Das Altpapier am 19. August 2022 Die neuen Kleider der Intendantin
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19. August 2022, 11:33 Uhr
Der RBB verspricht radikale Transparenz, liefert aber dann doch wieder Salami. Liegt das vielleicht auch an einem Phänomen, das man aus einem Märchen kennt? Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Überzeugungen und Erklärungskrücken
Für eine halbstündige Sondersendung über die Korruptionsvorwürfe beim RBB hat das NDR-Medienmagazin "Zapp" eine Panorama-Anmoderation von Patricia Schlesinger aus dem Jahr 1998 ausgegraben, mit der auch ein Beitrag über ihren eigenen Fall beginnen könnte. In dem knapp 20-sekündigen Ausschnitt sagt sie:
"Großzügige Regelungen führen ja bekanntlich weniger zur demütigen Dankbarkeit der Nutznießer, sondern vielfach zu Missbrauch. Üppige Spesen und Reisekostenregelungen, sehr gute Arbeitsbedingungen mit vielen Möglichkeiten. So ganz nebenbei noch Geld zu machen, all das reizt, immer mehr herauszuschlagen – erst recht, wenn es niemand kontrolliert."
Zu denen, die kontrollierten oder hätten kontrollieren sollen, zählten bis vor ein paar Tagen vor allem Gremien aus Ehrenamtlichen. Mittlerweile scheint klar, dass es hilfereich gewesen wäre, wenn man auch sie etwas besser kontrolliert hätte. Das übernimmt nun eine mobile Universalkontrollinstanz, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn irgendwo Probleme zum Vorschein kommen: der Journalismus.
Erst dieser grelle Lichtkegel, der seit einigen Tagen in den Sender fällt, macht die internen Überzeugungen und Erklärungskrücken sichtbar, mit denen die Beteiligten sich untereinander die Praxis schöngeredet haben. Hätte intern jemand das Boni-System kritisiert, wäre schon dessen Existenz in Frage gestellt worden, und zwar von der gesamten Führungsriege, wie sich in dieser Woche gezeigt hat.
RBB-Chefredakteur David Biesinger sagte vor zehn Tagen in der RBB24-Abendschau: "Ich kriege keine Boni." Das sei ein großes Missverständnis, es gehe lediglich um leistungsabhängige Gehaltsanteile. Interimsintendant Hagen Brandstäter hatte am Dienstag im brandenburgischen Landtag gesagt, es gebe kein Bonussystem, es gebe lediglich außertarifliche Arbeitsverträge. Diese Erzählung, mit der das Bonus-System implementiert wurde, war so stark, dass dem Eindruck nach kaum möglich gewesen wäre, sie von innen aufzubrechen.
Als sie zerbrach, ging es plötzlich ganz schnell. Einen Tag nach der Landtagssitzung sagte Brandstäter in der Sendung "RBB-Spezial der Talk":
"Wir sind uns in der Geschäftsleitung einig, dass dieses System der leistungsorientierten Vergütung für die Führungskräfte keine Zukunft mehr hat."
Kommunikationsfaden abgerissen?
Die Veröffentlichungen aus den vergangenen Tagen geben zumindest in Teilen Antworten auf Fragen, die sich im Sender nun viele stellen.
RBB-Sprecher Justus Demmer sagt in der "Zapp"-Sondersendung, man frage sich, ob der Kommunikationsfaden irgendwann abgerissen sei, also der Faden zur Führung. Die Personalratsvorsitzende Sabine Jauer stellt im gleichen Beitrag die Frage, wie man damit umgeht, wenn sich ein Machtgefüge aufbaut und abschottet. Im Nachhinein wird vieles offenbar. Das große Problem war anscheinend, überhaupt erst einmal zu merken, dass es zwei Welten gibt, von der eine abgeschottet war.
Die Meldungen der vergangenen Tage klingen, als hätten die Erzählungen der Führung funktioniert, weil sie plausibel klangen.
Ein Hinweis darauf wäre, dass Biesinger und Brandstäter sich mit diesen Erklärungen auch öffentlich auch dann noch verteidigten, als vieles schon auf dem Tisch lag. Möglicherweise fiel ihnen die Absurdität ihrer Wortklaubereien gar nicht auf.
