Das Altpapier am 11. August 2022 Wenig Luft nach unten
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11. August 2022, 12:03 Uhr
Der Fall Schlesinger ist für die Öffentlich-Rechtlichen auch eine Chance. Sie können zeigen, was sie besser machen als private Medien – wenn es denn gelingt. Der WDR könnte erst einmal zeigen, dass seine Gremien sich überhaupt für Transparenz interessieren. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Kann der RBB Transparenz?
Inzwischen geht es auch noch um eine Reise nach London. Der "Spiegel" berichtet von einem dreitägigen "Wochenendtrip", unter anderem zu einem Charity-Event mit Drei-Gänge-Menü und Tanz, zu dem Patricia Schlesinger sich von ihrem Mann begleiten ließ.
"Innerhalb des Senders stellt man sich nun nachträglich die Frage, welchen dienstlichen Anlass es eigentlich für die mutmaßlich vom Rundfunk Berlin-Brandenburg bezahlte Reise gab",
schreibt der "Spiegel". Und wahrscheinlich ist das nicht der letzte Termin im Kalender von Patricia Schlesinger, bei dem man sich in den nächsten Wochen die Frage stellen wird, ob das jetzt Arbeit war oder doch eher vom Sender mitfinanziertes Vergnügen.
RBB-Chefredakteur David Biesinger hat ein fünfköpfiges Investigativ-Team eingesetzt, das der Sache jetzt nachgehen und herausfinden soll "wo etwas dran ist und wo nicht", berichtet der Sender selbst. Das geht ungefähr in die Richtung einer Forderung, die Daniel Fiene in einem Kommentar beim RBB-Sender "radio eins" formuliert. Er erinnert daran, wie der "Spiegel" das Problem gelöst hat, das mit der Münchhausen-Affäre aka dem Fall Relotius über das Magazin hereinbrach, nämlich mit einer externen Untersuchungskommission, die das Haus von innen durchleuchtete.
Ob das nötig werden wird, hängt auch davon ab, wie die nächsten Wochen verlaufen. Wenn sich zeigt, dass der Sender selbst in der Lage ist, so viel Transparenz herzustellen, dass die offenen Fragen zufriedenstellend beantwortet werden, kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigen, was ihn von vielen privaten Medien unterscheidet.
Im besten Fall wird herauskommen: Er ist in der Lage, sich auch mit sich selbst so kritisch auseinanderzusetzen, dass es für die Menschen an der Spitze, die den Auftrag zur Untersuchung geben, schmerzhaft wird.
Zu so etwas fehlt in vielen privaten Medien die Bereitschaft. Als die "Bild"-Zeitung, die zu den schärfsten Kritikern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählt, vor Jahren einen Ombudsmann einsetzte, geriet der sehr schnell zur Parodie eines Ombudsmannes, weil er so gut wie immer feststellte: Die Redaktion hat alles richtig gemacht.
Als Stefan Niggemeier vor elf Jahren zum "Spiegel" ging, um der Redaktion bei der Arbeit auf die Finger zu schauen, kam zwei Jahre später die Meldung, dass er das Haus wieder verlässt. In einem Blogpost schrieb er: "Es hat einfach nicht richtig gepasst."
Viele Medienseiten in Zeitungen sind verschwunden, eingedampft worden oder zu Abladehalden für TV-Ankündigungen degeneriert. Mit der eigenen Branche oder gar dem eigenen Haus beschäftigt man sich ungern kritisch. Könnte ja sein, dass es dem Geschäft schadet.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann das anders sein. Auch unsere kleine Altpapier-Kolumne beschäftigt sich immer wieder kritisch mit den Dingen, die bei unserem Gastgeber, dem MDR, nicht ganz so gut laufen. Und dabei kämpfen wir nicht gegen Widerstände. Das ist so gewollt und so vereinbart.
