamroth wird ein Interessenkonflikt angedichtet, weil sich seine Freundin für Klimaschutz einsetzt. Und die ersten Forschungsbefunde zur Ukraineberichterstattung liegen vor – nur leider ist die Debatte darüber schon geführt. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Harry und Meghan und Netflix
Es gibt in Deutschland ein paar ziemlich schlimme Adelige und auch ein paar noch schlimmere. Aber es gibt keine Royals, was angesichts einiger der vorhandenen Adeligen wohl auch besser so ist. Es gibt deshalb aber – der Preis für die repräsentative Demokratie – auch keine deutschen Royals-Dokuserien. Was für deutsche Fernsehleute womöglich bedauerlich ist, wenn man sich ansieht, wie der jüngste Aufschlag von Meghan und Harry, also die neue Staffel von "Harry & Meghan" bei Netflix durchs Dachfenster schießt. Weshalb ihm auch in Deutschland einige Fernsehkritikplätze gewidmet werden:
"Die ersten drei Folgen der Netflix-Dokumentation 'Harry & Meghan', die am vergangenen Donnerstag zum Abruf bereitgestellt wurden, sahen in den ersten vier Tagen bis Sonntag weltweit mehr als 28 Millionen Haushalte", informiert der "Tagesspiegel", womit das schon mal geklärt wäre. Während in der "FAZ" Gina Thomas sich in ihrem Text zum Stück ein wenig lustig macht darüber, dass das von den Medien und der blöden Royal Family so genervte Paar, das den Zwängen der britischen Monarchie entflohen ist, sich nun "des verhassten Mittels der Medien bedient, um jedermann teilhaben zu lassen an seiner Last mit der hässlichen alten Welt".
Alldieweil Christian Meier in der "Welt" den Bogen ins Medienanalytische spannt und von einer Wende spricht, "die durch das Internet, soziale Medien und die Streamingdienste möglich gemacht wird": "Prominente können ihre Version der Wahrheit direkt an die Menschen senden und damit klassische Medien umgehen (die berichten natürlich trotzdem munter weiter)." – Wobei es sich wohl um die neue Staffel jener Wende handelt, die der Schauspieler Ashton Kutcher 2009 eingeläutet hatte, als er Urlaubs- und Alltagsfotos seiner damaligen Frau, der Schauspielerin Demi Moore, twitterte und so das Geschäftsmodell der Paparazzi beschädigte, die ihnen unentwegt auflauerten…
Sagen wir’s mit einem kleinen Gedicht:
Harry
Harry und Meghan
Meghan
Meghan und Netflix
Harry
Harry und Netflix
Harry und Meghan und Netflix und
Medienkritik
Worin besteht ein Interessenkonflikt?
Prominente Menschen aus dem leider zum Glück royallosen Deutschland tauchen aktuell freilich auch auf in den Medienressorts, und sie heißen Luisa Neubauer und Louis Klamroth. Klamroth moderiert von Januar an "hart aber fair", und er und Neubauer sind ein Paar, wie er am Mittwoch in einem dwdl.de-Interview auf Nachfrage bestätigt hat.
"Da ich mit einer Person des öffentlichen Lebens zusammen bin, hat das Publikum aus meiner Sicht einen Anspruch darauf, das zu wissen", sagte er und antwortete auf die Frage, ob er deswegen einen "Aufschrei" erwarte:
"Ich glaube, die meisten Leute wissen, seriöser Journalismus ist vor allem sauberes Handwerk. Dazu gehören sorgfältige Recherche, kritisches Nachfragen, Überparteilichkeit, Unabhängigkeit und natürlich Transparenz. Dieses Handwerk beherrsche ich. In der Praxis bedeutet das konkret, dass wir eine sehr erfahrene Redaktion haben, in der offen darüber diskutiert wird, welche Themen wir fürs Publikum relevant halten, wie wir sie aufbereiten und wen wir einladen. Und dass meine Partnerin nicht Gast meiner Sendung sein wird, versteht sich doch von selbst."
