Das Altpapier am 15. Februar 2022 Entscheidung durch ein Eigentor?
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15. Februar 2022, 10:28 Uhr
Rund um Deutschland herum wird über Mediensubventionen diskutiert. In der Schweiz wurde ein abermillionenschweres Gesetz per Volksabstimmung spektakulär gekippt. Hierzulande wollen die Lobbys das Thema wieder auf die Tagesordnung setzen – mit einem altbewährten Haudegen. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
- Lässt sich etwas lernen aus der Schweizer Medien-Volksabstimmung?
- Schrumpfende Vielfalt, steigende Marktanteile, Preisexplosion
- Die Zeitungsverlage stürmen doch nicht die Bastille
- Altpapierkorb (Telegram sperrt, Baerbocks Ministerium über Assange, mobilsicher.de über Selfie-Apps, die neue "Borgen"-Staffel, die neueste ARD-Serie)
Lässt sich etwas lernen aus der Schweizer Medien-Volksabstimmung?
Es war ein größeres Medien-Thema, über das am Sonntag in der naheliegenden und schon sprachlich verwandten Schweiz abgestimmt wurde, allerdings unter eher geringer und später (Altpapierkorb vom Freitag) Vorabbeachtung hierzulande.
Dabei war die Abstimmung schon "deshalb spannend, weil vergleichbare politische Entscheidungen auch in Deutschland über kurz oder lang anstehen", wie am Freitagnachmittag der in der Schweiz bewanderte Journalistik-Professor Stephan Russ-Mohl im "Tagesspiegel" schrieb. Er machte auch darauf aufmerksam, dass mit "Otfried Jarren, Honorarprofessor an der FU Berlin", ein deutscher Was-mit-Medien-Professor sogar sozusagen als "medienpolitischer Chefberater der Schweizer Bundesregierung" beteiligt war.
Worum es ging: um ein 150 Millionen zusätzliche Franken (pro Jahr!) schweres Medienförderungs-/Mediensubventions-Paket. Und was draus wurde (AP-Korb gestern): Dieses Gesetz der schweizerischen Bundesregierung ist deutlich krachend gescheitert.
"Keine Mehrheit für Meinungsvielfalt in der Schweiz", lautet die wohl krasseste Interpretation des Ergebnisses durch das (deutsche) Gewerkschaftsmedium mmm.verdi.de auf Twitter. Gewonnen hätten "rechtspopulistische Meinungsmacher mit besten Finanzverbindungen" wie der auch hierzulande bekannte "Weltwoche"-Chefredakteur sowie SVP-Politiker Roger Köppel.
Heute analysieren auch die "FAZ" und die "SZ" die Abstimmung. Für letztere sieht Korrespondentin Isabel Pfaff aus Bern einen Grund für die Ablehnung darin, dass das Parlament "das Paket in den Beratungen immer weiter aufpumpte, um es für alle zustimmungsfähig zu machen". Genau deswegen hätten stattdessen gegnerische Slogans à la "Keine Steuermilliarden für Medienmillionäre" und "Raubzug auf die Staatskasse" Zustimmung erfahren. Diese
"lautstarken Angriffe auf die 'Medienmilliardäre', die sich an Steuergeldern bereicherten ..., war [sic] ebenso befremdlich wie die journalistische Begleitung der Abstimmung durch die Redaktionen: Die Millionen des Staates wurden als Garantie gegen Fake News und für die rechtzeitige Frühzustellung der gedruckten Zeitung beworben – letztlich als Preis für die Rettung der Demokratie",
meint "FAZ"-Korrespondent Jürg Altwegg aus Genf und sieht außer einer "Ohrfeige für die Politik" auch ein "Eigentor der Politik und der Medien".
Wenn journalistische Medien sich zu sehr selber als vierte Gewalt oder Säule der Demokratie oder dergleichen feiern, erreichen sie vermutlich eine Mehrheit in ihrer ohnehin überzeugten Zielgruppe/Community, die aber keineswegs automatisch einer Mehrheit in der Gesamtgesellschaft (oder unter deren Mitgliedern, die sich an Abstimmungen beteiligen) entsprechen muss. Ist das eine verallgemeinerbare Lehre aus dieser Abstimmung?
