Das Altpapier am 6. Mai 2022 Kliemann sägt sich ins Bein
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06. Mai 2022, 13:09 Uhr
Eine Recherche des "ZDF Magazin Royale" zeigt: Fynn Kliemann war an schmutzigen Maskendeals beteiligt. In seinen Antworten auf die Fragen der Redaktion log er offenbar, um das zu vertuschen. Und eine neue Studie zeigt: Viele Schwurbler stehen jetzt auf der Seite von Putin. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Investigativer Journalismus, so wichtig
Annika Schneiders Altpapier vor zwei Tagen begann mit einem Zitat des Selbermachers Fynn Kliemann. In einem Video, das er in dieser Woche als Antwort auf einen Fragenkatalog des "ZDF Magazin Royale" veröffentlicht hatte (Altpapier), sagte Kliemann:
"Investigativer Journalismus ist total wichtig, und wenn man niemanden durchleuchtet, dann machen alle, was sie wollen."
Zwei Tage später erscheint es, als würde Kliemann mit diesem Zitat seinen eigenen Fall kommentieren. Jan Böhmermanns Redaktion hat die neue Folge des Magazins "aus Versehen (…) vorab veröffentlicht". Sie hat einen Stapel an E-Mails, Messenger-Nachrichten, Audio-Botschaften und anderen Dokumenten ausgewertet. Aus der Recherche geht hervor, dass Fynn Kliemann offenbar während der Corona-Pandemie zusammen mit einem Geschäftspartner Millionen von Masken aus Bangladesch und Vietnam importiert, überteuert als fair produzierte Ware verkauft und über die Profite dann noch gelogen hat. Außerdem hat er nach den Recherchen des Magazins Schrottmasken an Geflüchtete gespendet und sich damit als Wohltäter inszeniert.
Stefan Niggemeier schreibt bei Twitter:
"Hab rund ne Viertelstunde gedacht: Okay, bisschen unsauber, aber doch irgendwie Kleinkram, aufgeblasen, Privatfehde, naja. Und dann Kinnlade auf dem Tisch. @janboehm entlarvt @fimbim als Maskenbetrüger. #oderwas"
Weil die Recherchen für einen halbstündigen Fernseh-Beitrag zu umfangreich sind, hat Böhmermanns Redaktion sie auf der eigens dafür eingerichteten Website lmaafk.de veröffentlicht. Das Akronym könnte zum Beispiel stehen für: Leck mich am irgendwas, die letzten beiden Buchstaben könnten Initiale sein. Und das Ganze könnte eine Parodie auf Fynn Kliemanns Ferienwohungsunternehmen LDGG (Lass dir gut gehen) sein, um das es ebenfalls in der Sendung geht. Auch dort ist den Recherchen nach alles etwas intransparent.
Aber was ist daran für uns interessant? Der Beitrag zeigt eindrucksvoll, warum es nicht nur ein Foul oder einfach unfair sein kann, eine Rechercheanfrage vorab zu veröffentlichen, sondern unter Umständen auch unvorteilhaft, um nicht zu sagen: dumm. Die Redaktion konfrontiert Kliemann zwar mit den kritischen Punkten, sie verrät allerdings nicht, welche Belege ihr vorliegen. Und so pokert Kliemann, tut so, als wisse er von nichts und läuft ins offene Messer.
Mit seinem Video liefert er einen weiteren Beleg dafür, dass er lügt, etwa bei Minute 17, als er von den Produzenten der Masken in Serbien und Portugal schreibt – also in Europa, wo klare Regeln zu Arbeitsbedingungen gelten, wie Kliemann erklärt. Er muss wissen, dass er an dieser Stelle nicht die Wahrheit sagt. Oder wie eine Kommentatorin unter dem Video schreibt:
"Ouch. Rückwirkend, jetzt wo die Recherche veröffentlicht ist, tut es ja noch mehr weh zu wissen, dass du all das schon wusstest, als du das Video aufgenommen hast."
Das wiederum zeigt: Wenn eine Redaktion zwar fair die Möglichkeit zu einer Stellungnahme gibt, aber offen lässt, welches Material ihr vorliegt, kann die Veröffentlichung der Anfrage und der Antworten die Recherche unter Umständen sogar noch weiter stärken.
Kliemann liefert unfreiwillig ein weiteres Recherche-Ergebnis: Er hat laut den Recherchen nicht nur gelogen, als es um den Maskenverkauf ging. Er log offenbar ein weiteres Mal, als es darum ging, das schmutzige Geschäft zu verschleiern.
