Das Altpapier am 8. Februar 2022 Neue Autos, alte Vorwürfe
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08. Februar 2022, 08:31 Uhr
An der 20er-Jahre-Serie "Eldorado KaDeWe" stören die einen das moderne Stadtbild, die anderen Schrifttafeln, die mögliche Versäumnisse der Hertie-Stiftung thematisieren. Das eine kann man nicht verstehen, das andere schon. Ein Altpapier von Jenni Zylka
Kaufhausliebe
Aus gegebenem Anlass gehen wir jetzt mal ein bisschen "back in time", wie Huey Lewis and the News singen würden. Aber keine Angst, nicht in die 80er, ibah. Sondern zunächst nur ein paar Wochen: Kurz vor Weihnachten, am 20.12. stellte die ARD alle sechs Folgen von "Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit" in ihrer Mediathek bereit. Am 28.12. strahlte sie die von Julia von Heinz inszenierte und von der Regisseurin gemeinsam mit John Quester, Sabine Steyer-Violet und Oskar Sulowski geschriebene Miniserie dann an einem Abend aus, von der gefragten 20.15 Uhr-Primetime an bis in die tiefe Nacht.
Falls jemand die Serie noch nicht kennt - es ist die teils fiktive, teils auf historische Ereignisse beruhende Geschichte von vier jungen Leuten, die in den 20ern des letzten Jahrhunderts mit dem Berliner Kaufhaus KaDeWe verbandelt waren: Eine erfundene Tochter des KaDeWe-Gründers Jandorf namens Fritzi, die fiktive Verkäuferin Hedi, die sich in Fritzi verliebt und umgekehrt, dazu der echte Jandorf-Sohn Harry und der echte KaDeWe-Prokurist Georg Karg.
Neues Auto in alten Straßen
Die Produktion kam bei vielen Kolleginnen und Kollegen sehr gut an, man lobte (hier in der taz, hier für € im Spiegel, hier für € in der FAZ) die Konzentration auf eine lesbische Liebesgeschichte und damit auf weibliche Figuren, und die durch eine ästhetische beziehungsweise bühnenbildnerische Vermischung der Zeitebenen geschaffene, aktuelle Relevanz von immer akuten Themen wie Antisemitismus, Homophobie und Freundschaft. Andere (hier die Frankfurter Rundschau, ich ebenfalls, hier im Freitag) äußerten Kritik, allerdings keinesfalls am Thema oder an der Idee, die Jetztzeit innerhalb des historischen Sets und Settings präsent zu machen, sondern an Inszenierung und Spiel. (Denn man könnte es auch als Versäumnis empfinden, bei einem historischen Thema auf Authentizität etwa durch Dialekte oder authentische Körper zu verzichten. Man nimmt sich damit viel der möglichen immersiven Wirkung, die gebraucht wird, um eine zeitliche Distanz zu Figuren und Story zu überwinden.)
Aber unser Kritikerinnen- und Kritikergemaule soll mal schön am Rande bleiben. Eines der Merkmale der Serie ist jedenfalls besagte Vermischung von historischen mit aktuellen Stadtbildern – wenn Hedi etwa frohgemut im 20er-Jahre-Verkäuferinnenkittel von ihrem dunklen Hinterhof aus zum KaDeWe lostapert, läuft sie an modernen, parkenden Autos vorbei. Am Horizont weit hinter dem Prachtbau am Berliner Wittenbergplatz stehen neue Hochhäuser, die Schaufenster gehören teilweise zu alten Kurzwarenhandlungen, und teilweise zu modernen Franchise-Klamottenketten. Irgendwo in dieser in den späten 20ern spielenden Serie ist auch der (1969 fertiggestellte) Berliner Fernsehturm zu sehen.
Quotenwischerei
Die Zuschauenden konnten damit umgehen, zumindest einige Mediathekennutzende: Das Redaktionsnetzwerk Deutschland meldete vor ein paar Wochen mit Bezug auf eine Mitteilung des RBB, die Miniserie sei ein Mediathek-Hit.
