Altpapier vom 20. April 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Das Altpapier am 20. April 2022 Moderation à la carte

20. April 2022, 09:37 Uhr

Alle schauen auf den Krieg – und hoffentlich heute Abend trotzdem ins französische Fernsehen, wo sich Macron und Le Pen selbst aussuchen durften, wer ihr TV-Duell moderiert. Pressefeind Elon Musk will derweil Twitter übernehmen, könnte aber scheitern. Ein Altpapier von Annika Schneider.

23 Kameras für Macron und Le Pen

Erinnern Sie sich noch an die geballte Medienaufmerksamkeit rund um die Präsidentschaftswahlen in den USA? An die allgegenwärtigen Analysen und Reportagen, angefangen bei den ersten Nominierungen auf Parteitagen über die aufwendig begleiteten TV-Duelle bis hin zum allgemeinen Mitfiebern, als sich am Wahltag die US-Karte blau und rot einfärbte?

Am Sonntag steht nun in Frankreich – weltpolitisch weniger relevant, aber immerhin unser wichtigstes Nachbarland – eine Stichwahl an, deren Ausgang historische Folgen für die deutsch-französischen Beziehungen haben könnte. Aber die öffentliche Aufmerksamkeit wird weitgehend absorbiert von dem Angriffskrieg, den Putin und seine Unterstützer verbrochen haben.

Heute Abend bietet sich allerdings noch einmal ein Anlass, den Wahlkampf auf Start- und Titelseiten zu hieven: Emmanuel Macron und Marine Le Pen treffen in einer über zweistündigen Fernsehdebatte aufeinander, von der man an mehreren Stellen liest, dass sie über den Wahlsieg entscheiden könnte.

Das letzte TV-Duell 2017 ist vor allem deshalb erinnerungswürdig, weil Le Pen es damals gründlich verpatzte – so sehr, dass sie sich bis heute weigere, das Video anzusehen, wie "Welt"-Korrespondentin Martina Meister in der aktuellen Print-Ausgabe schreibt. Der Auftritt heute Abend sei nun so gut durchgeplant, dass sogar die Raumtemperatur feststehe:

"19 Grad im Studio, 23 Kameras, 2,50 Meter Abstand zwischen den Gegnern, zwei Uhren, die die Redezeit stoppen."

Interessanter als die Zahl der Kameras ist allerdings aus Altpapier-Sicht, was die FAZ-Korrespondentin Michaela Wiegel über die inhaltliche Planung der Debatte schreibt (€):

"Anstatt sich als Verteidiger der Pressefreiheit zu profilieren, hat [Macron] wie Le Pen Druck auf die TV-Sender ausgeübt. In obrigkeitsstaatlicher Tradition wählten Le Pen und Macron die beiden Moderatoren für die Fernsehdebatte aus."

Man stelle sich vor, die deutschen Triell-Teilnehmenden hätten sich wünschen dürfen, welche Journalistinnen und Journalisten die Debatte moderieren! Bleibt zu hoffen, dass die Kandidierenden sich nicht auch die Fragen aussuchen durften.

"Giftpille" für Twitter-Interessent Elon Musk

Ebenfalls nicht als "Verteidiger der Pressefreiheit" gilt Multimilliardär Elon Musk. Die Nachricht, dass er Twitter übernehmen will, ist seit Donnerstag in der Welt (und bei MDR aktuell nachzulesen). Welche Hürden Musk noch überwinden muss, steht im Wirtschaftsteil der gedruckten FAZ:

"Twitter hat Musks Angebot noch nicht ausdrücklich abgelehnt, allerdings eine sogenannte 'Giftpille' angekündigt, die eine feindliche Übernahme erschweren würde. Sie wird wirksam, sobald Musk oder ein anderer potentieller Käufer mehr als 15 Prozent der Anteile am Unternehmen erwirbt. In diesem Moment würden alle anderen Aktionäre die Option bekommen, zusätzliche Aktien zu einem deutlichen Preisnachlass zu kaufen."

Fraglich ist, ob Musk den Kauf überhaupt finanziell stemmen kann. Die Übernahme sei eher unwahrscheinlich, schreiben Benedikt Fuest und Philipp Vetter in der Print-Ausgabe der "Welt". Sie spekulieren aber auch, dass Musk als Twitter-Boss womöglich Donald Trump zurück auf die Plattform holen könnte (der mit seiner eigenen Twitter-Ersatz-Plattform bisher keinen nennenswerten Erfolg außer rekordverdächtige Wartelisten vorweisen kann).

Medienjournalist Simon Hurtz hat schon am Donnerstag bei @mediasres gesagt, dass er eine Twitter-Privatisierung grundsätzlich für eine gute Idee halte, weil der Nachrichtendienst damit unabhängiger von den kurzfristigen Renditewünschen der Aktionärinnen und Aktionären werde. Tesla-Gründer Musk sei aber unberechenbar:

"Ich bin da erstmal vorsichtig-skeptisch und halte das eher für einen Troll-Move und glaube auch nicht, dass der Verwaltungsrat und die anderen Investoren dem so einfach zustimmen."

Außerdem gehe es Musk vor allem darum, seine persönliche Agenda durchzusetzen. Wie die aussehen könnte, zeigt die SZ (€), die ausführlich Musks distanziert-feindliches Verhältnis zu Medien und Pressefreiheit beleuchtet. Max Hägler und Timo Posselt berichten, dass Musk sogar die Polizei eingeschaltet haben soll, um den Grünen-Politiker Robert Habeck daran zu hindern, bei einem Tesla-Termin mit der Presse zu sprechen.

