Das Altpapier am 21. September 2022 Die wahre Spaltung der Nation
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21. September 2022, 11:00 Uhr
Haben Sie das Queen-Begräbnis geschaut oder nicht? Und wenn ja: bei ARD oder ZDF? Fragen, die auch Christian Lindner beschäftigen – wobei er allerdings ein paar Fakten übersieht. Ein Altpapier von Annika Schneider.
Die Quoten der Queen
"The Queen and the Royals are not my cup of tea. Sie sind mir etwa so gleichgültig wie ich ihnen, nur kriege ich leider mehr über sie mit",
schreibt die Schriftstellerin Jagoda Marinić heute in der taz. Die viel beschworene Spaltung der deutschen Bevölkerung – wenn es um die Sondersendeflut rund um das Begräbnis der Queen geht, ist sie real.
Knapp die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland, nämlich 42 Prozent, kündigte nach dem Tod der Monarchin an, die Berichte zu den Trauerfeierlichkeiten verfolgen zu wollen. Genauso viele Menschen, ebenfalls 42 Prozent, interessieren sich nicht für die zahlreichen Sondersendungen zum Thema.
Die repräsentative Umfrage, die diese Zahlen liefert, stammt vom Meinungsforschungsinstitut YouGov und wurde drei Tage nach dem Tod der Queen durchgeführt. Die Zahlen zeigen, dass sich Ost und West in ihrem Interesse am britischen Königshaus kaum unterscheiden und sich die Lust auf royale Berichterstattung quer durch alle Altersgruppen zieht.
Die Quoten am Montag spiegelten das wider. Wer den Trauerzug verfolgen wollte, hatte die Wahl zwischen gleich mehreren Sendern, die die Geschehnisse live übertrugen und kommentierten. Manuel Weis vom Branchendienst DWDL diagnostizierte mit Blick auf die Quoten ein "enorm hohes Interesse” und stellte fest:
"Besonders gefragt waren in diesem Zusammenhang die öffentlich-rechtlichen Sender, was – bei aller Kritik an der ARD – auch zeigt, dass das Publikum deren Einordnungen und Übertragungen durchaus zu schätzen weiß."
RTL und Sat.1 reichten mit ihren Übertragungen nicht an die öffentlich-rechtlichen Angebote heran. Ganz vorne lag das Erste mit "Trauerfeier für die Queen" mit im Schnitt 2,9 Millionen Zuschauenden. Auch die Quoten des ZDF konnten sich sehen lassen.
Der Chefkritiker mal wieder!
Feiern lassen konnten sich die Sender für diesen Erfolg allerdings nicht – stattdessen hagelte es Kritik, unter anderem von FDP-Finanzminister Christian Lindner. Er ist auf dem besten Weg, sich als Chefkritiker der Öffentlich-Rechtlichen zu etablieren, was natürlich einfach ist, weil er als Bundesminister in der Medienpolitik kaum mitzureden hat. (Beim Thema Zustellförderung für die Presse, in der er im Rahmen der Wirtschaftsförderung durchaus etwas für die deutsche Medienlandschaft tun könnte, hat er bis jetzt noch nicht geliefert – aber das ist ein anderes Thema…) Gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" stellte Lindner nun fest:
"Dass ARD, ZDF und Phoenix live und parallel vom Begräbnis der Queen aus London senden und mit jeweils eigenem Personal in London sind, belegt anschaulich, dass es erhebliches Einsparpotenzial gibt."
Woraus Lindner ableitete, dass der Rundfunkbeitrag gedeckelt werden solle. Ein peppiger Vorschlag mit wenig Substanz – schließlich ist es aus gutem Grund nicht so, dass der Finanzminister die Höhe des Rundfunkbeitrags einfach festlegen kann, da seien die KEF und die Verfassungsgerichte vor. Oder, wie der CDU-Politiker und NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski in der FAZ (€) die Frage beantwortete, ob man den Rundfunkbeitrag "einfrieren" könne:
"Ich habe den Anspruch, seriöse Rundfunkpolitik zu machen. Daher: So gut sich der Vorschlag in den Ohren vieler anhören mag, müssen wir auch die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten zur Kenntnis nehmen, nach denen eine bedarfsgerechte Finanzierung bestehen muss."
Und weiter:
"Die Politik sollte ihre Kraft gegenwärtig auf die Bewältigung der aktuell anstehenden Fragen konzentrieren, statt eine Debatte über die Beitragshöhe in drei Jahren zu führen, für die zuallererst die KEF eine Empfehlung geben muss."
Oder anders gesagt: Lindner, halt dich mit unqualifizierten Vorschlägen zurück und lass die echten Medienpolitiker mal machen (Liminiski kann sich durchaus vorstellen, die Intendantengehälter an den Öffentlichen Dienst anzupassen).
Die echten Kosten der Ganztagsübertragung
Aber Lindners Forderung weist noch einen zweiten logischen Fehler auf, auf den mein @mediasres-Kollege Stefan Fries gestern im Deutschlandfunk hingewiesen hat (Audio): Möglicherweise haben die Sender mit den Sendestrecken aus Großbritannien gar keine Rundfunkbeiträge verprasst, sondern sie sogar eingespart. Zu genauen Kosten der Sondersendungen hätten die Sender zwar keine Angaben gemacht, so Stefan Fries, aber:
"Es ist ja viel ausgefallen, was sonst auch Geld gekostet hätte – Magazin wie 'Live nach 9', 'Volle Kanne', 'Drehscheibe' und das 'Mittagsmagazin', aber auch Unterhaltungsshows wie 'Bares für Rares' und Serien wie 'Rote Rosen'."
