Teasergrafik Altpapier vom 11. Januar 2022: Porträt Autor Annika Schneider
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Das Altpapier am 11. Januar 2022 Von "wahnsinnig harten" deutschen Medien

11. Januar 2022, 10:10 Uhr

Medien in Deutschland seien in der Pandemie zu regierungskritisch gewesen: Das behauptet ein Schweizer Medienboss in einem nun aufgetauchten Video. Hat er seine eigenen Redaktionen deswegen auf Regierungstreue eingeschworen? Darüber diskutiert die Schweiz. Ein Altpapier von Annika Schneider.

Geheimes Video zeigt…          

Zur Rolle der Medien in der Pandemie ist schon viel gesagt und geschrieben worden, aber dieses Zitat aus einem am 30. Dezember auf YouTube hochgeladenen Video ist einen ganz eigenen Blick wert. Ein Schweizer Medienschwergewicht äußert sich darin zur Frage, welche Aufgaben die Medien in der Pandemie aus seiner Sicht haben und scheint die Sache in seinem Konzern eindeutig geklärt zu haben:

"Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen."

Die Äußerung stammt von Marc Walder, CEO des großen Schweizer Medienkonzerns Ringier, und wurde bei einer Online-Tagung im Februar 2021 aufgezeichnet. Offensichtlich ist der Satz allerdings nicht wie gewünscht "in diesem Kreis" – einer Konferenz der Schweizer Managementgesellschaft – geblieben.

Stattdessen ist er Silvester an die Öffentlichkeit gelangt und wird in der Schweiz seitdem heftig diskutiert. Hat da ein einflussreicher Medienmanager, zu dessen Konzern unter anderem das Boulevard-Blatt "Blick" gehört, redaktionell vorgegeben, die Regierungslinie in der Pandemie nicht zu kritisch zu hinterfragen? Diese Frage stellen sich in der Schweiz nun viele. Inzwischen ist die Debatte auch in Deutschland angekommen. Am Freitag berichtete der Spiegel (€), heute folgt die taz.

Als Negativbeispiel für Corona-Berichterstattung nennt Walder nämlich Medien in Deutschland, die mit der Regierung "wahnsinnig hart" seien. Das nütze im Moment niemandem etwas:

"Wir müssen versuchen, dass die Politik […] das Volk nicht verliert. Und hier dürfen die Medien nicht einen Keil treiben zwischen die Gesellschaft und die Regierung."

Noch einmal erwähnt er das Negativbeispiel Deutschland: Die riesigen, teilweise gewalttätigen Demonstrationen von Coronamaßnahmen-Kritikern in Deutschland seien teilweise von Medien geschürt worden, er erwähnt namentlich die Bild-Zeitung.

Absender mit Agenda

Sicherlich sind das diskussionswürdige Aussagen, zuerst soll es aber darum gehen, wer sie in die Öffentlichkeit gebracht hat. Das Video gehört zu einem Text auf dem Blog Nebelspalter, ein polemischer Artikel im Stil der "alternativen Medien", der mit Journalismus wenig zu tun hat, auch wenn der Autor Philipp Gut sich durchaus als Journalist versteht (und im Spiegel-Bericht zum Thema auch als solcher bezeichnet wird). Gut war der taz zufolge "einst Vizechefredakteur der rechten Weltwoche, er wurde schon wegen übler Nachrede verurteilt. Heute arbeitet er als PR-Berater, laut NZZ ist er Ghostwriter für die rechtspopulistische SVP".

Schon die Überschrift des Blogbeitrags zeigt, in welche Richtung es in dem Text geht: "Geheimes Video zeigt: CEO Marc Walder zwang alle Redaktionen der Ringier-Medien weltweit auf Regierungskurs". Der Verfasser will mit dem Video das Verschwörungsnarrativ der von oben gesteuerten Medien als Sprachrohr der Regierung belegen.