In solchen Fällen gibt es sehr oft Erzählungen, die eigentlich offensichtliche Widersprüche überdecken. Und solange keine Zweifel zu erkennen sind, fallen die Widersprüche nicht auf, weil ein Grundvertrauen schnell zu dem Gedanken führt: Das wird schon alles seine Richtigkeit haben.
Man muss es für möglich halten, dass die Beteiligten, auch Schlesinger selbst, ihre eigenen Erklärungen geglaubt haben.
Der teure Dienstwagen? War für den Sender doch günstig. Die üppigen Abendessen? Sollten den RBB in der Gesellschaft verankern. Der Luxus in der Chefinnen-Etage? Es muss doch auch ein bisschen vorzeigbar sein.
Die Geschichte wäre dann die aus dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider".
Der übliche Standardfehler
Im Ergebnis ist es egal, ob die Führung ihre Erklärung selbst geglaubt hat. Aber dieses Details könnte hilfreich sein, um die Frage zu beantworten, wie das System sich so lange halten konnte. Die Recherche-Teams tragen nun Informationen zusammen, die nicht nur veröffentlicht, sondern auch umgedeutet werden müssen.
Das hat zum Beispiel Steffen Grimberg, DJV-Vorsitzender in Berlin-Brandenburg und Kollege in der MDR-Medienredaktion MEDIEN360G, unserem Altpapier-Host, in der "Zapp"-Sondersendung getan. Dort sagt er:
"Man kann sagen, wir hatten sie doch gerade als 'Panorama'-Chefin. Sie weiß doch, also so was hätte sie früher nie durchgehen lassen, so was Windelweiches: Einige hätten das als privat sehen können, beim Dienstwagen 70 Prozent Rabatt. Wenn ich 70 Prozent Rabatt auf irgendwas bekomme, ist entweder das Ding Schrott, oder es ist versuchte Bestechung. Das ist auch so eine alte Regel und so ein alter Kaufmannsspruch. Und ich glaube, auch der gesamte Auftritt. Sie hat auch gesagt, es tut ihr so leid, dass das Haus jetzt so Schaden erleidet wegen dieser Verfolgung, die sie da persönlich erleidet. Ich glaube, sie hat immer noch nicht ganz begriffen, was da eigentlich passiert ist, und was sie da angerichtet hat."
Vor allem der letzte Satz ist interessant, denn das könnte sie ja nun wirklich seit Tagen überall lesen, hören und sehen. Es wäre zumindest denkbar, dass sie erkennt, was sie in den Augen vieler Menschen getan hat, auch wenn sie das Ganze anders einschätzt. Sie könnte erkennen, dass ihr Verhalten diese Deutung erst möglich gemacht hat. Und was könnte man dann machen, um zu retten, was noch zu retten ist?
Mit Blick auf andere Fälle, in denen es gelungen ist, ein Image hinterher wiederherzustellen, wäre es ratsam gewesen, die Fehler einzuräumen, ohne einen Nebensatz anzuhängen, der mit "aber" beginnt, und dann sofort zurückzutreten, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen.
In Wirklichkeit passiert in solchen Fällen aber sehr oft etwas anderes, vor allem dann, wenn die Vorwürfe schwerwiegender sind: Es wird nur das zugegeben, was sich wirklich nicht mehr verheimlichen lässt. Dann kommt immer mehr heraus. Alles wird nur noch schlimmer. Und am schlimmsten sind am Ende nicht die Taten selbst, sondern der Umgang mit ihnen.
Wenn man betrunken mit dem Auto gefahren ist wie Margot Käßmann oder beruflich erworbene Bonusmeilen privat in Anspruch genommen hat wie Cem Özdemir, dann gewinnt man möglicherweise am Ende sogar, wenn man unumwunden alles zugibt und zurücktritt.
Wie man Geschichten korrigiert
Bei schwerwiegenderen Vorwürfen ist das nicht so leicht, da ist man relativ gewiss am Ende weg vom Fenster. Und dann sind mehrere Möglichkeiten denkbar.
Eine wäre: Der Person selbst ist relativ klar, dass sie große Fehler gemacht hat, aber sie lebt in der Hoffnung, dass nicht alles rauskommen wird – oder dass ein Geständnis die Konsequenzen verschlimmern könnte. Im Fall von Patricia Schlesinger könnte das mit Blick auf ein Strafverfahren der Fall sein.
