Das Altpapier am 19. Juli 2021 Er hat gelacht
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19. Juli 2021, 11:31 Uhr
Der Kanzlerkandidat der CDU, Armin Laschet, reist ins Hochwassergebiet und lacht, wo er nicht lachen sollte. Seine Inszenierung als Krisenmanager wird als Inszenierung erkennbar. Aber was ist bedeutsam an der Szene? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Neue Szenen eines Wahlkampfs
Komisches Wochenende. Alle reden durcheinander und streiten über das, was sie gesehen haben, ohne zu wissen, was genau sie eigentlich gesehen haben. Und so gab es wieder eine Mordsaufregung im Journalistennetzwerk Twitter, die manches von Substanz überlagert.
Am Sonntagabend waren die beiden meistgelesenen Texte auf spiegel.de ein Beitrag darüber, dass Armin Laschet sich für sein Verhalten während eines Pressestatements des Bundespräsidents im Hochwasserkatastrophengebiet Erftstadt entschuldigt habe. Und der zweite Artikel war der zwei Stunden zuvor erschienene über den Grund für die Entschuldigung. Frank-Walter Steinmeier hatte den Unwetteropfern sein Beileid ausgesprochen, Laschet, der Kanzlerkandidat der CDU/CSU, stand währenddessen im Hintergrund und lachte und feixte.
Auf den Seiten des Redaktionsnetzwerks Deutschland (rnd.de) stand prominent auf der Homepage unter der bei Twitter erstformulierten Dachmarke "#LaschetLacht" ein ganzer Beitragsriegel mit Texten über a) das Geschehen, b) kritische Reaktionen, c) Laschets Entschuldigung und d) einem Kommentar. Beim Kölner Stadt-Anzeiger, mit Madsacks RND kooperativ verbunden, stand der gleiche, aber anders redigierte Kommentar auf Homepage-Position zwei. Der britische Guardian zeigte den feixenden Laschet online zeitweise als Aufmacher. Und so weiter, und so fort.
Dem Geschehen in Erftstadt wird also eine gewisse Bedeutung zuerkannt; die mediale Berichterstattung und die Publikumsresonanz sind da ja doch recht eindeutig. Die Frage ist nur, was die Bilder bedeuten. Um das herauszufinden, müsste man wissen, worüber Laschte lachte. Wissen wir aber nicht. Man wüsste wissen, ob ihm bewusst war, dass eine Kamera auch auf ihn gerichtet ist. Was wir aber nicht wissen können, weil wir nicht in seinem Kopf wohnen.
Ich würde daher sagen: Die Bedeutung der Bilder des feixenden Kanzlerkandidaten besteht darin, dass ihnen Bedeutung unbedingt zugeschrieben werden soll – sicher auch als Reaktion auf die kleinteilige Kritik an der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Sie werden instrumentalisiert. Vor allem dadurch wird das Hintergrund-Gefeixe von Erftstadt für den Wahlkampf relevant: nicht als Primärereignis, dessen Berichterstattungsrelevanz sich selbst erklärt, sondern als Medienereignis, das auf andere Medienereignisse reagiert. Da lacht jemand, der es besser wissen müsste, weil er wahrscheinlich nicht weiß, dass er gerade gefilmt wird. Peinlich, aber vor allem ziemlich aufgebauscht. Relevant ist seine Klimapolitik, nicht dieser konstruierte Boulevard-Charaktertest.
