Das Altpapier am 14. November 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 14. November 2022 "Der Straßenköter unter den Talkshows"

14. November 2022, 11:27 Uhr

Frank Plasberg tritt als "hart aber fair"-Moderator ab und gibt der Sendung noch einen interessanten Untertitel mit. WDR-Intendant Tom Buhrow bekommt bei einer Betriebsversammlung Gegenwind. Und der Journalistenausbilder Wolf Schneider ist gestorben. Ein Altpapier von Klaus Raab.

"Aus Sendern werden Anstalten"

Es gab immer wieder einmal Skandale, Causae und sogenannte Affären beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Keine hat so große Erschütterungen hervorgerufen wie die Schlesinger-Affäre beim RBB, die sich bald auf andere Anstalten ausweitete. In einem Dossier der "Süddeutschen Zeitung", am Samstag im Ressort "Buch Zwei" erschienen, heißt es:

"Enthusiastische Stimmen für das System, wie es heute ist? Gibt es nicht einmal mehr in den Sendern, wenn man das richtig versteht, nicht mal von denen, die die öffentlich-rechtliche Idee richtiggehend lieben."

Zehn Autorinnen und Autoren – quasi "Spiegel"-Style – haben für das Dossier mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen und deren Positionen, Reformansätze und -vorschläge zusammengestellt. Moderatorinnen sind darunter. Korrespondentinnen. Oder der Dokumentarfilmer Stephan Lamby, der mit seiner Produktionsfirma viele Filme für die ARD gemacht hat. Er sagt:

"Jegliche Kritik ist zulässig, sogar notwendig. Ich erhoffe mir von ihr eine Stärkung, nicht eine Schwächung der Sender. Die aktuelle Kritik zielt allerdings oft am Kern des Problems vorbei, Massagesitz-Debatten führen ins Nichts. Es gibt eine Entwicklung, die sich tiefer und gefährlicher in der Kultur der Funkhäuser festgesetzt hat als persönliche Bereicherung: eine Entfremdung von sich selbst. Aus Sendern werden Anstalten, aus Journalisten werden Beamte, aus Verwaltung wird Selbstverwaltung.

(…)

"Meine Hoffnung, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Kraft aufbringen, sich selbst zu reformieren, ist gering. Und dennoch: Mir schweben schlanke und bewegliche Sender vor. Ohne teure Doppelstrukturen, mit flachen Hierarchien, mit festen Mitarbeitern, die rotieren und ab und zu selbst Filme machen. Und die die Arbeit ihrer freien Kolleginnen und Kollegen respektieren. Das Ziel: mehr Sender, weniger Anstalt."

Betriebsversammlung beim WDR

WDR-Intendant Tom Buhrow habe für ein Gespräch "keine Zeit" gehabt, schreibt die "SZ". Aber für eine Betriebsversammlung beim WDR am Freitag musste er Zeit haben – und so ist er nun immerhin am Montag Thema der Medienseite. Nach seiner Reformrede (oder wie auch immer man die Rede nennen mag) im Hamburger Übersee-Club würden etliche Redakteure ihm vorwerfen, "schlicht vor einer langjährigen Anti-ARD-Kampagne der Springer-Presse und der AfD zu kapitulieren", schreibt Christian Wernicke.

"Die Sorge, Buhrow habe da ohne Not und Verstand Brandmauern eingerissen, teilten am Freitag jedoch bei weitem nicht alle Mitarbeiter. In der Teams-Debatte – und vor allem im parallelen Chat – äußerten viele Redakteurinnen die Ansicht, man müsse sich Veränderungen stellen. Und mitreden statt zu maulen."

Als "Die einen sagen so, die anderen so" sollte man das aber wohl nicht verstehen, wenn man Wernicke folgt: Kritik gibt es von den einen wie den anderen. Was fehle, sei "'ein starkes ARD-Selbstbewusstsein', ohne das man wohl kaum die Gestaltung eines neuen Rundfunksystems schaffen werde. Zu dieser Erosion, so sagen selbst Wohlmeinende im Sender, habe Buhrow selbst beigetragen."

