Das Altpapier am 14. September 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 14. September 2022 Megaschräg

14. September 2022, 11:04 Uhr

Mathias Döpfner findet viel Echo, aber nicht so für seine jüngste Freiheits-Rede. Die Bundes-Presse-Subvention nimmt einen neuen Anlauf. Die EU haut überraschend das nächste große Was-mit-Medien-Gesetz raus. Außerdem: Südkorea als Vorbild? Ein Altpapier von Christian Bartels.

Döpfner in einer Liga mit Musk und Zuckerberg

Volle Aufmerksamkeit nochmal für Mathias Döpfner, den weiterhin amtierenden Chef des international ambitionierten Medienkonzerns Springer und nicht mehr sehr lange amtierenden Präsidenten des deutschen Zeitungsverlegerverbands. Aber wieder nicht die Aufmerksamkeit, die er wohl gerne hätte.

Seine Rede "Was ist uns die Freiheit wert?" zur Eröffnung des BDZV-Kongresses ist vollumfänglich in der "Welt" zu lesen. Doch selbst im äußerst ausführlichen "FAZ"-Kongressbericht, in dem der hochtourige Michael Hanfeld einen großen Bogen zwischen Marius Müller-Westernhagen (war gar nicht beim Kongress, sondern sang und schrieb 1987 bloß das Lied "Freiheit") und Marina Weisband (Gast einer BDZV-Gesprächsrunde) schlägt, der fast alle Kongress-Redner miteinbezieht, spielt Döpfner keine sehr große Rolle. Auch wenn der Artikel "Was uns Freiheit wert ist" (€) heißt.

Im "Tagesspiegel" oben überm mit Agenturen zusammengefassten Kongress-Geschehen und besonders in der "SZ" geht es ausgiebig um Döpfner, doch weniger im Kontext des Kongresses als im Schlepptau Donald Trumps. Also im Kontext des "Thank you to the very brilliant Mathias Döpfner"-Lobs des ehemaligen und womöglich noch mal künftigen US-amerikanischen Spitzenpolitikers (Altpapier gestern).

In der "Süddeutschen" neigt Andrian Kreye zwar dazu, Döpfner seine Beteuerung, es habe sich bei seiner Aufforderung anno 2020, für Trumps Wiederwahl zu beten, um Ironie gehandelt, abzunehmen. Er konzediert sogar, dass Döpfner sich in der BDZV-Rede "deutlich von Trump" abgrenzte. Doch nütze das nichts, weil Trump das ältere Döpfner-Sample nun in seine Strategie übernommen habe. Und

"die konsequente Verbreitung von Falschnachrichten, wie man Lügen im politischen Geschäft heute höflich nennt, war von Anfang an Trumps Strategie. Beharrt man nur oft und lange genug darauf, werden sich schon genügend Leute finden, die sie glauben."

So habe Trump nun "mit wenigen Worten die Medienstrategie eines selbsternannten 'Global Player' versenkt", analysiert Kreye. Sowie bitterböse-scharf weiter, dass es Döpfner erstens an "intellektuellen Kaliber als Autor und Kommentator" fehle, und dass dieser (nun immerhin auch auf seine Rede vom Dienstag bezogen) zweitens "endgültig in der Klasse der Milliardäre wie Elon Musk und Mark Zuckerberg angekommen ist, die ihre Selbst- und Öffentlichkeitswahrnehmung nicht einschätzen können."

Döpfners, wie gesagt von der "Welt" veröffentlichte Rede, enthält auf die ersten und zweiten Blicke wenig Ironie, dafür griffige Zahlen zu den "vielen Zeitungswüsten im Mutterland der Demokratie", etwa:

"Seit 2004 sind in den USA 2000 Zeitungen eingestellt worden – und damit zehntausende Journalisten-Jobs weggefallen",

sowie zutreffende Sinnsprüche à la:

"Journalismus ist bekanntlich: die andere Seite der Medaille zeigen. Wenn fast alle einer Meinung sind, ist es schon aus Prinzip sinnvoll, einmal das Gegenteil zu beleuchten."

Obwohl oder auch weil in der deutschen Medienlandschaft ja auch ziemlich viele einer Meinung sind, erhielt Döpfner dafür "bestenfalls artigen Applaus", bilanziert Steffen Grimberg in der "taz".

