Das Altpapier am 05. Dezember 2022 Hoppala, Sportjournalismus im Fernsehen
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05. Dezember 2022, 10:49 Uhr
Ist diese Fußball-WM doch noch für etwas gut? Eine Moderatorin wird jedenfalls gleich von mehreren Medien dafür gelobt, dass sie in der Live-Übertragung "ihren Job" gemacht habe. Die erste Medienseite wird für einen Jahresrückblick freigeräumt. Und: Bei "Bild" wird die Chefredaktion umgebaut.
Die "Serien des Jahres" – und wo sind ARD und ZDF?
Es ist Vorweihnachtszeit, oder wie man es auch nennen könnte: kleines kaltes Sommerloch. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" hat auf ihrer gedruckten Medienseite schon den ersten Jahresrückblick gebracht: "Neun unserer liebsten Momente aus den Serien des Jahres". Und wenn auch jeder einzelne dieser neun kleinen Texte klug und wahr und schön und in sich nachvollziehbar ist, so leidet das Gesamtpaket doch daran, dass man selbst als professioneller Fernsehnutzer von einigen dieser "Serien des Jahres" noch keine Minute gesehen hat.
Was freilich auffällt, ist, dass die Öffentlich-Rechtlichen in dieser Prime-, Apple-, HBO-, Sky- und Netflix-Serien umfassenden Liste nicht auftauchen – oder nur in einer Nebenrolle, nämlich dort, wo es um die vierte Staffel der Sky-Serie "Babylon Berlin" geht. Und wenn auch nach Jahren der regelmäßigen Lektüre der guten alten "FAS" nicht auszuschließen ist, dass das nicht nur etwas über ARD und ZDF aussagt, sondern auch über diese Zeitung: So ist es doch ebenfalls nicht auszuschließen, dass es die ARD- oder ZDF-Serien, die vergessen worden sein könnten, in diesem Jahr selbst bei wohlwollender Betrachtung tatsächlich nicht gegeben hat. Oder um welche könnte es sich handeln? "Eldorado KaDeWe"? "Das Begräbnis"? "Die Wannseekonferenz"?
Eine Qualitätsserie – "nicht weil, sondern obwohl es ein Krimi ist"
Diese drei jedenfalls sind die drei öffentlich-rechtlichen Serien, die Manfred Riepe für "epd Medien" (online bei turi2.de) im Bericht über die Televisionale in Baden-Baden nennt. Das Festival, das unter dem alten Namen "Fernsehfilm-Festival" noch bekannter sein dürfte, vergibt "jetzt auch eine Auszeichnung für die beste deutsche Serie" (sowie eine weitere von einer Filmstudierenden-Jury). Die Preise gingen allerdings an andere – an "Munich Games" sowie die zweite Staffel von "Der Pass", beides Serien von in erster Linie Sky. Wer bei ARD und ZDF das Wuchern des 08/15-Krimis auf Kosten gewagter und innovativer Fernsehfiktion beklagt, wird vielleicht wissen wollen, wie der Preis für eine Krimiserie begründet wird. Nun, so:
"Die Serienjury unter dem Vorsitz der Schauspielerin Lavinia Wilson erklärte, sie vergebe den Preis an ‚’Der Pass’ nicht weil, sondern obwohl es ein Krimi ist’. Obwohl der Plot auf den ersten Blick konventionell erscheine, verschiebe die Serie ‚die Grenzen des Genres‘. Sie lasse Räume, ‚die das großartige Ensemble mit reduziertem und präzisem Spiel meisterhaft zu füllen weiß und die in beeindruckender Perfektion zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk zusammengefügt wurden‘. Ästhetik, Kamera, Ausstattung und Sounddesign könnten bei dieser Produktion im internationalen Vergleich mithalten."
Sportjournalismus – und das im Live-Fernsehen
Brillanz zumindest in der Nachbetrachtung eines gewissen Fußballkrimis bescheinigt der ARD dafür Felix Haselsteiner in der WM-Medienkolumne der "Süddeutschen Zeitung"; denn die Fußballweltmeisterschaft gibt’s als Medienereignis ja auch noch. Was genau war laut Haselsteiner "brillant"? Bastian Schweinsteiger. Derselbe Schweinsteiger, der vor nicht langer Zeit noch erstaunlich langweiliges, oberflächliches Zeug redete. Und tatsächlich: Der TV-Experte Schweinsteiger hat sich bei der Übertragung dieser WM wirklich gemacht. Die Frage ist nur, ob er wirklich brillant ist oder nur – was keine ganz so große Kunst wäre – besser als vorher.