Michael Hanfeld, dessen "FAZ" Buhrows Rede gekürzt veröffentlicht hatte, sieht die Dinge ein wenig anders:

"Einen Großteil der zwangsbeitragszahlenden Bürger dürfte er hinter sich haben, die Beharrungskräfte des Systems, dessen Rettung er im Sinn hat, arbeiten gegen ihn. Sollte seine Initiative verpuffen, könnte das Szenario wahr werden, vor dem er warnt: dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk kippt",

schreibt er. Und führt selbst Buhrows Reaktion auf die von Rechtsextremen bald gefütterte Aufregung über das sehr harmlose "Umweltsau"-Lied zu seinen Gunsten an. Buhrow hatte sich dafür damals "ohne Wenn und Aber" entschuldigt, statt sich vor die Belegschaft zu stellen, aus der damals dann folgerichtig sein Rücktritt gefordert wurde.

Der Moderator des Straßenköters hört auf

Man wird, ohne Kenntnis von Grundbegriffen wie "lineares Fernsehen", nicht alles verstehen, was Frank Plasberg in den Interviews sagt, die er gerade gegeben hat. Testfrage für alle 20-Jährigen, die nicht in einen kommunikations- oder medienwissenschaftlichen Studiengang eingeschrieben sind: Worum geht es im folgenden Absatz?

"Die damalige WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff fragte mich damals: Wollen Sie am Mittwochabend um 22.45 Uhr nach den 'Tagesthemen' oder am Montag um 21 Uhr? Die Nische nach den Nachrichten oder großes Publikum, aber schwieriges Umfeld? Da habe ich nicht lange überlegt. Dann lieber die große Bühne. Wir beißen uns da schon durch, dachte ich mir. Lieber erkämpfe ich mir nach einem schwachen Vorlauf Publikum als im Windschatten eines erfolgreichen Vorlaufs zu segeln."

Diese Passage steht im ausführlichen Interview Thomas Lückeraths bei "DWDL", das, genau wie das ausführliche Interview Cormelius Pollmers in der "Süddeutschen Zeitung", einen Anlass hat: Frank Plasberg moderiert am heutigen Montag zum letzten Mal "hart aber fair", den - so Plasberg bei dwdl.de, und wer hätte ihm je widersprochen? - "Straßenköter unter den Talkshows". (Natürlich ist das ohne Kontext zitiert, aber das gehört ja auch irgendwie zur Rezeption von "hart aber fair".)

Was nicht ganz rüberkommt in den Abschiedsinterviews (weil Abschiedsinterviews vielleicht auch nicht der richtige Ort für unterkühlte Analysen ist): dass Plasbergs Talks über Jahre die krawalligsten waren, die bei ARD und ZDF liefen.

Was sich allerdings schon vermittelt: dass es eine Entwicklung gab. Zu Sabine Christiansens Zeiten war "hart aber fair" das durchdachte Alternativmodell, das in manchem innovativ war (Altpapier vom Donnerstag). Und zuletzt hat sich vor allem "Markus Lanz" nach seinen Ausflügen ins ernsthafte Fach das Label "Krawalltalk" verdient, wie Frederik von Castell im "Übermedien"-Abo-Newsletter anhand einer aktuellen Ausgabe mit Klimaaktivistin Carla Rochel nacharbeitet:

"Die argumentiert tatsächlich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Erderwärmung und wird von Lanz mit einem aggressiven 'Woher wissen denn die Wissenschaftler das?' weggebellt."

Wenn also Frank Plasberg nun seine Moderationskarriere vor der Kamera beendet, dann kann man sagen: Viele der schlechten Kritiken, die er für "hart aber fair" (auch von mir hier und da) bekommen hat, hat er aus meiner Sicht verdient. Michael Hanfeld fasste die Kritik in der "Frankfurter Allgemeinen" zusammen:

"Zu laut, zu krawallig, zu populistisch sei das Ganze, zu oberflächlich und zugespitzt seien die Einspieler, lautete die Kritik, der Moderator agiere zu egoman und eitel. Letzteres dürfte nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Plasberg gefiel sich, je nach Runde, die er versammelt hatte, bisweilen als Matador."

Das Lob, das Plasberg in seiner Karriere bekommen hat, gab es aber auch nicht grundlos. Noch einmal Hanfeld: "Sein Nachfolger Louis Klamroth übernimmt kein kleines Erbe."

