Das Altpapier am 18. Mai 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Das Altpapier am 18. Mai 2022 Alte weiße Männerbünde

18. Mai 2022, 10:53 Uhr

Im Dienste der Freundschaft mit "Max. W." reizte Josef Joffe seinen Einfluss als "Zeit"-Herausgeber aus. Wie weit dieser Einfluss überhaupt reichte, darüber gehen die Meinungen auseinander – trotzdem hat der 78-Jährige nun "abgedankt". Ein Altpapier von Annika Schneider.

Was macht ein Herausgeber auf Abruf?

Ich habe eine Allergie gegen "alte weiße Männer". Also nicht gegen alle alten weißen Männer, sondern gegen diesen ganz bestimmten Typ Mann, der denkt, dass er der Nabel der Welt sei und für ihn nicht die gleichen Regeln gölten wie für alle anderen – unabhängig von seinem Alter. Typisches Symptom bei mir, wenn ich mich damit beschäftigen muss: leichter Widerwille und akute Langeweile.

Das liegt daran, dass ich schon so viele Lebensstunden mit den Worten, Werken und Taten alter weißer Männer verbracht habe (Schullektüren, Rockfestivals, Podiumsdiskussionen), dass es mich ganz massiv nach Abwechslung dürstet. Um es klar zu sagen: Alte, weiße Männer haben mir nichts getan, aber sie tendieren dazu, mich zu langweilen.

Nun führt diese Allergie dazu, dass ich mit vorschnellen Urteilen über Männer im fortgeschrittenen Alter besonders vorsichtig bin – schließlich weiß ich um meine Voreingenommenheit. Nichts läge mir ferner, als voreilig den Stab über Josef Joffe zu brechen, den Mann, der heute die Medienressorts dominiert. Es gibt aber genug Kolleginnen und Kollegen, die sich in ihrer Sicht auf das Geschehene ziemlich einig sind.

Josef Joffe war 22 Jahre lang Herausgeber der "Zeit", lässt dieses Amt aber nun "ruhen" bzw. führt es nur noch "auf Abruf", was auch immer das konkret heißen soll. Sein Vertrag läuft noch bis März 2023 und ob er weiterhin Artikel schreiben wird, ist noch offen – womöglich ist der Schritt also eher symbolisch. In der "Welt" hatte Christian Meier am Montag als erstes darüber berichtet (siehe auch Altpapierkorb von gestern):

"Die Personalie bedeutet, auch wenn Joffe sein Mandat nicht unmittelbar beendet, eine Zäsur. Die vorweggenommene Trennung kommt ungeplant und ist für beide Seiten schmerzhaft. […] Joseph Joffe gehört zur Riege der deutschen Alpha-Journalisten."

Ein Rettungsversuch für eine Freundschaft

Hintergrund ist ein Brief, den Joffe 2017 an seinen Freund Max Warburg, Miteigentümer der Warburg-Privatbank, geschickt hatte und über den zuerst der "Spiegel" berichtet hatte. Darin schrieb Joffe zur "Zeit"-Berichterstattung über den Cum-ex-Skandal, in den die Bank verwickelt war:

"Ich habe Dich gewarnt, was in der Pipeline steckte, und meiner Intervention war es zu verdanken, dass das Stück geschoben wurde und die Bank die Gelegenheit erhielt, Widerrede zu leisten. Ich habe Dich auch angefleht, eine exzellente PR Agentur einzuschalten."

Welche Bedeutung ist diesem Brief zuzuschreiben? Der "Süddeutschen Zeitung" gegenüber hat Joffe sich ausführlich geäußert. Er habe den Banker keineswegs vor der Berichterstattung gewarnt, weil das den "journalistischen Ethos" verletzt hätte, sagt er, und betont auch,

"dass er als Herausgeber der Zeit kein Weisungsrecht besitze. Herausgeber seien auch nicht vertraut mit den Interna eines Ressorts. Zudem: 'Der Bericht, der dann abgedruckt wurde, war vernichtend - was nicht auf einen Eingriff schließen lässt.' Nein, er glaube nicht, dass er Falsches getan habe, erklärt Joffe. 'Mein geleakter Brief war ein letzter Versuch, eine 40 Jahre alte Freundschaft mit Max W. zu retten.'"