Kleiner Exkurs: Generell wird die Bedeutung solcher öffentlicher Wahlkampfbilder womöglich überschätzt. Kurt Kister schrieb in der Samstags-SZ über den Wahlkampf 2002, es sei nur eine Legende, dass Kanzler Gerhard Schröder die Wahl gewonnen habe, weil er nach dem Elbe-Hochwasser sofort vor Ort gewesen sei, sein Gegenkandidat Edmund Stoiber aber nicht:
"Die Auftritte der Spitzenpolitiker in den Hochwassergebieten hatten, wahltaktisch gesehen, in erster Linie die Folge, dass Wahrnehmungen bestärkt wurden, die ohnehin über Schröder und Stoiber bestanden. Schröder, der Basta-Kanzler, bemühte sich, wie der empathischere Nachfolger des einstigen Flutbezwingers Helmut Schmidt zu erscheinen. Stoiber wiederum, der sich ohnehin nicht für öffentliche Symbolik eignete, wirkte auch in Gummistiefeln so, als wolle er die Katastrophe mit Verwaltungsakten bekämpfen. Schröder gewann nicht wegen der Flut, Stoiber verlor nicht wegen ihr."
Womöglich wird die Bedeutung von Bildinszenierungen aber auch nicht überschätzt. Als Peer Steinbrück 2013 im Wahlkampf auf dem SZ-Magazin-Cover einen Mittelfinger zeigte, prägte das den weiteren Verlauf der medialen Berichterstattung stark. Die Bedeutung des Bildes bestand vor allem darin, dass anderes, womöglich Bedeutsameres, nicht mehr so bedeutend zu sein schien.
Georg Restle, der Leiter des Politmagazins "Monitor" twitterte: "Am Ende wird diese Bundestagswahl darüber entschieden, ob #Laschetlacht oder @ABaerbock in ihrem Buch nachlässig zitiert hat. Kann mich mit diesen politischen Realitäten nicht anfreunden. Schon gar nicht angesichts der realen Herausforderungen unserer Zeit." Ich habe die Empörung vieler Menschen wahrgenommen und will sie niemandem absprechen. Aber mir geht es ähnlich wie Restle. Die Fokussierung auf skandalisierbare Zweitrangigkeiten geht mir ziemlich auf den Wecker.
Die Frage ist: Was muss man verlangen von einem Mann, der Bundeskanzler werden will? Möglichkeit eins: Man fordert, dass er angesichts des Leids, das viele Menschen persönlich trifft, nie lacht, wenn er in einem Hochwassergebiet zugegen ist, weil er jederzeit im Fernsehen zu sehen sein könnte. Das würde aber bedeuten, einen Kanzlerkandidaten nicht an seiner Leistung, sondern an seiner Inszenierung als Krisenmanager zu messen. Statt diese Inszenierung zu demontieren, um so zur Substanz und den Inhalten seiner Krisenpolitik vorzudringen, wird sie nur demontiert, um zu zeigen, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Dass er persönlich gar nicht so betroffen ist, wie er als Ministerpräsident und Kanzlerkandidat redet. Das aber wissen wir doch schon. Die Erkenntnis besteht also darin, dass seine Inszenierung eine Inszenierung ist. Ein Zirkelschluss: Wir wissen, dass der Ball rund ist, deswegen rollen wir ihn einen Berg hinunter und stellen dann fest, dass der Ball rund ist.
Möglichkeit zwei: Wir verlangen, dass er in einem Katastrophengebiet nicht lacht, weil er wirklich die ganze Zeit über berührt ist. Das würde aber verkennen, dass er nicht als persönlich Betroffener anreist, sondern als Politiker im Wahlkampf, der vor Ort wahlkämpft.
Möglichkeit drei: Man verlangt von ihm, wie Jens Schneider heute in der SZ (Blendle-Link), "dass er den Ernst der Lage verstanden hat". Das lasse ich mir eingehen, zumal der Gedanke, dass Angela Merkel im Hintergrund Witze machen würde, recht abwegig wirkt (was allerdings wiederum nicht unbedingt auch für ihre Vorgänger gilt). Es geht aber am Ende dann doch nur um eine Stilfrage.
Den Ernst der Lage ernstzunehmen, das gilt aber eigentlich auch für uns von den Medien: Es gibt keinen Zwang, sich ausführlicher als nötig mit Bildern zu beschäftigen, bevor der Kontext der Entstehung geklärt ist. Zu diesem Kontext gehört zum Beispiel auch Wissen über die Kameraeinstellung. Für Zuschauer sieht es aus, als sei für Laschet im Hintergrund erkennbar, dass er die Kulisse für ein Fernsehstatement des Bundespräsidenten bildet (der selbst auch beim Lachen gefilmt wurde). Von seiner Kulissenposition aus kann das völlig anders gewirkt haben.
