Altpapier vom 28. April 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 28. April 2022 Elon und die Detektive

28. April 2022, 08:56 Uhr

Journalisten schauen auf eine Blackbox und fragen: Falls Elon Musk Twitter übernimmt, was hat er vor? EU-Kommissarin Vestager vergleicht Social Media mit Asbest. Und ein ZDF-Fernsehratsmitglied fordert größere öffentlich-rechtliche Anstrengungen für eine digitale Öffentlichkeit. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Die vielen Meinungen zu Musks Move

Es geht, wie am Dienstag, auch heute wieder um Elon Musks Move, Twitter kaufen zu wollen. Medial gesehen, ist das das Thema der Woche und wahrscheinlich auch des Monats. In der halben Welt zerbricht man sich den Kopf darüber, was Musk mit Twitter anzustellen gedenkt, wenn er den Laden denn mal übernommen hat; und darüber, was das bedeuten würde; und für wen. Von "A wie "Al Jazeera" bis Z wie "Zeit" versucht man das in diesen Tagen in Detektivarbeit zu ermitteln.

Und damit Sie es nicht müssen, habe ich alles gelesen: alle ungefähr 44 Milliarden Beiträge, die in den vergangenen zwei Tagen erschienen sind. Jedenfalls fast alle. Auch die Texte, in denen Musks Move aufs Regionale heruntergebrochen wird. (So hat etwa Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach aus Weibersbrunn die geplante Übernahme der Plattform Twitter durch Unternehmer Elon Musk kritisiert. Und der "Checkpoint"-Newsletter des Berliner "Tagesspiegels" hat ermittelt, was seine Leserinnen und Leser kaufen würden für 44 Milliarden – eine Summe, die in Berliner Währung der von sieben BERs entspräche.)

Bevor wir in weitere Details einsteigen, möchte ich Ihnen aber mitteilen, welche Haupterkenntnis ich bei der Lektüre gewonnen habe. Sie lautet: Das Thema ist sehr vielschichtig und aus vielerlei Perspektiven wahrnehmbar, denn es muss stets auch noch dieses bedacht werden und jenes, und ohnehin ist immer noch vieles völlig unklar. That's it, that's the Erkenntnis. Wenn ich ehrlich bin, brummt mir deshalb nun doch ein wenig der Kopf vor lauter Elon Musk (oder hieß er Egon?). Ich befinde mich in einem Zustand der gleichzeitigen Über- und Unterinformiertheit. Es geht mir also exakt so, wie nach zu viel Twitter.

Aber ja nun. Berufsrisiko. Gehen wir ran den Speck und nehmen zunächst zur Kenntnis, dass es vor allem an Angeboten, welche Meinungen man so vertreten könnte, nicht mangelt. Samira El-Ouassil hat ein paar der besonders häufig wahrnehmbaren Positionen in ihrer Deutschlandfunk-Kolumne zusammengefasst:

"Manche befürchten nun kommunikative Eskalationen auf der Plattform, in welcher nur der Lauteste überlebt – also noch mehr als ohnehin schon. Andere sehen keinen Unterschied darin, ob Twitteranteile mehrheitlich im Besitz des saudischen Prinzen Alwaleed bin Talal sind, der in Korruptionsgeschäfte verwickelt war oder eben einem Elon Musk. Wiederum andere kritisieren den Umstand, dass die Verantwortung für eine der einflussreichsten Kommunikationsplattformen der Welt nun in der Hand eines Exzentrikers liegt."

Zur Kenntnis zu nehmen ist auch, dass sich das Stichwort "Mastodon" am gestrigen Abend in den deutschen Twitter-Trends befand. Mastodon, Sie wissen schon: Das ist diese Alternative zu Twitter. Steigen also jetzt reihenweise die Leute aus? Das könnte man natürlich meinen. Aber hier kommt auch schon der harte Reality-Check: Das Champions-League-Halbfinale zwischen #LIV und #VIL performte bei Twitter noch viel besser. Wenn Musk die "Twitter-Trends" abschaffen würde – ich würde sie ja auch eher so mittel vermissen.

