Das Altpapier am 20. Oktober 2022 Die weltweit größtmögliche Reform
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20. Oktober 2022, 12:45 Uhr
Journalisten können vor Gericht wichtige Zeugen sein. Aber sollten sie aussagen? Hätten Medien bei der Reform der Transparenzregeln für Abgeordnete mehr Druck machen müssen? Und: Gibt es so etwas wie "mögliche Interessenkonflikte"? Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Wie wichtig ist der Quellenschutz?
Wenn Menschen ihre Geschichte Journalisten erzählen und später vor Gericht stehen, können Recherchen zu wichtigen Beweisen werden. Dann können Journalisten der Justiz dabei helfen, Verbrechen aufzuklären. Aber sollten sie das?
Mandy Mülling hat sich für das NDR-Medienmagazin "Zapp" in einem knapp 20-minütigen Beitrag mit der Frage beschäftigt, ob Journalisten aktiv bei der Aufklärung von Verbrechen mitarbeiten sollen. Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen.
In dem Beitrag geht es um den Prozess gegen eine Frau, die sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen haben soll, später nach Deutschland zurückkam und hier angeklagt wurde. Vor Gericht sagte auch ein "Bild"-Reporter aus, der als Journalist mit der Frau gesprochen hatte.
Laut Mandy Mülling macht er so eine Aussage nicht zum ersten Mal. Vor der Kamera sprechen möchte er nicht. Auch sein Name soll in dem Beitrag nicht erwähnt werden. Man könnte fragen: Warum nicht? Wenn er das macht, wird er das doch auch erklären können.
Aber hier wird das Problem sehr schön deutlich. Wenn in Zukunft irgendwer den Namen des Reporters googelt und einen Beitrag findet, in dem der Mann darüber spricht, warum er gegen Quellen vor Gericht aussagt, könnte ihm das bei zukünftigen Recherchen im Wege stehen.
Nicht nur ihm. Wenn Journalisten mit Behörden über ihre Recherchen plaudern, ist die Frage: Mit wem sprechen sie noch darüber, was man ihnen erzählt? Kann man sich wirklich darauf verlassen, dass Informationen bei ihnen sicher sind? Oder schlagen sie sich im Zweifel doch auf eine Seite, wenn ihr Rechtsempfinden ihnen sagt: Das ist aber nicht in Ordnung.
Auch für das Medium, für das die Person arbeitet, kann so ein Fall zu einem Problem werden, wenn Menschen sich fragen: Nimmt man es dort mit dem Schutz von Quellen vielleicht nicht ganz so genau?
Das kann wichtige Recherchen sehr schwer machen, denn manchmal geht es eben auch um die Frage, ob Ermittlungsbehörden sauber arbeiten, ob Staatsanwälte die Dinge richtig einschätzen und ob Gerichte eine nachvollziehbare Entscheidung treffen. Dann sind auch Behörden eine Partei, und wenn Menschen annehmen müssen, dass Journalisten auf der Seite dieser Behörden stehen, ist es besser, sich ihnen nicht anzuvertrauen. Das kann eine kritische Berichterstattung über die Justiz erschweren.
Es gibt auch Fälle, in denen die Entscheidung nicht ganz so leicht ist. Was, wenn es an der Aussage eines Journalisten hängt, ob ein Mörder verurteilt werden kann? Ist der Schutz der Quelle in der Abwägung dann immer noch wichtiger? Was, wenn sich im Nachhinein herausstellt: Durch eine Aussage hätte ein weiterer Mord verhindert werden können?
Beruft man sich auf den Quellenschutz, ist das streng genommen nicht die Sache von Journalisten. Aber wie sieht das moralisch aus? Und ist das überhaupt eine Kategorie, die hier von Bedeutung ist? Auch das sind Fragen, die man stellen könnte.
In dem Beitrag kommt eine weitere Position vor, die deutlich macht, dass es schwer ist, zu einem eindeutigen Urteil zu kommen. Der "Spiegel"-Journalist Christoph Reuter etwa hat vor Gericht ausgesagt, um, wie er sagt, zu verhindern, dass seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wird - und die vom "Spiegel". Er hatte zusammen mit einer IS-Aussteigerin ein Buch geschrieben. Deren Anwalt Gregor Gysi hatte sich, so erzählt Reuter es in dem Beitrag, für "einen nachvollziehbaren, aber nicht so richtig klugen Schritt" entschieden. Er habe den Inhalt des Buchs für weitgehend fiktiv erklärt. Dem habe Reuter vor Gericht widersprechen wollen.
