Das Altpapier am 13. Dezember 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Kolumne: Das Altpapier am 13. Dezember 2022 Auf dem Gipfel Luft nach oben

13. Dezember 2022, 10:15 Uhr

Auf dem Bundes-"Digital-Gipfel" glänzte außer Starredner Robert Habeck auch die Abwesenheit der Uneingeladenen. Nancy Faeser bezieht anderswo Position zum Thema "Chatkontrolle". Was weiß die KEF vom "Ruhegeld" für öffentlich-rechtliche Funktionäre? Außerdem: Huch, "Extinction Internet"? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Wer beim Digi-Gipfel war (und wer nicht)

Hatten oder hätten Sie's bemerkt, ohne in Fach-Portale wie netzpolitik.org oder heise.de zu klicken? Vorige Woche war Digital-Gipfel der Bundesregierung! Es war

"alles so wie zu Merkel-Zeiten, nur mit noch weniger Unterhaltsamkeit",

fasste Falk Steiner bei ersterem Portal zusammen. Dabei waren außer Bundeskanzler Scholz und Verkehrs-Digital-Minister Volker Wissing auch Sympathie-Zugpferde wie der Wirtschafts-Klimaminister zugegen. Robert Habeck brachte digitale Fundstückchen von seinen Reisen in die weite Welt (in der die Digitalisierung oft ja schon weiter vorangeschritten ist als in Deutschland) mit und mischte beim Vertellen geschickt IT-Englisch mit holsteinischem Dialekt: Wenn in jordanischen Flüchtlingslagern "die Leute ... mit einem Iris-Scan" bezahlen oder "in westlichen Ländern ... 'beim Reingehen eine Face-ID-Scannung'" über sich ergehen lassen, dann sei das "keine abgefahrene Spökenkiekerei", zitiert Stefan Krempl im heise.de-Bericht zum ersten Tag den populären Minister.

Offenkundig musste die Regierung ein bisserl improvisieren. Habecks und Wissings Ministerien sowie das der umtriebigen Innenministerin Faeser haben die neue Bundesregierungs-Datenstrategie, die eigentlich hätte vorgestellt werden sollen, doch noch nicht fertig, und "das ebenfalls noch nicht ganz gare Dateninstitut", das immerhin präsentiert wurde (Bundesministerien-PM), reichte ganz alleine zur Erbauung des Publikums nicht aus.

Gewiss, sinnvolle Politik kann man auch ohne sehr viel Charisma oder Showelemente gestalten. Vielleicht/ hoffentlich beweist der Bundeskanzler das auf zumindest einigen Politikfeldern. Die hauptsächliche Kritik der Portale bezieht sich auf anderes:

"Wenn Digitalpolitik tatsächlich die gesamte Gesellschaft mitnehmen soll, dann hilft es nichts, die Abkürzung zu nehmen und das als IT-Gipfel von IT-Wirtschaft und Regierung durchzuführen. Dann müssen viel mehr Stimmen an den Tisch",

meint Steiner. Und netzpolitik.org dokumentierte unter der Überschrift "Ein staatlich organisiertes Lobbyfest" nicht nur den Ärger von fünf nicht eingeladenen Nichtregierungsorganisationen, darunter die die Reporter ohne Grenzen – wobei sich laut heise.de selbst der Chaos Computer Club ärgerte, "wieder einmal keine Einladung erhalten zu haben" – sondern nimmt auch das vorläufige Dateninstituts-Konzept auseinander:

"Ob und wie das Gremium [die fünfköpfige Instituts-Gründungskommission] das vollmundige Versprechen auf Gemeinwohlorientierung einlösen wird, bleibt daher abzuwarten. Fest steht: Sollen Daten vorrangig nicht dem Profit, sondern der breiten Gesellschaft dienen, muss dafür die Zivilgesellschaft eingebunden werden. Eben davon war auf dem diesjährigen Digitalgipfel wenig zu sehen und zu spüren. Stattdessen trifft man bei Veranstaltungen, in den die Bundesregierung die Umsetzung ihrer Digitalstrategie vorstellt, immer wieder auf altbekannte Gesichter ...",

die sich schon auf vorherigen, nachweislich folgenfrei gebliebenen Digital-Gipfeln tummelten. Eine ziemlich gute Analyse der Digital- oder Netzpolitik bisheriger Bundesregierungen findet sich, ohne unmittelbaren Gipfel-Zusammenhang, erneut auf netzpolitik.org: "Je mehr mitmachen, desto weniger kommt raus", schreibt Bianca Kastl in ihrer Kolumne "Degitalisierung". Damit übersetzt sie eigentlich nur das Brooksche Gesetz aus den 1970ern ("Adding manpower to a late software project makes it later"), erklärt aber auch, warum "das wiederkehrende Gefühl des Aufbruchs bei deutschen Digitalgroßvorhaben" jedes Mal wieder verpufft, lange bevor die Zuständigkeiten für Digitales in neuen Bundesregierungs-Koalitionen wieder anders auf die Hauptstadt-Ministerialbürokratie verteilt werden.

