Das Altpapier am 26. August 2022 #Prioritätengate
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26. August 2022, 07:57 Uhr
Skandale ohne Ende: nicht nur RBB-Krise, sondern auch #Partygate, #Winnetou und #Maskengate. Welche Rolle spielen Medien bei der Skandalisierung von tatsächlichen oder vermeintlichen Missständen? Und stimmen die Prioritäten der öffentlichen Debatte noch? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Der Skandal als Kommunikationsereignis
Partygate, Winnetougate, Maskengate, und beim RBB soll wohl auch irgendetwas passiert sein: Es ist derzeit Einiges los im Skandale-Ressort. Und wo Skandale sind, ist immer auch ein kühler Blick auf die mediale Berichterstattung angebracht. Nicht nur auf die journalistischen Recherchen, die zur Aufklärung beitragen. Sondern auch auf den Skandal als Kommunikationsereignis: auf die Rolle von Medien bei der Entstehung und Vergrößerung von Skandalen.
In der RBB-Fernsehsendung "Thadeusz und die Beobachter", die aus dem 14. Stock des RBB gesendet wurde – also von direkt oberhalb der Intendantinnenetage, von der derzeit so viel die Rede war und ist –, ging es in dieser Woche unter anderem darum. Was genau ist eigentlich das Vergehen der mittlerweile ehemaligen RBB-Führung, das diesen Wind rechtfertigt, der nun gemacht wird? – Das ist kein Zitat, aber so würde ich die Fragelinie von Moderator Jörg Thadeusz zusammenfassen. Was im Prinzip eine legitime Herangehensweise an die Analyse eines Skandals ist, auch wenn man sich darüber streiten kann, ob Thadeusz als Mitarbeiter des RBB die Idealbesetzung dafür ist.
Denn tatsächlich kann man jeden Missstand immer auch anders bewerten, als so, wie er vorrangig bewertet wird. Ein Missstand existiert letztlich ja erst dann, wenn sich viele darauf einigen, dass es sich dabei um einen Missstand handelt. Was, fragte Thadeusz in der Runde, sei eigentlich seinerzeit vom Wulff-Skandal geblieben, von dem sich hinterher sagen lässt, dass er irgendwann im Automatikbetrieb weitergeschrieben wurde? Praktisch nichts. Er bekam dafür Widerspruch, was er aber gemeint haben dürfte, ist: Dafür, dass über Wochen quasi jeden Tag neue Details ans Licht kamen, die den Wulff-Skandal – also die kollektive Aufregung über etwas, das als Missstand definiert wurde –, größer und größer machten, war am Ende wirklich erstaunlich wenig übrig. Abgesehen natürlich von einem Kommunikationsverhalten und taktischen Geschachere, das mit dem Amt eines Bundespräsidenten schwer vereinbar ist.
Jörg Thadeusz verwies mit seiner Fragelinie gewissermaßen auf eine Denkschule der Skandalanalyse, die der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen als die "negativistische Skandaltheorie" zusammengefasst hat, deren Vertreter im Skandal "keinen Anstoß zur positiven Neuordnung der Verhältnisse erkennen" können, sondern "primär ein von Irrationalismen geprägtes Meuteverhalten, das Konformismus erzeugt und sich an Übertreibungen und Scheingewissheiten orientiert, die jedoch mit absolutem Wahrheitsanspruch verfochten werden".
Diese Medienkritik kann ihre Berechtigung haben. Das hängt vom konkreten Fall ab. Allerdings, schreibt Pörksen, präsentieren die Vertreter dieser Schule wie der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger "ihre vermeintlich rein empirische Medienkritik derart grundsätzlich und in einem Sound der mühsam kontrollierten Wut, dass man sich fragen muss, ob sie die Aufgabe des Journalismus, nämlich Mächtige zu kontrollieren und zu kritisieren, überhaupt anerkennen und wertschätzen".
Eine Ethik der Öffentlich-Rechtlichen
Es könnte, wie Ralf Heimann gestern hier geschrieben hat, im Fall Schlesinger durchaus so kommen, "dass sich später herausstellen wird: Strafrechtlich relevant war das alles nicht. Dann lässt sich aber zumindest feststellen: Schlesingers Luxusleben war unangemessen, und da wird jeder Beleg wichtig sein."
Ginge es nur um die juristischen Aspekte der Sache, wäre man als Journalist also vielleicht nicht schlecht beraten, über einen kleineren Gang nachzudenken. Geht es aber nicht. Es geht, ausgehend von der Schlesinger-Geschichte, längst um die Funktionalität oder Dysfunktionalität der Rundfunkkontrolle und auch um die mit der "Kultur des Geldausgebens" (Claudius Seidl bei "Thadeusz") zusammenhängende Frage, was die Öffentlich-Rechtlichen überhaupt leisten sollen. Ob alles, was in ihren Programmen läuft, zur Grundversorgung gehört, das bezweifelte bei "Thadeusz" übrigens zuallererst die mitdiskutierende Vertreterin des öffentlich-rechtlichen Deutschlandradios.