Der NDR-Investigativreporter Volkmar Kabisch, der unter anderem aus Syrien berichtet hat, sagt in dem Beitrag auf die Frage, wie er es finde, wenn Journalisten vor Gericht aussagen: "Ich finde es falsch."
Vor Gericht erzähle man, was passiert ist. "Aber es gibt eben Grenzen, zu erzählen, was so war, weil das die Öffentlichkeit nichts angeht", sagt Kabisch. Vor Gericht verplappere man sich schnell. "Das liest der nächste Protagonist und sagt: Ich rede über meine Geschichte, nur nicht mit dem. Der spaziert vor Gericht und verplappert sich."
Hier geht es also noch einmal um das Vertrauen, das Quellen in Medien haben müssen. Sie müssen sich nicht nur sicher sein können, dass Journalisten die Geschichte nicht einfach irgendwem weitererzählen. Sie müssen sich auch darauf verlassen können, dass Journalisten den persönlichen Teil für sich behalten – der unter Umständen wichtig ist, um die Geschichte richtig zu erzählen, aber nicht von Bedeutung, um die Zusammenhänge zu verstehen.
Gleichzeitig kann es vorkommen, dass Journalisten Aussagen von Quellen veröffentlichen, die diesen schaden – zum Beispiel, wenn sie belegen können, dass die Quellen gelogen haben. Denn verpflichtet sind Medien nicht nur ihren Quellen, sondern vor allem der Öffentlichkeit. Mit den veröffentlichen Aussagen wiederum arbeiten die Behörden. Und das ist nach Einschätzung von Kabisch völlig in Ordnung so:
"Genausowenig, wie ich nicht die Ermittlungsarbeit übernehme als Hobbysheriff, kann ich nicht verhindern, dass die meine Informationen nehmen und sie zu irgendeiner Art von Beweiserhebung nutzen. Aber ich intendiere es nicht, und ich finde, das ist großer Unterschied."
Papierstau bremst Transparenzreform aus
Robert Roßmann kommentiert heute in der Süddeutschen Zeitung einen Fall, der gleich in mehrfacher Hinsicht ganz interessant ist. Zum einen muss man sich vielleicht vorher noch einmal klarmachen, dass wir uns im Jahr 2022 befinden. Der Bundestag hat vor einem Jahr beschlossen, dass Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte auf den Cent genau offenlegen müssen. Aber das ist nun unter anderem deshalb noch nicht passiert, weil die Bundestagsverwaltung Angaben aus 17.000 Seiten Papier per Hand in eine Datenbank einpflegen muss – Formulare, die Abgeordnete ausfüllen mussten, um Fragen zu ihren Einkünften zu beantworten.
In einer Medienkolumne ist das nur insofern von Bedeutung, als es einen Eindruck davon gibt, in welchem Umfeld über medienpolitische Gesetze wie eine Zustellförderung für Zeitungsverlage beraten und entschieden wird. Aber die Sache ist medial auch in anderer Hinsicht aufschlussreich, denn die neuen Regeln sind vor allem als Folge des medialen Drucks entstanden, der sich aufgebaut hat, nachdem herausgekommen war, dass einige Bundestagsabgeordnete im Nebenjob mit Masken gehandelt haben.
Die Folge ist oft: Es wird schnell irgendetwas entschieden, dann lässt sich sagen: Wir haben das ja nun alles grundlegend geändert. Die CSU habe damals von der "'weltweit größtmöglichen Reform' in Sachen Transparenz" gesprochen, schreibt Roßmann. Nicht ungewöhnlich ist, dass der schnelle Vollzug keine ganz so hohe Priorität mehr hat, denn das Problem mit dem medialen Druck ist ja erst mal gelöst.
Im Verlauf des letzten Jahres waren die neuen Regeln dann auch medial kein Thema mehr. Man kann nun sagen: So etwas braucht eben Zeit. Andererseits wird es jetzt, wie Robert Roßmann feststellt, fast bis zur Hälfte der Legislaturperiode dauern, bis die Angaben veröffentlicht worden sind. Wäre schon früher über die absurde Praxis berichtet worden, dass Abgeordnete ihre Angaben mit Kugelschreibern auf Papierbögen machen, damit Bundestagspersonal sie danach abtippen und in Datenbanken eintragen kann, hätte es vielleicht auch hier medialen Druck gegeben, der verhindert hätte, dass diese Schritte auf historische Weise gemacht werden.
Vielleicht wäre es sinnvoll, hier noch mal nachzufragen, ob die Formulare tatsächlich in Berlin ausgefüllt worden sind, oder ob man sie erst mit Kutschen in die jeweiligen Wahlkreise gefahren hat, um die Papierrollen dort von einem Läuferboten überbringen zu lassen. Ausschließen mag man das nicht.
