Das Altpapier am 26. Juli 2022 EU unterstützt Journalisten-Überwachung
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26. Juli 2022, 10:20 Uhr
Ein Jahr nach den Enthüllungen weltweiter staatlicher Ausspähungen von Journalisten-Telefonen gibt es jetzt neue Recherchen zum Thema. Außerdem: Ein FAZ-Gastbeitrag malt ein düsteres Szenario für die "Pressefreiheit im Internet" aus. Ein Altpapier von René Martens.
Besorgniserregende Spähangriffe
Klingelt noch etwas bei dem Begriff Pegasus? Im Juli 2021 brachte die Arbeit eines internationalen Recherchekonsortiums, an dem in Deutschland NDR, WDR und SZ beteiligt waren, ans Licht, wie mit Hilfe dieser Überwachungs-Software weltweit die Smartphones unter anderem von Journalisten ausgespäht worden waren (siehe Altpapier).
Ein Jahr später tritt beim Thema staatliche Smartphone-Ausforschung wieder ein internationaler Rechercheverbund (wenn auch ein wesentlich kleinerer) in Aktion: Der "Spiegel" (€) und die französische Medienorganisation "Disclose" dokumentieren nun, dass die EU dem autoritären Regime in Marokko Ausspähsoftware liefert - "angeblich im Kampf gegen irreguläre Migration" bzw. "for the official purpose of combatting 'irregular migration'”, wie es in den jeweiligen Vorspännen heißt. Dass die französischen Kolleginnen und Kollegen den framenden Begriff in Anführungszeichen setzen, verdient natürlich Erwähnung.
Konkret geht es um Folgendes:
"Brüssel (stellte) den marokkanischen Behörden 2019 Überwachungstechnologie zur Verfügung, die den Zugriff auf sichergestellte Telefone ermöglicht",
schreibt der "Spiegel". Beim Stichwort "sichergestellte Telefone" muss man kurz noch einhaken: Die "Disclose"-Autoren bemerken, dass der Unterschied zwischen Pegasus und den neu gelieferten Programmen (namens Detective und XRY) darin besteht, dass es bei letzteren "notwendig ist, physischen Zugriff auf die anvisierten Mobiltelefone zu erlangen".
Insgesamt "knapp ein Dutzend Journalisten und Aktivisten" hätten den Recherchepartnern "von Schikanen durch die Behörden" berichtet, schreibt der "Spiegel". Weiter heißt es:
"Sie sprechen von Spähangriffen, Verleumdungskampagnen, Übergriffen – alle geben an, dass die marokkanischen Behörden versucht hätten, Zugriff auf ihr Handy zu erlangen. Auch Organisationen wie Human Rights Watch werfen dem Königreich Menschenrechtsverletzungen vor."
Edin Omanovic von der Menschenrechtsorganisation Privacy International wird zu den Vorgängen wie folgt zitiert:
"In einem Umfeld, in dem Sicherheitsbehörden Menschenrechtsverteidiger und Journalisten gezielt angreifen, ist das umso besorgniserregender."
In der vergangenen Woche hat im Übrigen die Organisation Forbidden Stories, die damals die Recherchen zur Spähsoftware Pegasus koordinierte, eine Bilanz anlässlich des Jahrestag der Veröffentlichungen publiziert. In dem Beitrag heißt es unter anderem:
"Insgesamt wurden bis heute Beweise für Pegasus-Angriffe in den Telefonen von mehr als 300 Menschen (…) auf vier Kontinenten gefunden, darunter mehr als 110 Journalisten."
Pressefreiheit in den Händen der Plattformen
Wären wir jetzt bei Twitter, müsste das Folgende so eingeleitet werden: CN Z-Wort. In einem FAZ-Gastbeitrag (der bei Blendle für 75 Cent zu haben ist) kommt Christoph Fiedler jedenfalls nicht ohne das Z-Wort aus, um die aus seiner Sicht dramatischen Folgen des Digital Services Act (der im Altpapier schon häufig Thema war, zuletzt hier) auszumalen.
