Das Altpapier am 12. Dezember 2017 Wo sind die Zampanos geblieben?

Neu im Raum der Öffentlich-Rechtlichen-Diskussionen: ca. eine halbe Milliarde Euro zuviel. Der künftige ARD-Vorsitzende hat gerade noch rechtzeitig eine verdammt wichtige Reißleine gezogen. Der künftige Mainzer Medienwächter sagt schon mal was (über Facebook). Leo Kirch wurde nicht in zweimal 90, sondern bloß einmal 45 Minuten verfilmt. Außerdem: Ist Claus Kleber nicht mal Ulrich Wickert? Ein Altpapier von Christian Bartels.

Na endlich. Fast schon 3. Advent und jetzt erst trudeln erste Jahresvorschauen rein. Was ist denn in die Medienmedien gefahren? Wird Entschleunigung der Megatrend 2018?

Meedia.de zufolge nicht. Stefan Winterbauer muss sich ganz schön quälen (bzw. die ziemlich identischen Trends "4. Die (Medien-)Marke schlägt zurück" und "10. Paid Content – aber endlich richtig!" zu zwei unterschiedlichen erklären), um überhaupt zehn voll zu machen. Vielleicht besteht der dann bereits elfte Trend darin, dass die Aufmerksamkeitsspannen weiter schrumpfen und für künftige Trends- und Thesen-Cocktails neun mehr als ausreichen.

Trends, die einfach nahtlos weitergehen, gibt's natürlich auch. Z.B.:

"7. Showdown: Verleger vs ARD/ZDF

... Der Rundfunkstaatsvertrag wird mal wieder erneuert und die große Frage ist, wie es ARD und ZDF mit ihren Digital-Aktivitäten halten. Das ZDF agiert in Sachen Online-Textmengen bislang deutlich zurückhaltender als die ARD. ... Gut, wenn dieser Streit im kommenden Jahr endlich ausgefochten ist."

Und während der unglamouröse Good Cop unter den Verlegern, Zeitschriftenverlegerverbands-Chef Rudolf Thiemann, in einem etwas tristen Feelgood-Interview ("Und Content heißt, wir beschreiben die Welt, wir haben unsere Meinung dazu, wir haben unser Lebensgefühl ...") mit der dpa noch mal die bekannten Positionen in neue Metaphern gießt:

"Es kann nicht sein, dass die Begrenzung öffentlich-rechtlicher presseähnlicher Angebote aufgeweicht wird. Diese Angebote sind ja nicht kostenlos, auch wenn sie dem User kostenlos erscheinen. ... Wenn die Ministerpräsidenten hier keine klare Schranke setzen, dann ist vollkommen klar, dass vielen Verlagen das Wasser im Internet abgegraben wird. Wenn das geöffnet würde, würde der Finanzbedarf der Öffentlich-Rechtlichen auch viel größer werden ...",

während die dpa die naheliegende Frage nach konkreten Beispielen nicht stellt, bringt die Finanzbedarfs-Ermittlungs-Kommission KEF neuen Pfeffer in die Debatte. Sie findet, genau dieser Öffentlich-Rechtliche-Finanzbedarf werde schon jetzt übererfüllt: Die KEF sei

"der Auffassung, dass ARD, ZDF und das Deutschlandradio in der laufenden Rundfunkbeitragsperiode mit weniger Geld auskommen, als sie angemeldet haben. Deshalb will die KEF den Finanzbedarf der Sender kürzen",

meldet medienkorrespondenz.de in bewährter Nüchternheit. Bloß die Zahl hat es in sich. Auf die "Rundfunkbeitragsperioden"-Jahren 2017 bis 2020 heraufgerechnet, erreicht sie die knackige Summe von "etwas mehr als einer halben Milliarde" Euro. Was Verleger, die mit immer mehr immer mehr immer nischigeren Blättern (Thiemann: "Jährlich haben wir 150 neue Titel ...") um den kleiner werdenden Kuchen der gedruckten Print-Anzeigen tanzen müssen, dazu sagen würden, lässt sich leicht denken. Und gewiss bald auch lesen.

Dabei beginnen 2018 ja bereits die Beratschlagungen um die Rundfunkbeitragsperiode ab 2021, für die viele öffentlich-rechtliche Manager auf eine leichte Erhöhung hofften, schon weil prominente Kostenfaktoren wie, nur zum Beispiel, Pensionen und Fußballfernsehrechte-Preise, ja keineswegs sinken. In der trockenen Medienkorrespondenz-Neuigkeit steckt also allerhand Brisanz.


