Das Altpapier am 23. September 2022 Aufbruch- und Abrissstimmung
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23. September 2022, 08:45 Uhr
Der RBB-Rundfunkrat hat einen neuen Vorsitzenden, der Griffiges sagt – aber richtig deutlich wird sein Vorgänger. Bei Springer sollen Sparmaßnahmen drohen. Und der Fall Relotius wird nun als Fall Bogenius im Kino weiterverhandelt. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Deutlichkeiten aus dem RBB-Rundfunkrat
Der Potsdamer Staatsanwalt Ralf Roggenbuck ist zum neuen Vorsitzenden des Rundfunkrats des RBB gewählt worden und löst den vom Deutschen Gewerkschaftsbund entsandten Dieter Pienkny ab, der das Gremium zuletzt kommissarisch geleitet hatte und demnächst aus dem Rat ausscheidet. Ist der Neue die Geschichte? Oder der Alte?
Der "Tagesspiegel" widmet sich vorrangig dem Neuen, was sich schon deshalb anbietet, weil der rund um seine Wahl einige griffige Zitate abgeliefert hat (alle dem "Tagesspiegel"-Text entnommen):
- "Ich glaube, wir müssten jetzt einfach auch mal anfangen, Dinge zu hinterfragen – und vielleicht auch das ein oder andere zu ändern."
- "Vieles haben wir nicht erfahren, vieles, eigentlich sogar fast alles, wussten wir nicht, obwohl wir Mitglieder des Kontrollorgans sind."
- Die Leitung zu verschlanken, "ich glaube, das ist eine Notwendigkeit."
- Aufgabe des Rates sei es nun, "den beiden Bundesländern Berlin und Brandenburg Vorschläge für den neuen RBB-Staatsvertrag zu machen, wie man es besser machen kann".
Da schwingt also, genau wie in den Zitaten, die von seiner Stellvertreterin Anja-Christin Faber übermittelt werden ("Wir wollen mehr Transparenz schaffen, innerhalb des Rundfunkrates, im RBB und darüber hinaus") einiges an Aufbruchstimmung mit, die durch symbolische Aktionen wie die Arbeitsplatzwahl der neuen Interimsintendantin Katrin Vernau (Altpapier) noch verstärkt wird. Ihr Platz sei, schreibt Kurt Sagatz, nun im "Arbeitszimmer der bisherigen Leiterin der Intendanz", während das ehemalige Intendantinnenbüro, dessen luxuriöse Ausstattung die laufende RBB-Debatte möbliert hat, zum Besprechungsraum umgewidmet worden sei.
Noch griffiger ist allerdings, was Roggenbucks Vorgänger Dieter Pienkny im Interview mit Claudia Tieschky von der "Süddeutschen Zeitung" alles sagt.
Er berichtet aus seiner Zeit in Rundfunkgremien darüber, "wie man kaltgestellt wurde". Er zeigt sich genervt von der "Kritikresistenz von Programmmachern und Chefredakteuren". Zieht in Erwägung, dass eine "Selbstbedienungsmentalität" in der ARD verbreitet sein könnte. Oder kritisiert die Lobbylogik mancher Gremienmitglieder, die sich vor allem für mediale Präsenz ihres Verbands stark machen würden. Das Gespräch endet – halbwegs – versöhnlich. Aber zwischendurch verbreitet er fast ebenso viel Abriss- wie Aufbruchsstimmung, wenn er die RBB-Krise als ARD-Krise deutet:
"Da müssen die Steine in allen Anstalten umgedreht werden und ich fürchte, man wird in allen Anstalten irgendwas finden. Das zeigt, dass die klassischen Kontrollsysteme wie Compliance, Revision und Wirtschaftsprüfer augenscheinlich entweder auf einem Auge blind waren oder einiges übersehen haben. Die ARD muss der Öffentlichkeit beweisen, dass sie fähig ist, ihren Laden sauberzukriegen. Sie muss eine Reformgruppe in Gang setzen, natürlich mit den Medienpolitikern zusammen, aber sich nicht von denen dominieren lassen; wir sind kein Staatsfunk. Wir müssen klarmachen, die ARD hat die Wucht und den Willen zur Aufklärung."