Wolf Schneider ist gestorben

"Als Vater der Schlümpfe gelangte er zu Weltruhm." So begann der einzige Nachruf, der am Freitag in der 20-Uhr-"Tagesschau" gesendet wurde. Er war folglich nicht Wolf Schneider gewidmet, sondern dem breiter bekannten Mann, der sich Vader Abraham nannte. Bekanntheit ist allerdings nicht das einzige Relevanzkriterium. Schneider, das wird in den vielen anderen seit Freitag erschienenen Nachrufen deutlich – die Meldung von sueddeutsche.de war die erste –, hat sich um den Journalismus und vor allem das gute Schreiben verdient gemacht hat.

Den Eindruck, dass Schneider ein autoritärer, auf jeden Fall selbstbewusster Lehrer gewesen sein muss, wird man aber auch nicht los (siehe etwa spiegel.de). "Schon wahr, Wolf Schneider betrieb keine Waldorf-Pädagogik", so Detlef Esslinger in der "Süddeutschen". Und Cordt Schnibben schrieb in einem Nachruf (zeit.de): "Sein Credo der Ausbildung, später als Spruch über der Tür des Seminarraumes platziert: 'Qualität kommt von Qual.'"

(Faktencheck: "Qualität" kommt nicht von "Qual". Qualität kommt vom Lateinischen "qualis" und dem Nomen "qualitas", Beschaffenheit oder Eigenschaft, und hat der sprachlichen Herkunft nach mit "Qual", das aus dem Westgermanischen herleitbar ist, nichts zu tun.)

Den Nachrufen zufolge war Schneider "AP-Redakteur, SZ-Korrespondent in Washington, Chef vom Dienst beim stern, Welt-Chefredakteur" und "Journalistenausbilder" (Schnibben), "Journalist und Sprachkritiker", "Freund der geschliffenen Rede" und "Talkshowmoderator" (cicero.de), "Journalisten-Legende" und "oberster Sprachlehrer" (bild.de), "Ratgeber für gutes Deutsch" und, OMG,"der letzte Sprachpapst" (welt.de). Zu erfahren ist auch, dass Schneider 2019 zu den Initiatoren eines Aufrufs des Vereins Deutsche Sprache gehörte, der unter der Überschrift 'Schluss mit dem Gender-Unfug’" gestanden habe (derstandard.at). Die geneigte Leser:innenschaft möge  bitte selbst herausfinden, welche Redaktionen seine Ablehnung des Genderns nicht nur erwähnen, sondern lobend hervorheben.

Ob Wolf Schneider das alberne Wort "Sprachpapst" goutiert hat, ist dem Verfasser dieser Zeilen (auf Neudeutsch: mir) nicht bekannt. Falls ja, wäre zu erörtern, inwiefern ein Papst, der einer streng hierarchisch organisierten Institution vorsteht und dort das letzte Wort hat, auch der Sprache vorstehen könnte. Da passt doch was nicht! Das Adjektiv "albern" hätte Wolf Schneider übrigens womöglich gestrichen, weil er Adjektive nicht so gern gemocht haben soll. Sei es drum. "Sprachpapst" ist trotzdem ein albernes Wort und nicht nur ein Wort. Besser ist, Schneiders Wirken so zusammenzufassen, wie es Detlef Esslinger in der "SZ" tut:

"Im Grunde war er dazu geboren, Einbimser zu sein: Hauptsachen in Hauptsätze! Mit Silben geizen! Verben hofieren! Adjektive minimieren! Im Formulieren von Handwerksregeln war keiner so gnadenlos perfekt wie er."

Altpapierkorb (Markwort, Fernsehnachrichten, Mastodon, neue "Wochentaz", Metaverse, Béla Réthy, Tim Geyer, Diversity-Diskussion)

+++ Sehr hübsch aus der Print-"FAS" ist Harald Stauns Einordnung eines Interviews, das Helmut Markwort "Tichys Einblick" gegeben hat: "In einem Interview in der neuen Ausgabe kritisiert er 'die Diskussionen, die wir in den vergangenen Monaten um das Wort 'Indianer' und die 'Winnetou'-Bücher geführt haben'. Das seien 'selbst gemachte Krisen, die von aggressiven, tyrannischen Minderheiten unters Volk getragen werden'. Auch 'wir Medienleute tragen dazu bei', kritisierte er. Schade nur, dass Markwort nicht gemerkt hat, dass er über sich selbst spricht."(Hintergründe zu "Winnetou"-"Debatte": etwa in diesem Altpapier.)