Klassik darf auf UKW bleiben

Wer ab Januar als Nachfolgerin der MDR-Intendantin Karola Wille aus der Position des Vorsitzenden heraus die ARD anführen wird (und Mitte Dezember natürlich schon topfit und warmgelaufen am Spielfeldrand steht), stand zuletzt gestern im Altpapier: Es ist der BR-Intendant Ulrich Wilhelm. 

Am vergangenen späteren Freitagnachmittag, also dem Zeitpunkt der Woche, an dem Medienmanager traditionell Entscheidungen, die halt raus müssen, die aber gerne nicht groß diskutiert werden sollen, bekannt geben, gab der Bayerische Rundfunk bekannt: Er verzichtet nun doch auf den seit 2014 gegen erhebliche Widerstände durchgedrückten Beschluss, 2018 seinen Klassik-Radiosender aus dem UKW-Radio zu entfernen, um dort Platz für sein junges Jugendradio namens Puls zu schaffen. Auf br-klassik.de finden Sie die Meldung in eigener Sache mit großem, freundlichen Ulrich-Wilhelm-Lächeln mittendrin.

Das verdient nochmals Aufmerksamkeit und bekommt sie heute auch:

"Die Jugend, das ließ sich an damaligen Petitionen und Gegen-Petitionen ablesen, die im Netz die Runde machten, interessierte sich kaum für den Frequenzwechsel: Die Gegner hatten binnen weniger Wochen mehr als 50000 Unterschriften beisammen, die Befürworter kamen nur knapp über die Tausendermarke",

schreibt Axel Weidemann auf der FAZ-Medienseite (unter der Überschrift "Tauschrauschaus"). Und Stefan Fischer, der Radio-Fachmann der Süddeutschen (die ja schon am Samstag berichtete), meint ebenfalls, Wilhelms Argument, "dass es beim Ausbau von DAB+", des Digitalradio-Standards, "gelungen sei, 'die Rahmenbedingungen im Vergleich zu 2014 nachhaltig zu verändern' und Puls deshalb gar keine UKW-Frequenz mehr brauche, lässt sich durchaus untermauern". Vereinfacht gesagt: UKW nutzen die jungen Leute ohnehin nicht mehr so. "Mittelfristig" werde es um die Frage gehen, "ob junge Hörer Audio-Inhalte überhaupt noch im Radio suchen und nicht etwa bei Spotify".

Dass der BR seine Entscheidung außerdem ausdrücklich auch als "im Sinne eines guten Miteinanders mit den privaten Radioanbietern und den Verlegern" (die nämlich Angst hatten, Puls auf UKW nähme ihren Radiosendern Marktanteile und damit Werbeeinnahmen weg) verkaufte, nimmt die FAZ trocken ("Den abgesagten Frequenzwechsel darf man durchaus als Friedenszeichen sehen. Es wird aber auch als Großtat verkauft, was anders überhaupt keinen Sinn gehabt hätte") zur  Kenntnis, während Bayerns Verleger-Verband es durchaus anerkennt.

Und auch wenn die Freunde klassischer Musik wie die neue musikzeitung finden, dass "die Sache müffelt", gibt es noch einen weiteren Aspekt:

Ausgerechnet das Radioprogramm für klassische Musik von der insgesamt erheblich stärker genutzten UKW wegzuverlegen, um dort Platz für einen jungen Junge-Leute-Sender neben denen für die gealterte Jugend aus der Generation Thommy Gottschalk, wäre die krasseste und augenfälligste Abkehr vom Kulturauftrag gewesen, die sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk bislang überhaupt geleistet hätte. Wie sehr ARD und ZDF jenseits der 23.30-Uhr-Sendeplätze den Kulturauftrag erfüllen, lässt sich ja ohnehin gut diskutieren. Eine Klassik-Verbannung hätte bei jeder künftigen Brauchen-wir-die-Öffentlich-Rechtlichen-noch-Diskussion als allererstes Argument im Raum gestanden. Anders gesagt: Da hat Ulrich Wilhelm, der es als ARD-Vorsitzender ja nicht ganz leicht haben wird (zum Beispiel in Staatsferne-Diskussionen), gerade noch rechtzeitig eine verdammt wichtige Reißleine gezogen.