"Innerhalb von drei Wochen in der ARD-Mediathek ist die polarisierende 20er-Jahre-Miniserie "Eldorado KaDeWe" 5,1 Millionen Mal abgerufen worden. "Durchschnittlich hatte die Serie 850 000 Streamviews pro Folge", teilte eine Sprecherin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) für den Zeitraum 20. Dezember bis einschließlich 8. Januar mit."
Die Quoten, die die Serie im linearen Fernsehen einfuhr, waren dagegen eher so lala, wie DWDL am 28.12. analysierte, und gar ein "Duell der Miniserien" ausmachte:
"Sowohl ARD als auch ZDF starteten am Montagabend mit der Ausstrahlung von Miniserien in die Zeit zwischen den Jahren, verfolgten dabei aber - auch im Hinblick auf die Mediathek - unterschiedliche Strategien. Während das ZDF seinen Krimi "Mord in der Familie - Der Zauberwürfel" in der linearen Ausstrahlung auf zwei Tage aufteilt, liefen im Ersten alle sechs Folgen von "Eldorado KaDeWe - Jetzt ist unsere Zeit" am Stück, was dazu führte, dass erst gegen 1 Uhr Schluss war. Gut möglich, dass diese XXL-Ausstrahlung so manchen davon abhielt, der Serie überhaupt eine Chance zu geben. Mit 3,06 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern sowie 10,2 Prozent Marktanteil schnitt die erste Folge dann auch eher mäßig ab. Die Folgen zwei bis vier erzielten anschließend sogar einstellige Marktanteile. Damit lag "Eldorado KaDeWe" deutlich hinter "Mord in der Familie", das im Schnitt 5,16 Millionen Menschen unterhielt und damit die meistgesehene Sendung um 20:15 Uhr war."
Im Endeffekt ist das aber wieder mal Quotenwischerei, und lässt erahnen, wer lineare und wer nichtlineare Unterhaltung schaut, und inwiefern es sinnvoll ist, eine Serie wie diese überhaupt einem dem Quotengezähle auszusetzen.
Fernsehen neu erfinden
Zumal Julia von Heinz (wie auch ein Altpapier 2019 berichtete) völlig zurecht schon vor drei Jahren, lange vor "Eldorado", in ihrer Dankesrede für den Hans Abich-Preis bemängelte, dass überhaupt noch Quoten veröffentlicht werden. Sie forderte in nämlicher Rede noch viel mehr Verbesserungen und Veränderungen im Fernsehen, unter anderem mehr Diversität.
Jene leidenschaftliche und kritische Rede war, wie die Leiterin des Fernsehbereichs der Deutschen Kinemathek, Klaudia Wick, nun erklärte, einer der Gründe, wieso sie Julia von Heinz in ihren "Fernsehsalon" einlud – ein Zwei-Personen-Talkformat, dessen aktuelle Folge mit von Heinz, und jetzt kommen wir zu dem angekündigten aktuellen Anlass, ab 11.2. unter den beiden Links www.deutsche-kinemathek.de und www.rbbkultur.de zu sehen sein wird. Ich saß in Berlin vor einer Woche bei der Aufzeichnung im Publikum, bei der von Heinz von den vielen Vorwürfen berichtete, die sie aufgrund der bewussten, ästhetischen Parallelität bekam. Einige Zeitungen hätten sogar zunächst ihre Interviewanfragen zurückgezogen. Und sie habe unfassbar viele Mails erhalten, erzählte von Heinz, in denen sich Menschen über vermeintlich vom Team unbemerkte, historisch unpassende Straßenutensilien wie moderne Autos aufgeregt hätten, "haben Sie das denn nicht gesehen?!". Au Backe. Was soll man da antworten. Nein, und den Fernsehturm auch nicht.
Wieviel ist "gering"?
Doch von Heinz' Produktion erfuhr noch eine weitaus weitreichendere, unerwartete Reaktion. Familie Jandorf verkaufte das KaDeWe nämlich Ende 1926 an das konkurrierende, ebenfalls jüdische Handelsunternehmen Hermann Tietz ("Hertie"). "Eldorado KaDeWe" nimmt sich dieser Tatsache auf einigen Schrifttafeln an, die am Ende der letzten Folge kurz eingeblendet werden, und die das Schicksal der fiktiven und realen Figuren weitererzählen. Darauf wird in Bezug auf den nicht-jüdischen KaDeWe-Prokuristen und Serienprotagonisten Karg erklärt:
"Georg Karg übernimmt das ganze Tietz-Imperium, und entschädigt die Familie nach 1945 mit einer geringen Summe."
