Das Altpapier am 24. Mai 2022: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier am 24. Mai 2022 Wenn der Regelbruch zur Normalität wird

24. Mai 2022, 11:51 Uhr

Schürt die Berichterstattung über Affenpocken "Vorurteile, nach denen Schwarze Unheil über andere bringen würden"? Ist der Red-Bull-Konzernchef Dietrich Mateschitz ein "cleverer Österreicher", wie es ein Sportredakteur des MDR gerade formuliert hat? Lohnt sich "Medieninnovationsförderung" für den Staat? Ein Altpapier von René Martens.

Warnung vor Stigmatisierung und Vorurteilen

Zu den typischen Merkmalen der Berichterstattung über Affenpocken (siehe Altpapier von Montag) gehören bisher Abbildungen der Haut Schwarzer Menschen. Immer wieder zu sehen zum Beispiel sind diese Handflächen. Bei eher rechts stehenden Medien darf’s dann auch schon mal ein bisschen mehr sein als Hand-Abbildung.

Unter anderem mit dieser Art von bewusster oder unbewusster Bildpolitik befasst sich David Muschenich in einem taz-Artikel:

"Dass Medien negative Vorurteile schüren können, verdeutlichte die Coronapandemie. Rassismus gegenüber Menschen, die als asiatisch gelesen werden, den gab es auch schon vorher. Aber mit dem Beginn der Pandemie wurde es noch mal schlimmer. Ähnliches befürchtet die Vereinigung afrikanischer Auslandspresse (FPAA) nun für Schwarze Menschen."

Viele Medien bedienten nämlich "Vorurteile, nach denen Schwarze Unheil über andere bringen würden".

Um Stigmatisierung und die Gefahr der Stigmatisierung geht es auch in einem anderen Kontext des Artikels. Muschenich zitiert das Bundesgesundheitsministerium mit folgenden Worten:

"Aktuell scheinen die Risikoexpositionen vorwiegend sexuelle Kontakte unter Männern zu sein. Expositionsorte der in Deutschland bislang bekannt gewordenen Fälle waren Partyveranstaltungen, unter anderem auf Gran Canaria (Spanien) und in Berlin, bei denen es zu sexuellen Handlungen kam."

Wozu der taz-Autor anmerkt:

"Journalist*innen sollten aber vorsichtig sein, wenn sie platt darüber berichten, Sex unter Männern mit Affenpocken in Verbindung zu bringen. Der stellvertretende Direktor des UN-Aids-Projekts UNAIDS warnt davor, dass das schnell in stigmatisierende Rhetorik umschlagen könnte. Neben den generellen diskriminierenden Effekten könnte das die Betroffenen auch davon abhalten, sich im Gesundheitssystem Hilfe zu suchen."

Konkret wegen stigmatisierender Rhetorik kritisiert wurde gerade Leif Erik Sander, Leiter die Infektiologie an der Charité, und zwar wegen eines Statements in der 20-Uhr-"Tagesschau" am Sonntag (ab TC 8:30).

Es sei "schade", dass seine Äußerungen "missverständlich" rübergekommen seien, sagt Sander dazu an einer Stelle - und in einem anderen Tweet, man solle "sich mal klarmachen, dass in diesen Beiträgen einzige Wortschnipsel aus einem längeren Interview herausgeschnitten werden".

Wenn mal wieder der Sportjournalismus versagt

Die überregionalen Entscheidungen im Fußball sind jetzt fast alle gefallen; die letzte der Saison 21/22 fällt heute in Dresden. Bei der Berichterstattung zu einer dieser Entscheidungen hat mal wieder der Sportjournalismus zu einem großen Teil versagt, wie Andrej Reisin bei "Übermedien" kritisiert. Am Samstag gewann RB Leipzig den DFB-Pokal, also das Marketingprojekt eines österreichischen Getränkekonzerns, das im hiesigen Fußball nur Fuß fassen konnte dank der Umgehung aller gültigen Regeln, die vorsehen, dass, wie Reisin betont, "die komplette Übernahme von Vereinen durch Großunternehmen oder Mäzene unterbunden" wird. Der Autor meint:

"Gerade im Rahmen eines planbaren Großereignisses wie des Pokalfinales gäbe es durchaus die Möglichkeit, kritische Beiträge zu planen oder Funktionären und Offiziellen mit kritischen Fragen auf die Nerven zu gehen. Thomas Nowag, der für den Sportinformationsdienst (SID) tätig ist, sagt im Gespräch mit Übermedien dazu: 'Klar ist das enorm schwierig. Aber bei einem Pokalfinale müsste das als Rahmen gesetzt sein. Gerade bei so einem Event, bei der Chance auf den ersten Titel für RB Leipzig, da muss vorher ein Zehnminüter laufen, der das noch mal kritisch nacherzählt.'"