Ein paar Umfragedaten, wer vor allem dagegen stimmte, liefert Altwegg auch. Wichtiger als der schweizerische "Röstigraben" war das Alter, also "die Ablehnung der Medienhilfe durch die Jungen".
Aufmerksamkeit verdienen die im Kern überzeugenden Gründe für das gescheiterte Gesetz. Einerseits sollte außer der Vielfalt der Medien auch die der Sprachen in der Schweiz, in die schließlich große Medien aus Deutschland, Frankreich und Italien hineinwirken, gestärkt werden. Andererseits hätten die privaten Medien "seit 2000 rund drei Viertel ihrer Werbeeinnahmen verloren", beziffert mmm.verdi.de. Wobei ja keineswegs weniger geworben wird, ganz im Gegenteil, sondern bloß anderswo. Die Werbeeinnahmen "fließen zu Google und Facebook statt zu den Zeitungen und Onlinemedien", wie heute die "SZ" nochmal notiert.
Was ja nun kein auf die Schweiz beschränktes Problem ist.
Schrumpfende Vielfalt, steigende Marktanteile, Preisexplosion
Während in der Schweiz "seit 2003 rund 70 ... Zeitungen verschwunden" seien, sei die Zahl der Tageszeitungs-Lokalredaktionen in Dänemark "im vergangenen Jahrzehnt von 111 auf 84 geschrumpft". Berichtete gerade Skandinavien-Korrespondent Reinhard Wolff in der "taz" – weil in diesem nördlichen Nachbarland ebenfalls ein Gesetz zur staatlichen Medienförderung und gegen solche Entwicklungen vorbereitet wird. Es dürfte bessere Chancen auf Realisierung haben. Dort ist keine Volksabstimmung, sondern bloß eine Parlaments-Mehrheit der Minderheitsregierung nötig. Insgesamt 37 Punkte umfasst die dänische "Medienreform" mit dem (fast scholzomatisch mitreißenden) Namen "Den demokratischen Dialog stärken":
"Zum einen soll das Budget für den Public Service, dessen Finanzierung von einer Rundfunkgebühr auf eine solche aus der Staatskasse umgestellt worden war, wieder aufgestockt werden. Außerdem soll der bisherige starke Einfluss der Politik auf die Führungsgremien vermindert und der Vorstand von 'Danmarks Radio' statt mit ParteipolitikerInnen mit Medienprofis besetzt werden ... Bei der Presseförderung sollen derweil die Vertriebs- und Produktionssubventionen für die lokalen und regionalen Medien aufgestockt werden – gleich ob gedruckte oder digitale."
Falls es noch eines Beleges bedürfte, dass die steigenden Werbebudgets Europa-weit immer weniger bei den klassischen gedruckten Medien und deren Internetauftritten landen, wäre bei heise.de einer zu finden. Dort berichtete Torsten Kleinz vom von krassen Zahlen begleiteten Bemühen des Verlegerverbands European Publishers Council (EPC), ein weiteres Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission gegen Google in Gang zu bringen. Demzufolge
"soll Google über gezielte Übernahmen und das gezielte Ausbooten von Konkurrenten eine Marktmacht erreicht haben, die der Konzern zu Lasten der kleineren Verlage ausnutzte. Dieses Verhalten habe bereits mit der von den Wettbewerbsbehörden genehmigten Übernahme von Doubleclick durch Google im Jahr 2008 begonnen. Die Effekte seien im heutigen Werbegeschäft enorm. Alte Konkurrenten seien so gut wie verschwunden, Google habe sich auf jeder Ebene der Wertschöpfungskette breit gemacht und halte dort teilweise Marktanteile von über 90 Prozent. Alleine bei AdX berechnet Google 20 Prozent höhere Provisionen als in einem funktionierenden Markt möglich seien. ..."