Kurz bevor am Samstag das Video des feixenden CDU-Kanzlerkandidaten viral ging, kommentierte Stefan Kuzmany auf den Seiten des Spiegels, die Überschwemmungen im Westen Deutschlands könnten für den Wahlkampf ein Wendepunkt sein, weil wir endlich mal über Politik reden müssen:
"In diesem Wahlkampf kann es jetzt nicht mehr um geklaute Zitate und als Pflegekräfte kostümierte Plakatdarstellerinnen gehen – es geht um die Frage, ob die Folgen des Klimawandels kurzfristig sind, oder ob dieser Wandel grundsätzlich zu bekämpfen ist. Wahrscheinlich werden wir beides zugleich tun müssen. Und müssen uns daher fragen: Passt Annalena Baerbock auch in Gummistiefel, wäre sie eine gute Krisenmanagerin? Und was macht Armin Laschet, wenn er seine Gummistiefel wieder ausgezogen hat – hat er die Weitsicht, langfristige, auch unpopuläre Entscheidungen für das Klima zu treffen?"
An der Stelle würde es interessant. Und es wurde auch kurz mal interessant, als Laschet vor vier Tagen in einem konfrontativ geführten WDR-Interview zu seiner Klimapolitik befragt wurde und in die Defensive geriet. Dann aber sah man Laschet lachen, und wir waren wieder auf dem Weg zurück in die Bullshitschleife.
Altpapierkorb (Radio Wuppertal, Pegasus-Projekt, Olympia, EM, Rundfunkreformprozesse)
+++ Vergangene Woche stand der WDR in der Kritik, er habe in der Unwetternacht zum Donnerstag nicht umfassend genug berichtet (Altpapier). Radio Wuppertal dagegen hat durchgesendet. Die SZ hat die Umstände (Notstrom!) zusammengetragen: "Ab drei Uhr früh ist der Strom aus. Das Funkhaus ist nur noch über UKW zu empfangen. Sie schalten das Licht aus. Alles, was unnötig Strom zieht, ist ausgesteckt."
+++ Auch im "Medienmagazin" von Radioeins wurde die Diskussion über die Katastrophenberichterstattung noch einmal vertieft. Eine der aufgeworfenen Fragen: "Vielleicht ist es doch nicht so klug, an der Abschaffung von UKW zu arbeiten?"
+++ Mal wieder ein koordiniertes Rechercheprojekt mehrerer Medienhäuser: Es geht um das "Pegasus-Projekt" und die geheimdienstliche Überwachung auch von Journalisten, etwa in Ungarn. Die Süddeutsche gehört zu den Projektmedien. (Für die Transparenz: Die Zeit auch, also die Verwandte meines Arbeitgebers Zeit Online.)
+++ Der Großteil der Berichterstattung und Kommentierung über die Olympischen Spiele wird "nicht aus dem fernen Japan, sondern aus den heimischen Studios von ARD, ZDF und Eurosport erfolgen": Der Tagesspiegel schreibt über "ein Novum"
+++ Oliver Schenk, Chef der Staatskanzlei Sachsen, spricht im FAZ-Interview (Abo) über die Reformüberlegungen in der Rundfunkkommission der Länder. Nebenbei rückt er den "Eindruck" gerade, "wir wollten in der Vorgabe einer ‚sachlichen Berichterstattung‘ satirische Angebote verbieten oder gar die Programmhoheit beschneiden. Das ist natürlich nicht beabsichtigt."
+++ Die Fußballeuropameisterschaft hat sich Dietrich Leder für die Medienkorrespondenz angeschaut und ordnet die medialen Aspekte.
Neues Altpapier erscheint am Dienstag.
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