Was will Musk?

Aber wo waren wir? Richtig, bei den Unklarheiten darüber, was nun wird mit Musk und Twitter und warum überhaupt… Hat Musk eigentlich eine größere unternehmerische Strategie? Das ist die Frage. Hier einige ausgewählte Antworten:

  • Ja, hat er, vermutet Nils Markwardt bei Zeit Online: "Während er Twitter mit dem Argument kauft, sich für die freie Rede einzusetzen, bringt er einen jener Meinungsmärkte unter seine Kontrolle, der für sein erwartungsgetriebenes Geschäftsmodell zentral ist."

  • Santiago Camillo-Lundbeck mutmaßt dagegen bei horizont.net: "Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass hinter der Übernahme keine größere unternehmerische Strategie des Käufers steckt."

  • Und Patrick Beuth hält Musks Twitter-Move bei spiegel.de für "die möglicherweise teuerste Fehleinschätzung seines bisherigen Lebens".

Die Antwort des ehemaligen netzpolitik.org-Chefredakteurs Markus Beckedahl auf die Frage "Herr Beckedahl, was will Elon Musk von Twitter?" lautet im Bayerischen Rundfunk allerdings: "Das wird sich frühestens in den nächsten Monaten zeigen." Man kann zu dieser Antwort nicht tanzen, aber sie ist ganz sicher richtig. Auch dem "Tagesspiegel" hat Beckedahl ein Interview gegeben (Abo, oder 0,39 € bei Blendle). Darin sagt er über die Frage, inwiefern Musk die Meinungsfreiheit stärken wolle:

"Elon Musk hat sich bisher immer geschickt ambivalent geäußert. Einerseits spricht er davon, eine inklusive Diskussionskultur schaffen zu wollen. Andererseits fordert er eine Plattform, auf der alle legalen Inhalte ausgespielt werden sollen. Bedeutet das folglich, dass wir auf Twitter künftig lauter Spam und pornografische Inhalte sehen werden? Es ist unklar, was Musk genau meint, wenn er von Meinungsfreiheit spricht. Meint er die amerikanische Redefreiheit, die auch Hass und Hetze erlaubt? Hauptsache, niemand ist in seiner freien Rede eingeschränkt. Oder meint er unsere europäische Meinungsfreiheit, die nur so weit reicht, bis sie die Grundrechte einer anderen Person verletzt?"

Und im BR-Interview fügt er noch an: "Also, es ist eine riesige Blackbox, alle rätseln herum." Exakt das. Elon und die Detektive.

Was kann Musk?

Die Unklarheiten beginnen sogar eigentlich noch früher, nämlich bei der Frage, ob Elon Musk Twitter übernehmen wird, oder ob er es nur versucht. Sascha Lobo schreibt bei spiegel.de dazu:

"Die Betonung muss seriöserweise auf 'versucht' liegen, denn die Wahrscheinlichkeit für den erfolgreichen und vor allem nachhaltigen Kauf ist groß, aber nicht garantiert. (…) Die (hier etwas vereinfacht dargestellte) Gefahr für Musk dabei: Wenn die Tesla-Aktien zu stark fallen sollten, dann müsste Musk aberwitzig viel Geld nachschießen. Das er dann nicht mehr hätte, weil sein Vermögen eben hauptsächlich aus Tesla-Aktien besteht."

Vor allem geht es Lobo in seiner Kolumne (die, was die Deutlichkeit der Formulierungen angeht, wirklich eine Kolumne ist) aber um etwas anderes: nämlich etwa um die Frage, ob wir nicht jetzt endlich mal so ein staatliches oder wenigstens öffentlich-rechtliches Social Network haben könnten, damit endlich Schicht ist mit dem ganzen Milliardärsgesenftel. Lobo schreibt, in meinen sanften Worten: Nein, meine Lieben, das können wir leider nicht. Seine eigenen Worte sind diese:

"Die Sorge ist berechtigt, dass Twitter künftig allein von einem einzelnen Mann kontrolliert wird. Aber als Reaktion wird – natürlich auf Twitter – regelmäßig die Verstaatlichung des Dienstes oder ein öffentlich-rechtliches Gegenmodell gefordert. Das ist grotesker Airbus-Quatsch."