Womit das Thema erledigt sein könnte, weil Luisa Neubauer zwar Klimaaktivistin ist, aber nicht, sagen wir beispielsweise, Bundesfinanzministerin. Wenn sie Bundeskanzlerin würde, müssten wir neu reden. Aber dass die Partnerin eines Journalisten eine Meinung haben darf, ist halt schon vorgesehen, und wenn sie sie vertritt, bedeutet das für Klamroth keinen "möglichen Interessenkonflikt", wie er zum Beispiel bei kress.de offenbar für denkbar gehalten oder zumindest in die Unterzeile gepackt wird. Und es gäbe auch keinen, wenn Neubauer einfaches CDU-Mitglied wäre oder für den Verbrenner demonstrieren würde.
Die Frage nach dem möglichen "Aufschrei" hat freilich wohl schon ihren Grund, denn dass es irgendwann einmal eine "hart aber fair"-Ausgabe geben könnte, in der ein anderer Gast einmal für weitergehende Klimaschutzmaßnahmen argumentiert oder am Ende gar radikalerweise das Pariser Abkommen von 2015 zitiert, wird sich wohl nicht völlig ausschließen lassen. Und dann wird der eine oder andere gewiefte Publizist seine Ausrufezeichen-Tasten hart zu strapazieren verstehen.
Hans-Peter Siebenhaar, Chefautor von "Focus Money", findet auf focus.de (in Kooperation mit dem "Wirtschaftskurier") jetzt schon:
"Mit ihrer Entscheidung für Louis Klamroth beschädigt sich die ARD weiter. Das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist bereits durch den RBB-Skandal und der damit verbundenen Vetternwirtschaft schwer beschädigt. Ein strategisch wichtiges TV-Format mit dem Partner der Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer zu besetzen, wird die massive Kritik an einem angeblich tendenziösen Programm noch vergrößern" –
was ein interessanter Einwurf ist, weil die "massive Kritik an einem angeblich tendenziösen Programm" hier zu einem entscheidenden Maßstab erklärt wird – was, weitergedacht, wohl bedeuten würde, dass die Besetzung von Moderationsjobs künftig in den Social Media ausgehandelt werden sollte. Das aber wollen wir doch lieber bleiben lassen.
Jetzt wären sie da: Forschungsbefunde zur Ukraineberichterstattung
Zum Jahresende hin klären sich manchmal noch ein paar Dinge. Zum Beispiel ist nun tatsächlich jene erste Untersuchung über die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien erschienen, über die bereits vor Monaten in einer Talkshow gesprochen wurde, die eher Wrestling als einem Diskurs glich: in jener Ausgabe von "Markus Lanz", in der Lanz' Podcast-Partner Richard David Precht und Harald Welzer mit Melanie Amann vom "Spiegel" und Robin Alexander von der "Welt" über ihr Buch redeten, ohne dass es zu einem Gespräch gekommen wäre. Die journalistische Berichterstattung falle bei relevanten Themen einseitig aus, lautet eine zentrale These des Buchs, etwa was die Einschätzung zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine angehe. Ein paar Ausrufezeichen enthält es auch.
Es hat wenig Sinn, die Debatte über das Buch noch einmal nachzuerzählen, nur weil das Jahr sich zufällig dem Ende zuneigt und die Zeichen auf Rückschau stehen. Ich habe sie als aufgeladen und wenig erkenntnisbringend wahrgenommen. Zum ersten dürfte das am Buch gelegen haben, dem der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im November im "Spiegel" bescheinigte, Provokationen, widersprüchliche Thesen und empirieferne "Zerrbilder" zu enthalten, "die für Aufsehen sorgen". "Die Meinungsbilder in der Berichterstattung über Geflüchtete und die Pandemie waren darüber hinaus in der Gesamtschau deutlich vielfältiger als behauptet. Und für die Ukraineberichterstattung liegen noch keine belastbaren Studien vor", schrieb er.
Zum Zweiten an einem auf einem "Marketingstunt" basierenden "Aufmerksamkeitsexzess". Zum Dritten an der Art der Auseinandersetzung mit den Autoren, auf die "Beschimpfungen von allen Seiten" eingeprasselt seien, "Attacken, hasserfüllte Tweets, Wutgemälde, maßlos und grell".