"Als Fernsehexperte der ARD hat Schweinsteiger in seiner zweiten Karriere (…) eher mit einer weichgespülten Oberflächlichkeit von sich reden gemacht, jedenfalls bis zum Donnerstagabend in al-Chaur. Da konnte man endgültig eine beachtliche Wandlung erkennen",
schreibt Haselsteiner. Wobei die Wandlung auch an Esther Sedlaczek liegen könnte, der Moderatorin der ARD-"Sportschau" und von "Blickpunkt Sport" im Bayerischen Fernsehen, die aus Katar im Duo mit Schweinsteiger arbeitet. Nach dem Aus der deutschen Mannschaft befragte sie den Manager des Teams, Oliver Bierhoff, so hartnäckig, dass manch ein Beobachter schon von, hoppala, Sportjournalismus im Fernsehen sprach.
Brillant jedoch? Wir müssen vielleicht die Kriterien etwas ordnen. Man kann eine Qualitätssteigerung entweder messen im individuellen Vergleich mit einer vorherigen Leistung einer Person. Oder im sozialen Vergleich zu anderen Personen aus demselben Beritt. Oder im kriterialen Vergleich, also gemessen an Kriterien, die man vorher festlegt: Hartnäckigkeit, Präzision, Analysetiefe, Kenntnis, Unerschrockenheit, zum Beispiel. Schweinsteiger kann man bei dieser WM wohl am ehesten dann Brillanz bescheinigen, wenn man ihn mit sich selbst zu einem früheren Zeitpunkt vergleicht. So herausragend ist es dann ja schließlich auch wieder nicht, dass ein gewiss ordentlich bezahlter TV-Experte sich traut, eine Mannschaft zu kritisieren, zu der er viele Jahre vorher einmal gehört hat.
Bei Sedlaczek ist es etwas anders. Die "Bild" etwa gab ihr die "Note 1" und bezeichnete sie als "Abrissbirne". Was allerdings ein unpassendes Bild ist. Abrissbirnen hauen auf stabil aussehende Wände, die daraufhin in sich zusammenfallen. Sedlaczek haut nirgends hin. Imre Grimm, der für rnd.de, also den Auftritt des Redaktionsnetzwerks Deutschland, von einer "Sternstunde des Sportjournalismus" spricht, analysiert es genauer:
"Hart in der Sache, verbindlich im Ton – so gelingt Sedlacek der schwierige Spagat zwischen schlecht gelauntem Kreuzverhör und nüchtern-strenger Bilanz. Ihr wichtigstes Stilmittel: kurze, präzise Nachfragen, die ihr Gegenüber in die Defensive drängen, ohne aggressiv zu wirken".
Wobei Grimm sich bei seinem Lob für Sedlaczek auch eher auf soziale als auf kriteriale Bezugsnormen stützt. Er lobt ihre Interviewführung also vor allem im Vergleich zur sonst nach Spielen üblicheren Interviewführung:
"Strenger Sportjournalismus ist selten geworden in der öffentlich-rechtlichen Liveberichterstattung. Zwar schmückt man sich mit herb-strengen Reportagen oder (halbherzig) mit Hajo Seppelts Doping-Ermittlungen. (…) In der Livestrecke selbst dann aber überwiegt doch zumeist der Drang, keine miese Laune verbreiten zu wollen",
schreibt er. Bierhoff allerdings habe sich "klare Fragen gefallen lassen" müssen "von einer Sportjournalistin, die an diesem bitteren Abend etwas tut, das in der öffentlich-rechtlichen Live-Sportberichterstattung selten geworden ist: ihren Job".
Worüber man nicht alles staunen kann.
Neues vom Boulevard – bei "Bild" wird umgebaut
Aus Springers "Bild"-Gruppe gibt es nur ein knappes Jahr nach der Berufung Johannes Boies zum Chefredakteur personelle Neuigkeiten. Zwei Mitglieder der Chefredaktion – TV-Chef Claus Strunz und "BamS"-Chefin Alexandra Würzbach – sollen/könnten/dürften vielleicht abgelöst werden. Der Springer-Verlag will, so die übereinstimmende Info mehrerer berichtender Medien, derartige "Personalspekulationen" nicht kommentieren. Was allerdings bestätigt wurde, ist, dass Robert Schneider als neuer "Bild"-Chefredakteur vom "Focus" kommen werde.
Um eine Ablösung Boies handelt es sich also nicht, sondern um eine Neuordnung, aus der schlau zu werden allerdings nicht ganz einfach ist. Boie bleibe "Vorsitzender der Chefredaktion" ("Spiegel") beziehungsweise, so die "SZ" am Samstag unter Berufung auf den Springer-Verlag, "unverändert in seiner derzeitigen Position als Chefredakteur und Vorsitzender der ‚Bild‘-Chefredaktionen".