Der blinde Fleck der Medien
Im Journalismus ist das mit der Transparenz allerdings auch so eine Sache. Das kritisiert Markus Grill in einem Kommentar für Deutschlandfunk Kultur, der schon am Dienstag erschienen ist, sich aber hier ganz gut einfügt.
In der Medizin sei es seit Jahrzehnten üblich, Interessenkonflikte anzugeben, schreibt Grill. Im Journalismus nicht. Grill:
"Seit ich über Korruption im Gesundheitswesen berichte, habe ich von Ärzten immer wieder die Bemerkung gehört: Was ist eigentlich mit euch Journalisten los? Warum schreibt ihr nicht über eure eigenen Interessenkonflikte? Ich kann darauf relativ wenig entgegnen, denn diese Kritik an uns Journalisten ist berechtigt. Ist der Verfasser des Leitartikels Mitglied einer politischen Partei? Man erfährt es nicht. Handelt der Wirtschaftsjournalist selbst mit Aktien? Ist die Außenpolitik-Redakteurin Mitglied der US-freundlichen Atlantikbrücke? Das Publikum erfährt darüber genauso wenig wie über die Nebentätigkeiten der Gesundheitsexpertin für Pharmafirmen oder die Greenpeace-Mitgliedschaft des Umweltredakteurs."
Ein Unterschied zu den Maskendeals ist: Der Druck, den Medien aufbauen, um sich gegenseitig dazu zu bewegen, mehr Transparenz herzustellen, ist in etwa vergleichbar mit dem Luftdruck eines Fahrradschlauchs, nachdem man das Ventil aufgedreht hat. Im Altpapier legen wir in der Regel offen, wenn wir über Medien schreiben, für die wir selbst arbeiten. Aber schon das ist nicht selbstverständlich.
Hinzu kommt: Wenn es im Journalismus um Interessenkonflikte geht, also um Situationen, in denen es, so Grill, "neben dem primären Interesse (…) noch ein sekundäres, oft finanzielles Interesse gibt", dann ist oft die Rede von "möglichen Interessenkonflikten".
Das soll etwas weniger dramatisch klingen, ist aber laut Grill irreführend:
"Die Medizinwissenschaft hat diese Formulierung bereits vor zehn Jahren abgeschafft. Denn ein 'möglicher Interessenkonflikt' ist bei genauem Nachdenken immer ein Interessenkonflikt. Unklar und damit 'möglich' ist nur, ob und in welchem Ausmaß er die Urteilsfähigkeit beeinflusst."
Grill schlägt vor, die Informationen, die zu Interessenkonflikten führen können, dort zu ergänzen, wo Medien Angaben zur Biografie ihrer Autorinnen und Autoren machen. Das wäre allerdings vor allem eine Lösung für Beiträge, die im Netz erscheinen. In Zeitungen, Zeitschriften, Radiosendungen oder Fernseh-Magazinen erfährt man über die Biografie von Autorinnen und Autoren in der Regel nichts. Hier wären vielleicht Infokästchen, Einblendungen oder ein Nebensatz in der Anmoderation hilfreich. Ob das passieren wird? Bis heute gebe es in den Medien kaum ein Problembewusstsein für Interessenkonflikte, schreibt Grill.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie wie auch Korrekturhinweise als Makel verstanden werden, nicht als "Chance (…), mit Transparenz Vertrauen aufzubauen". Grill sieht das etwas anders. Er schreibt:
"Ein Interessenkonflikt an sich ist kein Makel. Ein Makel aber ist es, ihn zu verschweigen."
Altpapierkorb (Türkei, Assange, Whistleblower, Ralf Schuler, Cyberangriffe, Schlesingers Sweeties, Stockfotos, ARD-Kulturplattform)
+++ Die türkische Regierung will mit mehreren Gesetzesänderungen offiziell etwas gegen Falschinformationen machen, tatsächlich aber wohl auch etwas gegen Kritiker (Altpapier gestern). Antje Allroggen hat darüber für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit Kristian Brakel gesprochen, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Zensurinstrument werden könnte, die ist in der Art und Weise, wie diese Gesetzesreform angelegt sind, durchaus schon vorhanden."
+++ Julian Assanges Frau Stella hat in Berlin vor 50 Menschen über den Kampf ihres Mannes gegen die Auslieferung an die USA gesprochen. Ralf Hutter berichtet für das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien".