An dieser Stelle passt vielleicht ein Schlenker zu einem vordergründig anderen Thema. Im "epd medien"-"Tagebuch" geht es um DAZNs gewaltige Erhöhung der Abo-Preise fürs Fußball-Gucken. Am Rande schreibt Stephan Köhnlein:
"Nicht ganz unschuldig an der Preisexplosion ist kurioserweise das Bundeskartellamt. Das hatte in der Ausschreibung für die Live-Rechte ein sogenanntes Alleinerwerbsverbot verlangt. Die Wettbewerbsbehörde wollte mit einer Verteilung auf mindestens zwei Käufer den Innovationswettbewerb bei Live-Übertragungen ankurbeln. Schwer vorstellbar jedoch, dass ein Anbieter allein sich in eine Preissphäre von 60 Euro getraut hätte."
Das Kartellamt, das sich mit Autozulieferern und im Lebensmittelhandel traditionell gut auskennt (und sicher dazu beitrug, dass Lebensmittel nirgends so preiswert bzw. billig sind wie in Deutschland), hat im Medien-Bereich circa seit Beginn der Digitalisierung kein glückliches Händchen gehabt, sondern mitgeholfen, dass die internationalen, meist kalifornischen Plattformkonzerne grotesk riesengroße Marktanteile auf allen Medienmärkten erobern konnten. Ob spät aufgenommene Bemühungen, dagegen noch vorzugehen, irgendwas ändern, bleibt zweifelhaft.
Die Zeitungsverlage stürmen doch nicht die Bastille
Wie sieht's in Deutschland mit Mediensubventionen aus? Gab's da nicht schon mal was?
Jawohl: im Sommer '20 eine ähnliche Initiative der damaligen Bundesregierung (Altpapier), die 220 Millionen Euro umfassen sollte, allerdings gestreckt auf mehrere Jahre. Wobei dieser Plan schon in den folgenden Monaten an einsetzenden Lobby-Diskussionen, vom Wirtschaftsminister Altmaier nicht vorhergesehenen Schwierigkeiten sowie am 2021 beginnenden Wahlkampf verpuffte.
Dass die neue Bundesregierung ähnliche Pläne im Prinzip auch verfolgt, kann als wahrscheinlich gelten. Wobei schon fraglich wäre, aus welchem Ministerium. Der neue Wirtschaftsminister Habeck setzt ja erst mal andere Prioritäten. Nun, da müssen sich die Lobbys einsetzen. Dafür sind sie ja da. Was zum Zeitungsverlegerverband BDZV und seinem Chef führt.
Mathias Döpfner und der von ihm nicht nur geführte, sondern zu einem recht entscheidenden Anteil (von derzeit 21,9 Prozent) auch besessene Springer-Konzern stehen oft in der Kritik, oft zurecht, seit den "Financial Times"-Enthüllungen vergangene Woche (Altpapier) ganz besonders.
Auch deswegen "schoss" die Funke-Mediengruppe, weiterhin einer der großen Zeitungsverlage, gegen Döpfner als Chef des BDZV und legte für dessen Sitzung am Montag "ein Papier zur Modernisierung des Verbands" vor, berichtete der "Spiegel". In dem Papier gehe es auch um eine "Verschmelzung aller Medienverbände (BDZV, VDZ, BVDA, VDL) zu einer gemeinsamen Interessensvertretung" – ein Plan, den die Funkes schon vor den "FT"-Enthüllungen ventiliert hatten und der ja durchaus Argumente für sich hat (schon weil die Gesetze, die die Presseverlage gerne hätten, ziemlich die gleichen sein dürften und klassische Unterschiede, die einst zwischen Zeitungen und Zeitschriften bestanden – diese erscheinen öfter, jene sind bunter – sich online komplett aufheben). In der Samstags-"FAZ" sagte Michael Hanfeld daher unter der hübschen Überschrift "Sturm im Wasserglas oder auf die Bastille" einen "Machtkampf" im BDZV voraus.
Inzwischen ist der Montag vergangen. Was ist also passiert? Nun, die Bastille steht noch. In der BDZV-Sitzung
"ging es nun um 'medienpolitische Themen unter dem Aspekt der neu gebildeten Regierung' ... Die Frage, ob Mathias Döpfner weiter als Gesicht dieses Verbands taugt ... wurde nicht besprochen",
notiert die "Süddeutsche" (€) unter der gedruckten Unterüberschrift "Der Verlegerverband verdrängt sein Spitzenproblem".
