Das Altpapier am 1. Dezember 2017 Vertrautes Mystery
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Die deutsche Netflix-Serie "Dark" kommt bekannt vor. Sexismus ist der Herbst 1989 in der DDR. Markus Kompa trollt die Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz. Sylvie Meis bleibt immer noch ihre neue Schuh-Kollektion. Der Fleischspieß ist nicht in Gefahr. Jetzt enthüllt: Stefan Plöchinger ist stil-voller Fanta-Trinker. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Die Medienseite der Süddeutschen Zeitung macht es. Die der FAZ auch. Bei DWDL lassen sie sich eh nichts entgehen, und war schon von der Süddeutschen Zeitung die Rede?
Demnach, jetzt auch im Altpapier: Großer Bahnhof für Streamingdienstserien! Von denen zwar niemand so genau weiß, wie viele Menschen sie überhaupt erreichen, aber dafür machen sie weniger Ärger als zum Beispiel… jeder andere Medienjournalismus, denn Reed Hastings trifft man eher selten am Stehtisch bei den Medientagen Mitteldeutschland.
Nun aber: "Dark", die erste Netflix-Serie aus Deutschland für Netflixland, denn sie muss natürlich international funktionieren, damit sich die Sache lohnt.
Inhalt: Deutsche Provinz, verschwundene Kinder, Regen, Regen, Wald, Mystery, irgendwas mit Atomkraftwerk und Zeitsprünge.
Das kommt bekannt vor? Stimmt genau. Die Frage ist nur: Woher?
"Jeder Kleinstadtbewohner scheint ein in der Vergangenheit begründetes Geheimnis mit sich herum zu tragen und wirkt durch sein Schweigen zunächst auf eigenartige Weise verdächtig – wie in der TNT-Mysteryserie 'Weinberg'. Der Windener Wald röhrt und gurgelt als sei er vorher bei seinen Forstkumpeln aus der Mysteryserie 'Jordskott' des schwedischen Senders SVT zur Baumschule gegangen. Und Vögel in Massen vom Himmel fallen lassen hat zuvor schon die apokalyptische Mysteryserie 'The Fades' von BBC Three." (Peer Schader, DWDL)
"In 'Dark' wird multiperspektivisch erzählt wie in 'Sense 8' der Wachowski-Geschwister; wie in 'Tote Mädchen lügen nicht' werden Jugendliche mit dem Tod konfrontiert, und mit dem Netflix-Erfolg 'Stranger Things' der Duffer-Brüder, der gerade in die zweite Staffel gegangen ist, teilt die Serie eine ganze Reihe von Eigenschaften". (Ursula Scheer, FAZ, 0,45 € bei Blendle)
"Es wäre aber unfair, das den Serienerfindern Baran bo Odar und Jantje Friese vorzuwerfen. Zum einen war Dark längst in der Mache, als die erste Staffel von 'Stranger Things' veröffentlicht wurde. Außerdem hebt 'Dark' mit einem Cliffhanger am Ende von Folge zwei an, ein Familien-Science-Fiction-Märchen zu erzählen, das mit 'Stranger Things' kaum noch etwas zu tun hat – dafür viel mit 'Momo', 'Die Wolke' oder Gudrun Pausewangs 'Die letzten Kinder von Schewenborn'." (Karoline Meta Beisel, SZ)
Ob darüber hinaus noch Märchenbücher, TKKG-Folgen oder das "Herbstfest der Volksmusik" einzureihen sind, lässt sich ab heute bei Netflix überprüfen. Dann klärt sich sicher auch, warum sich über die Serie sowohl sagen lässt, sie sei "spezifisch deutsch" (Torsten Wahl, Berliner Zeitung), als auch "Eine solche Serie aus Deutschland hat es tatsächlich noch nicht gegeben" (nochmal FAZ). Wobei sich das eventuell schon mit folgender Präzisierung in der SZ lösen lässt:
"Trotz aller Kritik, und darauf kommt es vor allem an: Man bleibt dran. Man will wissen, wie Geschichte ausgeht, die so rätselhaft ist, dass sie im herkömmlichen linearen Fernsehen mit seinen wöchentlich wiederkehrenden Sendeplätzen tatsächlich niemals laufen würde."