Ein luxuriös ausgestattetes Auto. Ein teuer umgebautes Büro. Die undurchsichtigen Verbindungen zwischen Kontrolleur, Intendantin und ihrem Ehemann. Die große Diskrepanz zwischen Führungsetage und festen freien Mitarbeitern, usw. usf.: Jeweils für sich hätte das vielleicht schon irgendwie weggelächelt oder intern kleinverhandelt werden können. Aber es ist die Menge an offensichtlichen Unangemessenheiten, die in einer Zeit, in der die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin und nicht nur in Deutschland unter Reformdruck stehen, die Schlesinger-Affäre zum RBB-Skandal machten.
Selbst wenn wir also nicht von einer strafrechtlich relevanten Affäre reden sollten: Dann reden wir doch davon, dass hier auf eine leider nicht ausformulierte Ethik der Öffentlich-Rechtlichen ziemlich gepfiffen wurde.
Das Neueste aus dem RBB
Die aktuelle Berichterstattung über den RBB geht indes auch weiter. Die jüngste Nachricht betrifft die Suche nach einer vorübergehenden neuen Intendantin oder einem Intendanten, für die eine Findungskommission eingesetzt werde, wie der Rundfunkrat in seiner Sitzung am Donnerstagnachmittag beschlossen hat. "Vorübergehend" ist dabei das entscheidende Wort:
"Der Sender beschreitet damit einen neuen Weg, der in dieser Form bislang nicht vom RBB-Staatsvertrag vorgesehen war. Eigentlich heißt es dort, dass Intendanten nach einer Ausschreibung für den Zeitraum von fünf Jahren gewählt werden sollen",
schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Schwierige Zeiten, ungewöhnliche Maßnahmen.
Ob die vier Herren, die im "Tagesspiegel" schon vor einigen Tagen als mögliche Kandidaten genannt wurden, tatsächlich infrage kommen, muss als offen gelten: Die "SZ" berichtet auch, es seien bislang "noch keine Namen von Wunschkandidaten oder -kandidatinnen geäußert" worden.
Winnetougate
Und die anderen Skandale, die gerade so begangen werden? Dass der Ravensburger-Verlag ein neues "Winnetou"-Buch aus dem Programm genommen hat (Altpapier vom Donnerstag), ruft, mal wieder, die Cancel-Culture-isten aufs Programm, die sich angeblich ihren Winnetou nicht nehmen lassen wollen, den ihnen aber eigentlich auch niemand weggenommen hat. Die möglicherweise aber doch auch einfach keinen Bock haben, sich mit der konkreten Frage, die im Raum steht – was ist das eigentlich für eine Darstellung? –, überhaupt zu beschäftigen. Claudius Seidl hat es in seiner Filmkritik für die "Frankfurter Allgemeine" getan:
"Die Menschen von Winnetous Stamm sind so gekleidet, wie man sich früher im Fasching als Indianer verkleidet hat. Sie sprechen das metaphernselige Indianerdeutsch, das doch Bully Herbig längst zerstört hat. Und sie benehmen sich genau so, wie man das als Deutscher von edlen Wilden erwartet. Das ist vielleicht kein böser Rassismus. Es ist aber dumm, provinziell, ignorant und arrogant gegenüber beiden: der Geschichte und Realität der indigenen Amerikaner. Und gegenüber der Filmgeschichte, die schon mal weiter war."
Maskengate
Petra Pinzler derweil beschäftigt sich für zeit.de mit dem sogenannten "Maskengate", das verhandelt wird, seit "Bundeskanzler Scholz und sein Vize mit Managern, Beamten und Journalisten nach Kanada flogen und im Flugzeug kaum jemand eine Maske trug":
"Für die einen war damit der Beweis für die Scheinheiligkeit der Politik erbracht, für die anderen deren grober Leichtsinn belegt. So entsteht die Geschichte von Politikern und Journalisten, die machen, was sie wollen – und dem normalen Volk, das kaum etwas darf. Sie lässt sich leicht erzählen und sie erzeugt dann genau die Stimmung, um einen Shitstorm zu entfesseln",
so Pinzler, die selbst – ebenfalls ohne Maske, wie sie schreibt – in diesem Flugzeug saß: "Ich war dabei und ich habe den Skandal nicht gesehen."
Man kann darüber streiten, wie kritisierenswert es ist, dass auf diesem Regierungsflug zwar Regeln galten (Impfpflicht, negativer PCR-Test), aber nicht dieselben wie etwa in der Deutschen Bahn (Maskenpflicht). Pinzlers Frage aber ist die nach der Größenordnung der medialen Diskussion; nach der Verdrängung der auch längerfristig relevanten politischen Themen, die auf dieser Reise bearbeitet wurden, zugunsten Interaktion triggernder Themen: "Stimmen die Prioritäten in unserer öffentlichen Debatte noch?"
