Teasergrafik Altpapier vom 7. Februar 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 7. Februar 2022 TV und Spiele

07. Februar 2022, 09:47 Uhr

Die Olympischen Spiele in Peking verlangen von den Berichterstattern, das Spektakel zugleich würdigen und infrage stellen zu müssen. Das ist nicht einfach, wenn man es indirekt sogar mitfinanziert. Wie wäre es mit medienjournalistischen Selbstreflexionen zur besten Sendezeit? Ein Altpapier von Klaus Raab.

Die ersten Olympia-Tage

Das Spektakel war nicht so groß, wie es vorstellbar gewesen wäre, als am Freitag die Olympischen Spiele in China eröffnet wurden. Man hat schon "bombastischere Eröffnungszeremonien" gesehen, schreibt Christoph Gunkel bei spiegel.de. "Aber die kommunistische Führung hat dem Zufall jeden Platz zum Atmen genommen. Alles ist sorgsam inszeniert, nichts improvisiert. Die Spiele sind hochpolitische, wegen der Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen, etwa gegen die uigurische Minderheit in China."

Es gab viele fleißig winkende Menschen, IOC-Chef Thomas Bach und Chinas Präsident Xi Jinping in düsterem Gewand nebeneinander, chinesische Soldaten, die in den Wettbewerben Stechschritt und Flaggehissen Doppelgold gewinnen könnten. Und einem Live-Kommentar im ZDF, der, was ganz gut gelang, das Spektakel zugleich zu würdigen und es infrage zu stellen hatte. Das war Olympia, Tag 1.

Am Sonntag wurde dann der erste Journalist ungeniert bei seiner Arbeit eingeschränkt. Ein Sicherheitsmann habe einen niederländischen Reporter bei einer Liveschalte behindert, wurde gemeldet (u.a. zeit.de, sueddeutsche.de). Vom Internationalen Olympischen Komitee hieß es, da sei wohl jemand unter "unglücklichen Umständen" "übereifrig" gewesen ("Diese Dinge passieren") – es entblödete sich also tatsächlich nicht, diesen "Vorfall", der über sich hinauswies, als "individuellen" "Fehler" zu verkaufen. Das war Olympia, Tag 2.

Medienjournalismus gehört ins Sportprogramm

Wie berichtet man über Olympische Spiele, die unter den, hm, "unglücklichen Umständen" stattfinden, unter denen sie stattfinden? Das ist, aus medialer Perspektive, die Frage dieser Spiele (auf die Ralf Heimann hier am Donnerstag schon einige Antworten notiert hat), und sie ist noch entscheidender, weil es sich angesichts der vielen Einschränkungen vor Ort um "reine TV-Spiele", handelt, "die man auch von hundert anderen Orten auf dieser Welt hätte senden können", wie Spiegel-Sportredakteur Peter Ahrens schreibt.

Tobias Rüther formuliert die Versuchsanordnung in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" so:

"Wie man von Olympischen Spielen in Peking berichtet, von denen man lieber nicht berichten will, aber doch nicht nicht berichten kann, weil es eben die Olympischen Spiele sind (…): Dieses journalistische Experiment kann man ab jetzt in allen deutschen Medien beobachten."

Dass man nicht nicht berichten kann, wollen wir an dieser Stelle einfach mal hinnehmen. Der Journalist Jens Weinreich kann das, als einzelner. Wie er in seinem Newsletter vom Sonntag schreibt, sei er bislang 13 Mal zu Olympischen Spielen gereist und habe "insgesamt etwa ein Jahr (s)eines Lebens bei Winter- und Sommerspielen verbracht und vielleicht weitere zwei Jahre bei anderen olympischen Terminen und Recherchen". Diesmal sei er aber trotz vorliegender Akkreditierung nicht geflogen. Und ich finde seine Argumentation einleuchtend. Er berichtet seit Jahren über die Vergabe und das Vorspiel dieser "Genocide und Propaganda Games", wie er sie in einem anderen Text nennt: "Was man so tun kann als Journalist, habe ich versucht."