Einen Grund dafür lieferte Regisseur Baran bo Odar bereits im Laufe der Woche in einem Interview mit Springers Die Welt (die übrigens die Welle richtig reitet, inklusive Porträt des Hauptdarsteller Louis Hofmann und Deutsche-Serien-Rundumschlag von "Derrick" bis "Dark"), in dem er erklärte:
"In Deutschland wird zu wenig in Nischen gedacht. (…) Das Fernsehen versucht immer, so viel abzudecken, statt zu sagen, lass uns ganz speziell sein, am Anfang nur wenige anzusprechen und darauf zu vertrauen, dass es sich, wenn’s gut ist, schon rumsprechen wird."
Ohne die Bräsigkeit von "Die Kanzlei" rechtfertigen zu wollen, ist dem zu entgegnen, dass so eine Nische ganz schön groß wird, wenn man sich an ein weltweites Publikum richtet und nicht nur an die Beitragszahler von ARD und ZDF.
Ganz uneingeschränkt stehen sollte hingegen noch folgendes Lob:
"Netflix hat uns wirklich gesagt, und das unterscheidet sie von allen anderen Partnern: Holt den, der am besten passt. Klar gucken die auch alle Casting-Tapes und sagen dann: Ja, finden wir auch gut. Was sie nicht machen, ist sagen: 'Können wir nicht Punktpunktpunkt haben, wir haben gehört, der zieht.' Das gab’s nie. (…) Ab 40 aufwärts ist es für Frauen bekanntermaßen eine Katastrophe auf dem Markt. Und plötzlich können sie bei so etwas mitmachen."
Für Sylvie Meis sind das doch gute Aussichten, von deren Rausschmiss bei RTL Sie vielleicht nicht in der Bild-Zeitung, aber sicher in einer der Nacherzählungen, etwa beim Tagesspiegel, gelesen haben. Allerdings hat diese ihr Geschäftsmodell bereits so weit diversifiziert, dass man sich nicht allzu große Sorgen machen muss, wie das Hamburger Abendblatt betont, das den dpa-Bericht mit Finessen wie "Dort (in Hamburg, Anm. AP) hatte die auch als Designerin tätige Holländerin erst in der vergangenen Woche eine neue Schuhkollektion vorgestellt" aufzupolieren wusste.
#Meetoo und die aufgestoßene Tür
Ab hier hilft nur ein radikaler Themenwechsel. Dorothea Hahn leitetet ihn in der taz ein, indem sie vermeldet:
"Medienschaffende, aufgepasst! Am Mittwoch sind in den USA erneut zwei Top-Arbeitsplätze im Fernsehen und Radio freigeworden. Die bisherigen Stelleninhaber waren Stars mit riesigen Fangemeinden. Beide werden sexueller Übergriffe beschuldigt."
Gehen mussten Gerrison Keillor vom National Public Radio sowie NBC-Morgenshow-Moderator Matt Lauer. Letzterer "entschuldigte sich am Donnerstag, bestritt aber zugleich einige der Vorwürfe", schreibt Hubert Wetzel auf der SZ-Medienseite, und meint zudem:
"Dass NBC bereit war, Lauer über Nacht zu feuern, zeigt, wie ernst US-Unternehmen – zumindest jene, die auf ihren Ruf bei den Konsumenten achten müssen – das Problem der sexuellen Belästigung inzwischen nehmen. Und es zeigt, dass auch ein großer Name keinen Schutz mehr garantiert."
Über letzteren Satz würde ich gerne mal eine Deutschklausur schreiben lassen, denn ist nach Harvey Weinstein und Kevin Spacey tatsächlich Matt Lauer der Beweis, dass auch Prominente die Konsequenzen ihrer Handlungen zu spüren bekommen können? Und ist "Schutz" nicht ein eher positiv besetztes Wort und selbiger demnach wünschenswert?