Eine andere Möglichkeit ist: Die Person glaubt weiter daran, nachweisen zu können, dass die erhobenen Vorwürfe nicht stimmen.
Das kann sich später als richtig oder falsch herausstellen. Ist es falsch, stellt sich die Frage: Wie konnte es zu dieser Fehleinschätzung kommen?
Ist es richtig, und es handelte sich nicht um Straftaten, entsteht in der Öffentlichkeit eine Dissonanz, denn in diesem Fall spielt sich möglicherweise alles im rechtlichen Rahmen ab, aber die moralischen Bewertungen weichen voneinander ab.
In beiden Fällen geht es am Ende also um unterschiedliche Deutungen und Bewertungen derselben Informationen, kurz: um unterschiedliche Geschichten.
Und damit geht es in der Aufklärung nicht nur darum, Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen – intern war ja vieles ohnehin schon bekannt –, sondern darum, die Geschichte zu korrigieren, in die all diese Informationen eingebettet sind.
Ein Beispiel bringt Aurelie von Blazekovic heute auf der SZ-Medienseite (€). Dort beschäftigt sie sich mit den Gehältern, die der RBB in den vergangenen Tagen veröffentlicht hat (Altpapier), allerdings nur auf öffentlichen Druck hin. Wieder die Salami-Taktik.
Die Gehälter der Intendantinnen und Intendanten waren schon vorher öffentlich bekannt, und die Angaben waren nicht falsch, sondern unvollständig. Patricia Schlesingers Gehalt wurde tatsächlich um 16 Prozent auf 303.000 Euro erhöht. Aber die Boni wurden nicht angegeben. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Hagen Brandstäter oder David Biesinger hier gar nichts verheimlichen wollten, sondern dachten: Das ist alles schon richtig so.
Die Forderung jetzt: Rückzug der Geschäftsleitung
Jan Wehmeyer hat in seiner Recherche für das Magazin "Business Insider" (€) inzwischen noch weitere verschleierte Geldquellen offengelegt, die zeigen, dass Patricia Schlesinger im vergangenen Jahr Leistungen im Wert von knapp 400.000 Euro erhalten hat.
Der Sender hat Schlesingers Bezüge ausgeklammert, als er die vollständigen Gehälter seiner Spitze in dieser Woche offenlegte. Und das ist eine der Stellen, an der Zweifel daran entstehen, ob man tatsächlich darum bemüht ist, vollständige Transparenz herzustellen. Die Begründung lautet: "mit Rücksicht auf Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft", wie Aurelie von Blazekovic in der SZ ausführt. Das ist eine übliche Floskel, um Informationen zurückhalten zu können. Diese Zahl hätte ohnehin öffentlich sein sollen. Es würde die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in keiner Weise behindern, sie jetzt öffentlich zu machen.
Der Eindruck, dass man es mit der Transparenz möglicherweise doch nicht so ganz ernst meint, ist schon vor anderthalb Wochen entstanden, als "Spiegel" und "Business Insider" Informationen zu Schlesingers Reise nach London haben wollte, wie unter anderem Turi2 hier berichtete. Und damit ist unweigerlich auch ein anderer Eindruck entstanden – nämlich der, dass der Sender seinem eigenen Rechercheteam möglicherweise einen Vorteil verschaffen möchte, denn die Darstellung der eigenen Leute ist ja vielleicht doch etwas wohlwollender.
Hier geht es, wie in der Sache selbst, nicht unbedingt um belegbare Tatsachen, sondern um Eindrücke, die schwer widerlegbare Motive möglich erscheinen lassen. All das lässt sich nur auf eine Weise zerstreuen.
Dagmar Bednarek, Sprecherin der Freienvertretung, sagt in dem "Zapp"-Beitrag:
"Der einzige Weg da heraus ist schonungslos, wirklich schonungslos alles aufdecken und auch in einer Schärfe, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer merken: Uns ist es wirklich total ernst."
Was das heißen wird, deutet sich bereits an. Lutz Ohemichen, beratendes Mitglied im RBB-Rundfunkrat, sagt in dem "Zapp"-Beitrag:
"(…) die Belegschaft erwartet ja jetzt nicht nur die Abberufung der Intendantin. Viele fordern ja auch, noch mal über unsere Geschäftsleitung nachzudenken – sie fordern den Rückzug unserer Geschäftsleitung."
