Das Altpapier am 28. Oktober 2022 Musk kauft Twitter aus Liebe
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28. Oktober 2022, 10:59 Uhr
Saskia Esken kündigt ihren Ausstieg bei Twitter an. Elon Musk seinen Einstieg. Und ein WDR-Reporter verklagt den Sender, weil er mehr arbeiten möchte. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Der Vogel ist befreit – aber lebt er noch?
Die erste nennenswerte Nachricht des Tages lautete: "Elon Musk hat Twitter offenbar übernommen." Das meldete "BR24" in aller Herrgottsfrühe in einem Tweet mit einer kaputten Verlinkung. Und in dem kleinen Wort "offenbar" wird schon deutlich, dass man der Sache offenbar noch immer nicht so ganz traute.
Selbstverständlich hat weder der Investor Musk noch der neue Twitter-Eigentümer Musk einfach eine Mitteilung herausgegeben, wie Unternehmen das eigentlich machen, wenn sie übernehmen oder übernommen werden, um in all der Unsicherheit wenigstens etwas Klarheit und Verlässlichkeit zu schaffen. Aber solche Erwägungen scheint Musk nicht zu kennen. Er deutete kryptisch in einem Tweet an: "Der Vogel ist befreit." So steht es im Titel der Überschrift der dpa-Meldung von 6.06 Uhr.
Eine halbe Stunde später dann die erste dpa-Zusammenfassung: "Musk feuert Chefriege bei Twitter" (hier beim Magazin "t3n"). Der nächste Schritt nach der öffentlichen Verkündung könnte nun sein: Musk denkt darüber nach, was für und was gegen einen Kauf von Twitter spricht.
Nicht ganz so gut klingt in der Agenturmeldung (hier beim Tagesspiegel) der Satz:
"Auch die für den Kampf gegen Hassrede und falsche Informationen zuständige Top-Managerin Vijaya Gadde sei unter den Entlassenen."
Aber das ist eigentlich der am wenigsten überraschende Teil des Geschäfts, denn eines von Musks Motiven war ja anscheinend, der nach seinem Empfinden eingezäunten Redefreiheit wieder mehr Raum zu lassen, und wenn so etwas gesagt wird, bedeutet das oft, Menschen mit völlig durchgeknallten bis ultraradikalen Positionen mehr Freiheiten zu geben.
In der Agenturmeldung steht ungefähr das Gegenteil. Sie zitiert Musk mit den Worten, "Twitter dürfe kein 'Ort des Grauens' werden, wo ohne Konsequenzen alles gesagt werden könne". So habe er es in einem Brief an die Anzeigenkunden geschrieben. "Die Plattform müsse 'warm und einladend für alle' sein (…)", schreibt Musk. Das ist ein ehrenwertes Anliegen, wenn es denn vorliegen sollte. Allerdings muss man sagen: Dazu müsste die Plattform erst einmal warm und einladend für überhaupt irgendwen werden.
Aber ab wann gilt das mit der Übernahme denn überhaupt? Frage an Günther Schabowski.
"Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich."
Aha. Und warum hat Musk Twitter jetzt eigentlich gekauft? Um noch mehr Geld zu verdienen? Herr Musk?
"Ich liebe doch alle, alle Menschen."
Nein, das hat Elon Musk natürlich so nicht gesagt. Das ist ein Zitat von Erich Mielke aus seiner letzten Rede in der DDR-Volkskammer im Jahr 1989.
Musk hat gesagt, beziehungsweise geschrieben:
"Ich tat es, um der Menschheit zu helfen, die ich liebe."
Meine Erfahrung und die des Sprichworts "Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen" sagen mir: Das könnte durchaus nicht klappen.
Fragen wir zur Sicherheit noch einmal Saskia Esken, wie sie den Fall einschätzt. Frau Esken?
"Mit jedem Tag wird mir deutlicher, dass die kommerziellen Plattformen in keiner Weise dafür geeignet sind, Menschen und ihre freien, demokratischen Gesellschaften zu stärken."
