Das Altpapier am 6. September 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 6. September 2022 Gesucht: Dave mit dem frischen Blick

06. September 2022, 11:04 Uhr

"Ein Intendantenmodell mit Massagesitzen im Dienstwagen ist schon sehr altbacken", sagt Medienwissenschaftler Otfried Jarren. Aber welches Modell wäre besser für die Interims-Intendanz beim RBB? Und: Der NDR steigt mit exklusiven Recherchen zu einer "Causa Ausweichquartier" in die RBB-Berichterstattung ein. Ein Altpapier von Klaus Raab.

NDR recherchiert jetzt mit – beim RBB

Woran man nicht alles denken muss in diesen Tagen, da die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht abreißt. An "Dave", zum Beispiel. Es gibt einen mittelalten Film diesen Titels, in dem ein Doppelgänger des US-Präsidenten die Amtsgeschäfte übernimmt und mit dem frischen Blick des Außenstehenden entdeckt, dass man einiges verändern kann an dem, was üblicherweise gar nicht mehr hinterfragt wird. 650 Millionen Dollar kratzt er für ein Programm gegen Obdachlosigkeit zusammen, indem er, zum Beispiel, die öffentlichen Mittel für eine ziemlich überflüssige Werbekampagne streicht.

Ob so ein Dave dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Patsche helfen könnte? Oder wie wär’s mit dem RTL-Schuldenberater, der knorrig durch Haushaltsbücher blättert und an geeigneter Stelle sagt: "Tun Sie das nicht – die Nebenkostenrechnung könnte unbezahlbar werden"?

Hätte ihn doch jemand geholt: Denn neu auf der Liste der Vorgänge beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, über die berichtet wird, ist nun die, hm, Causa "Ausweichquartier für das Deutsche Symphonie-Orchester". Es wurde, weil es Platz zu schaffen galt für das neue Digitale Medienhaus, in Berlin im Internationalen Congress Centrum unterbracht, das von der Messe Berlin betrieben wird. Messe? Messe? Ja, richtig:

"Wolf-Dieter Wolf war damals Aufsichtsratsvorsitzender der Messe und gleichzeitig Verwaltungsratsvorsitzender des rbb. Die Messe kann Mieteinnahmen in Millionenhöhe gut gebrauchen. Der rbb soll Geld sparen. Wolf aber handelte für beide, und das gleichzeitig – ein potenzieller Interessenkonflikt, der offenbar keine Rolle spielte."

Das schreiben Marcus Engert und Sandro Schroeder bei tagesschau.de unter Berufung auf ihre eigenen Recherchen für "Zapp" aus dem selben Haus – also aus dem NDR, der zwar auch mit sich zu tun hat ("FAZ", Altpapier von u.a. Montag), aber offensichtlich nun auch in die ARD-internen Investigativrecherchen einsteigt.

Die undurchsichtige, aber recht augenscheinliche Verquickung von Interessen ist das eine, worum es in der Recherche geht. Das andere ist, dass "der von Messe-Aufsichtsrat Wolf-Dieter Wolf eingefädelte Deal" noch teuer werden könnte, "im schlechtesten Fall sogar für die Steuerzahler", wie "Zapp" am Montagmorgen in einem Twitter-Thread schrieb. Denn zu den Gesellschaftern des Orchesters gehören neben RBB und Deutschlandradio auch der Bund und das Land Berlin. Beinahe 60.000 Euro Nebenkosten pro Monat zahle der RBB derzeit. Zu rechnen sei jedoch einem Messe-Sprecher zufolge "mit einer Steigerung der Energiekosten". Selbst der teuerste öffentlich-rechtliche Intendant, Tom Buhrow vom WDR, geriete also in die Miesen, wenn er die Nebenkostenabrechnung übernehmen müsste. Was nun nicht heißen soll, dass Buhrow erheblich zu wenig verdient.

Die Erklärungen, die sich für die Anrichtung dieses Schlamassels in Unterlagen finden sollen, versprühen ein Flair von Sachzwang. An Taschenrechnern fehlte es womöglich nicht einmal; im RBB-Verwaltungsrat seien "die hohen Betriebskosten" jedenfalls durchaus diskutiert worden zu sein, wie der NDR berichtet. Aber was hat’s in dem konkreten Fall geholfen?

Fehlten dem Gremium die Möglichkeiten, eine, wie es bei tagesschau.de angedeutet ist, bereits halb beschlossen wirkende Sache noch zu ändern? Oder fehlte eine Art Dave, der am Ende nochmal alles kühl, aber mit klarem ethischem Kompass durchrechnet?

Braucht es eine starke Einzelfigur – oder eher ein Team?