Tobias Singer hatte für Meedia schon vor der Veröffentlichung der Recherche mit Günter Bartsch vom Netzwerk Recherche und mit dem Investigativjournalisten Hajo Seppelt über die Strategie der Gegenveröffentlichung gesprochen.
Je nach Sachlage kann das Ganze nach Einschätzung von Hajo Seppelt für Redaktionen auch nach hinten losgehen, weil "in einseitiger Darstellung Sachverhalte schon öffentlich vorab diskutiert werden, bevor die eigentliche Recherche publiziert wird". Allerdings, und das scheint in diesem Fall so gewesen zu sein: Die Veröffentlichung vorab "könne (…) auch gegenteilige Auswirkungen haben und 'die Aufmerksamkeit für eine journalistische Recherche erhöhen'".
Günter Bartsch sieht vor allem die Schwierigkeit, dass Redaktionen sich absichern müssen, damit die Recherche nicht durch eine Gegenveröffentlichung in Gefahr gebracht wird. Es bestehe die Möglichkeit, "Personen, die Gegenstand der Berichterstattung sind, so frühzeitig gewarnt werden und belastendes Material verschwinden lassen oder andere Vorkehrungen zur Vertuschung treffen",sagt Bartsch.
Wenn es erwartbar ist, dass Recherche-Anfragen vorab veröffentlicht werden, ist es, so Barsch, "wenig überraschend, wenn Journalist*innen infolgedessen die Antwortfristen ausreizen". Das sei allerdings, so betont er, keine Empfehlung.
Gegen die Corona-Diktatur, aber für Putin
Was ist eigentlich aus den Menschen geworden, die noch vor wenigen Wochen auf Telegram-Kanälen vor der Corona-Diktatur gewarnt haben? Eine neue Studie von Pia Lamberty, Maheba Goedeke Tort und Corinne Heuer mit dem Titel "Von der Krise zum Krieg: Verschwörungserzählungen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine in der Gesellschaft" legt nahe, dass Menschen, die in der Corona-Krise anfällig für Verschwörungserzählungen waren, dies auch beim Krieg in der Ukraine sind. Das ist nicht so überraschend. Allerdings ist das insofern kurios, als viele Menschen, die noch vor Wochen Angst vor einer Corona-Diktatur hatten (oder das jedenfalls vorgaben), nun gefühlsmäßig eher auf der Seite des Diktators Putin stehen.
In der Studie heißt es:
"Je stärker Menschen an Verschwörungen glauben, desto weniger sahen sie die Schuld bei Russland."
Der mediale Aspekt daran ist, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen laut der Studie auch etwas mit dem Mediennutzungsverhalten zu tun hat. Die Autorinnen schreiben:
"Der Glaube an eine Verschwörung rund um den Krieg gegen die Ukraine ging signifikant mit der Zufriedenheit der Berichterstattung sowohl zu Corona (…) als auch zum Krieg gegen die Ukraine (…) zusammen. Je stärker Menschen den Ukraine-Krieg als Teil einer Verschwörung sahen, desto eher informierten sie sich auf Telegram, TikTok, Facebook, YouTube oder Instagram."
Interessant ist auch der umgekehrte Zusammenhang, also wie sehr es die Verschwörungsglaubigkeit beeinflusst, wenn Menschen ihre Informationen bei TikTok, Facebook, YouTube oder Instagram beziehen. Um das zu belegen, müsste man auch noch weitere Faktoren einbeziehen, denn wahrscheinlich gibt es viele Menschen, die stündlich Telegram-Nachrichten checken, aber trotzdem keinen Hang zu Verschwörungserzählungen haben. Aber einen Hinweis darauf, dass ein Zusammenhang zumindest bei Menschen mit einer gewissen Tendenz nicht so unwahrscheinlich ist, gibt folgendes Teilergebnis:
"Während 26,8 Prozent mit stärkerem Verschwörungsglaube Telegram täglich oder mehrfach die Woche nutzen, um Informationen zu erhalten, waren es bei denen mit niedrigen Zustimmungswerten nur 6,3 Prozent."
Und damit zum…
Altpapierkorb (BBC-Studie, Kriegspropaganda, Recherche oder Hausbesetzung, Döpfners Doktorarbeit, Dok.fest)
+++ Die BBC hat eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigt, wie das Leben ohne die BBC wäre. Das Ergebnis: Nach neun Tagen sind viele ziemlich überrascht, was alles fehlt. Sarah Scire schreibt für das "Nieman Lab": "Die Teilnehmer gaben viele der gleichen Gründe an, warum sie ihre Meinung über die Rundfunkgebühren im Jahr 2022 geändert haben, wie sie es 2015 taten. Nachdem sie etwas mehr als eine Woche auf die BBC verzichtet hatten, stellten die Haushalte fest, dass sie ihren BBC-Konsum unterschätzt hatten, dass sie besser verstanden hatten, wohin die Rundfunkgebühr fließt, dass sie die BBC im Vergleich zu den Alternativen als werbefrei und qualitativ hochwertig schätzten und dass die BBC die Quelle war, an die sie sich wenden wollten, insbesondere bei wichtigen Nachrichtenereignissen."