Ein Erpressungsversuch mit Werbegeldern

Auch bei der "Zeit" selbst bemüht man sich um Schadensbegrenzung. Joffe habe auf die Berichterstattung keinerlei Einfluss genommen, heißt es dort. Auffällig ist, dass der Cum-ex-Beitrag in der "Zeit" wohl auf den 16. November 2016 geschoben wurde, während das Pendant des NDR-Recherchepartners "Panorama" schon zwei Wochen früher lief. Eine Sprecherin der "Zeit", erklärte dazu in der SZ:

"Es gab noch Recherchebedarf, und wir haben Gespräche in alle Richtungen geführt. Das hat die Geschichte noch stärker gemacht. Im übrigen war das die Entscheidung der Wirtschaftsredaktion."

Entschiedener Widerspruch kommt von dem Journalisten Oliver Schröm, der mit seinen Kollegen Felix Rohrbeck und Christian Salewski für die Recherchen verantwortlich war. Schröm hat nicht nur Joffes kompletten Brief getwittert und somit in die Öffentlichkeit gebracht, sondern schrieb gestern auch in einem Thread:

"Irgendwie billig, dass @DIEZEIT versucht den Spin zu setzen, wir hätten nicht ausreichend recherchiert und konfrontiert. […] Fakt: Der Artikel wurde nach Intervention geschoben - und inhaltlich danach nicht mehr verändert. Die Verzögerung hatte keinen journalistischen Grund."

Schröm hatte auch darauf hingewiesen, dass die Journalisten die Bank durchaus früh für ein Interview angefragt hätten – und nicht erst nach Intervention durch Joffe. Ein Treffen mit Vertretern der Bank, dass schließlich stattfand, lief wohl nicht so gut. Schröm spricht von versuchter Einschüchterung und die "Zeit"-Sprecherin sagte der SZ:

"Bei diesem Treffen gab es eine Bemerkung, die man als Erpressungsversuch mit Werbegeldern verstehen konnte."

Ziemlich viel Klüngelei

Wie man es nun auch dreht und wendet: Es bleibt der Eindruck, dass Joffe es mit der journalistischen Unabhängigkeit nicht so genau genommen hat – ob der Beitrag wegen seines Eingreifens nun aufgeschoben wurde oder er seinen Freund "nur" davor gewarnt hat. Meier schreibt in der Welt:

"Freundschaften sind wichtig - und im Fall von so gut vernetzten Journalisten wie Joffe vielleicht sogar die Regel. Gut für den Journalismus sind sie aber nicht. 'Ein Journalist sollte keine Freunde in der Politik haben, auch keine Feinde', hat Joffe einmal in einem Gespräch gesagt."

Ganz so weit ging der Hamburger Journalistikprofessor Volker Lilienthal bei @mediasres im Deutschlandfunk gestern nicht. Zur Frage, wie Joffe sich in der Situation hätte korrekt verhalten können, sagte er:

"Damit geht man so um, dass man sich aus allen Themen, die diesen Freund betreffen könnten, tunlichst heraushält. Man sollte sogar den Raum verlassen, wenn vielleicht in der Redaktionskonferenz über eine geplante Veröffentlichung über das Bankhaus Warburg berichtet wird."

Es ist nicht das erste Mal, dass Joffes Verbindungen in die Wirtschaft im Fokus stehen. 2014 zog er zusammen mit seinem Kollegen Jochen Bittner gegen die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" bis vor den Bundesgerichtshof (Spiegel). Die beiden Journalisten wehrten sich gegen eine Darstellung, die zeigte, dass sie in mehreren Lobbygruppen aktiv sind, verloren aber.