"Schon bald entlässt er alle jüdischen Angestellten des KaDeWe."
"Sein Vermögen fließt in die Hertie Stiftung, diese behindert lange die Offenlegung ihrer Profite aus der Enteignung und Arisierung. Eine weitere Studie zur Aufarbeitung wurde 2020 in Auftrag gegeben."
(Die Pressemitteilung zu dieser Studie findet sich übrigens hier.) Wie Julia von Heinz in ihrem sehr offenen und kurzweiligen "Fernsehsalon"-Gespräch bestätigte, und Übermedien hier berichtet hatte, gab es nach der Ausstrahlung inklusive Tafeln auf alle Fälle einen bitterbösen Brief:
Unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen meldete sich der Geschäftsführer der Hertie-Stiftung, John-Philip Hammersen, persönlich bei ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. In einem Schreiben, das Übermedien vorliegt, beklagte er "rufschädigende Tatsachenbehauptungen", die "einen unhaltbaren Bezug zur heutigen Wirklichkeit herstellen." Es beschädige das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt, wenn "ausgerechnet die ARD in Zeiten von 'Fake News' und 'alternativen Fakten' offenbar keine Prüfung von Tatsachenbehauptungen" vornehme. Schwere Geschütze also.
Das kann man wohl sagen, puha. Von Heinz hatte jedoch die Redaktion hinter sich, weil sie die "Tatsachenbehauptungen" als Tatsachen verifizieren konnte. (Abgesehen davon hatte sie dem Geschäftsführer die Tafeln lange vor der Ausstrahlung wortwörtlich vorgelesen, und er hatte sein Okay gegeben.) Übermedien kann diesen ganzen vertrackten Zusammenhang glücklicherweise klarer erklären als ich, und schreibt bezüglich der ersten Behauptung, Tietz habe die Familie mit einer "geringen Summe" entschädigt:
"Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu zwei Entschädigungsleistungen Kargs gegenüber der ehemaligen jüdischen Inhaberfamilie: Zunächst gab es ein klassisches Entschädigungsverfahren, in dem die Erben, nachdem ihr Schaden festgestellt worden war, eine Ausgleichszahlung vom NS-Profiteur Karg erhielten. Parallel dazu bekam die Familie zudem drei unzerstörte Warenhäuser in der Bundesrepublik zurück, die sie gegen eine Umsatzbeteiligung an Karg zurückvermietete. Ist das eine "geringe Summe"? Es ist mit Sicherheit mehr, als die meisten jüdischen Opfer und ihre Nachfahren nach dem Krieg an "Wiedergutmachung" erhielten. Wenn nach dem Krieg überhaupt Ansprüche von Opfern der "Arisierung" anerkannt wurden, dann erhielten sie oft sehr geringe Beträge. Gemessen daran waren die Tietz-Erben tatsächlich in ihren Verhandlungen erfolgreich."
Andererseits, wie es weiter in dem lesenswerten Text heißt:
"Allerdings betrug Georg Kargs Firmenvermögen nur vier Jahre nach dieser Entschädigung ungefähr eine Milliarde Mark; er ist also als wirtschaftlicher Gewinner aus dem Nationalsozialismus hervorgegangen. Wäre es nicht gerechter gewesen, alle Anteile, aus denen die ursprünglichen Eigentümer herausgedrängt worden waren, zurückzugeben? An dieser Frage entscheidet sich auch historisch, ob die ausgezahlte Summe nun "gering" oder doch ausreichend war. Sie lässt sich aber nicht objektiv, sondern nur nach dem eigenen Wertekompass beantworten."
Was ist "lange"?