Generalkritik übt Reisin auch:

"Insbesondere diejenigen, die RB und seinen Funktionären nicht nur zum Finale, sondern Woche für Woche den roten Teppich der Live-Berichterstattung ausrollen, müssen sich fragen lassen, woran sie da eigentlich partizipieren. Natürlich können Sportreporter, die Spielberichterstattung machen, nicht jedes Wochenende sagen: 'Das hier dürfte eigentlich gar nicht stattfinden, aber ich sage Ihnen jetzt trotzdem, wie es ausgegangen ist.' Man kann aber beispielsweise darauf verzichten, selbst aktiv eine 'Normalisierung' einzufordern, indem man zum Beispiel über den nach wie vor breiten Protest der Fans anderer Vereine berichtet – anstatt offen oder unterschwellig zu fordern, es mögen sich doch bitte jetzt alle endlich an den Regelbruch gewöhnen. Als würde ein Missstand dadurch besser, dass er einfach immer weiter existiert."

Auch wenn der Missstand in diesem Fall die Existenz eines sogenannten Vereins ist, der in dieser Form gar nicht existieren dürfte, lässt sich der Satz auch auf eine allgemeine Ebene hieven. Solche Art von Gewöhnungs-Berichterstattung gibt es ja auch zu zahlreichen anderen Themen.

Dass "insbesondere der RB-Haussender", also unser MDR, "immer wieder mit kostenloser PR glänzt", erwähnt Reisin auch. Und zitiert in dem Zusammenhang einen, sagen wir mal: bemerkenswerten Kommentar des Kollegen Thorsten vom Wege. Der meinte am Montag feststellen zu können: "Ja, das Geld, das RB einnimmt, geht anderen Vereinen verloren." Als wären die Zuwendungen, die RB Leipzig aus dem Salzburger Firmenhauptquartier erhält, vergleichbar mit Sponsorengeldern.

Im Kommentar findet sich für Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz dann auch noch die Formulierung "cleverer Österreicher". Als würde die systematische Verzerrung des Wettbewerbs dadurch besser, dass ihr vermeintlich "cleveres" Handeln zugrunde liegt. Etwas unterkomplex wirkt die Formulierung "cleverer Österreicher" erst recht, wenn man berücksichtigt, dass der Energydrink-Unternehmer Mateschitz ja auch einen Fernsehsender betreibt, der während der Corona-Pandemie "zu einer Art Querdenker-Heimat" wurde (Altpapier).

"Nach wie vor große Nachfrage nach lokalen Nachrichten"

Christopher Buschow, Juniorprofessor im Fachbereich Medienmanagement in Weimar, meldet sich häufig zu Wort zu den Themen Innovationsförderung im Journalismus und Medienförderung im allgemeinen (siehe zum Beispiel dieses und dieses Altpapier). Nun hat er einen Beitrag über "Innovationsförderung im Lokaljournalismus" für den "Journalismus Report" geschrieben, in dem er unter anderem ausführt, inwiefern "Medieninnovationsförderung sich nicht zuletzt auch für den Staat und seinen Haushalt lohnen" kann. Des weiteren schreibt Buschow: 

"Wie aktuelle Studien übereinstimmend belegen, besteht auch in einer zunehmend globalisierten Medienwelt nach wie vor große Nachfrage nach lokalen Nachrichten und Informationen. Gleichzeitig existiert bei einem wesentlichen Teil der Nutzer:innen eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit den bestehenden Angeboten. Beides zusammen deutet auf Marktlücken hin und eröffnet Innovationschancen sowohl für etablierte Akteur:innen wie auch für Neugründungen. Schon aktuell versuchen beispielsweise Lokalgründungen wie RUMS, VierNull und KATAPULT MV diese unternehmerischen Gelegenheiten in ihren jeweiligen Regionen auszuschöpfen."