"'Normale Unternehmen versuchen immer, mindestens einige Zeilen in einer journalistischen Geschichte mit eigenen Botschaften zu kapern', sagt Dirk Popp, einer der erfahrensten Unternehmens- und Krisenkommunikatoren Deutschlands. Bei Tesla sei das anders, weil alles auf Elon Musk zugeschnitten ist. 'Bei ihm gibt es wie bei vielen Start-Ups eine Art Wagenburg-Mentalität', sagt Popp."

Immerhin hat sich inzwischen bei deutschen Medien weitgehend herumgesprochen, dass man für Musk nicht auch noch kostenlos PR machen sollte, indem man seine Bezeichnung "Gigafactory" für die Tesla-Fabrik in Brandenburg übernimmt. Von einer Firma, die des Superlativs "Gigafactory" würdig wäre, würde man womöglich auch kein Chemikalien-Leck erwarten, wie es in Grünheide vor kurzem aufgetreten ist – der "Tagesspiegel" schreibt von einer "Havarie".

Neuer Chef für die "New York Times"

Wer regelmäßig die Webseite der "New York Times" aufruft, ist entweder interessiert an hochwertigem Journalismus oder Fan des Buchstabenratespiels "Wordle". Nur in ersterem Fall ist die folgende Meldung von Interesse: Das Medienunternehmen bekommt nach sechs Jahren einen neuen Chefredakteur, weil Dean Baquet sich im Juni mit 65 in den Ruhestand verabschiedet.

Wie gut sich der "Neue", Joseph Kahn, mit Rätselspielen auskennt, ist nicht bekannt. Aber ganz sicher weiß er, wie guter Journalismus geht: Der 57-Jährige gewann schon 1994 zusammen mit anderen einen Pulitzer-Preis für die Berichterstattung über globale Gewalt gegen Frauen, wie der "Spiegel" schreibt – damals noch für die "Dallas Morning News". Später war Kahn Korrespondent für die NYT in Peking und leitete die Auslandsabteilung der Zeitung, die in seiner Zeit weitere sechs Pulitzer-Preise einheimste. Und auch er selbst gewann die Trophäe 2006 noch einmal zusammen mit einem Kollegen, als er über das US-Justizsystem berichtete.

In der beim "Handelsblatt" zu findenden dpa-Meldung heißt es:

"Kahn bekleidete seit 2016 als geschäftsführender Chefredakteur die nach Baquet zweitwichtigste Position in der Redaktion der 'Times', eine damals nach einer Pause wieder eingeführte Rolle. In diese Zeit fällt die Weiterentwicklung des Titels hin zu einem breiten Angebot von Podcasts, über Videoformate, bis hin zu Spielen."

Kahn übernimmt nun die führende Verantwortung für eine riesige publizistische Macht: Gut 1.700 Reporter und Redakteurinnen arbeiten bei der NYT. Was er damit erreichen soll, ist schon festgesteckt: Der neue Chefredakteur soll bis Ende 2027 15 Millionen Abos gewinnen, schreiben Anna Ernst und Hannes Vollmuth in der SZ. Und sie erwähnen ein Problem, das ihnen aus ihrem eigenen Haus bekannt vorkommen dürfte: Die NYT ringe mit der Frage, wie man Topjournalisten halten könne:

"Zuletzt wechselte Tech-Reporterin Taylor Lorenz zur Washington Post. Medienjournalist Ben Smith, der erst kürzlich auch in Deutschland mit seiner Recherche für Aufsehen gesorgt hatte, die zur Entlassung von Bild-Chef Julian Reichelt führte, kündigte im Januar an, dass er sich mit einem eigenen Start-Up selbstständig machen will."

Das erinnert doch sehr an die ehemaligen SZ-Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, ebenfalls Pulitzer-Preisträger, die gerade auf der Suche nach Leuten für ihr in Kooperation mit dem "Spiegel" gegründetes Projekt Papertrail Media sind.


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+++ Weil Persönliches vermeintlich immer gut ankommt, haben Artikel über Innenleben, Seelenqualen und Alltagsproblemchen von Journalistinnen und Journalisten Hochkonjunktur – nicht immer mit Mehrwert. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist der Artikel "Kommt Zeit, kommt Rad" der taz-Autorin Luise Strothmann, die tatsächlich etwas Berichtenswertes erlebt hat: Sie ist mit drei Kindern und ohne Auto aufs Land gezogen und erzählt in einem selbstkritischen Text, was sie dabei über die Verkehrswende gelernt hat. +++

+++ Apropos taz: Heute gibt es wegen eines Stromausfalls keine aktuelle Ausgabe – weder im Print noch digital. "Wir sind morgen wieder da!", versprach die Redaktion per Twitter. Inzwischen laufen die Server wieder. +++

+++ "Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue", sagt der Sänger Xavier Naidoo in einem rund dreiminütigen Video, in dem er sich von "allen Extremen" distanziert. Er sei von Verschwörungserzählungen geblendet gewesen – weil seine Frau aus der Ukraine stamme, habe er seine Ansichten nun hinterfragt. Leider ist nicht zu erwarten, dass Naidoo mit dem Video all die Fans überzeugt, die ihm auf seine "Irrwege" gefolgt sind: So leicht lassen sich die Folgen jahrelangen Geschwurbels leider nicht rückgängig machen. +++

+++ Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Mit meinem Kollegen Stefan Fries habe ich sechs Journalistenfilme daraufhin abgeklopft, wie realitätsnah sie den journalistischen Alltag darstellen – von "Schtonk" über den Watergate-Klassiker "Die Unbestechlichen" bis hin zu "Don't look up". Dafür haben wir sechs Kolleginnen und Kollegen gebeten, die Filme für uns zu kommentieren: Natalie Amiri, Justus von Daniels, Christiane Florin, Hans Leyendecker, Juliane Löffler und Michael Seufert. Herausgekommen ist dabei ein 47-minütiges "Mediasres spezial". +++

Neues Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.

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