Die ursprünglich geplanten Sendestrecken am Montag hätten jeweils mehrere Hunderttausend Euro gekostet, rechnet er vor. Die Bilder aus London seien hingegen zu großen Teilen von der European Broadcasting Union übernommen worden. Lindner hat sich mit seiner Kritik an der Queen-Doppelberichterstattung also ein schlechtes Beispiel ausgesucht, um Sparmaßnahmen zu fordern.
Natürlich ist trotzdem fraglich, warum ARD und ZDF stundenlang parallel gesendet haben, wenn sich doch nur rund die Hälfte der Menschen in Deutschland dafür interessiert – und die andere Hälfte sich vielleicht über das ganz normale Montagsprogramm gefreut hätte. Stefan Fries zufolge habe es bei den Sendern intern Überlegungen gegeben, sich die Berichterstattung aufzuteilen, das sei aber gescheitert.
Wollte man die Doppel-Übertragung als Exempel nutzen, dann wohl eher dafür, dass die Kooperation der öffentlich-rechtlichen Sender miteinander weiterhin ausbaufähig ist. Andererseits ist das Begräbnis einer 70 Jahre lang herrschenden Monarchin wohl so singulär, dass es sich womöglich gar nicht als Exempel für irgendwas eignet.
"Five minutes of fame” für Carolina
Um noch einmal zur Spaltung der deutschen Bevölkerung zurückzukommen: Auch die Weltbevölkerung insgesamt scheint gespalten in ihrem Interesse an der Queen. Ziemlich genau "die Hälfte der Menschen auf dem Planet Erde" würden das Begräbnis im Fernsehen verfolgen, hieß es noch vor Montag in diversen Beiträgen. Leider klingt die Zahl zu schön, um wahr zu sein: Warum die Angabe ziemlich aus der Luft gegriffen ist und dennoch auch von seriösen deutschen Medien zitiert wurde, hat Stefan Niggemeier bei Übermedien aufgeschrieben. Er schreibt über die angeblich 4,1 Milliarden Menschen, die die Trauerberichterstattung angeblich verfolgen wollten:
"Die Nachkommasstelle ist zwar völlig absurd, wenn man seriös nicht einmal vorhersagen kann, ob es 3 oder 5 Milliarden werden. Gleichzeitig suggeriert sie, dass hier jemand, der sich auskennt, etwas berechnet hat, und nicht nur irgendeine Carolina von irgendeinem Blog sich etwas ausgedacht hat."
Spoiler: Es war tatsächlich "Carolina von irgendeinem Blog", die die Zahl in die Welt gesetzt hat.
Weniger Hetze, mehr Kritik
Dass auch öffentlich-rechtliche Redaktionen die "4,1 Milliarden" erwähnt haben, scheint den Springer-Blättern entgangen zu sein, die sich ja sonst gerade gierig auf alles stürzen, was sich irgendwie als "Skandal bei den Öffentlich-Rechtlichen" verkaufen lässt. Springer könne längst nicht mehr zwischen gerechtfertigter und ungerechtfertigter Kritik unterscheiden, schreibt Joachim Huber dazu im "Tagesspiegel". Sein Wunsch:
"Vielleicht treten jetzt mal alle einen Schritt zurück, um die Problemlage genauer und schärfer zu erkennen, um vom Detail zum Großen und Ganzen zu kommen. Wenn "Bild" und "Welt" in ihrer Wadenbeißerei das nicht schaffen, dann müssen das die anderen Medien schaffen."
Auch der schon erwähnte Nathanael Liminski beobachtet eine Unwucht in der aktuellen Debatte:
"Wir müssen unterscheiden zwischen Hetze und Kritik. Hetze zielt auf die Abschaffung, Kritik auf den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gar nichts machen aber führt zum sicheren Vertrauensverlust."
Dieser letzte Satz richtet sich an die Politik, aber wohl auch an die Sender. Auch Joachim Huber wünscht sich von den Senderleitungen mehr Souveränität, sie reagierten "nervös und unsicher". Als Dritter im Bunde hat Hendrik Zörner vom DJV gestern Forderungen an die Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen gestellt:
"Zukunftsorientiertes und gegenüber den Beschäftigten verantwortliches Handeln heißt, nicht nur ein Misstrauensvotum auszusprechen, sondern gegenüber der Politik klar Flagge zu zeigen. Sonst könnte es wirklich ungemütlich werden."
Womit wir wieder bei der Queen-Berichterstattung wären. Womöglich gibt es gute Gründe, dass ARD und ZDF parallel berichtet haben – vielleicht auch nicht. An der Kommunikation zwischen den Sendern und nach außen, zu den Beitragszahlenden, scheint es aber weiterhin zu mangeln. Und so lässt sich die Doppel-Dauersendung von Menschen mit Agenda wunderbar missbrauchen für alle möglichen Forderungen.
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Neues Altpapier gibt’s am Donnerstag.
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