Das schreibt die SPD-Chefin in einem Beitrag (€) für die Ausgabe der "Zeit". Darin erklärt sie, warum sie sich von Twitter verabschieden wird. Und das tritt nach meiner Kenntnis noch nicht unverzüglich in Kraft (für den Fall, dass sie es löschen wird). Am Freitagmorgen war ihr Konto noch erreichbar. Getwittert hat Saskia Esken allerdings, abgesehen von dem Verweis auf ihren Beitrag, seit Dienstag nicht mehr. Und wer kann das schon von sich behaupten?
Esken schreibt:
"Der fröhliche Diskurs mit den vielen offenen, neugierigen und respektvollen Twitter-Freundinnen und -Freunden, den ich dort einmal pflegen konnte, ist leider begraben unter einer dicken Schicht von Clickbait-getriebener Empörung, oft misogynem Hass und von Fake Accounts und Fake News. Und die Verantwortlichen unternehmen nichts dagegen."
Die "Verantwortlichen", von denen Esken schreibt, sind seit heute Morgen gar nicht mehr verantwortlich. Das könnte eine gute Nachricht sein, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass sich mit den neuen Verantwortlichen etwas in Eskens Sinne ändern wird.
Die Kritik ist nicht neu. Sie lautet im Kern, und so steht es im Text: "Die Kapitalverwertung hat das WWW kaputtgemacht." Esken schreibt:
"Heute wird die Digitalsphäre von einigen wenigen Unternehmen und ihren kommerziellen Interessen kontrolliert. Die basisdemokratische Idee des Netzes ist schwer beschädigt, doch auch mit dem Primat der Politik ist es in zentralen Fragen der Digitalisierung nicht weit her."
Primat der Politik würde bedeuten: Nicht die Wirtschaft gibt die Regeln vor, das macht die Politik. Und wenn die Chefin der Partei, die den Regierungschef stellt, beklagt, dass das nicht funktioniert, dann ist das mindestens bemerkenswert. Es liest sich wie eine Kapitulationserklärung, denn wer sollte hier etwas ändern, wenn nicht die Bundesregierung?
Im letzten Satz von Eskens Text steht:
"Gerade in Zeiten wie diesen braucht es einen aktiven und starken Staat, der die demokratische Digitalisierung als eine gesamtstaatliche Mission begreift – mit und für die Bürgerinnen und Bürger."
Wenn man jetzt Olaf Scholz wäre, könnte man das als Aufforderung verstehen.
WDR-Reporter verklagt WDR
Beim WDR sind in letzter Zeit seltsame Dinge passiert. Da hat man einen Mitarbeiter, der fließend russisch spricht, über das Atomkraftwerk Saporischschija berichtet hat, sich mit Energie auskennt, aber der kommt nicht zum Einsatz.
Annika Joeres und Anne Burgmer haben sich für Correctiv und den Kölner Stadtanzeiger mit der Frage befasst, warum vom WDR-Reporter Jürgen Döschner so gut wie nichts mehr zu sehen, lesen oder zu hören ist, jedenfalls nicht im WDR. Döschner selbst fällt das schon seit längerer Zeit auf. Er bekommt laut dem Bericht 100.000 Euro im Jahr und arbeitet dafür höchstens fünf Stunden im Monat. So überdimensionierte Gehälter kennt man sonst nur aus der Chefetage vom RBB. In diesem Fall klagt Döschner aber selbst, und zwar vor dem Arbeitsgericht, weil er nach seinem Eindruck nicht mehr arbeiten darf. Sein Anwalt spricht von einem faktischen Arbeitsverbot.
Aber warum? Annika Joeres und Anne Burgmer schreiben:
"Döschner wurde laut seinem Anwalt immer weniger beauftragt, seitdem er kritische Kommentare zum Braunkohletagebau formuliert hatte."
Darüber, dass ein Hörfunkbeitrag von Döschner über den Hambacher Forst nach zwei Stunden wieder aus der ARD-Mediathek gelöscht worden war (Altpapier), hatte Joeres vor anderthalb Jahren schon für den "Spiegel" berichtet. Der Konflikt des Senders mit Döschner schwelte da bereits.
In diesem Fall musste der Sender später einräumen, dass Döschners Beitrag – anders, als anfangs behauptet – einwandfrei war. Später stellte sich der Personalrat hinter Döschner, er bekam auch mit einer Beschwerde recht.