Doch "die Medien" können nicht insgesamt aus der Berichterstattung aussteigen. Die Olympischen Spiele gehören zum internationalen Themenkanon, dessen Anerkennung nicht von Medien allein abhängt. Anders als – theoretisch – der "Tatort" oder ein Quiz mit Alexander Bommes sind sie nicht einfach von Sendern beendbar, weil sie von ihnen nicht gemacht, sondern nur verstärkt werden. Medien stecken zwar tief mit drin im Wirkungskreislauf von Olympia, aber er fiele nicht in sich zusammen, wenn etwa ARD und ZDF sich daraus zurückzogen.

Die Frage, wie gesagt, ist daher: Wie berichtet man? Tobias Rüther schlägt in der "FAS" vor: entschieden kritisch. Und er sieht durchaus Fortschritte bei den Fernsehsendern, in dem Fall bei der ARD (unter deren Dach auch dieses Blog erscheint):

"(W)enn in den vergangenen Jahren von großen Sportereignissen kritisch berichtet wurde, dann ja meist in den Text-Medien, gedruckt und online – die bildrechtverwertenden Sender nervten da eher mit Unentschiedenheit. Weswegen es schon auffällt, wie etwa die ARD den Konflikt um Peking angegangen ist".

Nämlich, das meint er konkret: mit einer 45-minütigen Reportage des Bayerischen Rundfunks von Nick Golüke und Robert Grantner, mit Felix Neureuther als Presenter – genau, dem Skifahrer, der mittlerweile auch ARD-Experte ist. Sie falle in ihrer Deutlichkeit dem IOC gegenüber auf, findet er. Auch Senta Krasser lobt bei DWDL Neureuthers ARD-Reportage:

"Von den lukrativen Potentialen der Fernsehvermarktung und des Sponsorings im Wintersport, die er in ihrer Gigantomanie so vehement anprangert, profitiert er natürlich (…). Und so findet sich in der (…) ARD-Reportage auch diese selbstkritische Einschätzung, die im Widerspruch steht zu Neureuthers Rufen nach einem Systemwechsel, nach dem 'back to the roots' bei Olympischen Spielen: 'Ich bin auch Teil dieser ganzen Industrie', sagt er. Will heißen: Ohne die spektakulären Bilder für Millionen Wintersportfans gäbe es kein Werbeinteresse und keine Einnahmen. Events wie das jetzt in Peking sichern auch Felix Neureuther sein Salär. Früher als Sportler, jetzt als TV-Experte. Das in dieser Deutlichkeit so klar zu kommunizieren an einem Montagabend in der ARD um 20:15 Uhr, macht Neureuthers Film noch sehenswerter. Die Auflösung des Dilemmas von Profit und Leid bleibt der Sport- und Fernsehstar gleichwohl schuldig."


Neureuther bringt also, und das ist hier der entscheidende Punkt, eine selbstreflexive Perspektive in die Berichterstattung ein, wie auch Achim Dreis lobt, im Sportteil der "FAS".

Es geht in dem Film, gegen Ende, auch darum, dass das IOC einen großen Teil seiner Einnahmen mit weltweiten Fernsehübertragungsrechten generiere. Und es ist gut, dass auch das erwähnt wird. Damit der kritische Teil der Berichterstattung aber umfassend ist, müssten Medien ihre eigene Mitwirkung eigentlich sogar standardmäßig ins Live-Hauptprogramm aufnehmen: Was alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die gerne Olympia gucken, am Ende der Spiele mitbekommen haben müssten, ist, dass das Fernsehen, das der chinesischen Show aus politischen Gründen kritisch gegenüber steht, sie nicht nur zeigt, sondern über das IOC auch indirekt mitfinanziert. Dann könnte vielleicht auch eine breitere Debatte darüber beginnen, ob das gut so ist.

Ein Roman, der eine Instastory ersetzt

Besprechungen von Romanen verteilen sich gerne mal über ein paar Wochen. Seit einigen Wochen schon, aber auch heute noch im Gespräch ist der Roman "Einer von euch. Bastian Schweinsteiger" des Schriftstellers Martin Suter. Schon die Anordnung der Informationen auf dem Cover, das unter einem Bild des Fußballers die Zeilen "Martin Suter – Einer von euch – Bastian Schweinsteiger" zeigt, ist etwas rätselhaft, wie ein Kollege dieser Tage bei Facebook angemerkt hat. Hat Bastian Schweinsteiger ein Buch namens "Martin Suter. Einer von euch" geschrieben? Hat Suter mit seinem Ghostwriter Bastian Schweinsteiger ein Buch namens "Einer von euch" geschrieben? Hat ein Autorenkollektiv, das aus Martin Suter, Bastian Schweinsteiger und einem im Internet unter dem Nickname "Einer von euch" publizierenden Autor ein Buch ohne Titel geschrieben?

