Teasergrafik Altpapier vom 27. Juli 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 27. Juli 2021 Die ganz große Kachel

27. Juli 2021, 10:46 Uhr

Der WDR wird immer noch "noch besser" und kommt aus den weniger schönen Schlagzeilen trotzdem nicht raus. In der ARD-Mediathek wartet eine große Bühne auf "die höchste Form, die man gestalten kann" (Christine Strobl). Außerdem: Journalisten, die "Janusköpfigkeit aufzeigen"; die vielen Facetten eines verstorbenen Fernsehpioniers. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Der WDR: selbstkritisch, aber auch von außen kritisiert

Wie lehren das International Berkeley Institute for Applied Framing oder ähnliche, noch renommiertere Institutionen? Wenn schon Fehler zugeben, dann am besten in so wohllautenden Wortwolken, dass der leichte Hauch von Selbstkritik sich nur noch im Adjektiv "selbstkritisch" äußert, das ja alle, auf die es zutrifft, vor allem ziert. Und weil ARD ja früh Kontakt nach Berkeley (oder so) hatte, ist sie da auf Draht.

"Wir wollen den behördlichen Katastrophenschutz künftig moderner und noch besser unterstützen. Das gehört zu den selbstkritischen Lehren, die wir jetzt ziehen",

lautet der kernigste Kernsatz in der vor Dynamik ("mit sofortiger Wirkung eine entsprechende Task Force eingesetzt") fast schon hyperventivibrierenden ("Jetzt für die Zukunft ein Angebot zu entwickeln, ist der nächste ganz wichtige Schritt") Pressemitteilung, die der WDR gestern aussandte.

Enthalten sind aber auch die in der Tat hohen Spenden, die die WDR- und die Gesamt-ARD-Aktion einspielten, sowie die "unbürokratische Entlastung vom Rundfunkbeitrag für Unwetteropfer". Okay, "es wäre schließlich auch niemanden zu erklären, wenn das eigene Haus oder die Wohnung ein Opfer der Fluten wurde, man aber weiterhin monatlich 17,50 Euro für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen muss" (Tagesspiegel, der außerdem Spendenergebnisse anderer Sender beziffert). Aber erklärt werden muss die Entlastung ja dennoch. Zwar kann der WDR allerhand Weitermelde-Medienecho (z.B.) verzeichnen. Doch in ausschließlich rein positiven Schlagzeilen steckt er noch immer nicht.

Während über eine "bisher unveröffentlichte interne Vergleichsstudie" der Finanzbedarfermittlungs-Kommission KEF, der zufolge bei einer Kölner WDR-Immobilie die Umbaukosten "deutlich teurer ... als bei anderen ARD-Bauprojekten" seien, bislang wohl allein Springer-Medien berichten, zieht die Trennung von einer Fernseh-Moderatorin immer noch größere Kreise.

Tagesaktuell auf den Stand im "großen Streit" zwischen WDR und der langjährigen "Lokalzeit aus Köln"-Moderatorin Simone Standl bringt mit guter Kenntnis der eigentlich so gut gelaunten Sendung die Süddeutsche: Standl

"warf dem WDR im 'Kölner Stadtanzeiger' Jugendwahn und Altersdiskriminierung vor, und legte in der aktuellen 'Bild am Sonntag' nochmal nach, der Sender wolle 'krampfhaft diverser' werden",

worauf der WDR in einem (wegen des "@" am Anfang schwer zu findenden) Twitter-Thread ebenfalls nachlegte, der dann aber, Überraschung, die Sache auch nicht abschloss. Vielmehr nennt die FAZ heute die WDR-Kommunikation "denkbar schroff".

Die große Bühne in der ARD-Mediathek

"Im Moment wird sie dafür bezahlt, dass sie dem Ersten eine Rosskur zumutet, weil das Publikum zu alt ist", schrieb Claudia Tieschky neulich in der SZ über Christine Strobl, die noch neue ARD-Programmdirektorin. Strobl steht hart im Wind scharfer Kritik und zeigt sich dort auch tapfer. Jüngst zum Beispiel in einem ziemlich langen Interview, das sie gemeinsam mit ARD-Chefredakteur Oliver Köhr als Sidekick dem RBB-"Medienmagazin" gab.

Hier im Tweet dazu erfüllt das "Medienmagazin" übrigens schon eine der neuen ARD-Kernforderungen: was spannend ist, für unterschiedliche Bedürfnisse in unterschiedlichen Längen anzubieten. In diesem Fall als 90-Sekünder (sogar im Video, obwohl das "Medienmagazin" ja ein Audio-Angebot ist) wie auch als 40-Minüter, das aber in der für Onlinezwecke schwierigeren magazinigen Form.