Neues von Eumann

Wenn wir gerade bei Staatsferne sind: Es gibt Neues vom Darling aus vielen jüngeren Altpapieren (zuletzt diesem). Marc Jan Eumann bekleidet derzeit sozusagen eine schillernde Doppelfunktion als "Vorsitzender der Medien- und netzpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und neuer Leiter der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz". Zumindest wird er von faktenfinder.tagesschau.de so zitiert, und zwar mit folgendem hochwertigen Medienwächter-Satz:

"Grundsätzlich können Bürgerinnen und Bürger meines Erachtens unterscheiden, wann es um Parteiwerbung geht. Hier sollten wir den Nutzerinnen und Nutzern ruhig mehr zutrauen."

Oder spricht da doch eher als der Medienwächter der Sozialdemokrat, der die Chance erkennt, dass seine SPD mithilfe von Microtargeting bei Facebook bei der Bundestagswahl im Frühjahr doch noch mal über 20 Prozent kommt? Um solches Microtargeting geht's im Artikel, in dem sich ansonsten bloß noch der kampfesfreudige Hamburgische Datenschutz-Beauftragte Johannes Caspar und eine Facebook-"Sprecherin, die namentlich nicht genannt werden wollte", äußern. Angesichts so vieler offener Fragen – werden die Bundesländer-Medienwächter 2018 Sinnvolles anstellen oder rückt ihre Abschaffung näher? Kann das NetzDG die deutschen Facebook-Vertreter ein wenig aus ihrer für sie so bequemen Anonymität zerren?... – bekäme man fast Lust, eine kleine Jahresvorschau zu improvisieren. Jedenfalls sollten Sie Andrej Reisins Beitrag lesen.


Fellini, Shakespeare, Schröder, Middelhoff ... (bzw. Leo Kirch)

Doch muss noch das Medienbeobachter-Muss heute Abend im Fernsehen gewürdigt werden: "Der große Zampano - Wer war Leo Kirch?" heißt es und läuft um 22.45 Uhr im ZDF (das seine Presseunähnlichkeits-Interpretation so vorbildlich ausfüllt, dass es für diese Doku offenbar gar nichts Textliches ins Netz gestellt hat). Benannt ist die Sendung nach der Anthony-Quinn-Rolle im Fellini-Film, den Krich als ersten gekauft haben soll.

Falls Sie zu jung sind, um den Nachkriegs-Medienmogul zu kennen, hilft Daland Segler von der Frankfurter Rundschau:

"Leo Kirch hat das deutsche Fernsehen und seine Zuschauer vielleicht mehr geprägt, als es sowohl den Machern als auch ihrem Publikum bewusst ist."

Eine schön süffige Zusammenfassung des 45-Minüters gibt Joachim Huber im Tagesspiegel, der zum Beispiel die posthume Pointe schildert:

"Fast erblindet und völlig überschuldet wurde eine der großen Unternehmergestalten der Nachkriegszeit Zeuge des eigenen Niedergangs. Frei von Larmoyanz und Selbstmitleid – 'Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen', zitierte Kirch den Hiob – musste er 2001 die Insolvenz seiner Firmengruppe erleben und blieb doch bis zu seinem Tod 2011 ein Fighter. Getreu seiner Überzeugung, 'erschossen hat mich der Rolf', klagte er unverdrossen gegen die Deutsche Bank und ihren Chef Rolf Breuer. Erlebt hat Leo Kirch seinen großen Triumph nicht mehr: Die Bank musste an die Erben und Gläubiger fast eine Milliarde Euro bezahlen."

Und falls Sie denken, das sei das Ende: nein. Der Film habe

"ganz am Ende noch eine kleine Überraschung für die Zuschauer parat. Denn da taucht plötzlich  ..."

Irgendwie verspoilert Caspar Busse auf der SZ-Medienseite die kleine Überraschung, mit der Journalismus-Zampano Michael Jürgs als einer der Filmautoren sich doch solche Mühe gegeben zu haben scheint. Das ganz große Theater ("Als wär’s ein Stück von Shakespeare") erkennt schließlich, nicht völlig überzeugt ("Zug ins Hagiographische") Oliver Jungen in der FAZ-Besprechung, die noch nicht frei online steht, aber auch die Rollen anreißt, die längst aus anderen bis radikal anderen Zusammenhängen geläufige Persönlichkeiten wie Mathias Döpfner, Gerhard Schröder und Thomas Middelhoff bei Kirchs Sturz spielten. 