"Klare Worte, die sich einige Delegierte des BDZV auf der Versammlung am Montag, von und über die eigene Verbandsspitze erhofft haben dürften, gab es nicht",
ergänzt Hanfeld bei faz.net, weshalb die Funkes nun "über den Verbleib im BDZV durchaus nachdenke"-n würden. Einen Appell dagegen setzte der Verband ab:
"Das oberste Beschlussgremium des Verbands appelliere 'an die neue Bundesregierung, die flächendeckende Zustellung der Zeitungen als eine Aufgabe zur Sicherung der Demokratie und der gesellschaftlichen Teilhabe zu verstehen und zu unterstützen', so wie dies in anderen europäischen Ländern schon geschehe."
Wie zum Beispiel in Dänemark oder in der Schweiz (zumindest mit Stand vom vorigen Freitag). Heißt: Döpfner, der ja, was immer man sonst von ihm hält, der inzwischen wohl letzte deutsche Presseverleger mit größeren und internationalen Ambitionen ist, bleibt als Lobby-Haudegen auch in seinem Ehrenamt und dürfte in diesem Theater noch oft, bald vermutlich mit frischen Gesetzesideen, auftreten.
Altpapierkorb (Telegram sperrt, Baerbocks Ministerium über Assange, mobilsicher.de über Selfie-Apps, die neue "Borgen"-Staffel, die neueste ARD-Serie)
+++ Über neuerdings "größtmögliche Kooperationsbereitschaft" bei Telegram freute sich das Bundesinnenministerium vorige Woche. Und tatsächlich: Insgesamt "64 Kanäle" sperrte der Längst-nicht-mehr-nur-Messengerdienst. "Das sieht zunächst nach einem Sieg des Rechtsstaates aus. Doch dieser ist fraglich", kommentiert Jannis Brühl auf der "SZ"-Meinungsseite.
+++ Zur ebenfalls am Freitag hier gestreiften Frage, inwieweit die Deutsche Welle in Russland und RT-Medien in Deutschland vergleichbar sind, rekonstruierte Georg Mascolo für die "SZ" den eskalierten Streit ("Dass der Fall RT DE jetzt in den Händen der unabhängigen Justiz liegt, deuten manche in der Bundesregierung als Fortschritt").
+++ Hat Bundeskanzler Scholz bei seinem Antrittsbesuch in den USA die Folterhaft, in der Julian Assange auf US-amerikanischen Wunsch gehalten wird, kritisch zur Sprache gebracht, wie ein bemerkenswerter Solidaritäts-Appell nahezu aller deutschsprachigen Journalisten- und Pressefreiheitsorganisationen forderte (Altpapier)? Wohl nicht, zumal Scholz' grüne Außenministerin inzwischen auch ausdrücklich "keinen Anlass" sieht, in dieser Sache einen Finger zu rühren ("Telepolis").
+++ Der Name des Portals mobilsicher.de mag etwas possierlich anmuten (weil er zu den wenigen trotz Digital-Zusammenhängen Anglizismen-freien gehört?). Was es recherchiert, ist oft verdienstvoll und lesenswert. Zum Beispiel aktuell und von netzpolitik.org aufgegriffen: "Wer Selfie-Apps benutzt, hat schnell die Kontrolle über seine biometrischen Daten verloren". Ja, eine solcher Apps verkauft außer den Gesichtern offenkundig auch die dazugehörigen Namen.
+++ Das schon erwähnte kleine Dänemark mag ja weiterhin bessere Fernseh/Streamingdienst-Serie produzieren (wie der "Standard" mit Blick auf die jüngsten "Borgen"-Staffel andeutet). Dafür produziert Deutschland mehr, viel mehr. "Kaum eine Woche ohne eine neue Miniserie von ARD und ZDF ..., gerne mit Stoffen der jüngeren deutschen Vergangenheit", schreibt Markus Ehrenberg im "Tagesspiegel", lobt die neueste als "alles in allem aber ein durchaus kurzweiliges Fernsehvergnügen" und fragt sich nur ganz kurz, "was wohl ein Dominik Graf daraus gemacht hätte".
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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