Altpapier vom 14. März 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 14. März 2022 Kultur im Krieg

14. März 2022, 08:56 Uhr

Obwohl die Entstehung von Kultur oft in der Vergangenheit liegt, wird sie gerade schmerzlich aktuell. Und Trump will nicht sagen, dass Putin böse ist. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Ein "finsterer Meilenstein"

Mit Brent Renaud wurde am Sonntag in Irpin, einem Vorort von Kiew, anscheinend erstmals ein Mitglied der ausländischen Presse getötet. Die New York Times berichtet hier, dass der Journalist und Filmemacher sich wegen eines Filmprojekts über Geflüchtete in der Ukraine aufhielt:

"Mr. Renaud, 50, had worked for a number of American news and media organizations in the past, including HBO, NBC and The New York Times. The Ukrainian authorities said he was killed in Irpin, a suburb that has been the site of intense shelling by Russian forces in recent days, but the details of his death were not immediately clear. Ukrainian officials said another journalist was wounded as well. At the time of his death Mr. Renaud was on assignment for Time Studios working on a "project focused on the global refugee crisis,” according a statement from Time executives.”

Das Kultur- und Gesellschaftsmagazin Vanity Fair berichtet in seiner Online-Ausgabe (die aktuelle Print-Ausgabe ist aufgrund der sehr langen Produktionszeiten noch prä-Krieg entstanden, und widmet sich als jährliche "Hollywood Issue" mit dementsprechenden Portraitfotos ein paar heißen, das bedeutet in diesem Fall großartigen Schauspielerinnen und Schauspielern) hier ebenfalls vom Tod des Dokumentarregisseurs, und nennt es einen "finsteren Meilenstein" in der Berichterstattung über den Krieg.

"Renaud's death signals a grim milestone for reporters covering Vladimir Putin's worsening war against Ukraine, as he appears to be the first foreign journalist killed in the conflict.”

(Auch deutsche Medien berichten über den Tod Renauds, hier der Spiegel, und hier die Zeit.)

Thematische Globalität der Kultur

Sowohl Renauds Tod selbst, als auch die Berichterstattung in einem Magazin wie der "Vanity Fair" verdeutlichen auf eine sehr traurige Art die thematische Globalität dieses Krieges: Kaum etwas kann momentan unpolitisch sein. Während man sich – vielleicht spätestens seit den Olympischen Winterspielen in China – in den Medien längst darüber einig zu sein scheint, dass (internationale) Live-Sportereignisse eh nie unpolitisch sind, und die dazugehörige Berichterstattung somit dementsprechende Aussagen treffen und fordern muss, sind der Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen Kultur und Politik jedoch vielschichtiger.

Denn Kultur findet mehrheitlich unabhängig von Aktualität statt – Bücher, Filme, Theaterstücke, Musik werden lange im Voraus erdacht, aufgeschrieben und geplant; wenn sie der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden, liegt ihre Entstehung in der Vergangenheit. Aktuell und politisch relevant sind sie natürlich dennoch – aber nicht unbedingt tagesaktuell. Damit steht auch die Berichterstattung über Kultur eben nur teilweise im Schatten der aktuellen Ereignisse.

"Putin ist (nicht) böse"

Die "Vanity Fair" hat neben den üblichen Hintergrundgeschichten zu Kultur und Gesellschaft ein ganzes Dossier zum Krieg zusammengestellt. Hier liefert sie online eine detaillierte Betrachtung eines Versuchs des Fox News-Talkshow-Hosts Sean Hannity vom letzten Donnerstag (hier kann man sich das Ganze auch selbst anschauen), in einem Telefoninterview mit Donald Trump eine Aussage zu Putin aus dem Ex-Präsidenten herauszupopeln.

"In an interview on Thursday night, Fox News host Sean Hannity went with a new tack: trying everything in his power to put the words 'Putin is evil and I understand this' into Trump's mouth.”

Hannity, berichtet die VF, habe Trump die Fakten langsam "wie einem kleinen Kind" erklärt, von den Attacken auf eine Geburtsklinik gesprochen, die Leichen von Männern, Frauen und Kindern in den Straßen der Ukraine benannt. Ohne Erfolg:

"Trump responded by calling the situation 'sad.' But crucially, he laid no blame on the head of his favorite dictator. Of the Russian president, all Trump had to say was 'I know him well, and this was not something that was going to happen at all [on my watch].'”

Auch eine direkte Frage blieb folgenlos, obwohl Hannity sie mit einem vermutlich ein bisschen an Trumps Narzissmus appellierenden, indirekten Kompliment einleitete, indem er durch die Blume zu verstehen gab, dass er dem Ex-Präsidenten – anders als andere Medien – durchaus gesunden Menschenverstand zutraut:

"'I think I know you a little bit better than most people in the media, and I think you also recognize he's evil, do you not?' Literally all Trump had to do here was say, 'Yes,' or 'Yes, I do,' or 'Yes, he is.' But Trump, of course didn't do that. Instead he answered the question indirectly, and when the P-word did come up, it was to say that all this invading and civilian killing was somehow out of character for him.”

