Das Altpapier am 5. September 2022 Und damit weiter nach Hamburg
Hauptinhalt
05. September 2022, 11:36 Uhr
Erneut berichtet ein öffentlich-rechtliches Magazin in eigener Sache, diesmal geht es um den Vorwurf von Vetternwirtschaft im Hamburger NDR. Und: Eine Kampagne gegen Außenministerin Baerbock wurde wohl von kremlnahen Accounts gestartet. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Eine Kampagne prorussischer Accounts
Das Gewese, mit denen in Teilen der Social Media auf häufig kontextlose Schnipsel reagiert wird, ist traditionell idiotisch. Die Aufregung über Laschets Lachen war zum Beispiel einigermaßen ärgerlich (Altpapier). Und nun, zuletzt, traf es Annalena Baerbock, die Außenministerin der Grünen.
Ein sinnentstellend zusammengeschnittenes Video war der Anlass für die AfD-Chefin oder Leute von der Linken, sich künstlich aufzuregen. Im Originalvideo sagt Baerbock, dass sie den Ukrainern "zur Seite stehe, solange, wie diese das brauchen" und dass sie ihr Versprechen auch halten wolle, "egal, was meine deutschen Wähler sagen". Sie sagt aber auch: "Wir sind solidarisch mit allen in unserem Land wie auch in der Ukraine", und verspricht, Menschen in Deutschland, die unter steigenden Energiepreisen leiden, mit "sozialen Maßnahmen" zu helfen. "Als Narrativ aber verbreitete sich, Baerbock wären die deutschen Wähler:innen völlig wumpe und sie würde das Wohl des eigenen Volkes unter das der Menschen in der Ukraine stellen", schrieb Boris Rosenkranz am Sonntag im "Übermedien"-Newsletter.
Selbstverständlich – das muss man eigentlich nicht mehr sagen, weil es nur eine Nachricht wäre, verhielte es sich anders – kursierten bald in Schriftform gebrüllte Rücktrittsforderungen, was auf eine Skandalisierungswut hindeutet, die keine Maßstäbe kennt. Und dass das eine oder andere journalistische Medium sich bemüßigt fühlte, auf den Unsinn einzusteigen, ist auch keine Überraschung. Welt Online etwa entschied sich, den am heftigsten kritisierten – und nicht korrekt zitierten – Baerbock-Halbsatz in eine Überschrift zu nehmen, was dem Medium am vergangenen Donnerstag Platz 1 der Social-Media-Charts von 10000flies.de bescherte. Das sagte allerdings mehr über die Bereitschaft der "Welt" zum "Getöse" (Boris Rosenkranz) als über Baerbock.
So weit, so die übliche künstliche Aufregung über ziemlich wenig bis nichts. Der "Spiegel" hat nun unter Berufung auf eine Analyse des "Disinformation Situation Center" allerdings berichtet, dass die "Kampagne gegen Baerbock von kremlnahen Accounts gestartet und befeuert" worden sei:
"Das erste Zitat der Veranstaltung wurde ohne Kontext von der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti bei Telegram veröffentlicht. Nur vier Minuten später wurde es verfälscht von einem Telegramkanal gepostet, der zum Staatsmedium Sputnik gehört und dafür bekannt ist, dass er so die Sanktionen umgeht, die die EU verhängt hatte. Etwa vier Stunden nach der ersten Veröffentlichung des Zitats zeigte der Telegramkanal 'Russian American Daily' dann das geschnittene Video."
Dass die "Kampagne gegen Baerbock wohl von prorussischen Accounts angestiftet" worden sei, schrieb am Freitag dann auch Welt.de. Ein Hinweis im oder unter dem Artikel, dass man mit einem zunächst nicht ganz korrekten Zitat selbst seinen Beitrag dazu geleistet haben könnte, wäre natürlich auch noch schön gewesen.
Michael Hanfeld hebt in der "FAZ" auf einen anderen Punkt ab: die Verantwortung der Digital-Plattformen, "vor deren Macht gerade erst die Friedensnobelpreisträger Maria Ressa und Dmitri Muratow gewarnt haben":
"Würden sie erkennen, wie die Propaganda läuft – die ihren eigenen 'Regeln' widerspricht –, und die Hetze aussortieren, hätten es Demokartiefeinde nicht so leicht."
Und nun zum NDR Hamburg
Wäre ein Skandal ein Theaterstück, die Hauptrolle hätte die Lichttechnik. Ein Missstand wird entdeckt und auf die öffentliche Bühne gehoben, und während er noch von allen Seiten ausgeleuchtet wird, wandern die Suchscheinwerfer bereits weiter und rücken zusätzlich weitere Aspekte und Figuren ins Licht. Nach dem NDR Schleswig-Holstein (Altpapier vom Donnerstag) nun: die Direktorin des NDR-Funkhauses in Hamburg, Sabine Rossbach.