Ist also der Neue die Geschichte, oder ist es der Alte? Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass der neue Rundfunkratsvorsitzende die Nachricht des Tages ist. Aber der alte heute nochmal der Leitartikel.
Was die Rundfunkkommission fordert
Die zweitägige Sitzung der Rundfunkkommission der Länder, die gestern zu Ende gegangen ist, ist auch eine Nachricht, wenn auch heute nicht auf gedruckten Medienseiten. Was sie an Ergebnissen zustande gebracht und dann auch öffentlich kundgetan hat, lief am Donnerstagabend über den Newsticker der Deutschen Presse-Agentur. Dass die Vorsitzende der Kommission, Heike Raab, Christian Lindner von der FDP vorhält, er würde, wenn er etwa ein Einfrieren des Rundfunkbeitrags fordert, "scheinbar populistische Vorschläge" zu machen, "die aber nichts zur Verbesserung der Situation beitragen", ist die knalligste Aussage. Sie lässt sich unter Umständen in einen Zusammenhang damit bringen, dass Heike Raab einer anderen Partei angehört, der SPD. (Wobei es sich – abgesehen davon, dass Lindner als Bundespolitiker nicht zuständig ist – bei dem, was er in zwei Interviews gesagt hat, natürlich wirklich nicht gerade um eine rundfunkpolitische Grundsatzrede gehandelt hat; siehe dazu auch das Altpapier vom Donnerstag.)
Was die erheblich zuständigere Rundfunkkommission der Länder von den öffentlich-rechtlichen Intendantinnen und Intendanten stattdessen fordert, laut "dpa": einen Bericht. Dazu "einheitliche hohe Standards bezüglich Compliance", Aufklärung der "aktuellen Vorfälle" und – da wird’s leerformelhaft – "zur Verantwortung zu stehen und aus den Vorkommnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen".
Spekulationen und Sorgen bei Springer
Bei turi2.de wird man regelmäßig darüber informiert, was dort gut geklickt wird. Am Donnerstag stand da: "Meistgeklickter Kopf gestern war Ulrike Handel". Handel ist die Axel-Springer-Vorständin für das nationale Mediengeschäft, die am Mittwoch ein Strategieprojekt per Mail angekündigt habe, wie "Meedia" berichtet hat: Die rote "Bild"- und die blaue "Welt"-Gruppe von Axel Springer könnten demnach vor der Zusammenlegung stehen. Gregory Lipinski:
"Die betroffenen Mitarbeiter befürchten tiefgreifende Veränderungen. Dabei kochen diverse Spekulationen hoch. Von der Einstellung der werktäglich gedruckten Ausgabe der 'Welt’ bis zu radikalen Änderungen in der Redaktionsstruktur bei der blauen und rote Gruppe machen die Runde, auch die Sorge über einen Stellenabbau ist im Gespräch.”
Völlig unberechtigt scheinen die Sorgen nicht zu sein, jedenfalls nicht Lipinski zufolge, der am Donnerstag mit einem weiteren "Meedia"-Bericht aus einer internen "Fragestunde" nachlegte: Die Zusammenlegung sei dabei nicht ausgeschlossen worden, schreibt er unter Berufung auf Redaktionskreise – also auf Leute, die dabei waren, aber nicht namentlich zitiert werden.
Dass sich nun der Betriebsrat der "Welt" "in Stellung" bringe und "verfehlte Managementleistungen" kritisiere, das schreibt der "Medieninsider". Was verständlich ist. Gerade die "Welt" stand in der Geschichte immer wieder auf dem Prüfstand, zuletzt als der Finanzinvestor KKR bei Springer einstieg (wie etwa Caspar Busse damals in der "SZ" schrieb). Der irgendwann mit Gewinn wieder aussteigen wollen dürfte.
Spoiler: Bogenius fliegt auf
Und was kann man gucken am Wochenende? Vielleicht "Tausend Zeilen", im Kino? Nein, Pech gehabt. Der Film über den Fall Relotius wird zwar jetzt bereits besprochen, aber läuft erst nächsten Donnerstag an. Alte Journalistenlogik! Aber egal, wir empfehlen an dieser Stelle eh in der Regel keine Kinofilme. Hier taucht "Tausend Zeilen" – der Spielfilm nach Juan Morenos Sachbuch "Tausend Zeilen Lüge" – nur deshalb auf, weil es ein Film über einen der bekannteren Journalistenstoffe ist.
