Das Altpapier am 11. Mai 2022 Jede Woche wieder: Medienhetze vom Präsidenten
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11. Mai 2022, 10:18 Uhr
In Mexiko geht die brutale Jagd auf Journalistinnen und Journalisten weiter, angestachelt von Präsident Obrador. Hierzulande lässt das Interesse an Kriegsmeldungen aus der Ukraine nach, dafür macht eine "Helikoptermutter" Schlagzeilen. Ein Altpapier von Annika Schneider.
Baerbocks Mantel, Lambrechts Heli
Die Titelseiten heute werden farblich dominiert von Annalena Baerbocks hellbraunem Mantel: Der Besuch der grünen Außenministerin in Kiew ist das jüngste Kapitel der deutschen Ukraine-Politik und somit auch der Ukraine-Berichterstattung.
Das Interesse an den neuesten Meldungen vom Krieg scheint allerdings abzuflauen. So interpretiert zumindest Lale Artun in der taz die IVW-Meldung, dass deutsche Nachrichtenportale im April sehr viel weniger geklickt worden sind als im Vormonat. Die Schlagzeilen aus der Ukraine ähnelten sich zu sehr, schreibt Artun:
"Vielleicht kommt es Ihnen so vor, als hätten Sie das alles schon mal gehört. So oder so ähnlich klangen ja auch die Nachrichten aus der Vorwoche. Und die aus der davor. Der Krieg in der Ukraine ist Alltag geworden. Wir haben uns an die minütlichen Schreckensnachrichten gewöhnt."
Stattdessen seien zum Frühlingsanfang vermehrt Wetter-Portale geklickt worden. Auch die Medien haben sich auf die Suche nach anderen Themen begeben, die sich für Schlagzeilen eignen. Dass Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Sohn im Regierungshelikopter mitgenommen hat (wie "Business Insider" "enthüllte") scheint für einige Redaktionen ein klickträchtiges Thema zu sein – auch wenn der Flug legal war, angemeldet wurde und von der Ministerin wohl privat bezahlt worden ist.
Das hielt die "Bild" nicht davon ab, schon gestern eine Titelzeile daraus zu basteln, auch wenn es laut Dachzeile nicht für einen "Skandal", sondern nur für "Wirbel" reichte. Auch heute gibt es in dem Springer-Blatt noch einmal eine kleine Überschrift samt Foto auf der ersten Seite ("Lambrecht hat noch keinen Cent gezahlt").
145 tote Journalistinnnen und Journalisten in Mexiko
Gibt es wirklich nichts Wichtigeres zu besprechen? Aus Sicht des Altpapiers: Doch! Denn in Mexiko sind diese Woche schon wieder zwei Journalistinnen ermordet worden (Reuters) – eine Meldung, die es, wenn überhaupt, nur als kleine Meldung auf die Medienseiten schafft. Das liegt daran, dass in Mexiko Journalistenmorde zum traurigen Alltag gehören (und somit auch in dieser Kolumne manchmal im Altpapierkorb landen). Es sind schlicht zu viele Fälle, um jedes Mal einen großen Text dazu zu schreiben, in dem doch immer das Gleiche zur Situation im Land steht – auch wenn die Medienressorts das Thema durchaus im Blick haben (u.a. SZ, taz, FAZ)
Yesenia Mollinedo Falconi und ihre Kamerafrau Sheila Johana García Olivera saßen am Montag in einem geparkten Auto, als sie erschossen wurden – angeblich, nachdem sie in den Tagen vorher telefonisch Todesdrohungen erhalten hatten (AP). Vier Tage vorher war bereits der preisgekrönte Publizist Luis Enrique Ramirez tot und angeblich in Plastik gewickelt in der Nähe eines Schrottplatzes gefunden worden (RND). Elf Kolleginnen und Kollegen sind somit dieses Jahr insgesamt schon getötet worden, seit dem Jahr 2000 sind es unvorstellbare 145 (mindestens).