Der FAZ-Gastautor ist Geschäftsführer für den Bereich Europa- und Medienpolitik beim Medienverband der freien Presse MVFP, dem noch jungen Nachfolger des VDZ (der der Altpapier-Leserschaft vertrauter sein könnte). Während beispielsweise Andrian Kreye vor einem Vierteljahr in der SZ noch Anerkennendes schrieb ("Kein Grundgesetz des Internets, aber eine Magna Charta", siehe auch Altpapier), steht bei Fiedler das größtmögliche Gegenteil:
"Das Gesetz verpflichtet die Plattformen nicht nur zu Maßnahmen gegen rechtswidrige Presseartikel. Es ermächtigt sie mit der 'Moderation von Inhalten' auch zur Sperrung oder sonstigen Ahndung rechtmäßiger Artikel wegen Unvereinbarkeit mit ihren engeren allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Nicht die allgemeinen Gesetze, sondern die Auffassungen von Facebook & Co. von dem, was schädlich, unangemessen, unsittlich oder Desinformation ist, bestimmen dann die Grenzen der Berichterstattung. Der EU-Gesetzgeber legt die Pressefreiheit im Plattforminternet in die Hände des Managements der Plattformmonopole."
Und die Redaktion macht das mit der Überschrift dann noch eine Nummer größer: "Das Digitalgesetz der EU vernichtet die Pressefreiheit im Internet."
Altpapierkorb (Update zur Vetternwirtschaftsverdachts-Affäre, "Die Gier nach Meer", erfolglose britische Fox-News-Kopie)
+++ Die gerade erwähnte FAZ bringt heute ihre Leserschaft außerdem auf den aktuellen Stand in der Vetternwirtschaftsverdachts-Affäre beim RBB. Michael Hanfeld geht dabei sowohl auf die Kritik ein, die der Organisation der frei Mitarbeitenden an der Kommunikationsstrategie von Intendantin Patricia Schlesinger üben (Altpapier von Montag), als auch auf ein seit vergangenem Donnerstag die Runde machende Schreiben, in dem die Abgeordneten des Landtags in Potsdam von den Verantwortlichen schriftliche Aufklärung fordern.
+++ Der Filmemacher Michael Stocks war mit einem Team wochenlang bei einer außergewöhnlichen Tiefsee-Expedition im Pazifik dabei. Resultat der Reise mit dem Forschungsschiff: der rund eineinhalbstündige Film "Die Gier nach Meer", der heute bei Arte zur Prime Time zu sehen ist. Der "Tagesspiegel" schreibt dazu: "'Die Gier nach Meer’ zeigt letztlich auf, dass der Mensch sich selbst buchstäblich das Wasser abgräbt, dass er, nur um des kurzfristigen vermeintlichen Fortschrittes wegen, sich selbst langfristig seiner eigenen Lebensgrundlagen systematisch und unumkehrbar beraubt. So ist dieser betont nüchtern gehaltene, faktenreiche und seltene Bilder enthaltende Dokumentarfilm in seiner Wirkung durchaus ernüchternd, vielleicht auch deprimierend. Denn der Fortgang der industriellen Ausbeutung scheint selbst in der unerforschten, mystischen Tiefsee unaufhaltsam. Er wird auch hier irreversible Schäden anrichten."
+++ Über die schwache Resonanz für den neuen rechten Sender Talk TV in Großbritannien berichtet die "Süddeutsche Zeitung" heute recht ausführlich: "Rupert Murdoch, der doch schon 91 Jahre alte Medienmogul, hatte Talk TV Ende April gestartet, weil er offenbar glaubte, das Land brauche noch eine Fox-News-Kopie: einen Sender für die eher rechtsgerichtete, konservative Zielgruppe der Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Leute. Er verpflichtete Piers Morgan als Gesicht des Senders, denn Morgan gehört zu den bekanntesten Fernsehfiguren des Landes, außerdem ist er Kolumnist bei den Murdoch-Blättern 'The Sun' und 'New York Post'. Sein Gehalt soll Berichten zufolge bei insgesamt 50 Millionen Pfund für drei drei Jahre liegen.(…) Das Konzept unterscheidet sich kaum vom Konkurrenten GB News, der vor etwas mehr als einem Jahr auf Sendung ging. Dass beide Sender die gleiche und eher kleine Zielgruppe ansprechen, macht die Sache für Talk TV nicht einfacher."
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.
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