Gut kommt er nicht weg in den ersten Kritiken. In der "Zeit" schreibt Thomas Assheuer erst etwas gelangweilt und irgendwann fast verärgert über den Film von Michael Bully Herbig:
"Er ist eine solide gemachte deutsche Komödie, die halt im Pressemilieu spielt. Er stellt keine neuen Fragen an den Fall und entwickelt auch keine eigene Haltung zu ihm. (…) Amerikanisches Kino setzt sich gelegentlich genauer mit dem Journalismus auseinander, oft sogar sehr unterhaltsam. Man begreift dort etwas von den Zwängen und Mechanismen des Metiers, und zwar so, wie es nicht schon von diesem selbst formuliert wurde. Herbig lässt es leider nur krachen."
Die "NZZ" findet den Film "hasenfüßig", weil ihm der Fokus fehle. "Man kann natürlich eine Satire aus dem Skandal machen. Aber dann müsste Bogenius" – also die Figur, die Relotius nachempfunden ist – "ins Zentrum. Als 'Catch Me If You Can'-Variante liesse sich das denken, dazu ein wenig 'Wolf of Wall Street'." Das sei es aber alles nicht.
Und auch im "Spiegel", der im Fall Relotius eine zentrale Rolle spielte und deshalb nicht ganz unbefangen ist (weshalb es dort statt einer Kritik ein Interview mit Herbig gibt), klingt an, dass man unter Umständen schon Besseres gesehen haben könnte. "Wäre die Perspektive des Hochstaplers für den Film nicht die interessantere gewesen?", fragt "Spiegel"-Redakteur Stefan Kuzmany Herbig. Und antwortet selbst auf dessen – also Herbigs – Frage, welchem Genre er den Film zuordnen würde: "Er wirkt etwas unentschieden."
Richtig gelesen: Herbig fragt. Er stellt nicht nur die Frage nach dem Genre, sondern auch gleich die erste des veröffentlichten Interviews, und am Ende sagt er "Ich danke Ihnen für dieses Gespräch", so wie "Spiegel"-Redakteurinnen und -Redakteure üblicherweise Interviews beenden. In der Form ist das Gespräch, das "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann und -Kulturressortleiter Kuzmany mit ihm führten, deshalb etwas ungewöhnlich. Aber weil es in dieser Konstellation um diese Geschichte geht, ist der passagenweise Rollentausch auch ganz passend.
Eine interessante Information übrigens, die Herbig zwischendurch einstreut und – wer weiß – die Bedeutung von Journalistenpreisen, die Claas Relotius einst gesammelt hat, womöglich etwas relativieren könnte: "Wir haben eine Marktforschung in Auftrag gegeben, und etwa 70 Prozent der Befragten haben von dem Fall noch nie gehört."
Altpapierkorb (Iran, RBB-Zukunft, junges Programm)
+++ Um die Lage im Iran und darum, wie Informationen von dort in die Welt kommen, geht es in der "taz".
+++ Unter anderem Tweets aus dem Iran zitiert Tomas Avenarius in der "SZ": "Wir sind nicht dumm und naiv wie die Kids der Achtzigerjahre. Wir sagen einfach: Scheiß auf euch und eure Religion." Inzwischen sei es, so Avenarius, allerdings "schwierig geworden, solche Aussagen online zu veröffentlichen – das Regime hat begonnen, weite Teile des Internets in Iran zu kappen."
+++ Das Gespräch "über Wege aus der Krise des RBB" des Regisseurs Andres Veiel, des Hörspielautors Oliver Sturm und der Schriftstellerin Kathrin Röggla, um das es hier im Altpapier kürzlich ging, steht nun bei epd.de online.
+++ "Wenn das ZDF Zukunft gewinnen will, müssen Programme für Menschen unter 35 her", schreibt der 25-jährige Bendix Lippe, der zwei Jahre lang dem ZDF-Fernsehrat angehörte, im "Tagesspiegel".
Neues Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!
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