Die Frage ist: Gelingt so etwas auch im Fall Schlesinger? Die RBB-Moderatorin Sarah Oswald hat am Montag in der Abendschau in ihrem Interview mit dem eigenen Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus gesagt:
"Es fällt uns nicht leicht, eine Berichterstattung herzubekommen. Weil diese Transparenz, die Sie uns versprechen, die gibt es einfach nicht."
Das müsste sich nun ändern, denn falls in den kommenden Wochen auch nur an einer Stelle der Eindruck entsteht, die RBB-Leitung versuche die Aufklärung zu verhindern, wird nicht nur weiteres Vertrauen in den Sender verloren gehen. Dann entstehen auch Zweifel am bislang von der Affäre unbeeinträchtigten Journalismus.
Endet der tiefe Fall weich in Geldscheinen?
Im einen Strang der Berichterstattung über den Fall Schlesinger geht es um den Umfang der weiterhin mutmaßlichen Verfehlungen und damit um das Ausmaß der ganzen Affäre.
Das ist unter anderem wichtig, um eine Frage zu beantworten, die Christian Bartels im Altpapier gestern bereits thematisiert hat: Endet der tiefe Fall von Patricia Schlesinger weich in einem großen Becken voller Geldscheine? Also: Bekommt sie eine üppige Abfindung?
Sie selbst rechnet offenbar damit – wie sie ja auch vor wenigen Tagen noch mit einem üppigen Aufschlag von 16 Prozent auf ihr Gehalt rechnete, dann allerdings großzügig einräumte, darüber könne man ja noch mal reden. Jetzt schreibt sie in einer hier gestern zitierten E-Mail, man könne über ihre Kündigungsfrist sprechen, die ihr eigentlich noch sechs Monate im Sender sichern würde. Und hier wiederholt sich möglicherweise etwas, das in solchen Fällen immer wieder zu beobachten ist.
In Rückzugsgefechten bewegen sich die sich Zurückziehenden oft in dem Irrglauben nach hinten, sie könnten Zugeständnisse machen, um doch noch ein paar Gebiete zu retten.
Erst zeigte Schlesinger die Bereitschaft, auf ihre Gehaltserhöhung zu verzichten, dann gab es sie nur den ARD-Vorsitz ab, blieb aber RBB-Intendantin. Nun bietet sie an, ihre Kündigungsfrist zu verkürzen. Am Ende wird sie möglicherweise einfach eine fristlose Kündigung in ihrem mutmaßlich handgeklöppelten Briefkasten finden.
Das fordern mittlerweile so einige, unter anderem der brandenburgische CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Er hat einen Satz gesagt, der heute an vielen Stellen zitiert wird, unter anderem von Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite (€). Der Satz lautet:
"Ein goldener Handschlag zulasten der Beitragszahler erscheint in dieser Situation nicht vermittelbar."
Am Dienstag wird sich der Rundfunkrat zu einer Sondersitzung treffen, um unter anderem über die Frage zu sprechen.
In der Frage, wer das 17.000 Euro teure vorgeölte italienische Parkett in der Masurenallee übernehmen soll, sind sich CDU und Linkspartei ausnahmsweise einig, zumindest in einem Punkt: Es soll ein Ostdeutscher oder eine Ostdeutsche werden. Nach den Vorstellungen der CDU soll dann auch gleich der ARD-Vorsitz an die Nachfolgerin oder den Nachfolger übergehen, schreibt Hanfeld.
Unabhängigkeit gegenüber dem Sender
In einem zweiten Strang der Berichterstattung geht es um die Strukturen, die Kontrollorgane und die übergeordnete Dimension der Affäre Schlesinger. Einer der interessantesten Beiträge dazu ist ein Interview mit Leonard Novy, dem Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, mit Tran Anh für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres".
Novy sagt unter anderem:
"(…) es ist eben auch so, dass wir hier nicht mehr nur über Compliance und Kontrolle von Finanzgebaren und Mittelverwendung reden, sondern wir reden ja über die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen insgesamt."