Besonders interessant ist in dem Kontext eine weitere Tätigkeit Guts: Er ist Geschäftsführer einer Kampagne, die ein neues Mediengesetz verhindern will, über das die Schweizerinnen und Schweizer am 13. Februar abstimmen. Das Gesetz würde die staatlichen Subventionen für private Medienhäuser massiv erhöhen – ein Anliegen, das einige Medienunternehmen unterstützen, andere nicht. In jedem Fall spielt es Gut in die Karten, wenn er einem der größten Schweizer Medienkonzerne nun vorwerfen kann, schon jetzt zu regierungsnah zu berichten. Denn die Angst, dass die staatliche Unterstützung von Medien deren kritische Berichterstattung über die Regierung ausbremst, steht natürlich im Raum.

"Journalistische Bankrotterklärung"

Bei Ringier machte man sich schnell an die Schadensbegrenzung. CEO Walder äußerte sich in einem am 3. Januar online veröffentlichten NZZ-Interview (€) und erklärte, seine Aussage sei "missverständlich formuliert" und "unglücklich" gewesen und habe zu Missinterpretationen geführt.

"Doch auf die Tatsache, dass unsere Publikationen nicht auf billigen Empörungsjournalismus setzen, sondern faktenorientiert und sachlich über die Notwendigkeit verschiedener Maßnahmen schreiben, bin ich stolz. In einer Pandemie, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat, in einer medizinischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, haben die Medien eine übergeordnete Verantwortung."

Walder entschuldigte sich auch bei der Bild-Zeitung. Die Debatte bremste das nicht aus: Über die Corona-Berichterstattung bei Ringier und das journalistische Selbstverständnis ist in den vergangenen Tagen viel diskutiert worden. Benedict Neff kommentierte am 3. Januar in der NZZ:

"Was der CEO eines der größten Medienunternehmen der Schweiz da zum Ausdruck bringt, ist eine journalistische Bankrotterklärung. Mildernde Umstände gibt es nicht, denn Walder scheint zu wissen, was er tut. Die Bitte um Vertraulichkeit – 'da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt' – deutet darauf hin, dass er sich durchaus bewusst ist, gerade die Werte seines eigenen Geschäfts zu verraten. Erste Aufgabe des Journalismus ist die Suche nach Wahrheit. Wer aber, wie Walder, Regierungen medial unterstützen will, kann diese Aufgabe nicht wahrnehmen. Er macht sich zum Komplizen der Regierung, anstatt sie kritisch zu begleiten."

Der Plot "einflussreicher Medienchef gerät für geleakte Aussagen zum Journalismus in die Kritik" erinnert entfernt an die Debatte um Springer-Chef Mathias Döpfner (siehe diesen Jahresrückblick). Dabei ging es allerdings um eine SMS, die den meisten deutschen Journalistinnen und Journalisten zu viel Regierungsnähe vorwarf.

Ringier und der deutsche Medienkonzern Axel Springer arbeiten international übrigens eng zusammen: Sie engagierten sich lange mit einem Joint Venture in Mittel- und Osteuropa, das laut Ringier-Webseite unter anderem in Polen weiterhin besteht. Insgesamt war Ringier vergangenes Jahr in 18 Ländern in Europa, Afrika und Asien aktiv, was die Äußerungen von CEO Walder auch noch einmal in ein globales Licht rückt. Denn die EU-Sorgenkinder Polen und Ungarn zum Beispiel können regierungskritische Berichterstattung auch und gerade in der Pandemie wohl ganz gut brauchen.

Foto-Love-Story mit Traubenzucker

Zum Schluss noch zu einem ganz anderen Thema: Die "Rentner-Bravo" ist zwar seit Jahren bekannt, trotzdem sucht man sie am Kiosk vergeblich. Klar, der Spitzname bezeichnet ja auch die Apotheken-Umschau, das Gesundheitsmagazin, das in Apotheken zum Mitnehmen ausliegt. Die Zeitschrift brachte es im dritten Quartal 2021 immer noch auf eine verbreitete Auflage von 7,6 Millionen – ein Vielfaches der eigentlichen "Bravo", deren Auflage im gleichen Zeitraum bei knapp 64.000 Stück lag (die sich aber natürlich auch am Kiosk behaupten muss).