Das seien allerdings "Klein- und Kleinstunternehmen mit begrenzten Wachstumspotenzialen". Unter anderem deshalb gelte:

"Um Lokaljournalismus in eine auskömmliche Zukunft zu tragen, wird es eher eines ganzen Bündels an Maßnahmen bedürfen. Vor diesem Hintergrund ist der nächste Medien- und Kommunikationsbericht der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) zu sehen. Der Bericht, der sich der 'Situation der lokalen Presse in Deutschland und ihre Herausforderungen im Zeitalter der Digitalisierung' widmen wird, soll im Sommer 2022 vorgestellt werden und auch geeignete Förderinstrumente für den Lokaljournalismus vorschlagen."

Wir bleiben da natürlich dran, auch wenn es Ereignisse gibt, die etwas mehr Vorfreude auslösen, als das Erscheinen eines neuen Medien- und Kommunikationsberichts der BKM.


Altpapierkorb (Interview zu einer Studie über die "Nachdenkseiten", Nachschlag zur PEN-Mitgliederversammlung, Porträt des inhaftierten russischen Journalisten Michail Afanasjew, der Umgang von Politikern mit digitalem Hass, "Leipziger Impuls")

+++ Markus Linden von der Uni Trier hat vor einigen Wochen eine Studie über die im Milieu der Verschwörungsgläubigen sehr populären "Nachdenkseiten" veröffentlicht, und nun hat Wolfgang Storz, der frühere Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau", den Politikwissenschaftler für den "Bruchstücke"-Blog dazu interviewt. Lindens Urteil über die NDS: "Wer (…) russische Staatsmedienmacher wie Herrn Rodionov als Experten für Medienkritik präsentiert und dann behauptet, neutral zu berichten, der kann aus der Sicht politisch gebildeter Menschen nicht als ernsthafter Medienmacher wahrgenommen werden. Insofern disqualifiziert sich auch die Phalanx derjenigen, die dort auftreten".

+++ Das Schlagwort "Nachdenkseiten" bietet die Gelegenheit, noch einmal kurz auf die Mitgliederversammlung des PEN Deutschland e.V. abzuheben, die am vorvergangenen Wochenende stattfand (Altpapier). Im "Versuch eines Protokolls" in der aktuellen FAS (Blendle-Link) erwähnt Julia Encke, dass dort auch der für die "Nachdenkseiten" in die Tasten hauende Putin-Pudel Wolfgang Bittner aufgetreten war - auf Seiten der Gegner des mittlerweile von seinem Präsidentenamt zurückgetretenen Deniz Yücel. Unter anderem auf dessen Weinanschlag gegen einen Widersacher am Tag nach dem Rücktritt (siehe erneut Altpapier) bin ich in meinem Ende der vergangenen Woche erschienenen "Tagebuch" bei "epd Medien" eingegangen, das seit Montag online steht.

+++ Für den Spiegel (€) porträtiert dessen Moskau-Korrespondentin Christina Hebel den schon sehr häufig in Arrest genommenen und nun in Untersuchungshaft sitzenden "Nowyj Fokus"-Chefredakteur Michail Afanasjew, dessen Fall beispielhaft dafür steht, welche Repressalien gegen Journalistinnen und Journalisten aufgrund des neuen Zensurgesetzes in Russland möglich geworden sind.

+++ Wie sie mit Hasskommentaren in den sozialen Medien umgehen, erzählen fünf österreichische Politikerinnen und Politiker dem "Standard".

+++ Die FAZ (€) berichtet heute über den dritten "Leipziger Impuls", eine auf Initiative des MDR entstandene Absichtserklärung zur "Gemeinwohlorientierung der öffentlich-rechtlichen Medien", die die Intendantinnen und Intendanten der hiesigen öffentlich-rechtlichen Medien, der Geschäftsführer von Arte Deutschland und die Generaldirektoren von SRG und ORF Ende der vergangenen Woche unterzeichnet haben. Natürlich steht in solche Erklärungen immer allerlei Wolkiges, eine sehr konkrete Formulierung sei hier aber hervorgehoben: "Eine 'falsche Ausgewogenheit’ über konträre Positionen – trotz eindeutiger wissenschaftlicher Beleglage – (birgt) mit Verweis auf die Vielfaltsabbildung nachweislich die Gefahr einer Verzerrung der Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Bevölkerung."

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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