+++ "Bei ARD und ZDF hingegen kleben an dem Nachrichtensaal Reste von Hochamt, Altar, ja von Augenblicksreligion, so als sei die Komposition und Verdichtung der Nachrichten ein Duell mit der Welt auf Augenhöhe": Torsten Körner schreibt im "Tagesspiegel" über Fernsehnachrichten.

+++ Um Mastodon im Vergleich zu Twitter geht es in einem Mittel-Longread bei "54books". Robert Heinze schreibt, es sei ein Fehler, "zu denken, Mastodon sei wie Twitter, nur unkommerziell. Mastodon ist auch nicht einfach ein 'besseres' oder 'anderes' Twitter, das auf bestimmte Aspekte von Twitter verzichtet und offen für Selbstverwaltung ist." Mastodon reihe sich "in eine Tradition des offenen, dezentralisierten Internets ein".

+++ Vor 20 Jahren schaffte die "taz" für einige Wochen das Fernsehprogramm ab. Aber, ach, die elende Kundschaft! Einige hundert Leserinnen und Leser protestierten, und so kam es zurück. "Wir hätten die Kohle, die dafür draufging, lieber für den Honorartopf gehabt", schreibt der ehemalige Medienredakteur Steffen Grimberg nun. (Und als sein ehemaliger Kollege bei der "taz" kann ich sagen: Das ist korrekt.) Jetzt aber ist ein erster Schritt gemacht. Zumindest in der neuen Wochenzeitung der "taz", der "Wochentaz", die der "taz am Wochenende" nachfolgt, die im vorderen Teil auch eine tagesaktuelle Samstagszeitung gewesen ist, gibt es kein Fernsehprogramm mehr.

Falls sich – hallo, Kids! – jemand fragen sollte, was ein "Fernsehprogramm" ist: Wenn man diesen schwarzen Kasten anschaltet, den Menschen haben, die Filme und Serien nicht nur am Laptop oder auf dem Handy streamen, also den "Fernseher", dann läuft da quasi voreingestelltes Programm. Man kann von einem Sender zum nächsten schalten oder – vom Aussterben bedrohtes Wort – "durchzappen", um zu erfahren, was einen interessieren könnte. Aber man hat keine völlig freie Auswahl. Das Programm läuft linear. Welche Sendung um welche Uhrzeit läuft, entscheidet nicht die Zuschauerin, sondern der Sender. Und im "Fernsehprogramm" kann man nachlesen, welche Sendung wann läuft. Schon strange!

+++ Der YouTube-Kanal "Ultralativ", der mittlerweile eher Themen bearbeitet, die aus dem Bereich "Irgendwas mit Digital" kommen als aus dem Medienjournalismus, beschäftigt sich diesmal mit dem Metaverse. Für YouTube-Verhältnisse einigermaßen zurückhaltend ist der Titel des Videos: "Die Katastrophe namens 'Metaverse'".

+++ Nochn Abgang: ZDF-Fußballkommentator Béla Réthy hat am Samstag seinen letzten Beitrag für das "aktuelle Sportstudie" gemacht. Dunya Hayali verabschiedete ihn mit "Bella Ciao". Was hätte Wolf Schneider dazu gesagt? Bei der Fußball-WM wird Réthy dem Vernehmen nach noch arbeiten.

+++ Was auch im eingangs zitierten ÖRR-Dossier der "SZ" steht: "Zur WM in Katar wird der ÖRR weit weniger Personal schicken – für das ZDF sind lediglich 20 Mitarbeiter vor Ort – als noch für die Olympischen Spiele etwa in Peking 2008 (dorthin wurden 700 Mitarbeiter entsandt) oder London 2012 (immerhin noch 480). Der Großteil der WM-Berichterstattung des ZDF wird diesmal aus dem Sendezentrum in Mainz gesteuert."

+++ Bei meedia.de erklärt der neue "Vice"-Chefredakteur Tim Geyer, was er vorhabe.

+++ Julia Friedrichs, an dieser Stelle kürzlich noch als Autorin einer Katar-Doku mit Jochen Breyer erwähnt, schreibt in Wolfgang Storz’ "Bruchstücken" über eine "ausgeblendete Dimension" der Diversitäts-Diskussion im Journalismus.

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.

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