Wirklich unverändert bleibt seine Rolle freilich wohl kaum. Michael Hanfeld in der "FAZ":
"Johannes Boie, der kein gelernter Boulevardmann ist, sondern Kulturjournalist (…), sollte für ein deutlich anderes Betriebsklima sorgen, was ihm dem Vernehmen nach auch gelang. Als Mann fürs Gröbere empfahl er sich nicht, der Part könnte nun Robert Schneider zufallen, dessen Karriere bei Springer begann."
Ganz ähnlich fallen die Deutungen des "Spiegels" und des "Tagesspiegels" aus:
"Als er im Oktober vergangenen Jahres Chefredakteur von ‚Bild‘ wurde, übernahm er eine Redaktion im Ausnahmezustand. Er kam als ‚Krisenmanager‘", schreibt der Spiegel. "Diese Rolle erfüllte Boie, innerhalb kurzer Zeit wurde das Arbeitsklima bei ‚Bild‘ besser, wie interne Umfragen bestätigten. Kritik traf den Chefredakteur an anderer Stelle, nämlich inhaltlich. Von Anfang an zweifelten viele in der Redaktion daran, ob er den Boulevardjournalismus beherrscht."
Und Joachim Huber hat im Tagesspiegel anonym bleibende römische Beamte befragt:
"Auguren wollen wissen, dass die Springer-Spitze das Schneider-Engagement auch als dringende Unterstützung für Boie ansieht, die Zufriedenheit mit Boie soll schon mal größer gewesen sein."
Was der "Tagesspiegel" allerdings in einem zweiten Text schreibt, den man online nicht findet, wenn man sich nur unter dem Reiter "Medien" umschaut (unter dem die Medienthemen online versammelt waren, als es noch eine Medienseite gab), klingt etwas weitreichender:
"Mit Boie habe die ‚Bild‘ ihre Kernzielgruppe aus den Augen verloren, lautet ein (…) Kritikpunkt, das Blatt müsse ‚nahe bei den Leuten sein‘, beim Bäcker und nicht beim ‚Borchardts‘. (…) Wenig Sozialkompetenz habe er, in den Redaktionskonferenzen rede nur Boie, kaum noch Austausch, Ressortleiter würden abgebügelt, ein Mangel an Selbstkritik wird ihm angelastet. Beim Raketen-Einschlag in Polen hätte Boie in ‚Bild‘ und bei Bild-TV vorschnell den ‚Nato-Fall‘ ausgerufen [Altpapier vom 17.11.], mit der schlimmste Fehler in der ‚Bild’-Geschichte" [wobei einem ein paar andere schon auch noch einfielen; AP] usw. usf.
Dass es intern gewisse Auseinandersetzungen gebe, auch wegen des unbestätigten Abgangs Alexandra Würzbachs, schreibt auch der "Medieninsider". Ob "Bild" freilich nun wirklich "in Auflösung" ist, wie Joachim Huber von jemandem aus dem Springer-Verlag erfuhr, das sei mal dahingestellt. Möglicherweise ist dieser Jemand auch einfach nur jemand, der Boulevard kann.
Altpapierkorb (ARD-Orchester und -Chöre, Trash-TV, "Chez Krömer")
+++ Mit Reinhard J. Brembeck äußert sich in der "Süddeutschen" ein Klassikfachmann zu den von WDR-Intendant Tom Buhrow in den Raum gestellten Einsparungen bei den Orchestern und Chören der ARD-Sender. Zwei Zitate aus seinem Text: "Außer dem dafür zu kleinen und zu armen Radio Bremen unterhalten die anderen acht ARD-Anstalten zusammen zwölf Orchester, sieben Chöre und vier Big Bands. Die gehören allesamt zu den Spitzenensembles in Deutschland, ihre Abschaffung würde dem Ruf des Klassikstandorts Deutschlands schwer schaden." Und: "Gemessen an der Personaldecke sind diese Ensembles also kein überteuerter Sektor. Deren Abschaffung würde die ARD durchaus nicht aus ihrem Finanzdilemma befreien."
+++ Der ehemalige Altpapier-Autor Peer Schader nimmt sich in seiner DWDL-Kolumne diesmal das sogenannte Trash-TV vor. Und die Frage, ob man ein Publikum auch übersättigen kann.
+++ Gute Einschaltwerbung bekommt Kurt Krömers "Chez Krömer" von faz.net, welt.de und zahlreichen anderen, weil es in einer Sendung des RBB, die nun ausgestrahlt wird und in der ARD-Mediathek steht, einen "Eklat" gab.
Das Altpapier vom Dienstag schreibt Christian Bartels.
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