Nun striket die Empirie back. Es liegt ein "Forschungsbericht zu ersten Befunden" der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer, Jörg Haßler und Pablo Jost, eine Untersuchung "mithilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse von rund 4.300 Beiträgen in acht deutschen Leitmedien: FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Spiegel, Zeit, ARD Tagesschau (20 Uhr), ZDF Heute (19 Uhr) und RTL Aktuell (18:45)", veröffentlicht von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung.
Die Ergebnisse "fallen durchaus differenziert aus", schreiben die Autoren im Fazit. Eine durchgehend einheitliche Medienberichterstattung habe es nicht gegeben. Aber – das ist in der nachrichtlichen Zusammenfassung des Evangelischen Pressedienstes und im "Tagesspiegel" der zentrale Aspekt – die militärische Unterstützung der Ukraine im Allgemeinen und die Lieferung schwerer Waffen im Besonderen sei "in den meisten der untersuchten Medien als deutlich überwiegend sinnvoll und auch als sinnvoller als diplomatische Maßnahmen dargestellt" worden, was "angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine verständlich" sei, "in dieser Deutlichkeit" aber dennoch überrasche. "Nur der Spiegel bewertete diplomatische Maßnahmen als sinnvoller als die Lieferung schwerer Waffen, bei allen anderen Medien war es umgekehrt."
Andrej Reisin vertritt bei "Übermedien" die Position, dass "die überwiegend gegenteilige Haltung des 'Spiegel' in dieser Frage (…) eben nicht Precht und Welzers These vom 'Cursorjournalismus'" stütze, "der eine 'Selbstangleichung' vollzogen habe", und dass die Ergebnisse "Prechts und Welzers Thesen in zentralen Punkten nicht" bestätigen würden. In anderen zentralen Punkten tun sie das aber schon. Und so ist die Situation nun die, dass die Diskussion über die Ukraine-Berichterstattung jetzt beginnen könnte, in allen Grautönen, die ein Röhrenfernseher einst hergab. Die Positionen sind aber längst mit Verallgemeinerungen und Abwertungen abgesteckt.
(Für die Transparenz: Ich habe Harald Welzer, der das Magazin tazFuturZwei herausgibt, für das ich schreibe, im Rahmen seiner Buchrecherchen im Vorfeld zu einigen Aspekten zugearbeitet. Um die Ukraine-Berichterstattung ging es dabei nicht.)
Altpapierkorb (Mediengesetz in der Ukraine, Fußball-WM, Josef Joffe)
+++ Über ein neues ukrainisches Gesetz, das "mit gewachsenen Traditionen der ukrainischen Medienlandschaft" bräche, schreibt Sonja Zekri in der "SZ" unter dem Titel "Ist das Zensur?": "Das Gesetz gibt dem Nationalen Radio- und Fernsehrat eine für die unabhängige Ukraine präzedenzlose Kontrolle über die Medien und wurde am Dienstag in zweiter Lesung mit überwältigender Mehrheit angenommen."
+++ Am Sonntag endet die Fußball-WM, und es gibt erste Fazits: bei meedia.de geht es um die wirtschaftliche Bewertung der Magenta-TV-Berichterstattung. In der neuen Ausgabe von "Epd Medien" blickt Tilmann Gangloff auf Magenta, vor allem aber auf ARD und ZDF. Er lobt etwa Béla Réthy, der dieser Tage zum letzten Mal ein Spiel kommentiert hat: "Seine launigen Ausführungen über Land und Leute und sein Kommentar zur Stadionflucht der Einheimischen - in Katar wird pünktlich gegessen - waren eine wahre Freude."
+++ "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe stand im Mai nach einer "Spiegel"-Veröffentlichung in der Kritik, er habe in die Berichterstattung der "Zeit" über einen Freund von der Warburg-Bank einzugreifen versucht (Altpapier). Das bestritt Joffe. Nun schreibt der "Spiegel", ihm liege eine neue Mail vor, die in den Rat münde, "Warburg solle PR-Berater engagieren – 'wenn ihr nicht den Rechtsweg nehmen könnt/wollt'. Ein Halbsatz, der sich als dezenter Hinweis verstehen lässt, dass eine Warburg-Klage gegen die 'Zeit' denkbar sei. Gegen das eigene Haus." Joffe bestreitet, dass diese Interpretation zutreffe.
Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Dann meldet sich hier Jenni Zylka.
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