Der Finanzminister auf dem Verlegerkongress

Interessenverbands-Kongresse dienen vor allem auch dazu, dass Verbands-Vertreter ihre Interessen und Sorgen formulieren, und die gastierenden Politiker dann entsprechende Versprechungen machen, bei denen sich freilich zeigen muss, ob anschließend etwas daraus folgt.

Als "politischer Spitzengast" war der Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner dabei. Er "lehnte es ab, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich infrage zu stellen", heißt es in der erwähnten "Tsp."-Zusammenfassung. Was Christian Lindner, befragt vom "nicht verwandten oder verschwägerten" "FAZ"-Geschäftsführer Thomas Lindner, sonst so sagte, fasst die "Welt" zusammen. Am breitesten zitiert und am wichtigsten aus Verleger-Sicht dürfte die Formulierung "Zustellung von Zeitungen und Zeitschriften sei ein 'Teil der Infrastruktur'" sein.

Heißt: Eine Neuauflage der im Sommer 2020 zwar überraschend angekündeten, anschließend aber im letzten Jahr der damaligen Merkel-Groko-Regierung an Streitigkeiten, wie so was aussehen und wer zuständig sein könnte, ergebnislos verpufften "Bundes-Presse-Subvention" (Altpapier damals) steht bevor. "Fördermöglichkeiten" für "die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen" wurden ja bereits im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampel-Regierung erwähnt.

"Wie genau eine Unterstützung aussehen könnte, ist öffentlich nicht bekannt. Auf dpa-Nachfrage beim Wirtschaftsministerium und bei Medienstaatsministerin Claudia Roth gab es noch keine Ergebnisse zu den laufenden Prüfungen",

heißt es in der Agenturen-Zusammenfassung des österreichischen "Standard". Gleich anschließend wird da die eigentlich vor allem als Rundfunkkommissions-Koordinatorin, also aus Öffentlich-Rechtlichen-Kontexten bekannte rheinland-pfälzische Medien-Staatssekretärin Heike Raab mit dem Versprechen zitiert, dass in Kürze zwei Gutachten im Bundestag diskutiert würden. Da Roths Abteilung sich wenn um Medien, dann um die Deutsche Welle und um Filmförderung kümmert, dürfte es auf Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums hinauslaufen. Und wenn Robert Habecks gerade an vielen Fronten herausge- bis überfordertes Superministerium ausgerechnet bei der inhaltlich schwierigen, gesamtgesellschaftlich betrachtet nischigen Zeitungsförderung ein gutes oder zumindest handwerklich sauberes Gesetz gelingen sollte, wäre das eine Überraschung. Insofern passt der coole Hanfeld-Satz aus dem eingangs erwähnten Kongressbericht:

"So verhält es sich in der deutschen Medienpolitik, mit der Christian Lindner als Bundesminister formal gar nichts zu tun hat: Es geht ums große Ganze, und am Ende versandet es im Kleingedruckten."

Außerdem ging es auf dem Kongress auch um Plattformkonzerne.

"'Eine Handvoll US-Digitalkonzerne will unser komplettes Mediensystem übernehmen. 50 Prozent haben sie schon.' Martin Andree von der @UniCologne zeichnet und belegt ein erschreckendes Bild der Rolle der Digitalkonzerne",

twitterte der BDZV selbst. Da ist doch die EU dran. Und tatsächlich, um die ging es auch.

Noch'n großes Medien-Gesetz der EU

Die EU hat's nicht leicht in diesen Tagen und Jahren, weil die grundsätzliche Zerstrittenheit ihrer Mitglieder in vielen Detailfragen ebenso immer noch offensichtlicher wird wie der Umstand, dass sie geopolitisch auf dem absteigenden Ast ist. Dennoch oder deshalb ist die EU-Kommission emsig tätig. Wie genau sich die groß gemeinten Gesetze namens Digital Markets und Digital Services Act (DMA und DSA) auswirken werden, lässt sich auch auf dem letzten Abschnitt der komplexen Entscheidungswege noch gar nicht sagen. Kollateralschäden für die Pressefreiheit werden von den Verlegerverbänden prophezeit (und am relativ regelmäßigsten in der "FAZ" ausformuliert, z.B. hier)

Und nun wird noch ein Gesetz, das den auch nicht bescheidenen Namen "European Media Freedom Act" (EMFA?) trägt, auf den langen Weg geschickt:

"Die EU-Kommission stellt diese Woche ein Gesetz vor, das die Presse in der Europäischen Union vor staatlicher Überwachung und Einflussnahme schützen soll",

berichtet netzpolitik.org mit Bezug auf ein Leak noch "vor der offiziellen Vorstellung des Gesetzes" am Freitag. Dieses Gesetz reagiere "auf wachsende Sorge über die Pressefreiheit in einigen EU-Staaten". Richtig begeistert klingt netzpolitik.org-Korrespondent Alexander Fanta jedoch nicht ("Ein Grund für die Zurückhaltung der Kommission dürfte sein, dass jeder Eingriff in die nationalen Medienlandschaften wohl massiven Widerstand der Mitgliedsstaaten im Rat auslösen dürfte, der dem Gesetz zustimmen muss"). Und Micha Hanfeld ist bei faz.net on fire:

"Die Bemühungen der Europäischen Kommission um die Pressefreiheit in der EU sind schon erstaunlich. Sie legt ein Mediengesetz nach dem anderen vor, mit dem Meinungs- und Pressefreiheit geschützt werden sollen, und je mehr es davon gibt, desto weniger bleibt von der Freiheit übrig."

Hanfeld ärgert nicht nur, dass der EMFA "wie üblich, als Überfallkommando aus dem Hinterzimmer" kommt, sondern auch, dass er, "damit die EU kompletten Durchgriff hat, als Verordnung angelegt ist", also Vorrang vor nationalen Regeln haben soll. Ob es in Deutschland, wo sich medienpolitisch der nationale Föderalismus (also die Tatsache, dass immer 16 Bundesländer-Regierungskoalitionen zustimmen müssen, bevor sich etwas ändert) als Problem erweist, irgendetwas nützt oder wenigstens nichts schadet, wenn ein EU-Gesetz dazu kommt, dem 27 Mitgliedsstaaten inklusive Polens und Ungarns zustimmen mussten, lässt sich in der Tat bezweifeln.

Für seinen eingangs erwähnten Print-Kongress-Bericht hat Hanfeld dann noch ein Originalzitat der erwähnten Mainzer Medien-Staatssekretärin Heike Raab, das so klingt, als sei es nicht auf einem Podium, sondern im informellen Gespräch gefallen:

"'Megaschräg' findet sie die ganze Angelegenheit und hofft, dass Bund und Länder noch 'Schadensbegrenzung' betreiben können."

Herrje, das klingt nach finsteren Aussichten auch in der nichtigen Nische der Medienpolitik.

Auch nicht einfach: Propaganda verbieten

Wie immer prallvoll ist die "FAZ"-Medienseite, und wie ebenfalls oft in der "FAZ" beleuchten mehrere Ressorts dasselbe Thema. Ebenfalls heute wird auf der Medienseite referiert (€), was die Stiftungs-finanzierte Initiative "Disinformation Situation Center" (die offenbar keinen eigenen Internetauftritt hat, aber kürzlich schon mal im Kontext einer russisch lancierten Anti-Baerbock-Kampagne hier vorkam) über die Verbreitung von Inhalten des staatlich-russischen RT-Propaganda in der EU mitteilte. Eigentlich sind diese Inhalte ja doppelt verboten, aus formalen Gründen von der föderalistischen deutschen Medienaufsicht und aus Kriegsgründen durch die EU. Bloß das Verbot durchzusetzen, bleibt schwierig. Als Beispiel nennt die "FAZ", dass etwa russische Trolle eine "proeuropäische und Pro-NATO-"Webseite in Bulgarien derart kaperten, dass dann "die problematische Moderationspolitik von Facebook" diesen wie gesagt "proeuropäischen" Auftritt stilllegte.

Im Politikressort derselben Zeitung geht es unter den Überschriften "Der Desinformationssteinbruch produziert weiter" (gedruckt) bzw. "Warum stoppt niemand RT DE?" mit weiteren Beispielen ums selbe Thema:

"Das Portal Sputnik, das wie RT unter das Verbot durch die EU fällt, nannte sich auf Telegram kurzerhand in 'Satellit' um. RT wiederum betreibt seine Internetseite weiter und füllt sie tagesaktuell mit Meldungen über eine düstere Welt westlich von Russland: Gaskrise. Massenproteste. Die drohende Überlastung von Kinderarztpraxen in Deutschland. Nur die Webadresse musste RT DE ein wenig ändern, aber Suchmaschinen finden sie dennoch ..."