Und er sagt:
"Ich glaube, wir kommen nicht um eine grundsätzliche Reform dieses Systems herum."
Für die strukturellen Probleme sieht er
"ein ganzes Bündel von Ursachen, die auch was mit einer einfachen Überforderung dieser Gremien zu tun haben, mit Fragen des Selbstverständnisses und der Kapazitäten, die diese Gremien zur Verfügung haben, ihren Aufgaben da nachzukommen."
Der "springende Punkt" sei die Frage, ob in den Gremien die richtigen Personen sitzen – ob es eine Professionalisierung brauche oder ob es nicht genau richtig sei, dass diese Gremien vor allem aus Amateuren bestehen.
Nach Einschätzung von Novy brauchen die Gremien vor allem größere personelle und finanzielle Kapazitäten, die es ihnen erlauben, sich Expertisen von außen einzuholen. Das Ziel ist laut Novy
"ein größeres Selbstbewusstsein, auch eine Unabhängigkeit nicht nur gegenüber dem Staat, sondern eben auch gegenüber den Sendern".
Und das führt zu einem wichtigen Punkt, denn diese Gremien sind laut Novy
"eben keine bürokratische Formalie (…), sondern sie sind das wesentliche Unterscheidungsmerkmal öffentlich-rechtlicher Medien. Sie sind, wenn man so will, ein Pfund in der sich verändernden Beziehungswelt zwischen zwischen Medien und Gesellschaft. Es ist eben nicht so, wie Günther Jauch damals gesagt hat, als er sich geärgert hat über die Gremien, dass das alles Gremlins sind. Sie sind zwar auch nicht die Parlamente der öffentlich-rechtlichen Sender, weil sie nicht direkt gewählt sind, aber sie erfüllen diese Funktion."
Und hier ein Hinweis, falls Sie uns regelmäßig lesen: Die euphemistische Formulierung "Parlamente der Sender" habe ich selbst fälschlicherweise auch schon übernommen, was Christian Bartels zu Recht kritisiert hat.
Novy macht einen Vorschlag dazu, wie man die Gremien auf andere Weise zusammensetzen könnte – vielleicht so, dass sie die Gesellschaft besser abbilden, als wenn lobbystarke Interessengruppen alles unter sich ausmachen. Man könnte die Sitze zum Beispiel verlosen, schlägt Novy vor (Gewinne, Gewinne, Gewinne). Für dieses Verfahren gibt es durchaus Beispiele, etwa die sogenannten Bürgerräte, deren Aufgabe sich zwar nicht mit den öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien vergleichen lässt, was aber nicht ausschließt, dass man von ihnen etwas lernen kann.
Das wäre allerdings ein eher langfristiger Plan. Kurzfristig geht es um etwas anderes. Novy: "Radikale Aufklärung, radikale Transparenz."
Transparenz beim WDR: ausbaufähig
Helmut Hartung schreibt auf der FAZ-Medienseite (€) über die Vorschläge des früheren FDP-Innenministers Gerhart Baum und des Medienrechtlers Jürgen Bremer, zweier Rundfunkräte. Sie fordern in einem Appell am Beispiel des WDR eine Reform der Aufsichtsgremien. Und an diesem Beispiel werden auch die Unterschiede innerhalb der Sender sehr deutlich.
Das ZDF setze die im Staatsvertrag vorgesehenen Transparenzregeln "vergleichsweise kompromisslos" um. Der ZDF-Verwaltungsrat veröffentliche auch Zusammenfassungen der Sitzungen des nicht-öffentlich tagenden Verwaltungsrats. Die Protokolle seien ausführlich. In ihnen gehe es auch um Personalentscheidungen und die Vergütung des Spitzenpersonals. All das gebe es beim WDR nicht. Die Arbeit des WDR-Verwaltungsrats
"bleibe eher im Verborgenen. Selbst der Rundfunkrat erfahre nicht, was in dem Gremium verhandelt werde. Auch Entscheidungen über Spitzenpersonal im Programm erfahre der Rundfunkrat meistens aus der Presse. Die Transparenz sei beim WDR-Rundfunkrat deshalb ausbaufähig. Er veröffentlicht gerade so viel, um den gesetzlichen Transparenzvorschriften noch zu genügen".