Während die Berichterstattung über den Rundfunk Berlin-Brandenburg am Wochenende weiterging – etwa mit Fragezeichen hinter einem Berater (dwdl.de) oder der Meldung, dass die Generalstaatsanwaltschaft, im Zuge der Ermittlungen gegen die entlassene Intendantin Patricia Schlesinger, Räumlichkeiten des RBB durchsuchen ließ (sueddeutsche.de, tagesspiegel.de, faz.net) –, reden wir also über die nächste öffentlich-rechtliche Baustelle. "Wir", das ist zunächst einmal der "Business Insider", also die Publikation aus dem Springer-Konzern, die zuerst auch über die Schlesinger-Affäre beim RBB und über einen mutmaßlichen "politischen Filter" im Kieler NDR-Funkhaus berichtet hatte. Es geht um den Vorwurf der Vetternwirtschaft. Von einem "System Rossbach" ist dort die Rede.
Das Echo ist in den meisten anderen Medien bislang verhalten, was – nur eine Mutmaßung – daran liegen könnte, dass es am Wochenende nicht ganz einfach ist, Vorwürfe selbst zu prüfen. Von den Nachrichtenagenturen griff bis zum späten Sonntagabend nur der Evangelische Pressedienst die Berichterstattung auf. Rossbach, die Direktorin des NDR-Landesfunkhauses in Hamburg, "soll ihre beiden Töchter beim NDR begünstigt haben", hieß es dort.
Allerdings berichtete das "Hamburg Journal" des NDR am Sonntag in eigener Sache über die Vorwürfe. In einem knapp vierminütigen Beitrag zu sehen: Auszüge aus der NDR-Berichterstattung über einen Blankeneser Neujahrsempfang, über eine Ausstellungseröffnung und über eine Dinner-Show, Themen, die alle von der PR-Agentur "Hesse & Hallermann" vermarktet worden seien – die Agentur einer Tochter von Sabine Rossbach. Es handle sich um "Themen allgemeinen Interesses", so der NDR in einer Stellungnahme gegenüber "Business Insider"; und was gesendet werde, entscheide letztlich die Redaktion.
Dem allerdings widersprechen Redaktionsmitglieder im NDR-Bericht: Darin heißt es, interne E-Mails würden belegen, dass Rossbach das Themenangebot der PR-Agentur mit Anmerkungen wie "Sollten wir haben" oder "Mit der Bitte um Berichterstattung" an die Redaktion weitergeleitet habe.
Journalistinnen und Journalisten des NDR berichten also nicht nur über die Kritik anderer an Rossbach. Sie bestätigen und festigen den wohl zentralen Kritikpunkt der "Business Insider"-Berichterstattung. Die Anti-Korruptionsbeauftragte des NDR prüfe nun, heißt es.
Darüber, dass Rossbach intern bereits vor drei Jahren unter Rechtfertigungsdruck stand und wie sie damals einen "allen öffentlich-rechtlichen Standards zuwider laufenden Beitrag (…) zu verteidigen" versuchte, schrieb seinerzeit René Martens hier im Altpapier. Es ging um einen Beitrag im Programm des "Hamburg Journals", in dem unkritisch eine angebliche Hundekommunikatorin vorgestellt wurde, die angeblich Kontakt zu toten Hunden aufzunehmen in der Lage sei. Auch um diesen Film geht es nun in der aktuellen Berichterstattung. Er ist noch zu sehen – im YouTube-Kanal der besagten Hundekommunikatorin.
Auch Beiträge kosten Beiträge
Sieben von acht Texten auf der Medienseite der "FAZ" kreisten am Samstag um die Öffentlich-Rechtlichen. Das ist selbst für eine Medienredaktion beachtlich, die bisweilen auch kleinere (und manchmal auch nur vermeintliche) Verfehlungen bei ARD, ZDF und Deutschlandradio aufgreift.
Es ging in jener Zeitung um: mutmaßliche Geldverschwendung beim Bayerischen Rundfunk, um die Vorwürfe gegen Teile des Führungspersonals im NDR-Funkhaus Kiel und um den Prozess gegen den ehemaligen MDR-Unterhaltungschef Udo Foht (siehe zu all dem das Altpapier vom Donnerstag), um die Löschung zweier Folgen des SWR-Podcasts "Sack Reis" (Altpapier vom 18. August), um einen "Tagesthemen"-Kommentar eines WDR-Redakteurs, der mittlerweile Mitglied der Grünen ist, um den "Tatort" vom Sonntag – und um die Kosten des Rundfunkbeitragsservices. Also nicht um die Beiträge, die er einsammelt, sondern um das Geld, das er selbst kostet.