Wesentlich interessanter ist jedoch der Aspekt, den Ex-Altpapier-Kollege Matthias Dell in seiner Kolumne für @mediesres aufgreift:
"Über Sexismus kann entweder nie oder nur mit einem Mal öffentlich gesprochen werden. Sexismus ist der Herbst 1989 in der DDR, in dem die Mauer nur plötzlich fallen kann, die Macht sich nur auf einen Schlag auflöst. Geschichten über Sexismus verlaufen nicht in der linearen Logik von Politaffären, wo es Recherchen gibt, Dementis, Aufmerksamkeit, weitere Recherchen, Konsequenzen. Geschichten über Sexismus unterliegen einer Dramaturgie des Sprungs. Jahrelang wollte oder konnte niemand darüber öffentlich reden – und dann wird mit einem Mal eine Tür aufgestoßen."
Doch ein Sprung erfordert Mut, denn man weiß nie, wo und wie sicher man landet. Doch gerade scheint ein Sprungtuch ausgebreitet. Höchste Zeit.
Em Jay Eumann bekommt volljuristische Konkurrenz
Einfach nur, damit Sylvie Meis und Marc Jan Eumann mal einen Artikel teilen, an dieser Stelle noch eine medienpolitische Feinheit, die Michael Hanfeld für seine FAZ-Medienseite ausgegraben hat (Blendle-Link).
Eumann steht bekanntermaßen am Montag ganz allein zur Wahl als neuer Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt.
Ganz allein? Nicht ganz. Hanfeld:
"Doch dürfte es zumindest eine kleine Überraschung geben. Denn der Medienrechtsanwalt und Blogger Markus Kompa hat sein Kommen angekündigt. Er hat sich dieser Tage auch beworben."
Die Gründe dafür liefert Kompa selbst auf seiner Website:
"Die Amtsinhaberin (SPD) geht nämlich bald in den Ruhestand, aber irgendwie hat man es wohl vergessen, den Posten so richtig auszuschreiben. Das könnte am Jahresgehalt von ca. 200.000,- € liegen."
Die Qualifikation bringt Kompa mit, denn anders als Eumann ist er Volljurist, was man aus dessen Sicht für den Chefposten bei einer Landesmedienanstalt sein sollte (einfach mal "Lex Brautmeier" googeln), außer man heißt halt Eumann mit Nachnamen.
Nochmal Kompa:
"Da mich sogar der Titel eines Fachanwalts für Medienrecht ziert, habe ich mich unter Protest gegen das fadenscheinige Verfahren initiativ beworben. Für den Fall der Nichtberücksichtigung habe ich standesgemäß mit Klage gedroht."
Altpapierkorb (Twitterlose elf Minuten, schlechtes Verlobungs-Timing, Stern-TV-Zeitschrift)
+++ "Near the end of his shift, the fateful alert came in. This is where Trump’s behavior intersects with Duysak’s work life. Someone reported Trump’s account on Duysak’s last day; as a final, throwaway gesture, he put the wheels in motion to deactivate it. Then he closed his computer and left the building." Bei Techcrunch haben sie den deutsch-türkischen Mitarbeiter aufgespürt, der Donald Trumps Twitter-Account Anfang November für elf Minuten stilllegte. Eike Kühl hat die Geschichte bei Zeit Online auf Deutsch, ergänzt um die Erklärung, warum Trump gegen alle Richtlinien verstoßen darf und dennoch (normalerweise) nicht gesperrt wird.
+++ "Radio Bremen verpflichtet sich, Inhalte aus dem Netz zu nehmen, die presseähnlich sind und keinen Bezug zu Sendungen der Rundfunkanstalt aufweisen. Das werten die klagenden Zeitungsverlage als großen Erfolg mit Blick auf die generelle Verfasstheit des Online-Auftritts von Radio Bremen. Der Sender hingegen verweist darauf, dass sich die Unterlassungserklärung allein auf die Online-Seiten mit Stichtag 16. Januar 2017 beziehe." Michael Hanfeld in der FAZ (Blendle-Link) nach der mündlichen Verhandlung über den Streit zwischen Radio Bremen und örtlichen Zeitungsverlegern (Altpapier).