Das Hören lohnt sich. Es gibt Grund für frische Aufregung, wenn Strobl etwa (bei Min. 07:40) sagt, dass "30-Minuten-Stücke", also 30-minütige Fernsehdokus, "für mich die höchste Form, die man gestalten kann" sind. Was natürlich Dokumentarfilmer, die statt 30-Minuten-Stückchen lieber längere Filme machen, frappieren muss (wobei solche Dokumentarfilme ja schon längst nur noch in Ausnahmefällen ins ARD-Programm gelangen). Und lehrreich ist das Interview. Man lernt etwa: Was im linearen Fernsehen die "Prime Time" ist, heißt in Mediatheken "die Stage" – worin zwar die "Stage" englisch ausgesprochen wird, nicht aber das "die". Gemeint ist die "ganz große Kachel", die man oben in den Mediatheken immer als erstes sieht, wie Strobl dann noch erläutert (11:15). Diese "Stage" also sollen künftig vermehrt monothematische Doku-Stückchen füllen.

Wenn es gegen Ende dann um den Sender "Tagesschau 24" geht, den Interviewer Jörg Wagner "andeutungsweise Nachrichtenkanal" nennt (während wir hier vorige Woche vom "Markt-/Markencheck-Flugzeugträger" schrieben ...), kommen auch die schwierigen Auftrag-Struktur-Beratschlagungen der Bundesländer zur Sprache. Und da gibt es noch interessante Personalie: Die nächste Juristische Direktorin des Bayerischen Rundfunks wurde ernannt.

Eva Majuntke verfügt bereits über "jahrelange Erfahrung innerhalb der ARD", teilt der BR in seiner PM mit. Wenn sie ihren neuen Posten im März antritt, wird sie allerdings aus dem "Referat Grundsatzfragen der Medienpolitik in der Bayerischen Staatskanzlei", das sie seit 2019 leitet, kommen – also direkt von dort, wo Medienpolitik in Deutschland gemacht wird. Und "ausgerechnet diese Staatskanzlei bremst gerade den Reformprozess der ÖRR aus", twitterte dazu Daniel Bouhs (der das eben erwähnte "Medienmagazin"-Interview mit-führte). Falls Sie dazu was Ausführlicheres lesen wollen, wäre weiterhin dieser Medienkorrespondenz-Artikel zu empfehlen.

Als prägnantes Beispiel dafür, wie es um die, wenn es passt, immer gern postulierte "Staatsferne" der Öffentlich-Rechtlichen in der Praxis steht, sollte man diese Personalie im Auge behalten.

Die Medienpolitik der Türkei

Der türkische Journalist Erk Acarer wurde neulich mitten in Berlin überfallen, mutmaßlich in staatlich türkischem Auftrag (Altpapier), und bemüht sich unermüdlich, einem größeren deutschen Publikum zu erklären, was ihm widerfahren ist. Für die Wochenend-taz schrieb er es ausführlich noch mal auf. Der vielleicht spannendste Absatz lautet:

"Es ist ja so, dass zwischenstaatliche Beziehungen stärker auf Wirtschaftsinteressen als auf politischen Belangen wie Demokratie und Menschenrechten basieren. Die Auswirkungen dieser Priorisierung zu beschreiben gehört zu den relevanten Aufgaben von Journalist*innen. Die Janusköpfigkeit der Politik aufzuzeigen steht auf unserer Aufgabenliste ziemlich weit oben"

"Janusköpfigkeit aufzuzeigen" – steht das auf Aufgabenlisten deutscher Journalisten auch irgendwo? Jedenfalls schilderte Korrespondentin Susanne Güsten gerade im Tagesspiegel die Medienpolitik in der Erdogan-Türkei:

"Rund 90 Prozent der türkischen Zeitungen und Fernsehsender werden nach Schätzung von Experten von der Regierung kontrolliert. Die meisten gehören Unternehmern, die sich mit regierungstreuer Berichterstattung staatliche Aufträge etwa in der Bau- oder der Energiebranche sichern. Diese Medien sind Sprachrohre der Regierung: Manchmal erscheinen sechs oder sieben Zeitungen mit wortgleichen Überschriften auf ihren Titelseiten. Unabhängige oder regierungskritische Medien müssen ums finanzielle Überleben kämpfen, weil sich Unternehmen scheuen, bei ihnen Anzeigen zu schalten. Reporter und Redakteure werden festgenommen ...",

was zur Berliner Attacke ja passt. Die Überschrift "Der Präsident schläft nicht" bezieht sich auf vermutlich dieses Video, in dem er es doch zu tun scheint, was in der Türkei weiteren Ärger nach sich zog.

Deutsche Regierungen, im Bund wie in Bundesländern, mit rot wie mit schwarz angeführten Regierungskoalitonen, kooperieren weiterhin gern und viel mit staatlich türkischen Stellen, hier wie dort. Daran hat sich nichts geändert.

Nachrufe (Biolek, Köfer, Hagenkord)

Ende vergangener Woche ist Alfred Biolek gestorben. Nachrufe gab es in gewaltiger Anzahl. Da wir schon in der WDR-Presseabteilung waren: Hier findet sich deren Würdigung. Einen ausführlichen Nachruf hat nun auch Dietrich Leder verfasst, der Biolek von der Kölner Kunsthochschule für Medien kannte und auch die frühen Stationen des "Fernsehpioniers der besonderen Art" detailliert nachzeichnet: die "Tipps für Autofahrer", die deutschsprachige "Monty Python’s Fliegender Zirkus"-Show ("Viele der Scherze wirken heute drastisch-derb ...") und die Talkshows ohne Kochen nachzeichnet. Der Medienkorrespondenz-Nachruf rückt das vermutlich wegen ihrer Auffindbarkeit ein wenig arg von Kochshows geprägte Biolek-Bild ein wenig zurecht.