A propos "Degitalisierung" könnten wir fast noch auf die Gefahr, dass das freie Internet an sich verpufft, zu sprechen kommen. Die formuliert Geert Lovink in seinem neuen Essay "Extinction Internet". Zumindest fasst t3n.de die Kernthese so zusammen:

"Laut Lovink ist das Sterben des Internets nicht als ein Problem der Infrastruktur zu begreifen – etwa durch das Durchtrennen von Kabeln oder Stromausfall –, sondern vielmehr als Ende einer Ära. Der Kampf der Internetverfechter:innen in den Neunzigerjahren um ein dezentrales Netzwerk für alle sei jedenfalls verloren gegangen."

Mehr dazu findet sich auf englisch etwa bei der Uni Amsterdam. Aber das wäre ein zu großes Fass und bewahrheitet sich hoffentlich nicht vollständig. Außerdem gibt es noch ganz konkretes Neues aus der Bundesregierungs-Netzpolitik ...

Konkrete Gesetzes-Änderungs-Pläne aber auch

Wie steht die Bundesregierung, deren Datenstrategie noch nicht steht, zu den "Chatkontrolle"-Plänen der EU-Kommission? Das war bisher auch nicht klar, abgesehen davon, dass Ex-Cybersicherheitsbehörden-Chef Arne Schönbohm zu den Gegnern solcher Pläne gehörte und dann ja von der Innenministerin auf einen noch teurer dotierten, aber völlig anders gelagerten Posten wegbefördert wurde (Altpapier). Nun kommt Licht in die Angelegenheit, weil netzpolitik.org mal wieder leakte, und zwar "Drahtberichte der deutschen Ständigen Vertretung in Brüssel". So wird deutlich, dass auf EU-Ebene

"vor allem Finnland im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und die Position der europäischen Datenschutzbehörden Kritik am Vorhaben der Chatkontrolle geäußert hat – sich Deutschland jedoch nicht positioniert und dies damit begründet, dass die Bundesregierung keine abgestimmte Position zum Thema habe."

Heißt: Die Bundesregierung befördert durch ihr intern vermutlich als Kompromiss abgestimmtes Nixtun die "neue anlasslose Massenüberwachung". So nennen die netzpolitik.org-Redakteure Markus Reuter und Andre Meister die "Chatkontrolle".

Was genau solche "Drahtberichte" sind (ob sie aus Brüssel gekabelt werden wie einst von Gauß und Weber?..) weiß ich gerade nicht. Allerdings bezieht Faeser, beflügelt vom Öffentlichkeits-Erfolg der großen Razzia der Vorwoche (Altpapier), inzwischen klar Position. Wobei sie ein dankbareres Podium wählte als den unscheinbaren Digi-Gipfel: die "Anne Will"-Talkshow der ARD.

"Im Moment haben wir eine abenteuerliche Diskussion in der Öffentlichkeit, was alles geschützt werden muss, in privaten Chats.",

und dass sie nun "auch im Netz" "hart durchgreifen" und Gesetze ändern will, sagt sie da. Diesen Ausschnitt vertwitterte Erik Tuchfeld, der dazu nochmals seinen verfassungsblog.de-Beitrag aus dem Dezember '21 zur Unterscheidung von privater und öffentlicher Kommunikation verlinkte.