Der Moderator versuchte es danach mit einem Hinweis auf Trumps Belesenheit:

"'I've known you well over 25 years,' the Fox host said. 'You got criticized for saying Vladimir Putin is smart. We've had many conversations, and you've often quoted to me Sun Tzu, The Art of War, keep your friends close and your enemies closer. Is that how you viewed Vladimir? Did you view Vladimir Putin and people like President Xi [Jinping] and Kim Jong Un and the Iranian mullahs as enemies that you needed to keep close?' Hannity was practically serving up the sound bite he wanted on a silver platter. Surely, Trump would bite at a reference to The Art of War. But again, Trump didn't!"

Stattdessen nahm Trump Bezug auf seine etwas früher im Interview getätigte Aussage, mit ihm als Präsidenten wäre so etwas nicht passiert, und sprach über die "großartige Chemie" die er auch mit Menschen wie Putin habe. Andere hätten das Handtuch geworfen, kommentiert die VF, aber Hannity habe es noch ein letztes Mal versucht:

"Hannity refused to give up, asking if Trump thought Putin was "capable of evil things," an amazingly low bar given the children he's already murdered. Trump wouldn't do it, saying only that "Putin is for Russia. And you see what happened. And that's all because they didn't respect our leader.” At one point in the interminable, painful interview, Trump did say what is happening in Ukraine "is a crime against humanity,” but crucially left out the "being committed by Vladimir Putin” part. Which should come as a surprise to exactly no one, though Hannity probably did still replay the whole thing over and over in his head, trying to figure out where he went wrong. So here's a tip, Sean: Next time try a ventriloquist dummy.”

Dieses, wie die VF schreibt, "endlose und schmerzhafte Interview" fand auch in vielen anderen Medien Beachtung. Hier ist zum Beispiel, was die Washington Post schrieb - und hier ein Text aus der US-Online-Ausgabe des Musikmagazins Rolling Stone.

Reaktion der Kulturmagazine

Deutsche Kulturmagazine reagieren genauso mit thematischen Annäherungen: In dem TV-Kulturformat "Titel, Thesen, Temperamente" geht es am Sonntagabend in zwei Beiträgen um die Ukraine – Denkerinnen und Denker wie Alexander Kluge reden über einen Ausweg aus der Eskalationsspirale, und eine ukrainische Regisseurin erzählt in einem Film vom Krieg, und wird quasi von der Realität eingeholt. (Daneben wird ein Buch vorgestellt, das den Kaffee als Droge untersucht, und eine Ausstellung über Musikvideos besprochen.)

Ein wöchentliches Filmmagazin wie "Zwölf Uhr Mittags" im RBB-Sender RadioEins gestaltet die Themenauswahl ebenfalls in Teilen zu der momentanen Situation passend, und bespricht mit "Europe" den ersten Spielfilm des Dokumentarspielfilmregisseurs Philip Scheffner, der das Leben einer jungen, geflüchteten Frau in Frankreich portraitiert: Eine schwer an Skoliose erkrankte Algerierin durfte für die Dauer ihrer vielen Operationen in Frankreich bleiben, und konnte sich ein Leben aufbauen. Doch nach den erfolgreichen Prozeduren entzog das europäische Land ihr die Aufenthaltsgenehmigung – im Augenblick ihrer körperlichen "Gesundung" ist ihre Zukunft also ungewiss wie nie.

Abschiebung ins Fiktionale

Mit dem höchstaktuellen Thema Flucht und Migration zusammenhängenden Probleme können somit symptomatisch auch für Geflüchtete aus anderen Ländern stehen. Der Regisseur nennt die Entstehung des Films im Gespräch "forced fiction":

"Wir haben einen Film mit fiktionalen Mitteln gemacht, weil die Fiktionalisierung ihres Lebens (…) ihr Leben bestimmt. Dadurch dass ein Staat von einem Tag auf den anderen sagt: 'Dein Leben was du hier gelebt hast, existiert nicht mehr. Du existierst hier eigentlich nicht mehr', wird sie ins Fiktionale abgeschoben."

Abgesehen von der redaktionellen Entscheidung einer Kulturredaktion, welche Kulturthemen während eines Krieges berichtenswert sind, bekommt die Kultur am direktesten in Form ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten Gehör. Sogar in reinen Nachrichtenformaten: Der Autor Wladimir Kaminer wird in RTL-Nachrichtensendungen geschaltet. Und am Sonntagabend sagt die preisgekrönte ukrainische Autorin Katja Petrowskaja bei "Anne Will": "Demokratie ist immer schwächer als Tyrannei". (Damit plädierte sie für mehr Waffenlieferungen und stärkere Sanktionen Deutschlands. Sie hat auch einen offenen Brief verschiedener ukrainischer Intellektueller unterschrieben, den die Welt hier dokumentiert.)

Vom "Abschieben ins Fiktionale", wie es bei Scheffner heißt, kann momentan beim Ukrainekrieg nicht die Rede sein. Er dauert an. Damit liegt der Zeitpunkt, an dem die Welt und die Kultur auf diesen Krieg zurückblicken, sich künstlerisch und fiktional damit auseinandersetzen, noch in weiter Ferne.

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+++ Der Tagesspiegel hat hier ein Interview mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über Kommunikation und Trauer geführt.

+++ Die FAZ berichtet über die an bestimmte Voraussetzungen geknüpfte Freilassung des saudischen Bloggers Raif Badawi: Er darf das Land nicht verlassen.

+++ Übermedien kommentiert hier die Geschichte um das New York Times-Foto vom letzten Montag (hier im AP).

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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