Mit 100 Jahren gestorben ist Herbert Köfer, "die schauspielerische Allzweckwaffe der DDR", die – anders als viele andere DDR-Waffen – aber auch im vereinten Deutschland noch jahrzehntelang wirkte. Da zählt zu den besten Adressen für einen Nachruf natürlich unser MDR.

Nur etwas mehr als halb so alt wurde Bernd Hagenkord. Die FAZ widmet ihm einen kleine Spalte im Politikressort ("... trug wesentlich zur Neuaufstellung und Modernisierung des Informationsangebots der vatikanischen Medien bei"). Umso mehr erstaunt ein ausführlicher Nachruf ... in der taz.

"Ich weiß nicht mehr genau, wie der Kontakt zustande kam, aber irgendwann hatte Bernd Hagenkord mich, vielleicht vor zwölf Jahren oder so, in der taz kontaktiert, er wolle mich einfach mal kennen lernen, und da saßen wir sehr bald im alten taz-Café, und ich kam aus dem Staunen kaum heraus: Ist das denn möglich, so ein cooler Typ ist ein Jesuit",

leitet Philipp Gessler, sozusagen taz-Spezialist für Kirchen-Dinge (die in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten ja alles andere als erbaulich waren) ihn ein.


Altpapierkorb (Ordner gegen "zionistische Presse", Querdenker mit Presseausweis, Jana Parageis, 14 Stunden Olympia-TV, "kleine Medienrevolution")

+++ Vorsichtig und mit vielen Gendersternchen berichtet die taz, dass bei einer Berliner Demo, zu der "ein Bündnis unter anderem von 'Migrantifa', der Israel-Boykott-Kampagne 'BDS Berlin' und dem Verein 'Palestine Speaks'" aufgerufen hatte, "Presseleute ... von einem Ordner per Megafon als 'Zionistische Presse' ausgerufen worden" seien. Dabei sind doch "pressefeindliche Stimmung und das gezielte Herausheben von Presseleuten bei Demos ... bisher vorwiegend als Strategien des rechten und des Querdenker-Milieus bekannt".

+++ Von "Querdenkern" mit Presseausweis im überfluteten Gebiet an der Ahr berichtet ZDF-Reporter Arndt Ginzel in "@mediasres".

+++ Diverser wird das öffentlich-rechliche Fernsehen jedenfalls. Simone Standls Nachfolgerin beim WDR (mit der sie nicht streitet) heißt Sümeyra Kaya. Und nun, da Petra Gerster geschafft hat, "was bisher keiner Frau in den deutschen Hauptnachrichten gelang: Vor der Kamera bis zum gesetzlichen Ruhestand zu altern" (Süddeutsche [€]), folgt auf sie beim ZDF Jana Pareigis, der das SZ-Porträt gilt. +++ "Und wie hält es Jana Pareigis mit dem Gendern in der gesprochenen Sprache?" Antwort gibt das dpa-Porträt, das etwa bei der Berliner zu finden ist.

+++ Von 0.00 Uhr bis 13.59 Uhr Olympia-Fernsehen auf ZDF und Eurosport hat Imre Grimm für rnd.de geguckt und sich dabei große Fragen besonnen (" Es ist auch ohne Corona im Kern sinnlos, eine Eisenkugel an einem Seil auf eine Wiese zu schleudern oder im Watschelgang 50 Kilometer wie ein blasenschwacher Erpel ins Ziel zu wanken") gestellt.

+++ "Nach Zahlen aus dem Jahr 2019 sind 71 Prozent der russischen Journalisten weiblich. Aber das hat auch damit zu tun, dass der Job in Russland nicht als nicht besonderes prestigeträchtig gilt und häufig schlecht bezahlt wird" und trägt nicht dazu, dass häufig weibliche Stimmen zu hören sind, schreibt Irina Chevtaeva bei epd medien.

+++ "Es ist nicht übertrieben, bei Hörbüchern und Podcasts von einer kleinen Medienrevolution zu sprechen", u.v.a., weil "Zuhören dank Digitalisierung und Bluetooth-Technologie zu einer immer häufigeren Tätigkeit geworden ist, manche würden sagen: zur bevorzugten Form des gesellschaftlichen Rückzugs". Ganzseitiges, über vielen Facetten des Phaänomens gut informiertes Feuilleton von  Paul Ingendaay dazu heute in der FAZ (75 Cent bei Blendle).

+++ Und in einer "Stellungnahme zur Kritik an der OBS-Studie zu 'Medienjournalismus in Deutschland'" (Altpapier), die die Otto-Brenner-Stiftung und Hektor Haarkötter nun als PDF veröffentlichten, heißt es u.a.: "Der Vielfalt der medienjournalistischen Akteur*innen, die ausschließlich online anspruchsvolle Medienkritik publizieren, gerecht zu werden, bleibt einer künftigen Untersuchung vorbehalten."

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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