Beide Zeitungen werden dieses Jahr 66 und feiern das tatsächlich mit einer "Rentner-Bravo" – einer Beilage der Apotheken-Umschau, die am 15. Januar erscheint (und deren Cover turi2 schon einmal online gestellt hat). "Dieses kleine Heft steckt voller Liebe", schreibt Cornelius Pollmer in seiner Blattkritik in der Süddeutschen Zeitung.

Ich habe noch nicht hineingeblättert, zu finden sind in dem Magazin aber wohl Tipps von Dr. Sommer (unter anderem zu Potenzproblemen), eine Art Foto-Love-Story über eine unterzuckerte Diabetikerin und ein Star-Report (kein Star-Schnitt) über Christian Drosten, Sandra Ciesek und Karl Lauterbach.

Rezensionen gibt es auch beim Spiegel und bei W&V zu lesen. Die Meldung von der "Rentner-Bravo" schaffte es sogar in die Nachrichten des Deutschlandfunk.


Altpapierkorb (Übernahme in Aachen, Ex-WDR-Programmdirektorin, Corona-Warn-App und US-Zeitungssterben)

+++ Was hat die "Aachener Zeitung" mit dem belgischen Blatt "De Standaard" und der niederländischen Zeitung "De Telegraaf" gemeinsam? Alle sind in Zukunft Teil derselben Mediengruppe, nämlich der Mediahuis-Gruppe aus Belgien. Mediahuis hat gerade die Aachener Verlagsgesellschaft übernommen, der das Medienhaus Aachen gehört, das wiederum neben der "Aachener Zeitung" auch regionale Magazine und Radiobeteiligungen besitzt. Mit dem Ankauf macht Mediahuis einen ersten Schritt auf den deutschen Zeitungsmarkt. "Die belgische Gruppe will im europäischen Markt weiter zukaufen", ist bei Meedia zu lesen. Schon jetzt beschäftige sie rund 4.300 Mitarbeiter – beim Medienhaus Aachen sind es rund 400.

+++ Dass die bisherige WDR-Programmdirektorin Valerie Weber ihren Posten zum Jahreswechsel aufgibt, war schon länger bekannt, jetzt steht auch fest, was sie ab Februar stattdessen macht: Weber ist in Zukunft für Sender wie "bigFM", "RPR1." und "Radio Regenbogen" verantwortlich, und zwar als Geschäftsführerin Programm bei dem noch jungen Unternehmen Audiotainment Südwest. Das melden unter anderem DWDL und die Radioszene. Damit geht Weber zurück zum Privatradio, wo sie auch vor den acht Jahren beim WDR schon gearbeitet hat.

+++ Viel beworbener Vorteil der Corona-Warn-App war von Anfang an ihre Anonymität – und genau die sieht Netzpolitik.org nun in Gefahr. Es geht um ein neues Feature, mit dem App-Nutzende beim Ticketkauf für Veranstaltungen per App ihren Impfstatus nachweisen können, sodass sie sich beim Einlass dann nur ausweisen müssen. "Das ist praktisch, aber bricht mit dem Konzept der anonymen Nutzung", warnen Markus Reuter und Chris Köver.

+++ Der Hedgefonds Alden Global Capital kauft in den USA in großem Stil Zeitungen auf, um sie zu schrumpfen. Das ist nicht neu, heute aber noch einmal in all seiner Tristesse auf Seite 13 der FAZ nachzulesen: "Die erzielten Profite werden in andere Unternehmungen von Alden Global Capital investiert; in den 'verschlankten' Redaktionen ist anspruchsvoller Journalismus schlicht nicht mehr möglich."

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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