Sagenhafte "Ruhegelder" u.a. ÖRR-Baustellen

Ins Öffentlich-Rechtliche. Die Diskussion um "Ruhegelder" nicht nur, aber besonders beim RBB geht weiter. Michael Hanfeld bleibt in der "FAZ" unermüdlich dran und nennt heute viele Namen bestens altersversorgter RBB-Spitzenkräfte, die die "Welt am Sonntag" (APkorb gestern) zuvor nannte. Vor allem, dass Alt-Intendantin Dagmar Reim ihr "Ruhegeld" von rund 14.000 Euro nach ihrem vorzeitigen Abschied 2016 offenbar Tariferhöhungs-artig auf "knapp 16.000 Euro" steigern konnte, verdient Aufmerksamkeit. Also "knapp 16.000 Euro" pro Monat. Reim hat zweifellos allerhand dazu beigetragen, den RBB zu dem zu machen, was er dummerweise längst ist. So gesehen, profitiert sie vielleicht zurecht.

"Was macht eigentlich die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) so beruflich?",

fragte Lorenz Matzat auf Twitter, weil im Internetauftritt der KEF und ihren jeweils vielhundertseitigen Berichten das Wort "Ruhegeld" überhaupt nicht vorkommt.

Und weiter bemerkenswert scharf bleibt die "Süddeutsche", die ja zu lange zu den grundsätzlichen Öffentlich-Rechtlichen-Sympathisanten zählte. In einem online gedruckt am Montag erschienenen Artikel berichtete Claudia Tieschky von der Sitzung des RBB-Rundfunkrats am Donnerstag. Da ging es dann auch noch um

"eine richtungsweisende Entscheidung ... - eine Empfehlung zur Begrenzung des Gehalts zukünftiger Intendantinnen und Intendanten, und zwar schon vor der Ausschreibung für die im kommenden Jahr anstehende Wahl. Derzeit verdient die interimsmäßig für ein Jahr gewählte Intendantin Vernau zwar weniger als Vorgängerin Schlesinger, aber mit 295.000 Euro immer noch mehr als die Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Die Diskussion in dem Gremium verhakte sich dann zwischen dem Argument, dass man mit einer Gehaltsdeckelung nicht gute Leute abschrecken wolle, der Grundsatzkritik, dass Rundfunkspitzenleute bezahlt würden wie in der Wirtschaft und versorgt wie Beamte - und dem Zeitdruck in der Sitzung ..."

Heißt: Der Rundfunkrat, der ja weithin derselbe ist, der Patricia Schlesingers Kurs so affirmativ unterstützte wie die meisten Rundfunkräte seit je die jeweilige Politik der jeweiligen Intendanten zumindest öffentlich stützen, verpasste eine weitere Gelegenheit, ein klares Signal zu setzen. Hoffentlich behält die "SZ" den Ton bei, damit der Druck erhalten bleibt, wenn in wenigen Wochen der neue, noch unverbrauchte ARD-Vorsitzende Kai Gniffke mit großem Presseteam (dwdl.de) antritt.

Der "Unfug" der Programm-Labels

Vielleicht die sinnvollste Form der Programmkritik ist die strukturelle, die allerdings Kenntnis vieler Programminhalte, also viel Zeit erfordert.

Nachdem die ARD gerade ankündigte, künftig außer der Wortmarke "Story" auch noch "History" zu verwenden (Altpapier), weil solche cool klingenden Anglizismen nicht nur dank ihrer Kürze in jede Zeile und auf jede Quotecard passen, sondern auch ungeschützt sind, nahm sich Peer Schader in seiner dwdl.de-Kolumne des Themas "Austauschbarkeit der TV-Doku-Labels" an. Und zwar gewohnt gut informiert. Womöglich ist das ZDF der ARD bei der inflationären Nutzung nichtssagender Trendwörtchen sogar voraus:

"Und im Zweiten? Sendet man schon seit Jahren dienstagabends das Reportage-Agglomerat 'ZDFzeit', unter dem sich von Lebensmittel-Checks über 'Hitlers Macht' bis zu Royal-Reportagen auch wirklich noch der allerletzte Unfug subsumieren lässt, ohne dass das irgendwem in Mainz weh täte."

Das Positive, das es im großen, an den Genregrenzen freilich oft auch grauen Bereich des dokumentarischen Fernsehens ja gibt, hat Schader auch im Blick. Da gehöre etwa

"der Film '2 Zimmer, Küche, Abzocke' zum Besten, was in den vergangenen Monaten zum Thema Wohnungsnot in Deutschland gelaufen ist: Mit großer Lust, sich selbst ein Bild der Lage zu machen, besuchten Wiebke Wittneben und Rainer Jilg Mieter:innen in Würzburg, Frankfurt am Main und Mönchengladbach, die zu völlig überzogenen Preisen in winzigsten Drecksbuden ausharren, weil sie sonst nichts anderes bekommen haben und nicht auf der Straße sitzen wollten; ... und solche, denen die Bude unterm Bett wegschimmelt, weil die Grundsanierung verpfuscht worden ist. Anderthalb Stunden waren Zeit, um Versäumnisse einzuordnen und Großkonzerne beim Namen zu nennen, um sie in die Verantwortung zu nehmen."

