Teasergrafik Altpapier vom 20. Juli 2021: Porträt Autor Annika Schneider
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Das Altpapier am 20. Juli 2021 Der Überwachung wehrlos ausgeliefert

20. Juli 2021, 09:57 Uhr

Was tun, wenn das eigene Smartphone zur Wanze wird? Auch Apple-Fans sind vor Spähattacken nicht geschützt. Abschied vom dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard. Und: Mehr Kritik an der Flutberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Ein Altpapier von Annika Schneider.

Die totale Smartphone-Überwachung – was tun?

Kurzer Selbsttest: Wo befindet sich Ihr Smartphone gerade? Die Chancen stehen gut, dass es nicht weiter als einen Meter von Ihnen entfernt liegt, und das für den größeren Teil des Tages. Sich jetzt vorzustellen, dass irgendjemand Fremdes das Mikrofon oder die Kamera fremdsteuern könnte, ist schon im Privaten extrem unangenehm – für Reporterinnen, die investigativ recherchieren, kann es lebensgefährlich werden. Dass, wer sich mit Mächtigen anlegt, nicht einmal in EU-Ländern sicher ist, haben uns die Morde an Peter R. de Vries in den Niederlanden, Giorgos Karaivaz in Griechenland, Daphne Caruana Galizia in Malta und Jan Kuciak in der Slowakei auf dramatische Weise vor Augen geführt.

Umso erschreckender ist deswegen das, was ein internationales Recherchekonsortium gestern öffentlich gemacht hat: dass die Überwachungssoftware Pegasus weltweit genutzt worden sein soll, um Akteure aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft auszuspähen. In Deutschland waren an den Recherchen die SZ, die Zeit sowie WDR und NDR beteiligt. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte: Die wichtigsten Fragen und Antworten hat die SZ auf dieser Projektseite zusammengefasst.

Pegasus funktioniert ungefähr so, als hätte der Erzfeind die eigene Smartphone-PIN in die Finger bekommen. Das Programm kann Nachrichten in allen möglichen Messengern mitlesen, Gespräche abhören, den eigenen Standort erfassen und wurde laut dem israelischen Hersteller NSO Group entwickelt, um etwa Terroranschläge zu verhindern und Kriminelle zu überführen (mehr über das Unternehmen bei der Tagesschau).

Die Recherche stützt sich auf eine Liste mit über 50.000 Telefonnummern, die als Überwachungsziele von NSO-Kunden angefragt worden sein sollen. Diese Nummern konnten zum Teil konkreten Menschen zugeordnet werden, zum Teil konnte das Rechercheteam auf deren Smartphones auch Spuren von Pegasus nachweisen.

Die Veröffentlichungen zum Thema, die gestern nur kurz im Altpapierkorb erwähnt worden sind, haben eine ganze Reihe von Fragen aufgeworfen. Der DJV will wissen, ob auch Medienschaffende in Deutschland betroffen sind. Auf der Liste hätten sich keine Nummern deutscher Journalisten gefunden, weiß die FAZ zu berichten. Allzu fern liegt die Bedrohung allerdings nicht: Medienschwergewichte wie CNN, die New York Times und die französische Zeitung Le Monde waren als potenzielle Spähziele gelistet.

Naheliegend also die Frage, wie man sich vor Angriffen schützen kann. Die taz hat sie dem israelischen Hacker und Aktivisten für digitale Bürgerrechte Yuval Adam gestellt. Seine Antwort ist ernüchternd:

"Das ist bei so einer leistungsfähigen Software wie Pegasus schwierig. (…) die NSO arbeitet mit hochentwickelten Cyberwaffen, die Mobiltelefone infiltrieren, ohne dass man sich davor irgendwie schützen kann. Menschen und Organisationen, die von Cyberangriffen gefährdet sind, können zwar Vorkehrungen treffen, aber Attacken wie die der NSO abzuwenden, ist beinahe unmöglich. Es wäre eigentlich Aufgabe der jeweiligen Regierungen, sicherzustellen, dass die Zivilgesellschaft geschützt wird."