Der Ruf nach einem einzelnen Krisenlöser-Erlöser, der mit frischem Blick die Probleme erkennt und anpackt, ist natürlich etwas albern. Die Öffentlich-Rechtlichen liegen ja nicht in Hollywood.

Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren spricht in einem lesenswerten Interview mit epd Medien über die RBB-Krise, über eine Berliner "Tradition von Filz und Vetternwirtschaft", dank der die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger – auch wenn er sie "sicher nicht zum Opfer erklären" wolle – womöglich "in etwas rein(ge)rutscht" sei. Und Jarren sagt darin vor allem auch, wie aus seiner Sicht das derzeitige Führungsvakuum am besten zu füllen wäre: eben nicht mit einer Art nettem Super-Dave von außerhalb des Betriebs, sondern…

"Das müsste entweder jemand sein, der vormals als anerkannte Person einen Sender geleitet hat und dem man auch Krisen- oder Changemanagement zutraut, also zum Beispiel ein Ex-Intendant oder eine Ex-Intendantin",

so Jarren. Wobei jemand wie Ulrich Wilhelm, einst beim Bayerischen Rundfunk, das Problem mitbrächte, dass er als jemand, der "ja von der CSU" ist, in Berlin und Brandenburg erst einmal misstrauisch beäugt werden könnte.

Oder aber…:

"Wahrscheinlich ist eine Teamlösung besser, weil sie signalisiert, wie große Anstalten grundsätzlich geführt werden sollten, nämlich von Kollegialorganen mit einer Persönlichkeit an der Spitze. Das hätte Folgen für die Auswahl des Personals und für Wahlverfahren. Je mehr ich über diesen Fall nachdenke, desto mehr muss ich sagen: Ein Intendantenmodell mit Massagesitzen im Dienstwagen ist schon sehr altbacken. Es müsste, wie in allen modernen Organisationen, eine stärker kompetenz- und daher teamorientierte Leitungsstruktur geben."

Also weg mit dem ganzen Old-Work-Quatsch, oder wie?

Jens Wendland, einst Hörfunkdirektor beim Sender Freies Berlin, also bei einer Vorgängeranstalt des RBB, hat in einem "Tagesspiegel"-Beitrag wieder andere Ideen. Erstens sollten "die Programmmacher selbst" mit einer Taskforce das Programm der Zukunft in die Hand nehmen, schreibt er. Und zweitens – und das klingt dann doch durchaus nach einer Art Dave:

"Der Radarschirm für die Suche nach einer neuen Intendantin/Intendant sollte ganz breit gefächert werden für eine Persönlichkeit, die vorzugsweise aus der Kreativwirtschaft kommt. Film, Oper/Theater, Verlage, Stiftungen, breit aufgestellte Medienunternehmen pflegen in den meisten Fällen eine lebendige Beziehung zum Rundfunk. Der Intendant muss kompetent managen, die Unternehmung RBB von den Fehlern ihrer Vergangenheit sorgsam trennen, offen für die Zukunft sein und die Freiheit meinen, die der unabhängige Journalismus braucht. Er muss den fremden Blick auf einen Apparat mitbringen."

Die Synthese: der Name der Wollmilchsau
Versuchen wir mal die Synthese der Jarren- und der Wendland-Position: Gebraucht für die Organisation RBB wird ein Kollegialorgan, ein Team, aber mit einer Persönlichkeit an der Spitze, die zugleich den fremden Blick auf den RBB-Apparat mitbringt und von innerhalb des Systems kommt. Nette Idee – quasi eine Wollmilchsau. Aber sie umzusetzen ist natürlich völlig unmögl… oh, Moment:

"Kommt Katrin Vernau?", fragte der "Tagesspiegel" in einem weiteren Text am Montagabend, kurz bevor ihr Name auch auf den Seiten des RBBs zu lesen war. Vernau ist die Verwaltungsdirektorin des großen WDR. Vorher war sie Partnerin bei der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants, ein Lebenslaufeintrag, der den Puls oben halten könnte: "Die Hoffnung in Berlin? Sie bringt Vernunft mit. Die mögliche Sorge mancher in der Anstalt? Sie wird den RBB in diesem Zuge schlanker aufstellen", schreibt Thomas Lückerath bei dwdl.de.

Außerdem war Vernau Kanzlerin der Universitäten Ulm und Hamburg, als die sie, so steht es zumindest im Archiv, Erfahrungen mit Aufräumarbeiten in der Buchhaltung gemacht haben soll, und 2011 gehörte sie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg als Parteilose zum Schattenkabinett des damaligen SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid. "Nach Tagesspiegel-Informationen" ist sie nun vor der für Mittwoch anberaumten Wahl "die Favoritin für die kurzfristige Lösung einer Interims-Intendantin, aus der eine langfristige erwachsen könnte". Vernau, ergänzt dwdl.de, "soll dem Rundfunkrat auch als einzige Kandidatin vorgestellt werden".