Informationen wie die, dass der Geschäftsführer des Beitragsservice als Dienstwagen einen Ford Mondeo fahre, allerdings einen mit Massagesitzen (vorne), kann man wohl in die Kategorie "Bobbycarismus" einordnen. Vor allem problematisiert wird aber die fehlende Transparenz über die Bezüge der Beitragsservice-Leitung:
"Die reinen Personalaufwendungen werden in der Bilanz mit mehr als 64 Millionen Euro beziffert, dem stehen 945 Mitarbeiter gegenüber. Das ergibt Kosten von mehr als 68.000 Euro je Mitarbeiter. Da Sachbearbeiter oder Auszubildende nicht so viel verdienen dürften, lässt sich eine Spreizung der Gehälter annehmen."
Und wie weiter?
Eine der laufenden Berichterstattung über die Öffentlich-Rechtlichen übergeordnete Frage ist: Was folgt aus dem mutmaßlichen und tatsächlichen Fehlverhalten, um das es seit Beginn der Schlesinger-Affäre geht? Und was bleibt?
"Das bleibt", schrieb Friedrich Küppersbusch am Samstag in der "Süddeutschen Zeitung" (unter der Unterzeile "Heute fällt es schwer, 18,36 Euro Rundfunkbeitrag mit 'sonst Hitler' zu begründen. Wie kann es mit den Öffentlich-Rechtlichen weitergehen?"): "Schmerzhaftes Einsparen bei redundanten Wellen, Konzentration auf Nachrichten, Zeitgeschehen, mehr Regionales."
Darum, wie es weitergeht, ging es am Freitag aber auch im Landtag in Magdeburg, wo ARD-Chef Tom Buhrow, ZDF-Intendant Norbert Himmler und Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue Rede und Antwort standen, wie die dpa (siehe meedia.de und tagesspiegel.de) berichtet:
Erste Botschaft des Termins:
"Die Bundesländer, die für Medienpolitik zuständig sind, hatten in den vergangenen Jahren einen Reformschritt zur grundlegenden Struktur und zum Auftrag, den ARD, ZDF und Deutschlandradio erfüllen sollen, erarbeitet. Obwohl jetzt Stimmen aus der Politik nach einem größeren und grundlegenderen Wurf lauter werden, halten die Länder wohl an der Umsetzung dieses Reformschrittes fest."
Zweite Botschaft:
"Zu den konkreten nächsten Schritten in der ARD unter dem Eindruck des RBB-Skandals ging Buhrow auf die Compliance-Strukturen ein. 'Wir haben eine Umfrage in den ARD-Häusern zu Compliance-Strukturen gemacht. Die Abfrage ist fertig. Wir wollen einheitliche Standards.’ Er stellte in Aussicht, dass diese bis Ende des Jahres erarbeitet werden könnten. Auch ZDF-Intendant Himmler sagte für sein Haus, dass man intern die Compliance-Regeln nochmal auf den Prüfstand stelle."
Altpapierkorb ("100.000 Mark Show", Barack Obama, ProSieben-Experiment)
+++ Das Retro-TV ist schon wieder zurück: DWDL bespricht die Neuauflage der "100.000 Mark-Show" mit Ulla Kock am Brink, und ein Detail ist besonders faszinierend: "(A)nders als bei der vor einigen Jahren gefloppten Neuauflage mit Bauernflüsterin Inka Bause, spielen die Kandidaten-Paare nicht um Euro, sondern – RTL wird's mit Blick auf den Wechselkurs freuen – tatsächlich um D-Mark, was die gesamte Sendung über bemerkenswerterweise nicht weiter thematisiert wird."
+++ Der bekannte Netflix-Produzent Barack Obama hat einen Emmy als "bester Erzähler" gewonnen (u.a. "SZ").
+++ ProSieben wird vorgeworfen, für ein TV-Experiment Nadelattacken in einem Klub simuliert zu haben, so der "Spiegel". Der Sender wird dazu zitiert: "Es habe sich bei den angesprochenen Dreharbeiten um einen geplanten Beitrag zum Thema 'Needle Spiking' für die Sendung 'Zervakis & Opdenhövel' gehandelt, sagt Sendersprecher Christoph Körfer. Zwar sei es richtig, dass die betroffene Person unwissentlich 'Teil des Versuchs' wurde – gepikst habe man aber niemanden. Die Besucherinnen seien vielmehr heimlich mit einem Textmarker markiert worden."
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/37aa13c5-46c2-4988-b0f6-817e235fd95f was not found on this server.