Wer sich nun in Sicherheit wiegt, weil das iPhone als datensichere Alternative gilt, muss in der SZ (Print-Ausgabe S. 11) heute lesen, dass auch und gerade Apple-Endgeräte durch Überwachungssoftware gefährdet sind:

"Ein Grund für die Anfälligkeit ist paradoxerweise Apples Erfolg. Wem es um Sicherheit ging, dem empfahlen IT-Experten die Telefone von Apple. Die Folge: Immer mehr wichtige Menschen nutzten iPhones. Dadurch wird es für Hacker immer lohnender, Apples Geräte zuverlässig attackieren zu können."

Die Schadsoftware komme nicht nur, aber vor allem über iMessage auf die Geräte, heißt es weiter. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass der Hersteller der Software, die NSO Group, sich gegen die Vorwürfe wehrt, wie die FAZ berichtet (€):

"Die Erfassung der Nummern könne 'viele legitime und völlig saubere Anwendungsmöglichkeiten haben, die nichts mit Überwachung oder NSO' zu tun hätten. Alle glaubwürdigen Behauptungen über einen Missbrauch ihrer Programme würden jedoch untersucht, und gegebenenfalls werde man 'angemessene Maßnahmen ergreifen'."

Wer auch immer am Ende zur Verantwortung gezogen wird: Beeindruckend ist es auf jeden Fall, wie ein internationales Team aus über 80 Reporterinnen und Reporten ein solches Projekt gestemmt hat, während gleichzeitig allen Beteiligten klar war, dass die üblichen Kommunikationswege abgehört worden sein könnten. In der SZ von Montag heißt es dazu (Print-Ausgabe S. 19), alle Partner hätten "ausschließlich auf parallelen Systemen" Kontakt gehabt, die aber aus Sicherheitsgründen nicht näher beschrieben werden könnten.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass globale Themen, die enorme Datenmengen umfassen, auch nur global auszuwerten sind und so viel Know-how und Infrastruktur voraussetzen, dass das für die wenigsten Medienhäuser allein zu stemmen ist. Die Zukunft des Journalismus liegt auch in der internationalen Kooperation.

Bleibt zu hoffen, dass die Vorstellung, per Smartphone ausgespäht zu werden, schlimm genug ist, um breiteres öffentliches Interesse an dem Thema zu wecken. Bei bisherigen Mammut-Rechercheprojekten wie den Panama-Papers bestand ja immer die Gefahr, dass die Erkenntnisse am Ende zu komplex waren, um im öffentlichen Gedächtnis langfristig hängen zu bleiben.

Abschied von Kurt Westergaard

Der Tod von Kurt Westergaard, dem Zeichner der umstrittensten dänischen Mohammed-Karikatur, hat noch einmal die Ereignisse von 2005 und 2006 in Erinnerung gerufen: Weltweit hatte es damals gewaltsame Proteste gegen die provokante Darstellung des islamischen Propheten gegeben. Michael Hanfeld erinnert in der FAZ:

"Für die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Presse und der Karikatur bezahlte Westergaard einen hohen persönlichen Preis. Er büßte das Recht ein, sich frei bewegen zu können."

Der Däne lebte viele Jahre unter Polizeischutz. Ein Badezimmer hatte er in einen Panikraum umbauen lassen – seine Rettung, als ein Mann mit Axt in sein Haus eindrang, um ihn zu attackieren.

Vielen nicht mehr präsent ist vermutlich die Tatsache, dass es vor der weltweiten Eskalation eine innerdänische Debatte über die Karikaturen gab, die zum Beispiel die SZ zusammenfasst (€). Das legt nahe, dass sich die gewaltsamen Proteste mit Toten hätten vermeiden lassen, wenn der Diskurs in Dänemark selbst nicht gescheitert wäre. International relevant wurde das Thema erst Monate nach dem Erscheinen der Karikatur, als dänische Imame den Widerstand gezielt anstachelten.

Und wer noch einen persönlichen Eindruck von Westergaard gewinnen möchte: In @mediasres im Deutschlandfunk berichtete die Journalistin Jana Sinram gestern (als ich die Sendung moderiert habe) davon, wie sie Westergaard 2015 zu Hause besuchte und bei Kaffee und Rosinenbrötchen interviewte – aber erst, nachdem sie im Garten von einem Polizisten gründlich durchsucht worden war.