Wobei man dazu sagen muss: Das ist natürlich nur der Stand von heute. Wer weiß derzeit schon, was morgen zu lesen sein wird? Bitte, bitte: nur nichts über Massagesessel.


Altpapierkorb (Investigativrecherchen im eigenen Haus, Medienpolitik, "Spiegel"-Standards, Reichelt-Affäre, Iwan Safronow, "Nowaja Gaseta")

+++ Stichwort Investigativrecherchen in eigener Sache: Andrej Reisin hat für "Übermedien" aufgeschrieben, auf welche Widerstände das investigative Rechercheteam des RBB hausintern stoßen kann, inwiefern es womöglich aber auch einfacher ist, im eigenen Haus zu recherchieren, weil man etwa "schon beim Gang in die Kantine mehr potentielle Quellen für eine Geschichte trifft als manche Journalisten während einer jahrelangen Recherche". Zu Wort kommen unter anderem der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal, Patricia Schlesingers Anwalt Ralf Höcker und der Investigativjournalist Daniel Drepper, der die Position vertritt, dass die Institutionalisierung von Medienjournalismus "viel besser" sei "als eine ad hoc aufgestellte interne Recherchegruppe. Es ist daher ein großer Fehler gewesen, 'Zapp' als einzigem Medienmagazin in der ARD das Budget zu kürzen. Das zeigt sich gerade jetzt total, denn es braucht viel mehr investigativen Medienjournalismus."

+++ Stichwort Medienpolitik: Helmut Hartung zweifelt in einem längeren Text auf der "FAZ"-Medienseite am Willen der Rundfunkkommission der Länder und der Mehrheit der Staats- und Senatskanzleien, nicht länger über den Reformbedarf von ARD, ZDF und Deutschlandradio nur zu lamentieren, sondern zu handeln. "Bei den Staatsverträgen oder Mediengesetzen zu den einzelnen Landesrundfunkanstalten, für die die Länder unmittelbar zuständig sind, könnten wesentliche Reformen, wie etwa eine Deckelung der Intendanten- und Direktorengehälter oder fachliche Vorgaben für die Besetzung der Verwaltungs- und Rundfunkräte, relativ schnell erfolgen."

+++ Stichwort Compliance-Regeln: Wie lief das beim "Spiegel" nach dem Relotius-Skandal? Der "Journalist" hat "Spiegel"-Chef Steffen Klusmann interviewt und fragt: "Mussten die strengen Compliance-Regeln – auch 'Spiegel-Standards' genannt – fortan nur besser angewendet werden oder grundlegend überarbeitet?" Klusmann: "Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Compliance regelt der Corporate Governance Kodex. Für unsere Standards haben wir einen neuen Leitfaden erarbeitet: Drei Arbeitsgruppen haben die Art und Weise, wie wir recherchieren, konfrontieren, erzählen und verifizieren bis ins Detail formuliert. Auch um den grundsätzlichen Anspruch an unsere publizistische Arbeit wasserdicht zu verschriftlichen. Das kam einem gewissen Reinigungsprozess gleich".

+++ Stichwort Compliance-Affäre um den ehemaligen "Bild"-Chef Julian Reichelt: Eine ehemalige Mitarbeiterin von "Bild" hat, so berichtete der "Medieninsider" (Abo) zuerst, kurz danach auch Zeit Online, an einem kalifornischen Gericht Klage auf Schadensersatz eingereicht. "Für Springer birgt die Klage nicht nur erhebliche finanzielle, sondern auch unternehmerische Risiken", so Holger Stark von der "Zeit".

+++ Und was nicht völlig untergehen soll neben all den großen oder vermeintlich großen deutschen Medienthemen: "In dem umstrittenen Spionageprozess gegen Iwan Safronow hat ein Gericht in Moskau den früheren russischen Journalisten wegen Hochverrats zu 22 Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Das Urteil erging am Montag vor dem Moskauer Stadtgericht, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete. Die Verteidigung kündigte demnach Einspruch an.

Das Urteil löste unter Journalisten und Menschenrechtlern Entsetzen aus." ("Süddeutsche Zeitung")

+++ Sowie: "Ein Bezirksgericht in Moskau hat der kremlkritischen Zeitung 'Nowaja Gaseta' die Zulassung entzogen" (faz.net).

Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.

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