Der Begriff "Airbus-Quatsch" bezieht sich auf… nee, sorry, das müssen Sie selbst lesen, FLUGZEUGE JETZT NICHT AUCH NOCH. Jedenfalls: Lobo sagt nein. Und wenn ich ihn richtig verstehe, sagt er u.a. deshalb nein, weil

"Digitalkonzerne wie Google, Facebook oder Twitter Millionen Kunden [haben], die sich immer wieder aufs Neue für die Produkte entscheiden und sich einen gequirlten Quark um politische Hintergründe kümmern. Sogar der angebliche Marktvorteil Datenschutz ist ihnen weitgehend egal, sonst wäre DuckDuckGo Marktführer. Aber Google hat seit Jahren über 95 Prozent Suchmarktanteil in Deutschland."

tl;dr: Wer will, dass Twitter-User zu einem anderen Dienst rübermachen, muss ihnen was Besseres anbieten und ihnen nicht einfach nur mit irgendwelchen Argumenten kommen.

Ein öffentlich-rechtliches Ökosystem im Netz?

Wobei, gut wär's halt schon, so eine öffentlich-rechtliche Infrastruktur, findet Leonard Dobusch, auch wenn sie kein Ersatz, sondern eine Ergänzung wäre – "weil demokratische Öffentlichkeit vielfältiger und robuster ist, wenn beide Logiken, kommerzielle und öffentlich-rechtliche, im Sinne eines dualen Systems neben- und im Wettbewerb miteinander stehen." Dobusch, der als ZDF-Fernsehratsmitglied die deutschen Öffentlich-Rechtlichen im Auge hat, formuliert seine Forderung nach öffentlich finanzierten Alternativen, nach einer "Ausweichroute", heute auf der Medienseite der "Süddeutschen Zeitung", aus. Und nimmt neben dem ZDF natürlich auch die ARD, unter deren Dach auch das Altpapier erscheint, in die Pflicht:

"Sind ARD, ZDF und ihre europäischen Partnermedien willens und fähig, ihrem demokratischen Auftrag im Zeitalter digitaler Öffentlichkeit gerecht zu werden? Werden sie digitale Technologien dafür einsetzen, sich dem eigenen Publikum gegenüber zu öffnen, dem bislang kaum Kanäle für Rückmeldung und Interaktion offenstehen? Und werden sie mit anderen gemeinnützigen Medien und Plattformen auf Basis offener Software und Standards ein öffentlich-rechtliches Ökosystem im Netz aufbauen?"

Falls ja, wäre eine gewisse Zackigkeit freilich nicht ganz verkehrt, und wo die nun plötzlich herkommen könnte…? Um die europäischen Versuche der Regulierung der Auswüchse des existierenden Plattformdesigns geht es bei Dobusch auch. "Hilflos" nennt er die bisherigen Versuche – zu denen er auch den Digital Services Act zählt (siehe auch dazu das Altpapier vom Dienstag) – und rät dazu, statt den Plattformen nur hinterherzuregulieren ihrer "Monopolmacht Grenzen zu setzen".

Was sagt dazu die EU-Kommissarin Margrethe Vestager, die den Digital Services Act, der etwa regelt, wie Unternehmen mit strafbaren Inhalten auf ihren Plattformen umgehen müssen, und den Digital Markets Act mitverhandelt hat? In einem Interview in der heute erschienenen "Zeit" sagt sie auf die Frage, ob es gut sei, "dass der reichste Mann der Welt jetzt auch noch Eigentümer von Twitter werde":

"Mir ist es letztlich egal, wem die Plattform gehört, solange sich derjenige an die Regeln hält. Problematisch würde es erst, wenn Elon Musk mehrere soziale Netzwerke kaufen sollte."

Solange Musk nur Twitter besäße, gäbe es kein Problem, weil Meta ja immer noch einem anderen Multimilliardär gehört? Hmja.

