Das Altpapier am 12. September 2022 Rituale und High Heels
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12. September 2022, 10:50 Uhr
Die Berichterstattung über den Tod der britischen Monarchin ist allgegenwärtig. Und eine Studie untersucht die Absatzhöhe bei TV-Moderatorinnen. Ein Altpapier von Jenni Zylka
Inhalt des Artikels:
Kein Tabu
Man möge das bitte nicht als Pietätlosigkeit auffassen. Doch am Sonntag, während der über sechs Stunden langen BBC-Fernsehen-Liveübertragung des Transports der sterblichen Überreste von Queen Elisabeth nach Edinburgh, musste ich für den Bruchteil einer Sekunde an ein Buch denken, das ich eins einer enorm Fremde-Länder-fremde-Menschen-freudigen Freundin schenkte: "Was trägt die Queen, wenn sie verreist?". Verzeihung. Aber man nennt es schließlich auch "letzte Reise". Und obige Frage bleibt im aktuellen Zusammenhang selbstverständlich eine rhetorische.
Eine andere, ebenfalls rhetorische Frage drängt sich mir eh stärker auf: Ob das Thema Tod in unserer Gesellschaft tatsächlich ein "Tabu" darstellt, wie vor allem Menschen behaupten, die gerade einen Bestatter-Podcast oder eine Serie über Trauerredner:innen bewerben wollen, das müsste man angesichts jener umfassenden, durchgehenden Berichterstattung sämtlicher Medien zu Elizabeth (hier ein FAZ-Interview mit Donatus Landgraf von Hessen, in dem er davon berichtet, wie er der Queen einst eine Trakehner-Stute geschenkt hat; hier in der FAZ und hier bei der BBC Neuigkeiten zum Verbleib der royalen Corgis) eventuell differenzieren. Denn nicht der Tod oder die Beerdigung sind ein Tabu, auch nicht die Trauer- und Verlust-Gefühle der Hinterbliebenen: So viele offen vor den berichterstattenden Kameras trauernde proletarische, plebejische und adelige Brit:innen wie in den letzten Tagen sieht man selten. Sondern, wenn überhaupt, scheinen eher die genauen Umstände, die körperlichen Zusammenhänge rund um einen Tod mit einem "Tabu" belegt zu sein. Und auch das gilt weniger, je namhafter die Toten sind, je mehr sie in der Öffentlichkeit stehen. Der Tod von Prominenten wird bekanntlich bis auf die letzten, irgendwo heimlich mitgeschnittenen Sekunden in die Öffentlichkeit getragen, und dort kommentiert, seziert und analysiert.
Mein altes Fremdwörterbuch, "bearbeitet von der Duden-Redaktion" erklärte das Wort Tabu im Jahr 1977 übrigens wie folgt:
"etwas, wovon nicht gesprochen werden darf; sittliche, konventionelle Schranke."
Man beachte die Benutzung des schönen alten umstrittenen Wortes "sittlich". Auf der aktuellen Duden-Seite wird "Tabu" in die Bereiche "Völkerkunde" und "bildungssprachlich" unterschieden, in der zweiten Definition heißt es:
"ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun".
Stimmt alles, trifft dennoch seit Jahren nicht mehr auf das Reden über den Tod zu. Zumal es einen einfachen, mit keinem Tabu verbundenen Grund gibt, warum man manchmal tatsächlich nicht über den Tod sprechen will: Weil der Verlust, und damit auch das Sprechen darüber, Schmerzen bereitet.
Bröckelndes Reich
Eine interessante, wenn auch wenig überraschende Sache noch, danach lasse ich die Queen in Frieden ruhen: Nämlich dass die BBC-Berichterstattung zumindest bis Sonntagabend vorrangig das "together-in-mourning", das gemeinsame Trauern des gesamten Commonwealth von Balmoral bis Tuvalu beschwor, während es anderenorts in vielen Kommentaren, wie hier beim ZDF unter der Überschrift "Hat das Commonwealth noch eine Zukunft?" heißt:
"Aber einige Mitglieder, wie zuletzt Barbados, haben sich bereits von der Krone abgewandt und zu Republiken erklärt. Manche glauben, dass der Tod der Langzeitregentin auch andere Länder zum Überdenken der historischen Verbindung zum britischen Königshaus bewegen könnte."
Auch der Spiegel sieht "das Reich bröckeln", und schreibt, gefolgt von einer Auflistung der eventuell abtrünnigen Kronenclubmitglieder:
"In Großbritannien laufen minutiös geplante Trauerfeierlichkeiten, in anderen Teilen der Welt wird Charles III. zum neuen Staatsoberhaupt ernannt. Doch die Zahl der Staaten, die sich ihm formal unterordnen wollen, schrumpft."