Mexiko ist das Land, in dem die Journalistin Lourdes Maldonado den Präsidenten öffentlich um Hilfe bat, weil sie Angst hatte – und dann vor ihrem eigenen Reihenhaus erschossen wurde. Es ist auch das Land, in dem Medienschaffende nicht nur von der generell ausufernden Gewalt bedroht werden, sondern gleichzeitig der aggressiven Rhetorik der eigenen Regierung ausgesetzt sind. Einem Report der Menschenrechtsorganisation Artikel 19 zufolge kritisierte Präsident Andres Manuel Lopez Obrador Medien im vergangenen Jahr im Schnitt sechs Mal pro Monat, immer wieder greift er sich bei seinen Pressekonferenzen auch einzelne Medienmenschen heraus. Trotzdem berichten Reporterinnen und Reporter mit unfassbarem Mut weiter über Drogenkartelle, Korruption und Gewalt, vernetzen sich, stehen in der Öffentlichkeit.
Über die Morde an einheimischen Journalistinnen und Journalisten in einem weit entfernten Land zu berichten, erfüllt natürlich nicht so viele Nachrichtenwertkriterien wie zum Beispiel die Ermordung von Kriegsberichterstattenden in der Ukraine (was auch damit zu tun hat, dass internationale Journalistinnen und Journalisten leider immer noch mehr im Fokus stehen als lokale Reporterinnen und Reporter, obwohl die als "Fixer" oft einen guten Teil der journalistischen Arbeit übernehmen).
Das NDR-Medienmagazin "Zapp" hat vermutlich gerade deshalb vor zwei Wochen eine Reportage aus Mexiko veröffentlicht, die die sich ähnelnden Agenturmeldungen von getöteten Medienschaffenden mit bewegenden Bildern unterfüttert. Das typische, an YouTube angepasste und inzwischen etwas ausgeleierte Erzählformat "Wir begleiten eine Reporterin auf der Recherche" ist Geschmackssache, das Ergebnis aber spannend: Anna Mundt und Lisa Maria Hagen treffen in Mexiko nicht nur Reporterinnen und Reporter, sondern auch den Bruder einer ermordeten Journalistin und einen Staatsanwalt.
"Wenn du in Mexiko einen Journalisten umbringst, wirst du kaum ins Gefängnis kommen",
sagt die Reporterin Adela Navarro im "Zapp"-Video – 98 Prozent der Journalistenmorde bleiben ungesühnt. Hoffnung macht allerdings das Ende des Videos: Der journalistische Nachwuchs lässt sich von der gefährlichen Lage nämlich keineswegs abschrecken. Die Zahl junger Leute, die im Journalismus arbeiten wollen, wächst.
Bei Gruner+Jahr wird es ernst
Und damit zurück zu einem Thema aus der Mitte der deutschen Medien-Bubble: Als Gruner+Jahr Anfang des Jahres von RTL übernommen wurde, gab es viele warnende Worte, die dem Traditionsverlag und seinen Magazinen wie "Stern" und "Geo" eine düstere Zukunft prophezeiten. Die Angst war und ist groß, dass bei der berüchtigten Suche nach "Synergien" journalistische Qualität auf der Strecke bleibt.
Fragt man die Führungsetage, weist die das natürlich weit von sich. Gestern gab es in einer Pressemitteilung erste Details zu lesen, wie genau die beiden Medienhäuser zusammenwachsen sollen. Die Versprechen: Unabhängiger Journalismus soll ausgebaut werden, die Magazine von G+J sollen bestehen bleiben und "namhafte Neueinstellungen" sind geplant. Außerdem präsentierte das Unternehmen ein 14-köpfiges journalistisches Führungsteam, besetzt größtenteils aus den eigenen Reihen. (Einer der beiden "Stern"-Chefredakteure, Florian Gless, verabschiedet sich gleichzeitig.)