+++ Sachverständige aus Transparenzorganisationen fordern, den Gesetzesentwurf zum Schutz von Whistleblowern zu ändern. Ihrer Einschätzung nach bietet das geplante Gesetz Hinweisgebern zu wenig Schutz bietet, berichtet die Nachrichtenagentur epd (nicht online). Die Organisationen wollen unter anderem, dass Menschen auch anonym Hinweise geben können.
+++ Der Leiter des "Bild"-Parlamentsbüros, Ralf Schuler, hat fristlos gekündigt, nachdem er im August bereits fristgerecht gekündigt hatte, berichtet das Medienmagazin "Medieninsider".
+++ Viele Medienhäuser sind schlecht gegen Cyberangriffe geschützt. Erst traf es Funke, vor wenigen Tagen die Heilbronner Stimme. Max Muth zitiert auf der SZ-Medienseite die Chefin des IT-Sicherheitsunternehmens Northwave, die sagt, ein "bisschen besser sei es nach 2020 geworden, intern spreche man bei Northwave vom 'Funke-Effekt', doch IT-Sicherheit in den Medien sei im Großen und Ganzen immer noch genauso schlecht wie in anderen Branchen".
+++ In der Korruptionsaffäre, die zum Rücktritt von Sebastian Kurz als österreichischem Bundeskanzler führte (zuletzt hier im Altpapier), hat jetzt Thomas Schmid, ein früherer enger Vertrauter von Kurz diesen schwer belastet. Kurz bestreitet die Vorwürfe. Die Aussage ist laut "Spiegel" (€) 454 Seiten dick und das Ergebnis eines 15-tägigen Verhörs. Oliver Das Gupta und Timo Schober schreiben: "Ob der Ex-Kanzler strafrechtlich belangbar ist, müssen Gerichte entscheiden. Die Beweislage ist dicht: Es existieren Mails, Kalendereinträge und Tausende Chats, dazu mit Schmid und der ebenfalls geständigen Demoskopin Beinschab zwei Zeugen, die sich und ihr Umfeld belasten – im Einklang mit den Beweismitteln."
+++ Künstliche Intelligenz, Freunde sagen KI, kann inzwischen auch Stockfotos herstellen. Warum das für Medien interessant ist, macht ein Beispiel deutlich, das Joshua Beer in seinem Text auf der SZ-Medienseite (€) gibt. Ein KI-Spezialist sagt: "Als ich meine Studentenzeitung herausgab, musste ich nach einem Foto eines Mannes im Rollstuhl suchen, der von einem Schwan angegriffen wird – enorm schwierig."Warum die neue Möglichkeit auch Probleme mit sich bringt, daran erinnert zum Beispiel die nächste Meldung.
+++ Eine Studie kommt zu einem Ergebnis, das nicht ganz so überraschend erscheint: Pro-russische Aktivisten sollen Wikipedia-Artikel bearbeitet haben, um den Diskurs zu beeinflussen. Das berichtet Raimund Schesswendter für das Magazin "t3n". Beeinflussen lässt sich der Diskurs ja auch ganz hervorragend mit manipulierten Fotos.
+++ Das RBB-Rechercheteam wühlt weiter an denen Stellen, über die Patricia Schlesinger wohl lieber Gras wachsen lassen würde. In einer neuen Recherche hat das Team sich mit den strengen Regeln für das RBB-Personal beschäftigt, die offenbar nicht galten, wenn die Intendantin dabei war – und die der Recherche nach größere Lücken lassen als die Regeln bei anderen Sendern. So rechnete Schlesinger bei einem Essen mit der Senderführung über 900 Euro für ein Abendessen über den Sender ab, bei dem die Teilnehmer laut den Regeln hätten selbst zahlen müssen. Ein anderes möglicherweise gar nicht zu beanstandendes Detail macht deutlich, wie akribisch Schlesinger auf ihren eigenen finanziellen Vorteil achtete. René Althammer und Jo Goll schreiben: "Gleichzeitig tauchen selbst Kleinigkeiten in Rechnungsposten auf: beispielsweise Haribo- Fruchtgummis für 12,32 Euro, oder Lakritz, Kekse und Gummibärchen (25,86 Euro) sowie 'Sweeties (Nüsse, Schokolade) für die Fahrt nach Hamburg'. Ist ein Jahressalär von 303.000 Euro (plus Boni) nicht ausreichend, um persönliche Bedürfnisse nach einem Snack zwischendurch aus der eigenen Geldbörse zu befriedigen? Auch auf diese Frage dürfte der Beitragszahler eine klare Antwort haben."
+++ Die neue ARD-Kulturplattform startet offiziell erst am nächsten Mittwoch. Wenn Sie sich schon mal umsehen möchten: Eine Beta-Version ist bereits online.
Neues Altpapier gibt es am Freitag.
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