René Martens schrieb im Februar 2021 im Altpapier, die Hierarchien des Senders schätzten Döschner nicht sehr, weil seine "klima- und energiepolitischen Positionen den Burgfrieden mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung stören". Dieser Eindruck steht nun weiter im Raum.
Oft kommen zu inhaltlichen Differenzen früher oder später auch persönliche Auseinandersetzungen. In welcher Weise das eine Rolle spielt, ist von außen nicht zu erkennen. Für den Sender und gegen den Verdacht, dass es darum geht, kritische Beiträge zu verhindern, spricht, dass er zuletzt, wie Joeres und Burgmer schreiben, "sehr kritisch über den Tagebau Hambach" berichtet hat.
Allerdings, sie schreiben auch,
"verschiedene Mitarbeitende berichten über die Sorge, wie Döschner in Ungnade zu fallen, sollten sie sich zu stark positionieren, etwa gegen den Braunkohle-Abbau im Rheinland".
Programmdirektor Jörg Schönenborn hatte laut dem Bericht intern mit zwei Thesen für andere Perspektiven in der Berichterstattung geworben, die den Zielen des Pariser Abkommens von 2015 widersprächen und auch der Klimaforschung. Das wiederum spricht gegen den Sender.
Der WDR gibt hier ein schlechtes Bild ab, und das liegt nicht allein am Umgang mit Döschner, sondern schon daran, dass überhaupt der Eindruck einer großen Nähe zur Landesregierung entstanden ist. Dieser Eindruck hatte sich auch schon in Schleswig-Holstein ergeben (Altpapier). Und das ist fatal, wenn ohnehin schon der Verdacht im Raum steht, Politik und Medien machten hinter den Kulissen gemeinsame Sache.
Interessant ist, dass aus der gleichen Richtung, aus der dieser Verdacht kommt, auch der Vorwurf gemacht wird, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei viel zu linkslastig. Hier geht es in beiden Fällen um den Verdacht zu enger Verbindungen zur CDU. Das passt nicht so ganz ins Bild. Aber wenn das Gefühl stimmt, ist das vermutlich auch egal.
Und damit zum…
Altpapierkorb (Rossbach, Ruhegeld, RBB, Kubicki und Schäffer, Schrödter, Brasilien, Iran, Spiegel, Fußball-WM, Berliner Zeitung)
+++ Ein interner Bericht entlastet Sabine Rossbach, die Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hamburg. Der Sender hat den Bericht am Donnerstag vorgestellt. Es gebe keine Belege dafür, dass Rossbach unzulässig ins Programm eingegriffen habe, ihr Führungsstil habe den Arbeitsalltag aber belastet, heißt es.
+++ Nach den Berichten über die großzügigen Ruhegeld-Regelungen beim RBB kommentiert Laura Hertreiter für die SZ: "Dass die ARD ihre Bosse mit Säcken voll Geld in den Sonnenuntergang reiten lässt und gleichzeitig die hundertvierte Quizshow sendet, statt mit Premiumprogramm zu protzen, ist indiskutabel. Und es ist unanständig, dass ARD-Sendungen oft genug von freien Journalisten gemacht werden, die man zwischen prekären Zeitverträgen zappeln lässt, während Ruhende Ruhegeld erhalten – und sich nicht mal irgendein Verantwortlicher für diesen Begriff schämt in einem System, das jeder in einem Haushalt lebende Mensch in der Hoffnung auf gutes Programm selbst bezahlt."
+++ Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki und der Bundestagsabgeordente Frank Schäffler (beide FDP) fordern in einem Debattenbeitrag für die "Welt" (€), die öffentlichlich-rechtlichen Sender zu verkaufen. Sie schreiben: "So könnten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten größtenteils privatisiert und das Vermögen als Fonds angelegt werden. Die daraus resultierenden Kapitalerträge könnten der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Formate dienen."
+++ Thomas Bilstein wird WDR-Verwaltungsdirektor und übernimmt damit den früheren Posten von Katrin Vernau, die als Interims-Intendantin zum RBB gewechselt war. Das meldet der WDR in einer Pressemitteilung.