Wir werden sehen. Der neue König Charles III, der vielen Berichterstatter:innen hie wie dort bislang etwas schwer über die Lippen ging ("Pr… King Charles"), kann jedenfalls dieser Tage kaum ein Tintenfass verrücken, ohne dass Reporter:innen das mitschneiden und sich, in alter Die-Katze-beisst-sich-in-den-Schwanz-Manier, dabei als Anlass der guten alten "Aufregung aus dem Netz" bedienen: Die Briten spekulierten über einen "Arroganzanfall" ihres neuen Königs, schreibt die Welt hier, und berichtet:
"Videoclips auf Twitter dokumentieren den Vorfall, bei dem Charles mit einer herrischen Handbewegung die Umstehenden anweist, herumstehende Tintenfässer und eine Stiftschachtel von seinem Schreibtisch zu entfernen."
Herrische Wischszenen
Hier ist die "herrische Handbewegung" (wobei, ich sag’s etwas schnippisch: falls jemand überhaupt eine "herrische Handbewegung" machen dürfte, dann wäre das jawohl ein Herrscher…?), hier eine t-online Langversion der "herrischen Handbewegung", die auf mich einfach nur wirkt, als ob jemand Angst hat, dass er vor Aufregung versehentlich gleich das massiv silberne, 900.000 Pfund teure, von adligen Ahnen vermachte Tintenfass vom royalen Schreibtisch fegt, und es darum lieber in Sicherheit wissen möchte. Und auch die Welt relativiert ein paar Zeilen später den selbsternannten Aufreger "Wischszene":
"Die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete die Wischszene ebenfalls in einem Videoclip. Der jedoch zeigt einen längeren Ausschnitt der Situation, so dass die Anweisung des Monarchen schon deutlich weniger anmaßend wirkt. Letztlich bleibt die Bewertung der Situation dem Betrachter also selbst überlassen."
Na dann. Splendid idea.
Und weil ich bei der royalen Berichterstattungsbeobachtung angesichts unfassbarer Kostüme, Rituale und Etikette nur mit Mühe und Not einen Monty Python-Hinweis zurückhalten konnte, bring ich ihn einfach jetzt, selbst wenn er uralt ist:
And now to something completely different.
Stöckelschuhe, Jesuslatschen
Was ich keinesfalls vorenthalten möchte. Hier findet sich nämlich eine sehr interessante, aus dem Mai dieses Jahres stammende Studie der Hochschule Bochum, Fachbereiche Marketing und Wissenschaft, mit dem Thema "Auf Stöckelschuhen zur Gleichstellung? – TV-Moderatorinnen: Schuhe als modisches Accessoire oder gesellschaftliches Statement?", ich zitiere aus der Fragestellung:
"Unsystematische zufällige Beobachtungen von TV-Sendungen führten zu einer ersten subjektiven Einschätzung: Frauen tragen in moderierten Sendungen auffällig häufig Schuhe mit mehr oder weniger hohen Absätzen – sogenannte "Stöckelschuhe"."
(…)
"Entspricht diese erste Wahrnehmung den Tatsachen oder ist es eine falsche Einschätzung? Und welchen gesellschaftlichen Stellenwert besitzen Schuhe – wie ist insbesondere der Absatzschuh mit unterschiedlichen Absatzhöhen im Kontext von Geschlechterrollen zu sehen? Sind Schuhe lediglich als zusätzliche attraktive Accessoires (meist) der Frauen zu sehen, oder stellen sie einen Ansatz zur Reduktion der Akteurinnen auf Äußerlichkeiten bzw. auf Überbetonung dieser dar? Und, bei Betrachtung der Medien als Bühne der Gesellschaft: Wie ist es um das Schuhwerk von Frauen in populären TV-Sendungen bestellt, welchen Stellenwert haben mehr oder weniger hochhackige Schuhe – wie ist dies unter Gleichstellungsaspekten einzustufen?"
Hochspannend! Sozusagen Stöckelschuhhochspannend! (Wobei man bei der vestimentären Definition von "Stöckelschuhen" genau sein muss, denn hohe Schuhe mit Keilabsätzen, Blockabsätzen oder Plateauabsätzen sind keine "Stöckelschuhe", "Stöckeln" geht nur auf hohen, lauten, schmalen Absätzen, also zum Beispiel Stilettos.)
Jedenfalls goss die Forschungsgruppe um Professorin Susanne Stark ihre Forschungsfragen, etwa "Wie vielfältig ist die Schuhmode von Moderatorinnen tatsächlich?", "Wie groß ist ihr Mitspracherecht bei der Auswahl?", "Wie sehen die agierenden Frauen dies?", "Wie reagieren die Zuschauer:innen?" In einen "kombinierten Forschungsansatz", beobachteten über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten 110 Moderatorinnen in 74 Sendungen von 14 Sendern, befragten dazu Moderator:innen, Programmverantwortliche und Zuschauer:innen, und bekamen heraus:
"Es wurden 300 Screenshots gemacht – in 241 Fällen trugen die Akteurinnen hohe Schuhe, in 50 Fällen flache Schuhe. In 9 Fällen moderierten mehrere weibliche Personen die Sendungen, mit unterschiedlichen Schuhmoden (flache/hohe Absätze). Bezogen auf die Gesamtzahl kommt man zum Ergebnis, dass in über 80% der beobachteten Fälle die Moderatorinnen hohe Schuhe trugen."