Was vielleicht die Frage gestattet: Wenn es in freien Gesellschaften und Mediensystemen (zum Glück) sowieso schwierig ist, Medieninhalte zu verbieten – vielleicht würde die EU ja doch mehr gewinnen, wenn sie das eh aussichtsarme, dafür leicht kritisierbare Vorhaben, russische Propaganda zu verbieten, aufgeben und lieber auf die grundsätzlichen Vorzüge der Medienfreiheit sowie die Überzeugungskraft der Berichte freier Medien setzen würde.

"Südkorea will nordkoreanische Medien erlauben" heißt noch ein "FAZ"-Artikel. Sich an Südkorea zu orientieren, das in puncto Digitalisierung ja sowieso die Nase weit vorn hat, könnte für die aktuell leider unglücklich agierende, wenn nicht desorientierte bis dysfunktionale EU eine gute Idee sein.


Altpapierkorb (Fernsehpreis, Kühnert & Twitter, Mord, RBB, Joyn, "Im Angesicht des Verbrechens")

+++ Gestern Abend wurde der Deutsche Fernsehpreis vergeben, und dwdl.de hat livegetickert. +++

+++ Meinungsvielfalt zum Twitter-Abschied Kevin Kühnerts (Altpapier gestern). Auf der "SZ"-Meinungsseite gelangt der schon erwähnte Andrian Kreye zum Schluss, "dass der Mann eine kluge Entscheidung gefällt hat". +++ "Ja, es stimmt, wenn man seine eigenen Posts offenhält, steht in den Kommentaren auch dummes Zeug von Leuten, die sich nicht benehmen können. Und die man trotzdem, da hat Kühnert recht, nicht mit der Stimme des Volks verwechseln darf. Auch wenn die selbst das so sehen. Aber wer von diesem Strukturwandel der Öffentlichkeit überfordert ist, sollte nicht unbedingt in der Politik etwas werden wollen", glossiert hingegen Claudius Seidl auf der anderen Medaillenseite im "FAZ"-Feuilleton. +++

+++ Ärger über frühe Meldungen zum Mord-Urteil in Bad Kreuznach äußert Frederik von Castell bei uebermedien.de ("Es war Mord – und kein 'tödlicher Maskenstreit'"), auch etwa über tagesschau.de: "Die hat es auch noch hinbekommen, in der Online-Dachzeile 'Toter Tankstellen-Mitarbeiter' zu schreiben statt 'Ermordeter Tankstellen-Mitarbeiter'." Vielleicht kommt etwas kurz, dass Medien und vor allem Agenturen inzwischen ja sehr selten "Mord" schreiben, sondern lieber auf das vermeintlich unangreifbarere Unwort "Tötung" setzen. +++

+++ Gestern "Erdmännchen" (in der Altpapier-Überschrift), nun Sandmännchen. Der gerade scharf in sehr viel Kritik stehende RBB versucht, die Agenda ein bisschen zu setten, indem er das Sandmännchen "jetzt täglich ins Radio" holt. Immerhin handelt es sich bei diesem Sandmännchen ja um eines der ganz wenigen Medien-Produkte mit DDR-Vergangenheit. +++ Aber auch: "Die ARD wird einheitlich regeln, wie auf justiziable Kommentare in den sozialen Netzwerken der Sender reagiert wird. Das kündigte der RBB" der "FAZ" an, die diese größere News auch noch knapp auf ihre prallvolle Medienseite packte. U.a. um Twitter gehe es auch. +++

+++ Für rund 25 Millionen Euro kauft ProSiebenSat.1 die Hälfte der Streaming-Plattform joyn.de, die bisher noch dem Discovery Channel gehört. +++

+++ 70 zu werden ist in einer deutlich alternden Gesellschaft kein Top-Jubiläum. Vielleicht deswegen verging Dominik Grafs 70. vor acht Tagen ohne sehr große Beachtung. Bloß "epd medien" gratulierte und weist darauf hin, dass deshalb noch bis November die Chance besteht, Grafs Serie "Im Angesicht des Verbrechens" von 2010 in der ARD-Mediathek anzuschauen. "Die Serie ist immer noch gutes Fernsehen", schreibt Diemut Roether. Und deutlich besser als der Krimi-Bullshit, den die zahlreichen linearen öffentlich-rechtlichen Programm pausenlos ausstrahlen, ließe sich hinzufügen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/1dbfb77e-f538-4ac4-b23b-5334613a59d5 was not found on this server.

Mehr vom Altpapier

Kontakt