Und das ist noch nicht alles.
"Diese Zurückhaltung übe der Rundfunkrat im Übrigen nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegen sich selbst. So verzichte er auf Protokolle von Präsidiumssitzungen. Die Öffentlichkeit erfahre nicht, wann das Spitzengremium des Rundfunkrats tage, kenne weder dessen Tagesordnung noch die Themen. Protokolle der Gremienvorsitzendenkonferenz werden dem WDR-Rundfunkrat nicht vorgelegt."
Das klingt, als wäre hier in Sachen Transparenz, um es mal so zu sagen, sehr wenig Luft nach unten. Aber das bedeutet ja auch: Schnelle Erfolge wären möglich, sofern man das will. Ich bin ja vorsichtig mit Prognosen, aber eine würde ich schon wagen: Über die Kontrollgremien des Westdeutschen Rundfunks werden wir noch reden.
Altpapierkorb (Edition F, Antonia Rados, Maja Göpel, Chatkontrolle)
+++ Das Magazin "Edition F" ist pleite, schreibt der Braanchendienst Meedia. Die Gründe sind laut dem Magazin "die immens gestiegenen Kosten für unsere Events" sowie "kleinere Budgets langjähriger Partner".
+++ Die RTL-Kriegsreporterin Antonia Rados geht in den Ruhestand, war offenbar nicht sicher, ob es gut sei, zu diesem Anlass ein Interview zu geben ("Sie standen einem Interview erst skeptisch gegenüber"), hat es dann aber doch gemacht und mit Claudia Tieschky für die Süddeutsche (€) unter anderem über ihren Beruf gesprochen sowie über die Trennlinie zum Aktivismus. Sehr lesenswert. Unter anderem sagt sie: "Ich verstehe Aktivismus, aber das ist nicht dasselbe wie der Beruf des Reporters. Aktivismus ist eine Berufung. Ich hingegen war immer am zufriedensten, wenn ich es geschafft hatte, alle Wirklichkeiten abzubilden, alle Seiten zu hören, nicht meine Meinung zu sagen. So verstehe ich meine Arbeit, so habe ich das Handwerk in Redaktionen gelernt."
+++ Stefan Willeke wirft der Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel in der "Zeit" (€) vor, verschwiegen zu haben, dass sie ihr Buch zusammen mit einem Ghostwriter geschrieben hat. Göpel widerspricht in einem Twitter-Thread. Bei Veranstaltungen haben sie regelmäßig erzählt, wie ein Journalist ihr geholfen habe. Das habe sie Willeke auch gesagt. Nach ihrer Darstellung lag es – so verstehe ich den Tweet – an ihrem Ghostwriter Marcus Jauer, dass sein Name nicht in dem Buch auftauchte. Sie haben ihn "mehrfach darum gebeten (…), dass seine Mitarbeit im Buch angegeben wird". Außerdem schreibt sie: "Es befinden sich noch weitere, handfeste Unwahrheiten im Artikel, gegen den wir rechtlich vorgehen werden."
+++ Die Europäische Union will auf der Suche nach Videos und Bildern von Kindesmissbrauch auch private Chats scannen lassen (Altpapier). Die Kritik daran ist: Wenn es sie gibt, wird man die Möglichkeit auch zu anderen Zwecken nutzen, und enden wird das in einer Überwachungsorgie. Berlin hat jetzt einen Katalog mit 61 Fragen nach Brüssel geschickt, berichtet Christoph Koopmann für die SZ. Aus ihm geht hervor: Für ganz ausgereift hält man die Pläne noch nicht.
Neues Altpapier gibt es am Freitag.
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