Joffe war nicht nur bei der "Zeit", unter anderem als Chefredakteur, sondern auch lange bei der "Süddeutschen Zeitung" tätig. Die Warburg-Bank wiederum hatte nicht nur zu Joffe, sondern auch zu Joffes Vorgänger Helmut Schmidt beste Verbindungen, wie die "Süddeutsche Zeitung" aufdröselt.

Ziemlich viel Klüngelei also, wie man hier im Rheinland sagt (klüngeln = "sich zu einer ganz auf die Vorteile ihrer Mitglieder eingestellten Interessengruppe zusammenschließen"). Dass das dem Medienvertrauen, dass inzwischen sogar manchmal in der "Mitte der Gesellschaft" angeknackst ist, nicht zuträglich ist, liegt auf der Hand. Wenn so Alpha-Journalismus geht, mache ich lieber irgendwas mit einem anderen griechischen Buchstaben.


Altpapierkorb (Fynn Kliemann, Henri Nannen, Donald Trump, Thomas Gottschalk)

+++ Nach den Enthüllungen des "ZDF Magazin Royal" über Fynn Kliemann (Altpapier) gehen die Recherchen zur Sache weiter (turi2). Der "stern" erhebt Vorwürfe gegen das Unternehmen Global Tactics, mit dem Kliemann für seinen Masken-Deal zusammengearbeitet hat: Es soll Spendengelder nicht vollständig weitergereicht haben. Correctiv hat herausgefunden, wer an der Fynn Kliemann GmbH beteiligt ist. Unter anderem soll die Influencerin Caroline Daur 25.000 Euro investiert haben.

+++ Der Nannen-Preis und die Henri-Nannen-Schule könnten bald anders heißen: Nachdem das NDR-Format "Strg+F" sich vergangene Woche mit der Vergangenheit von "stern"-Gründer Henri Nannen beschäftigt hat, kündigt "stern"-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz an, das ebenfalls noch einmal zu tun. Dass Nannen im Zweiten Weltkrieg in einer Propaganda-Einheit gearbeitet hatte, war bekannt, insofern hat die NDR-Recherche wenig Neues zutage gefördert. Sie präsentiert allerdings eine Reihe antisemitischer Flugblätter und hat so die Debatte noch einmal angestoßen. Schmitz dazu: "Es ist ein Verdienst der NDR-Rechercheure, dass [die Flugblätter] nun zu sehen sind und so Geschichte anschaulich machen. Als Magazin, das Henri Nannen geprägt hat, wollen wir uns der Debatte stellen, ob wir noch kritischer als bisher auf den (komplizierten) Menschen Nannen schauen."

+++ Nachdem Donald Trump bald womöglich auf Twitter zurückkehren darf, ist sein eigenes soziales Netzwerk "Truth Social" etwas in den Hintergrund geraten. Trump treibt seine Pläne aber weiter voran, bereitet den Börsengang vor und vermarktet sich dabei vor allem selbst: In Zukunft sollen seine Beiträge vertragsgemäß auf "Truth Social" immer zuerst erscheinen, erst sechs Stunden später auch auf anderen Plattformen – allerdings gibt es wohl eine Ausnahme für "politische Botschaften", was die ganze Abmachung etwas schwammig macht. Über die Hintergründe findet sich ein lesenswerter Bericht im Wirtschaftsteil der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (S. 22), zusammengetragen von Winand von Petersdorff aus Washington.

+++ Markieren Sie sich den 19. November schon einmal rot im Kalender: "Wetten dass…?" geht nach dem ersten Revival vor einem halben Jahr (Altpapier) in eine neue Runde – wieder mit Thomas Gottschalk. Und nein, einen Bezug zum ersten Absatz dieses Altpapiers finden Sie an dieser Stelle ausdrücklich nicht.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.

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