Tja, keine Ahnung. Feststeht jedenfalls, dass dieses konkrete "Maskengate" seit Pandemieausbruch bereits das mindestens dritte ist, das so genannt wird. Das erste "Maskengate" handelte von den Geschäften, die Unionspolitiker im Frühjahr 2021 mit Masken gemacht haben. Das zweite von Fynn Kliemanns Maskengeschäften. Das dritte nun von nicht getragenen Masken. Die Häufung lässt zumindest den Schluss zu, dass der Hashtag die Präzision sticht. Und dass die Hitze, die in den Social Media entsteht, wenn Menschen sich empört an Dingen reiben, auch die Temperatur im Journalismus nach oben treibt, dem ein wenig Kühle aber eigentlich doch nicht ganz schlecht steht.
Partygate
Samira El-Ouassil übrigens hat für ihre "Spiegel"-Kolumne unter anderem recherchiert, zu welchen politisch wichtigen Themen sich der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zuletzt so bei Twitter geäußert hat:
"Nach zweieinhalb Wochen Funkstille meldet sich Sigmar Gabriel mit etwas ungewohntem Pathos auf Twitter, um zu verkünden, dass er etwas Großes tun werde; ja, er, der alte Transatlantiker, werde seinen Kindern sein Wissen weitergeben, so wie es einst die indigenen Völker Nordamerikas mit ihren Nachkommen taten."
Zu Winnetou also. Sie nennt die dahinterstehende Motivation "Trotzstolz". Ein wichtiger Aspekt des Trotzstolzes sei, schreibt sie, "dass er genau das kanalisiert, was er anderen vorwirft: eine Reaktion aus verletzten Gefühlen heraus".
Hier noch einmal die Frage von Petra Pinzler: Stimmen die Prioritäten in der öffentlichen Debatte eigentlich noch? Twittern Sie Ihr Gefühl dazu am besten unter dem Hashtag #prioritätengate.
Der Name der finnischen Regierungschefin Sanna Marin fällt auch in El-Ouassils Kolumne. Geht wohl nicht anders: Partygate gibt's ja auch noch (Altpapier vom Mittwoch), denn die Frau hat privat ausgelassen getanzt, obwohl sie regiert, wurde dabei gefilmt und der Film dann geleakt. Man kann auch hier die Frage nach den Prioritäten stellen, was die "FAZ" auf der Medienseite auch tut (wo neben vielen anderen auch unser MDR mit einer Verteidigung seines ARD-"Brisant"-Beitrags über das geleakte Tanzvideo zitiert wird: Man "habe die weltweite Debatte um die Party aufgegriffen und eingeordnet").
Hinnerk Feldwisch-Drentrup schließt seinen "FAZ"-Text jedenfalls mit der Mutmaßung, Moskau dürfte "sich über den Aufreger gefreut haben: Dass nach Aussage des finnischen Verteidigungsministeriums russische Kampfjets vergangene Woche offenbar finnischen Luftraum verletzt haben, ging im Vergleich zum Partyvideo weitgehend unter."
Altpapierkorb (NDR Kiel, "Riverboat", Programmkosten)
+++ Michael Hanfeld greift auf der "FAZ"-Medienseite die gestern hier verlinkten "Business Insider"-Recherchen auf, in denen es um den Vorwurf geht, beim NDR in Kiel werde ein "politischer Filter" benutzt, mit dem Berichterstattung teilweise verhindert werde. "Aus Sicht des Senders", so Hanfeld, "gehe es hier 'um eine unterschiedliche journalistische Bewertung einer tagesaktuellen redaktionellen Entscheidung'."
+++ Während über die Möglichkeit einer Fusion von MDR und RBB geschrieben wird (siehe wiederum das Altpapier vom Donnerstag), trennen sich die beiden ARD-Anstalten im Kleinen erst einmal: Der RBB steige aus der gemeinsam produzierten wöchentlichen Talkshow "Riverboat" aus, wurde gestern per Pressemitteilung berichtet und etwa von dwdl.de gemeldet. Begründet wird das Ende der Kooperation vom RBB damit, "dass die Zuschauerinnen und Zuschauer des rbb Fernsehens das Angebot nicht so angenommen haben, wie wir uns das erhofft hatten".
+++ Das "Bildblog" greift eine "Bild"-Meldung auf, derzufolge ARD, ZDF und Deutschlandradio "weniger als die Häflte ihres Budgets fürs Programm" verwenden würden. Leonard Novy twitterte dieser Tage Ähnliches. Nicht berücksichtigt sei dabei allerdings, so das "Bildblog", dass auch das Personal (für das Kosten entstehen, die im zitierten KEF-Bericht nicht unter Programm-, sondern unter "Personalkosten" aufgeführt würden) Programm mache.
Neues Altpapier gibt es am Montag. Schönes Wochenende!
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