Verwirrend ist auch, dass man es hier mit einem "Roman" zu tun haben soll, der offensichtlich – darauf deuten Foto, Titel und die Interviews hin, die Schweinsteiger und Suter schon vor Erscheinen gemeinsam gegeben haben ("Die Zeit", "Tagesanzeiger") – von der Hauptfigur abgenommen ist. Das Ganze wirkt wie eine Auftragsarbeit über ein ranghohes Familienmitglied, wie sie für den 80. Geburtstag von Gräfin Guldenburg schon einmal entsteht. Nur liegen solche Bejubelungsarbeiten üblicherweise nicht in jedem Buchladen.

Man kann das Ganze freilich auch so sehen: Ein Buch aus echtem Holz statt einer Instagramstory – dagegen kann eigentlich keine philologisch noch so aufgefütterte Schulmeisterseele etwas haben. Wenn ein paar C-Jugendspieler mitten in der Lesekrise wegen Suters niedrigschwelligem Schweinsteiger-Roman über einen Protagonisten, der auf dem dramatischen Höhepunkt seines bisherigen Lebens mal ein Finale verloren hat, zum Buch finden – warum denn nicht?

Vor allem sollte man Suters Buch, nur weil Roman draufsteht, aber vielleicht gar nicht als Roman behandeln, sondern als Adaption eines Geschäftsmodell aus Streamingdiensten, in denen eine distanzlose Prominentendoku nach der anderen läuft. Über Bushido, über Michelle Obama, über Taylor Swift, auch über Bastian Schweinsteiger (produziert von Til Schweiger, der selbst als alter Freund des Hauses Schweinsteiger im Film auftaucht und seinen Protagonisten lobt – siehe auch diese Übermedien-Kritik von Jürn Kruse). Und all die Fußballvereinsporträts (Altpapier) gehören sowieso dazu. Für die Februar-Ausgabe von "brand eins" habe ich mich mit diesen Prominentendokufilmen und -reihen beschäftigt:

"Was zählt für Produzenten, Porträtierte und Fans ist offensichtlich nicht unbedingt jene Art von Wahrhaftigkeit, die entsteht, wenn eine unabhängige Regisseurin sich an die Spuren einer prominenten Person heftet und auszuleuchten versucht, wo ihr öffentliches Bild Brüche und Leerstellen aufweist."

Nehmen wir den Netflix-Film über Michelle Obama (bzw. ihre Memoiren), "Becoming" – produziert von der Produktionsfirma der Obamas selbst: Man sieht Obama, wie sie tanzt, herumfrotzelt, Musik hört, sympathisch ist und beklatscht wird. Es ist gut anschaubare Buch-PR. Eine 90-minütige Instagram-Story:

"Man sitzt, als Zuschauer und Sympathisant, bei Michelle Obama auf dem Schoß und schaut mit ihr quasi ihre Fotoalben an. Da fragt man nicht groß nach, ob das Material wirklich 'echt' sei. Was soll es schließlich auch sonst sein? Gefaket ist es ja wohl nicht. Der Trick heißt Fotoalbumauthentizität."

Jetzt also auch im Buchhandel unter Belletristik.


Altpapierkorb (Keine SWR-Sondersendung vor Flutnacht?, Deutsche Welle, "Welt"-Fehler, Wallraffs "Ganz unten", ...)