Social Media mal als Asbest betrachtet

Das eigentliche Problem liegt freilich anderswo: nämlich bei "uns". Auch diese Position wird in der Berichterstattung rund um Musk und Twitter mehrfach vertreten. Von Richard Gutjahr etwa, der bei Übermedien auf die Suche geht nach Möglichkeiten, "einen offenen, lebendigen Diskurs im Netz zu organisieren, ohne Zensur und ohne dass sich am Ende alle an die Gurgel gehen":

"Ich fürchte, die Antwort ist tief programmiert in unserer eigenen Psyche, unserer unstillbaren Gier nach dem Neuen, nach dem Aufregenden, nach dem Skandalösen und Unsagbaren. Dieser dunkle Passagier, der in jedem von uns wohnt, hat durch soziale Netzwerke wie Twitter eine mächtige Waffe an die Hand bekommen und wir haben nie gelernt, damit verantwortungsvoll umzugehen."

Oder von Margrethe Vestager, die im Interview sagt:

"(I)ch glaube schon, dass die sozialen Medien mit ihren Like- und Share-Buttons unser inneres Belohnungssystem triggern. Vielleicht werden wir uns in einigen Jahren, wenn die Hirnforschung mehr weiß, fragen: Was haben wir uns mit diesen Technologien bloß angetan? So ähnlich wie bei Asbest. Da haben wir ja auch erst viel später begriffen, wie schädlich es ist."

Social Media als Asbest? Nicht aufregen, liebe Junkies da draußen. Die Meinungsfreiheit erlaubt so etwas.


Altpapierkorb (Pro-Quote-Zahlen, die nächste "digitale Magna Charta", Arte wird 30, Böhmermanns Tweet)

+++ Eine neue Pro-Quote-Studie zeige, dass der Frauenanteil, auch in Machtpositionen, bei den Öffentlich-Rechtlichen "überraschend deutlich gestiegen" sei, so die "SZ".

+++ Michael Hanfeld geht in der "FAZ" der digitalen Magna Charta nach der digitalen Magna Charta nach: Die EU mag in "Digital Markets Act" und "Digital Services Act" so etwas wie eine Magna Charta sehen. Der Nationale Sicherheitsrat der US-Regierung von Joe Biden wolle heute aber nun auch eine "Erklärung zur Zukunft des Internets" abgeben – und auch das soll eine "digitale Magna Charta" sein, die den "Zugang zum offenen Internet" postuliere und sich gegen autoritäre Regierungen wende, die "Onlineplattformen und digitale Werkzeuge" zunehmend "zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und zur Verweigerung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten" nutzten, so Hanfeld. Weil es um eine internationale Allianz geht, schreibt er auch von einer "NATO für das Netz", mit einem Fragezeichen dahinter.

+++ Arte wird Ende Mai 30. Das "Nitro"-Magazin hat die Berichterstattung zum Jubiläum schon vor einer Weile eröffnet, etwa mit einem Interview mit dem Geschäftsführer von Arte Deutschland, Markus Nievelstein. DWDL zieht nun mit.

+++ ZDF-Satiriker Jan Böhmermann twitterte dieser Tage – mutmaßlich über Musk: "Hä? Wieso gehört am Ende alles immer reichen Wichsern, die machen können, was sie wollen?". Joachim Huber kommentiert das nun im "Tagesspiegel": "Warum in aller Welt glauben so viele, was Böhmermann glaubt: Dass Verbalinjurien Argumente ersetzen, dass Schimpfworte krachenden Erfolg haben werden, dass Hass und Hetze immer nur die anderen üben, niemals man aber selber?", fragt er – und twittert seinen Artikel dann mit dem Hashtag #Boehmermannwichser. Was schon ziemlich meta ist.

+++ "Die EU-Kommission hat sogenannten SLAPP-Klagen, mit denen Journalisten und Aktivisten eingeschüchtert werden, den Kampf angesagt." (epd, etwa via "FAZ")

Neues Altpapier erscheint am Freitag.

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