+++ Helmut Hartung hat das Gespräch mit MDR-Intendantin Karola Wille, über das er auf der FAZ-Medienseite geschrieben hat (Altpapier), jetzt als Interview in seinem Online-Magazin "Medienpolitik.net" veröffentlicht.
+++ Der RBB hat es nach einem Bericht des Tagesspiegels versäumt, Rücklagen in Höhe von mehreren Millionen Euro für die nächste Beitragsoperiode zu bilden und stehe daher "vor massiven Sparrunden", schreibt Benjamin Lassiwe. Das Finanzloch habe eine Größe von etwa 70 Millionen Euro.
+++ Dirk Schrödter (CDU), Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein, fordert im Interview mit Helmut Hartug auf der FAZ-Medienseite (€), dass die öffentlich-rechtlichen Sender sparen, indem sie Aufgaben zusammen erledigen. Schrödter: "Nicht jeder Sender muss alles machen. Bei der Digitalisierung nennen wir dieses Vorgehen EfA-Prinzip – Einer für Alle. Wir brauchen ein EfA-Prinzip für die Rundfunkanstalten." Zum Zwischenbericht über die internen Aufsichtsstrukturen sagt er: "Ich glaube, man hätte seit August etwas weiter sein können, und ich hätte mir gewünscht, dass die Schlussfolgerungen und Veränderungen konkreter benannt werden. Dieser Zwischenbericht entsprach so nicht meinen Erwartungen."
+++ Erst haben vor allem Jair Bolsonaros Rechtspopulisten Falschmeldungen über den linken Herausforderer Lula da Silva verbreitet. Inzwischen läuft das auch umgekehrt. Anne Herrberg berichtet für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" über die Schlammschlacht im brasilianischen Präsidentschaftswahlkampf und den Strategiewechsel der Linken. Mit dem gleichen Thema beschäftigt sich Carsten Wolff für Übermedien (€).
+++ Die iranische Regierung wirft der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle und den "Bild"-Chefredakteuren Johannes Boie und Alexandra Würzbach Terrorismus vor und hat sie auf eine Sanktionsliste gesetzt. Pia Behme hat für "@mediasres" mit Yalda Zarbakhch, der Leiterin der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle, darüber gesprochen, in welcher Form eine Berichterstattung überhaupt noch möglich ist.
+++ Die "Spiegel"-Gruppe bittet ihre Leserinnen und Leser, ihnen ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen – für den Fall, dass der Verlag das Magazin nicht drucken kann, berichtet Meedia. Nur mal so aus Interesse: Hätte da nicht auch der Hinweis genügt: Falls es wirklich so weit kommen sollte, schauen Sie bitte auf unsere Website?
+++ Der Investigativ-Journalist Benjamin Best hat für die ARD die Dokureihe "Katar – WM der Schande" gedreht, die zeigt, unter welchen zweifelhaften Bedingungen dieses Fußballturnier zustandegekommen ist. Im linearen Programm muss man allerdings Glück haben, um darauf zu stoßen. Moritz Baumstieger schreibt auf der SZ-Medienseite: "Dass die ARD die vier mal 30 Minuten jedoch in ihrer Mediathek versteckt und nur Samstagmittag im WDR ausstrahlt, dürfte auf nicht katarische Unterwanderung hindeuten, sondern eher auf die Misere der Öffentlich-Rechtlichen, die die Quote wichtiger nehmen als ihren Informationsauftrag."
+++ Hanno Hauenstein, bis vor ein paar Tagen noch Kulturchef der Berliner Zeitung, hat nach einem Tweet über eine Veranstaltung mit dem ungarischen Autokraten Viktor Orban seinen Ressortleiterposten verloren (Altpapier). Chefredakteur Tomasz Kurianowicz hat der Redaktion laut SZ versichert (€), das habe nichts mit kritischen Tweets zu einer Veranstaltung mit Viktor Orban zu tun, wie berichtet worden war. Hanno Hauenstein nennt das in einer internen Mail eine "unaufrichtige Aussage", berichten Anna Ernst, Jörg Häntzschel und Verena Mayer. Montag dann möglicherweise im Altpapier: "Ex-Kulturchef der Berliner Zeitung jetzt Pförtner."
Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.
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