+++ Nach der Unwetterkatastrophe im Juli stand der WDR in der Kritik (Altpapier), er habe zu spät und nicht ausführlich genug berichtet und sei für Betroffene daher keine gute Informationsquelle gewesen. Nun wird dem ebenfalls zur ARD gehörenden SWR vorgeworfen,  "ein Angebot des TV-Meteorologen Karsten Schwanke abgelehnt" zu haben, "angesichts der sich abzeichnenden Gefahr von Hochwasser in der Eifel eine Sondersendung ins Programm zu nehmen". Die "FAZ" beruft sich auf Schwanke selbst, der Entsprechendes "am Freitag im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Land­tags" gesagt habe. Diese Zeitung schreibt (Samstagsausgabe): "Der SWR teilte dazu auf Anfrage mit, die Aussagen von Schwanke habe man zu Kenntnis genommen: 'Es ist bekannt, dass am Tag der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht alle Abläufe reibungslos und zufriedenstellend funktioniert haben. Der SWR hat selbst ein Interesse daran, aus den Erfahrungen des Tages zu lernen, und geht allen möglichen Schwachstellen nach.’" Auch DWDL berichtet unter Verweis auf die "FAZ". (Auch der MDR, bei dem diese Kolumne erscheint, gehört, wie SWR und WDR, zum ARD-Verbund.)

+++ Die Deutsche Welle darf trotz der, sagen wir: diplomatischen Querelen (die im Altpapier am Freitag zusammengefasst sind) demnächst mit Kanzler Scholz nach Russland fliegen. Der Tagesspiegel hatte gemeldet, sie stehe nicht auf der Liste der mitreisenden Journalistinnen und Journalisten. Nun darf sie doch mit.

+++ Der Merkur hat einen Text über Günter Wallraffs Bestseller "Ganz unten" von 1985 im Februar-Heft. Wallraffs Maskerade als Gastarbeiter ist in Michael Lipkins Analyse eng verknüpft mit Wallraffs Öffentlichkeitsarbeit: "Die Figur des türkischen Gastarbeiters ermöglichte Wallraff, auf den blinden Fleck im demokratischen Konsens der 1980er Jahre hinzuweisen. Seine Dokumentation beschreibt vorausschauend, wie eine Bevölkerungsgruppe, die für die materielle Existenz der Bundesrepublik unverzichtbar ist, von der Teilnahme an den für ihr Schicksal entscheidenden öffentlichen Diskursen aufgrund von Sprache, Ethnie, Religion, Klasse und Staatsangehörigkeit ausgeschlossen wird. (…) Das ebenso inspirierte wie zynische Geschick, mit dem Wallraff die Hebel der öffentlichen Meinung bediente, die Tricks, mit denen er das System der öffentlichen Aufmerksamkeit manipulierte, seine eigene Schamlosigkeit – all das war nicht weniger vorausschauend als seine Gesellschaftsanalyse."

+++ Katharina Riehl ärgerte sich in der Samstags-SZ über die "Mär von der politisch gewollten Durchseuchung der Kinder" zum Wohl der Wirtschaft, die unter anderem von Jan Böhmermann weitererzählt werde: "Es gibt genügend Gründe, die Politik für ihr Pandemiemanagement an Schulen zu kritisieren (…). Wegen des Bekenntnisses zu offenen Schulen aber eine politisch verordnete Durchseuchungsstrategie zum Wohle der Wirtschaft zu beschwören, das ist reine Polemik."

+++ Der Spiegel erscheint in Deutschland mit einem eine Mauer bauenden Pandabären auf dem Titel. Es geht also um China, und wer sich über den Panda wundert, dem sei gesagt: Es ist immerhin kein Drache! In Österreich erscheint der Spiegel dagegen mit einem überhaupt nicht zerknirscht wirkenden Foto des Milliardärs, auch Medienmilliardärs René Benko, dessen Name auch im "Ibiza-Video" fiel.

+++ Nach der Zukunft für Netflix auf dem umkämpften Streaming-Markt fragt Zeit Online.

+++ Ein Fehler, der glaubhaft als Produktionsfehler erklärt wird, erregte des Sonntags manches Gemüt. Aus "superlinken Aktivistinnen" wurden in der Digitalversion eines Texts von Ulf Poschardt auf welt.de "super Holocaust-Überlebende". Worum es geht, steht bei faz.net oder tagesspiegel.de.

+++ Und das Dschungelcamp ist zu Ende. Jemand hat gewonnen, und die Quoten waren diesmal nicht so gut (SZ, Tagesspiegel, DWDL, spiegel.de…).

Neues Altpapier erscheint am Dienstag.

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