+++ Ina Hartwich erklärt für die taz, warum so viele Menschen in Russland die Kriegspropaganda glauben. Sie schreibt: "Viele Journalist*innen in Russland werden als Mediensoldaten gesehen, die von oben diktierte Botschaften unters Volk bringen sollen. Weil sie beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, müssen sie die Arbeit der Regierung unterstützen und in ihrer Berichterstattung die Entscheidungen des Staates mittragen. Deshalb sprechen die Reporter*innen im Staats-TV stets von ‚wir‘, wenn sie über die russische Regierung berichten."
+++ Das ARD-Haupstadtstudio startet eine virtuelle Besuchertour. Hier entlang.
+++ Michael Trammer hat für die taz über eine Hausbesetzung in München berichtet – und war deshalb auch mit im Haus. Hat das öffentliche Interesse seine Recherche gerechtfertigt? Oder war es Hausfriedensbruch. Das Amtsgericht München hat Trammer nun wegen Hausfriedensbruchs verwarnt, berichtet und kritisisiert die Deutsche Journalisten-Union. Das NDR-Medienmagazin "Zapp" erklärt in einem Twitter-Thread, worum es genau geht.
+++ Ist es rechtlich zulässig, wenn jemand ein Fußballspiel live bei Youtube kommentiert, damit andere zu hören können? Kevin Barth berichtet für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Der Medienanwalt Jan Kalbhenn sagt über die Grenzen: "Was nicht zu sehen sein darf, ist das Signal des jeweiligen übertragenden Senders, das wäre auf jeden Fall ein klarer Urheberrechtsverstoß. Diskutieren könnte man sicherlich über die Atmosphäre des Stadions im Hintergrund. Klarer Verstoß wäre auch, wenn man den Kommentar des ausstrahlenden Senders hören würde." Eine Lizenz bei den Landesmedienanstalten braucht es laut Kalbhenn nicht, denn hier handle es sich um sogenannten Bagatellrundfunk, also ein Angebot, das weniger als 20.000 Menschen nutzen.
+++ Und bei der Gelegenheit noch ein Hinweis: Das Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM) in Münster, für das Kalbhenn als Geschäftsführer arbeitet, hat ein Projekt zum "Medienrecht in der Ukraine" gestartet, das – Sie ahnen es – Informationen über das Medienrecht in der Ukraine vermitteln soll.
+++ Nils Minkmar und Nadia Zaboura diskutieren in ihren SZ-Podcast, warum Redaktionen in Deutschland noch nicht so divers sind, wie sie sein sollten. Zu Gast ist die Journalistin Ferda Ataman, Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen.
+++ Die Frankfurter Goethe-Universität prüft die Doktorarbeit von Mathias Döpfner, berichten Buzzfeed und der "Spiegel".
+++ Auf der FAZ-Medienseite (€) schreibt Jörg Seewald über die Eröffnung des Dokumentarfilm-Festivals "Dok.fest", wo zum Start der Film "Nawalny" von Daniel Roher läuft, und der sagt über Alexej Nawalny, der ja inzwischen in Haft ist: "Er wollte, dass seine Botschaft auch gehört wird, wenn er nicht seine Kanäle bedienen kann. Er hat die Inhaftierung vorausgesehen."
+++ Was haben Medien aus dem Fall Gil Ofarim (Altpapier) gelernt? Welche Folgen hatte das Ganze für die Betroffenen? Das NDR-Medienmagazin "Zapp" hat sich in einem 14-minütigen Beitrag mit einer Seite beschäftigt, die in der Berichterstattung bislang kaum vorkam.
+++ Auf der SZ-Medienseite hat sich Cornelius Pollmer die erste von drei neuen "Der Preis ist heiß"-Folgem angesehen und schreibt darüber auf der SZ-Medienseite: "Als Harry Wijnvoord am Mittwochabend nach 25 Jahren die erste von vorläufig drei geplanten Ausgaben "Der Preis ist heiß" moderierte, war nach Sekunden klar, was der Sender mit dieser Wiederbelebung vorhat, nämlich das einzig Richtige. RTL hat so viel wie nötig geändert – vor allem aber so wenig wie möglich."
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Neues Altpapier gibt es am Montag.
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