Zum zweiten hatte sich der Stiftungs-Geschäftsführer über die Formulierung echauffiert, Hertie habe lange die Offenlegung ihrer Profite aus der Enteignung und Arisierung behindert. Übermedien schreibt dazu:
"Ein erster Blick in einschlägige Literaturverzeichnisse fördert tatsächlich kaum historische Untersuchungen zur Geschichte des Konzerns zutage. Im Jubiläumsband "100 Jahre KaDeWe" von 2007 umfasst das Kapitel "Dunkle Zeiten. 1933 – 1949" gerade einmal 19 Seiten, ein Zehntel des Buches. Eine tiefergehende Untersuchung, ob durch die Eigentümer selbst oder unabhängig, lässt sich nicht finden. Demgegenüber wurde die Geschichte des einstigen Warenhauskonkurrenten Wertheim schon 1996 in einer Dissertation aufgearbeitet. Die Hertie-Stiftung verweist mit gutem Recht auf zwei Anläufe, die Unternehmensvergangenheit zu erforschen: im Jahr 2000 und dann noch einmal 2008 hatte man Studien in Auftrag gegeben, die nie veröffentlicht wurden. Die Stiftung sagt dazu, eine Publikation sei nicht möglich gewesen, da es sich nur um Quellenlisten gehandelt habe. Quellensammlungen sind allerdings in der zeithistorischen Forschung keine seltene Publikationsform. (…) Die Vorstellung, eine solche Liste sei nicht zur Veröffentlichung geeignet, ist nur dann nachvollziehbar, wenn man diese Veröffentlichung rein als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit ansieht: Ein Forschungsdesiderat in einer Fachzeitschrift macht einfach nicht so viel her wie das gebundene Buch mit Leseband aus dem großen Publikumsverlag."
Im Übrigen erinnert der Artikel noch an die "her.tietz- Initiative" der "Hertie School", die schon seit 2018 mehr Aufklärung in diesen Belangen fordert (was damals auch bereits in der Presse vermeldet wurde). Das Ganze geht natürlich weiter, schon morgen angeblich, wie Übermedien berichtet (und wie wir bestimmt dann bald nochmal drauf zurückkommen):
"Für den 9. Februar hat die "her.tietz"-Initiative zur öffentlichen Diskussion über Serie und Unternehmensgeschichte eingeladen. Serienregisseurin von Heinz und Stiftungsgeschäftsführer Hammersen haben zugesagt. Die Initiative freut sich entsprechend, "dass sich inzwischen verschiedene Akteure – von unserer Initiative über Historiker:innen bis hin zu Filmemacher:innen – mit der Geschichte Herties und der "Arisierung" des einstigen Kaufhauskonzerns zulasten der jüdischen Eigentümerfamilie Tietz auseinandersetzen.""
Und ich bin nicht prinzipiell Richard von Weizsäcker-Sprüchefest, und sehe auch, dass hier niemand komplett die Augen verschließt, aber ach, der passt einfach gut:
"Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart."
Jaja, ich weiß ja, dass das jeder weiß.
Altpapierkorb
+++ Wie um zu beweisen, wie aktuell das Thema ist: Die Deutsche Welle trennt sich von fünf Mitarbeitern, wie der Tagesspiegel berichtet. Es ging um Antisemitismus-Vorwürfe, und man verspricht:
"Die DW werde künftig ihre Werte und Richtlinien noch besser kommunizieren, sie werde eine präzise Antisemitismus-Definition festlegen, ihren Code of Conduct schärfen und die Inhalte intern verpflichtend vermitteln."
+++ Nochmal Deutsche Welle: Wie der Spiegel berichtet, fordert der Rundfunkrat der DW die Rückgabe von Akkreditierungen, die Mitarbeitenden in Russland entzogen worden waren, hier das AP vom 4.2. dazu.
+++ Und wo wir hier auch so gern und viel mit Links arbeiten: Unter anderem die SZ berichtet über einen Link-Platzierungsfehler der Welt, der aus dem Begriff "superlinke Aktivistinnen" in einer nicht mehr abrufbaren Version eines Ulf Poschardt-Textes aus Versehen "super Holocaust-Überlebende" gemacht hatte. Hier ist, was Übermedien von der Sache hält, und was man Poschardt so alles (nicht) zutraut. (Ups, hoffentlich stimmen die Links in dieser Meldung. Oder darf man Lechts und Rinks jetzt plötzlich doch velwechsern?!)
Neues Altpapier gibt's am Mittwoch.
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