Und warum? Dresscodes spielen anscheinend nur eine kleine Rolle, bzw. können sogar hilfreich sein:
"Aus den Aussagen lässt sich schlussfolgern, das Moderierende Einschränkungen bei der Kleidungswahl meist weniger als Einschränkung der Persönlichkeit, sondern vielmehr als Unterstützung sehen. So können sie sich mehr auf den Inhalt der Sendung fokussieren."
Die Gründe stellte die Studie in einer Wortwolke zusammen, aus der Folgendes ersichtlich wird:
"…sticht als Begründung für die Wahl von hohen Schuhen insbesondere heraus, dass es in den Augen der Moderatorinnen besser aussieht. Dies wird von vielen Befragten als der Hauptgrund genannt und lässt sich in gewisser Weise auch als eine Oberkategorie sehen, beispielsweise für die Wirkung auf die Zuschauenden, die verbesserte Körperhaltung und gestrecktes Bein oder Attributen wie elegant, seriös oder sexy. Wie bereits dargelegt spielt die Optik im Fernsehen eine übergeordnete Rolle, weshalb eine Moderatorin logischerweise dabei möglichst gut aussehen möchte. Findet sie also, dass hohe Schuhe vor der Kamera besser aussehen, ist dies eine nachvollziehbare Begründung und nicht auf äußere Zwänge, sondern vielmehr auf die eigene Entscheidung zurückzuführen.
Nach weiblichen Stereotypen fragte die Studie selbstverständlich auch:
"Ebenfalls häufig als Begründung genannt werden Rollenerwartungen, unter der beispielsweise eine weibliche Stereotypisierung oder gesellschaftliche Erwartungen zusammengefasst sind. Dieser Punkt wird von den Befragten kritisch gesehen und es wird deutlich, dass das weibliche Rollenbild "hübsch, schlank, schöne und lange Beine" in ihren Augen mittlerweile veraltet ist. Dennoch bestehen in manchen Bereichen noch entsprechende Denkweisen, die auch Einflüsse auf die expliziten und impliziten Regelungen zur Schuhwahl haben."
Aber:
"So wird insbesondere der Wunsch nach weiblicher Selbstbestimmung betont, wonach Frauen die gänzliche Entscheidungsmacht darüber haben sollten, welche Schuhe sie tragen. Entscheiden sie sich freiwillig für hoher Schuhe, ist dies vollkommen in Ordnung und sollte auch unter allen Umständen möglich sein. Gibt es jedoch Vorgaben oder Pflichten von außerhalb, ist dies "höchst problematisch" und "nicht akzeptabel"."
Die dürfen das
Oder um mit Shirin David zu sprechen: Ich darf das. Muss ich aber nicht.
Die Zuschauer:innen sehen das anscheinend ähnlich, ergibt das Fazit:
"Durch die Befragung der Zuschauenden ergab sich zudem, dass von ihrer Seite aus hohe Schuhe keinesfalls zwingend erwartet werden und flache Schuhe gleichermaßen akzeptiert sind. Somit kann es durchaus Sinn machen, das Tragen von flachen Schuhen vor der Kamera aktiv zu fördern. Dadurch könnten die Moderatorinnen durch einen bequemeren Stand entlastet und der kritischen gesellschaftlichen Diskussion entsprochen werden, um möglichen zukünftigen negativen Imageeffekten vorzubeugen. Fazit: Mehr Vielfalt wagen – auch beim Schuhwerk der Moderatorinnen."
Vielleicht sollte man es – zumindest bei kurzen Moderationen – einfach mal in diesen, von Noritaka Tatehana designten Megaplateaus versuchen – irgendeinen Effekt auf die Einschaltquoten hat das garantiert. Und Lady Gaga trägt die auch.
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- Die taz macht hier auf die – nach den ÖRR-Skandalen – noch kompliziertere Situation vor allem junger Journalist:innen aufmerksam.
- Der Tagesspiegel denkt über Drehbuchänderungen für die Serie "The Crown" nach – das könnten die Serienmacher:innen in der Drehpause machen, die sie nach dem Tod von Queen Elizabeth angekündigt haben.
- Und "House of Women" nennt nach einem Bericht in der Süddeutschen die Bauer Media Group eine Umstrukturierung ihrer TV- und Frauenzeitschriftensparte, bei der 50 Stellen gestrichen wurden. Vielleicht wäre "House of involuntarily Hausfrauen" passender…?
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