Kurt Westergaard ist im Alter von 86 Jahren nach längerer Krankheit verstorben.

Der SWR hat ein Herz für Camper

Die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Sender und insbesondere der WDR ausreichend präsent waren, als Teile Westdeutschlands in Regen und Schlamm versanken, ist im Altpapier von Freitag schon diskutiert worden. Weniger gelesen habe ich über Rolle des SWR, dessen Sendegebiet ja auch betroffen war. Maximilian Rieger, Journalist beim Deutschlandfunk, hat sich die SWR-Nachrichtensendungen am vergangenen Mittwochabend angesehen und in einem Twitter-Thread analysiert. Sein Fazit: "Die Berichte waren teils verharmlosend, widersprüchlich und ohne konkrete Warn- und Verhaltenshinweise." Gewarnt wurden demnach an diesem Abend vor allem Camper.

Eine Antwort vom SWR habe ich auf Twitter noch nicht gesehen. Die Debatte, ob in den betroffenen Regionen ausreichend vor dem Starkregen und seinen Folgen gewarnt worden ist, nimmt ja gerade erst Fahrt auf – da wird sicherlich auch die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen noch einmal mit etwas mehr Abstand diskutiert werden. Für die Sender ist das schlechtes Timing, weil die Kritik denjenigen, die den Rundfunkbeitrag schon jetzt zu hoch finden, argumentative Munition liefert.

Zum ganzen Bild gehört aber auch: Seit das Ausmaß der Katastrophe bekannt ist, gibt es jede Menge Sondersendungen und übrigens auch viel internationale Medienaufmerksamkeit. CNN berichtete beispielsweise live aus Euskirchen (hier auf YouTube zu sehen). Eine gute, wenn auch schwer zu ertragende Zusammenfassung der Ereignisse hat das ZDF schon mit dieser Reportage geboten, heute Abend folgt nun ein ganzer Themenabend zur Flutkatastrophe (DWDL), für den die "Anstalt" von ihrem üblichen Sendeplatz auf den kommenden Freitag weichen muss.


Altpapierkorb (das Trash-Format des Jahres, die Ausweisung einer britischen Kolumnistin und eine interne ARD-Präsentation)

+++ Die lesbische Dating-Show "Princess Charming" läuft seit Ende Mai bei TVNOW und ist in der LGBTIQ+-Community dementsprechend schon länger viel diskutiertes Thema (eine Bar, in der man Gerüchten zufolge einige der Teilnehmerinnen treffen kann, ist derzeit einer der Szene-Hotspots). Pünktlich zum Finale, das heute online geht, haben auch die großen Medienseiten das Format entdeckt und sind voll des Lobes: Reality-TV-Expertin Anja Rützel schreibt beim Spiegel (€) über "das wichtigste Trash-Format des Jahres", die taz hat eine der Teilnehmerinnen interviewt und spricht von einem "feministischen Bildungsauftrag" und die FAZ fragte schon vor ein paar Tagen: "Ist das noch Trash oder schon Politik?" Die Serie ist bald auch auf Vox zu sehen, RTL sucht derweil schon nach Kandidatinnen für eine zweite Staffel.

+++ Der Guardian (und einige deutsche Medien) berichten heute über einen etwas kuriosen Fall: Demnach hat Australien eine britische Kolumnistin ausgewiesen, die nicht nur mit extrem rechten Ansichten aufgefallen ist, sondern wohl auch gerne Essenslieferungen ohne Maske (und nackt) empfangen würde. Nachdem Katie Hopkins das zumindest in einem Video angekündigt haben soll, habe sie nun wegen Corona-Verstößen das Land verlassen müssen. Wer beim "Guardian" liest, wie unsäglich sie sich zum Beispiel zu Migranten geäußert hat (und der Vergleich soll hier nicht wiederholt werden), wird vermutlich eher kein Mitleid haben.

+++ Claudia Tieschky hat für die SZ einen Blick in eine interne ARD-Präsentation "vom Frühsommer" geworfen, derzufolge die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl mit dem Ersten "der nationale Player" bleiben will, der dem ZDF nicht das Feld überlassen dürfe – auch wenn Strobl auf SZ-Nachfrage jede Rivalität verneinte.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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