Die neuen Chefredakteurinnen und Chefredakteure, die sich auf fünf Ressorts verteilen, haben ab sofort 1.500 Journalistinnen und Journalisten unter sich – eine riesige redaktionelle "Workforce", die zusammen ein ansehnliches Sortiment bestückt: 15 TV-Sender, 50 Printmagazine, 17 Radiosender, 75 digitale Angebote, eine Podcastplattform und das Streamingangebot RTL+ gehören laut Unternehmen nun zusammen.
Welche Strategie hinter dieser geballten Marktmacht steckt, ist auf der Medienseite der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen. Dort schreiben Aurelie von Blazekovic und Anna Ernst:
"RTL, und damit auch das, was von Gruner + Jahr übrig bleibt, gehören mehrheitlich zum Medienkonzern Bertelsmann (jährlicher Umsatz: 18,7 Milliarden Euro). Und dort hat man große Pläne: Aus dem deutschen Ableger von 'Radio Télévision Luxembourg' soll durch die Fusion ein Entertainment-Riese über alle Medien-Gattungen entstehen, so groß, dass man es mit den internationalen Streamingplattformen aufnehmen können soll."
Dass RTL die Fühler dafür auch in Richtung ProSieben.Sat1 ausstreckt, wird in dem Text ebenfalls erwähnt. Der Medienökonom Frank Lobigs hatte im Deutschlandfunk schon im vergangenen Sommer kritisiert, dass die deutsche Medienpolitik Medienunternehmen im Wettbewerb gegen internationale Streamingplattformen zu wenig unterstütze und kaum Antworten auf die Herausforderungen durch Netflix oder Amazon Prime habe – die G+J-Übernahme sei eine Reaktion darauf.
Der DJV nutzte gestern die Gelegenheit für die Forderung, dass auf dem Weg zum Medienriesen keine redaktionellen Arbeitsplätze verloren gehen und der Konzern seine Beschäftigten nach Tarif zahlt. Und damit zum…
Altpapierkorb (Debatte um Rundfunkbeiträge, Trump und Twitter, noch eine ermordete Journalistin)
+++ "Werden ARD und ZDF noch teurer?", steht schön suggestiv über einem Interview, das FAZ-Medienjournalist Helmut Hartung mit dem neuen Chef der KEF geführt hat, der Kommission, die den Finanzbedarf der öffentlich-rechtlichen Sender ermittelt. Martin Detzel ist BWL-Professor in Karlsruhe, seit zehn Jahren KEF-Mitglied, nun Vorsitzender und sortiert einmal die Zuständigkeiten in der Beitragsdebatte: "Die Erwartungshaltung, dass die Intendanten von sich aus Redaktionen schließen und Mitarbeiter entlassen, ist eine Illusion, weil sie dann ihrem Auftrag als Arbeitgeber und dem Selbstbehauptungsinteresse ihrer Institution nicht gerecht werden. Man muss von den Anstalten sicher Vorschläge fordern, wie sie wirtschaftlicher und sparsamer arbeiten können. Von ihnen zu verlangen, dass sie die Auftragsdebatte von den Ländern übernehmen und ohne Zwang ihren Auftrag reduzieren, ist ein etwas unrealistischer Gedanke."
+++ Was lange befürchtet wurde, könnte bald wahr werden: Elon Musk, der sich gerade um die Twitter-Übernahme bemüht, hat angekündigt, Ex-US-Präsident Donald Trump wieder twittern lassen. Dazu der "Spiegel": "Trump sagte vor Kurzem zwar bereits, er wolle nicht zu Twitter zurück, auch wenn er es dürfe. Die Präsenz auf der Plattform, wo er einst mehr als 80 Millionen Follower hatte, könnte aber für eine mögliche Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2024 wichtig sein."
+++ Im Westjordanland soll eine Journalistin von Al-Dschasira getötet worden sein, meldet der Deutschlandfunk und beruft sich dabei auf das palästinensische Gesundheitsministerium.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.
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