Je mehr nicht nur über die Vorgänge, sondern auch über die Denkweise in der RBB-Führungöffentlich wird, desto mehr zeigt sich: Es wird gar keine andere Möglichkeit geben, als nach einem Übergang, in das gegenwärtige Personal alles vorbereitet, mit einer neuen Führung zu starten.
Mit dieser Erkenntnis wird es aber möglicherweise so sein wie vielem, was in den letzten Wochen zu größeren Konsequenzen geführt hat: Sie wird etwas Zeit brauchen.
Altpapierkorb (Reliable Sources, RTL-Chaos, Welt, ORF, Radiopreis, SWR-Podcast-Debakel)
+++ CNN setzt die seit 30 Jahren laufende Show "Reliable Sources" ab, Moderator Brian Stelter verlässt den Sender, schreibt Benjamin Mullin in der New York Times. Stelter ist trumpkritisch und eher liberal, der Sender will aber offenbar für Republikaner interessanter werden. "Die Verantwortlichen der neuen Muttergesellschaft von CNN, Warner Bros. Discovery, haben jedoch angedeutet, dass sie wollen, dass das Programm des Senders mehr direkte neue Berichte und weniger meinungsstarke Beiträge von Moderatoren enthält. David Zaslav, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, hat gesagt, er wolle einen Sender für Republikaner und Demokraten gleichermaßen." Die letzte Show läuft am Sonntag.
+++ Nach dem Rauswurf von RTL-Deutschland-Chef Stephan Schäfer (Altpapier gestern) berichtet das "Manager Magazin" (€), Bertelsmannchef Thomas Rabe habe bei RTL ein Führungschaos angerichtet. Marc Bartl liefert für "Kress" eine Zusammenfassung.
+++Etablierte Medien wie "Die Welt" ließen dank "eines falsch verstandenen Neutralitätsbegriffs (…) Falschaussagen kommentar- und kontextlos" stehen und verstünden das "als ein Zeichen besonderer Objektivität", schreibt Annika Brockschmidt in einem Gastbeitrag für den Blog "Volksverpetzer".
+++ In Österreich will die liberale Partei Neos das Online-Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschränken, sagt die Abgeordnete Henrike Brandstötter im Interview mit Stephan Löwenstein für die FAZ-Medienseite (€). Orientieren wollen sie sich dabei an Deutschland. Henrike Brandstötter: "Ich bin der Meinung, dass sie radikal zusammengestutzt werden muss. Sie darf nur mehr – wie in Deutschland gesetzlich vorgesehen – die eigenen Programme bewerben, aber kein presseähnliches Produkt mehr erzeugen. Damit kann der ORF meiner Ansicht nach seinem Auftrag mehr als gerecht werden. In seiner jetzigen Form sollte ORF.at abgedreht werden."
+++ Die Liste der Nominierungen für den Deutschen Radiopreis ist vollständig, berichtet unter anderem Alexander Krei für DWDL.
+++ Springer meldet Rekordumsätze und einen Milliardengewinn und startet gleichzeitig ein Sparprogramm, meldet Marvin Schade für den "Medieninsider (€).
+++ Der missglückte Versuch, mit der Journalistin Melina Borčaküber ihre Kritik am SWR-Podcast "Sack Reis" zu sprechen (Altpapier gestern) war auch in den Augen von Michael Hanfeld "ein Desaster". Auf der FAZ-Medienseite, auf der heute wieder mal keine Chance ungenutzt bleibt, den öffentlich-rechtlichen Sendern einen mitzugeben, schreibt Hanfeld (€): "So kam es zum Super-GAU, von dem Melina Borčaks Satz hängenbleibt, der SWR sei 'nicht mehr zu retten' und verspiele das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zustimmung an dieser Stelle." Das Podcast-Format pausiert jetzt erst einmal, bis die Verantwortlichen das Buch "So gehe ich mit Kritik um – für Anfänger" gelesen haben. Hanfeld: "Die Pause darf gern länger dauern."
+++ In der Serie "Spezialauftrag" berichtet David Pfeifer auf der SZ-Medienseite (€) über einen philippinischen Beauty-Reporter.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.
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