+++ In einem seeehr langen Interview in der aktuellen Ausgabe epd Medien spricht Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), über die Zukunft des dualen Systems, Werbevorschriften für Fernsehanbieter und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, zu dem er sagt: "Kritisch diskutiert wurden vor allem zwei Punkte: Man überträgt das Löschen einem privaten Unternehmen und eine nicht staatsferne Institution prüft die Streitfälle. Wir müssen abwarten, ob der Bundestag dieses Thema wieder aufgreift. Die Medienanstalten haben deutlich kommuniziert, welche Erfahrungen sie in diesem Bereich über die KJM haben und dass wir bereit wären, Verantwortung zu übernehmen." Online steht das Werk noch nicht.
+++ Seinen Gedankengang aus dem Altpapierkorb am Mittwoch, dass die europäische E-Privacy-Verordnung gegen trackingwütige Apps helfen könnte, spinnt Christian Bartels in seiner evangelisch.de-Kolumne weiter.
+++ Da wir gerade bei Datenkraken sind: Alternativen zu Facebook und Whatsapp hat für den Tagesspiegel Sophie Krause getestet.
+++ Bei der Bild-Zeitung haben sie ein Problem mit Boris Becker und einer von ihm für die morgige Titelseite vorgesehenen Gegendarstellung.
+++ Meine Damen und Herren, der diesjährige Georg von Holtzbrinck Preis für Wirtschaftsjournalismus geht an: fehlende Bindestriche und ausschließlich Männer (Beweisfoto hier). Dazu ein Kommentar von Gabor Steingart, via Twitter: "Wird es nochmal passieren? In meinem Beisein nie wieder. Ehrenwort! Ich kann zwar nicht die Welt verändern, aber mich." Ja, mach mal.
+++ Prinz Harry hat die Verkündung seiner Verlobung nicht mit den Andrucken der deutschen Regenbogenpresse abgestimmt. Welche Folgen das hatte, beschreibt Mats Schönauer bei Übermedien.
+++ "Haben die kein Internet?!" ist wohl die falsche Frage an Menschen, die sich freiwillig das Magazin Stern besorgen (oder die genau richtige). Wie dem auch sei: Stern-Leser brauchen die beiliegende Fernsehzeitung und zeigen sich sehr erbost darüber, dass diese seit einiger Zeit aussieht wie die rtv, schreibt Ulrike Simon bei Spiegel Daily.
+++ Das Journalismusstudium in Leipzig ist tot (Altpapier), es lebe das Leipziger Journalismusstudium, nun in der Form "Irgendwas mit Daten". @mediasres berichtet.
+++ Puh, so ein Glück. "Der Fleischspieß ist nicht in Gefahr" lautet das Fazit der "Tagesschau"-Faktenfinder nach ihrer Überprüfung der Bild-Zeitungs-Meldung, das Europaparlament wolle den Döner verbieten.
+++ Katrin Bauerfeind, nunja, dominiert ihre neue 3sat-Sendung "Bauerfeind – Die Leseshow", meint zumindest Brigitte Knott-Wolf in der aktuellen Ausgabe der Medienkorrespondenz: "Es ist dabei so, dass Bauerfeind weniger im Wortsinne moderiert als vielmehr ihre Gäste durch die Sendung dirigiert. Denn sie insistiert eloquent auf dem vorgegebenen Thema und liefert die passenden Stichworte dazu. Des Weiteren gibt sie die Texte vor, die die Gäste vorzulesen haben, wenn sie von ihr dazu aufgefordert werden."
+++ Was Sie schon immer über den zum Spiegel ziehenden SZ-Mit-Chef Stefan Plöchinger wissen wollten, finden Sie aktuell bei Twitter unter #ploechileaks.
+++ Ich bin nicht zufrieden. Sagen im Schnitt mehr Medienmacher als zum Beispiel Krankenschwestern oder Wurstfachverkäufer. Das hat eine Studie herausgefunden, was Meedia weiterverbreitet.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.