Ja eigentlich hätte das Ganze, weiß Busse noch, "ein TV-Spielfilm ..., eines dieser sogenannten Biopics, also eine dieser so populären Filmbiografien, die das Leben des undurchsichtigen Medienunternehmers in fiktionale Form packt und nacherzählt", aus dem Projekt werden sollen. Doch "daraus wurde nichts, das interessiere doch kaum jemanden, hieß es."

Dass das ZDF-Publikum, seitdem Leo Kirch den Sender nicht mehr mit Genrefilmen aller Art beliefert, nur noch ausschließlich Kommissar-Krimis und "Herzkino"-Schmonzetten interessieren, und dass Zampanos, die ein paar Jahrzehnte lang Gespür für Medien-Geschäfte mit Gespür für Medien-Inhalte verbinden, in Deutschland anno 2011 ausgestorben sind, ist schon schade.


Altpapierkorb (Kleber-Kritik, Ken Jebsen, Big Brother Netflix, Updays Herzchen)

+++ Der Medienrealität-Blog (medienblog.hypotheses.org) des LMU-Professors Michael Meyen kam hier zuletzt öfter vor. Da zitieren wir natürlich gerne die Besprechung von Claus Klebers neuestem Spiegel-Beststeller, der zwar auch schon im September besprochen wurde (Altpapier), aber nun für Gabentische in Erwägung gezogen wird. Unter der Überschrift "Rettet Claus Kleber" schreibt Meyen, dass Kleber nicht mal ein Ulrich Wickert sei, um von Hajo Friedrichs ganz zu schweigen. Bzw, dass er zumindest den Ruhestand abwarten sollte, bevor er Bücher schreibt. +++

+++ Auch als Buch verfügbar: der erheblich umstrittenere Ken Jebsen. Aufs Buch griff dann auch Matthias Holland-Letz zurück, als er den Betreiber von kenfm.de (Achtung, Link führt echt dort hin!) für das Journalistengewerkschafts-Magazin journalist porträtieren sollte, doch weder dieser, noch Lutz Hachmeister, der Jebsen nicht so schlimm findet wie andere, zur Verfügung standen. +++ Im Berliner Linken-Viertel rund um Volksbühne, Liebknecht-Haus und Babylon-Kino ist Jebsen gerade ganz besonders umstritten (Tagesspiegel). +++

+++ Schon wieder "Showdown" (heute im EU-Parlament), schon wieder um die Sat-Cab-Verordnung (Altpapier), und Michael Hanfeld warnt wieder. +++

+++ "Das Layout ist elegant, die Texte sind fundiert, die inhaltliche Ausrichtung ist FAZ-adäquat", doch "wer ... soll das alles lesen, an einem Mittwoch, zusätzlich zu den 17 regulären rechtsrelevanten Texten aus der aktuellen Print-FAZ?" Fragte der promovierte Jurist Christian Rath von der taz zum neulich hier erwähnten neuen FAZ-Juristen-Medium namens Einspruch. +++

+++ Außerdem inzwischen ebd. online: das Schicksal des von Auslieferung und Folter bedrohten usbekischen und schwulen Journalisten Ali Ferus. +++

+++ "Der distanzlose Sportjournalist" kommentiert Jürn Kruse in der taz das gestern hier thematisierte Wintersportveranstaltungs-Engagement des MDR-Sportmoderators René Kindermann. +++

+++ Hat sich Netflix' Social-Media-Team "in eine Art Big Brother-Falle manövriert" (meedia.de)? +++ So arg, dass dasselbe Portal nicht noch etwas "Das sind die teuersten Netflix-Serien aller Zeiten"-PR spendiert, war's offenbar nicht. +++ Inhaltlich interessanter: wie Jan-Eric Peters, inzwischen "Chief Product Officer" für Springers Samsung-App namens Upday, und sein "Executive Editor" erklären, wie auch sie mit netten Mitteln ("Knöpfe, Herzchen, Blacklists") Nutzerdaten so sammeln, dass sie "überraschende Stoffe, von denen man nicht mal ahnte, dass sie einen interessieren", erkennen können (immer noch meedia.de). +++

+++ Studio71, also die Youtuber-Abteilung von ProSiebenSat.1, macht wieder was für Funk, also das öffentlich-rechtliche Junge-Leute-Internetangebot (dwdl.de). +++

+++ Warum es kein "Gedöns" ist, hypersexualisierte Zeichentrick-Heldinnen in Frage zu stellen (Altpapier), erklärt Tilmann Gangloff bei epd medien. +++

+++ Und die Gewinner beim Spiegel-nahen Reporterpreis hat Spiegel Online schön aufbereitet. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.