Das lief allerdings beim Bertelsmann-RTL-Sender Vox unter dem Label "Inside". Doch lobt Schader auch eine der "Stories" des WDR (der die inzwischen totstrapazierte Idee der Wortmarke "Story" wohl als erster im deutschen Fernsehen hatte ...). Allerdings wird das Lob für den Programminhalt durch berechtigte Kritik an der Programmstruktur, in der es die Doku "Fußball und Bier: Wo Geld und Alkohol fließen" weder ins sog. Erste, noch im WDR-Dritten in die sog. beste Sendezeit schaffte, relativiert. So geht strukturelle Programmkritik.

Wenn wir schon bei dwdl.de sind: Da lässt sich noch ein neuer Anglizismus erlernen, bei dem es sich pfiffigerweise sogar um einen Akronym-Anglizismus handelt: "Inzwischen bietet Pluto TV über 100 FAST-Channels an. FAST steht dabei für Free Ad-Supported Streaming Television", heißt es in einer Meldung zum Start eines solchen Kanals, auf dem nun rund um die Uhr alte Folgen der ProSieben-Show "tv total" rotieren.

Um lineares Fernsehen so totzureiten, dass alle Programmdirektionen sich endlich allein aufs neue Primärmedium der Mediatheken konzentrieren können, könnte so etwas eine gute Idee sein.


Altpapierkorb ("Chez Gottschalk", Musk ausgebuht, BPB/ Zentrum für politische Schönheit, "Spiegel" in Griechenland, "Zeit" gerügt)

+++ Nicht unbedingt Erwähnung verdienen die zahlreichen Besprechungen der RTL-Jahresrückblicks-Show mit Gottschalk und Guttenberg. Außer die der "Berliner Zeitung" mit ihrem Eindruck, dass ersterer sich "eigentlich nur für die Nachfolge von TV-Fiesling Kurt Krömer beim RBB bewerben" wollte: "Chez Gottschalk". +++

+++ Global noch breiter gecovert: der Überraschungsauftritt des neuen Twitter-Eigentümers Elon Musk in einer Bühnenshow des US-amerikanischen Komikers Dave Chappelle. "Ein kurzer Jubel wurde fast umgehend von einem Meer an nicht enden wollenden Buhrufen erstickt" ("Standard", inkl. eingebettetes Youtube-Video). +++

+++ "Die Bundeszentrale für politische Bildung durfte Aktionskünstler Philipp Ruch" vom "Zentrum für politische Schönheit" "zwar von ihrem Bundeskongress 2019 ausladen. Die Behörde durfte sich aber nicht negativ über seine Kunst äußern", erläutert Christian Rath in der "taz" ein Kölner Verwaltungsgericht-Urteil. +++

+++ "Der 'Spiegel' hat anfänglich versucht, Zweifel an seiner Geschichte als Angriff auf die Pressefreiheit abzutun, weil die griechische Regierung seine Griechenland-Reporter persönlich attackierte und auf der Chefredaktion intervenierte": Da rekapituliert die "NZZ" nochmal die in Deutschland wenig beachtete Geschichte einer dann doch zurückgezogenen Reportage (Altpapier). +++

+++ "Weitere Presseratsrügen für 'Bild'-Medien", titelt Holtzbrincks "Tagesspiegel" und erwähnt ein ganzes Stückchen weiter unten, dass Holtzbrincks "Zeit" auch gerügt wurde, nämlich "im Zusammenhang mit einem Interview mit der Chefin eines Kreuzfahrtunternehmens", mit dem "Die Zeit", die ja selbst auch Kreuzfahrten veranstaltet, kooperierte. +++

+++ Den gestern hier erwähnten Geschäftsführer Tino Utassy, in dessen Dresdener Privatradio-Sitz neulich ein Mörder eindrang, befragt für Deutschlandfunks "@mediasres" Annika Schneider zu Fragen wie der, ob es für Lokalmedien, die in ihre Sicherheit investieren, eigentlich Fördermittel gibt. +++

Und am Mittwoch schreibt Annika Schneider das nächste Altpapier.

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