Das Altpapier am 8. Juli 2021 Ist die Hälfte eines Pfunds noch ein Pfund?
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08. Juli 2021, 11:37 Uhr
Als 2019 der "Weltspiegel" der ARD seinen angestammten Sendeplatz verlieren sollte, protestierten Redaktion und Auslandsberichterstatter erfolgreich. Nun steht wieder eine Verlegung im Raum – und wieder gibt es gut begründeten Widerspruch. Wird er erhört? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Korrespondenten gegen "Weltspiegel"-Verlegung
Neue Leute machen manches anders als ihre Vorgänger. Das gefällt nie allen, aber das ist nicht schlimm. Insofern braucht man sich nicht prinzipiell darüber beklagen, dass die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl Dinge anders anpackt als ihr Vorgänger Volker Herres. Gleichwohl ist es auch kein strukturkonservatives Herumgezausel, wenn nicht jede Neuerung abgenickt wird.
Wenn der Name des "Weltspiegels" in einem Umprogrammierungskonzept steht, schauen früher oder später viele ganz genau hin. So war das schon 2019, als das Magazin auf einen früheren Sonntagstermin verlegt werden sollte (Altpapier). So wird es – so viel Prophezeiung ist seit gestern möglich – auch diesmal sein, da erneut eine Verlegung auf einen mutmaßlich weniger günstigen Sendeplatz angedacht ist. Das Auslands-/Korrespondentenmagazin ist schließlich quasi ein öffentlich-rechtlicher Kernbereich. Das steht auch ungefähr so auf den Seiten der ARD: "Die besondere Stärke der ARD sind ihre Korrespondenten in den 30 Auslandsstudios. Dieses Netz entwickelte sich seit den 50er Jahren zu einem der größten der Welt", heißt es bei daserste.de. Der "Weltspiegel", quasi das Schaufenster dieses Netzes, ist also nichts, womit man unwidersprochen herumspielt.
Was im Raum steht: Seit einer Woche ist bekannt, dass der "Weltspiegel" vom frühen Sonntagabend auf den späten Montagabend an der Grenze zur Nacht verlegt werden soll. So hat es der Spiegel berichtet, so hat es Christine Strobl im Verbund mit anderen ARD-Größen in einem dpa-Interview bestätigt:
"Der Montag soll unser relevanter Informationstag werden. Im Anschluss an die 'Tagesthemen' können wir mit dem 'Weltspiegel' die ideale Verbindung herstellen, um aktuelle Themen aus der ganzen Welt einzuordnen und zu vertiefen. Dokumentationen und Serien sind die Erfolgsgaranten in der digitalen Welt. Im Ersten brauchen wir am Montagabend mehr Dokumentationen mit relevanten Stoffen, die für die beste Sendezeit geeignet sind."
Das klingt so, wie es da steht, nicht wie eine Abwicklung oder auch nur Verschlechterung. Aber da steht ja auch längst nicht alles. Und die Tage, an denen der Plan "völlig unterdiskutiert" geblieben ist, wie René Martens noch am Dienstag an dieser Stelle monierte, sind jetzt vorbei.
Die Redaktion des Magazins und die Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten – insgesamt 45 Personen – wehren sich gegen die Verlegung in einem offenen Brief an die "lieben Intendant:innen, Direktor:innen und Chefredakteur:innen" des ARD-Fernsehens, den kontextwochenzeitung.de und medienkorrespondenz.de veröffentlicht haben. Hier eine etwas ausführlichere Passage aus dem Brief:
"Die Verschiebung des seit 58 Jahren eingeübten Weltspiegel-Sendeplatzes am Sonntagabend auf den Montag um 22.50 Uhr (…) ist eine drastische Schwächung der Auslandsberichterstattung im Ersten. Die absoluten Zuschauerzahlen werden uns nicht zufriedenstellen. Derzeit liegen sie Montagabend nach den Tagesthemen durchschnittlich bei ca. 1,3 Millionen, gegenüber derzeit rund 2,1 Millionen am Sonntagabend. Unser lineares Stammpublikum ist nicht jung und wird uns um diese Uhrzeit wohl kaum im bisherigen Maße treu bleiben. Alle anderen Magazine im Ersten, ob Politik oder Wirtschaft sind unter der Woche vor den Tagesthemen platziert, allein das Ausland sendet dann in der 'Todeszone' (denn nach allem, was wir jahrelang von der Medienforschung der ARD gehört haben, suchen die Zuschauer zu so später Uhrzeit keine Magazinform mehr). Hinzu kommt offenbar eine Reduzierung der Sendeplätze insgesamt: 39 Ausgaben anstelle von 44 oder 45 pro Jahr. Die Weltspiegel Reportage entfällt. Möglicherweise auch das Format 'Weltspiegel Extra'. Kollegen:innen werten das summa summarum als Halbierung der Auslandsberichterstattung."
Das mag unter Umständen leicht aufgerundet sein. Aber selbst wenn es nur eine Dreiviertelung wäre, wäre es für mich nicht nachvollziehbar. Die Auslandsberichterstattung ist für die Öffentlich-Rechtlichen inhaltlich (wie auch strategisch) ein Pfund. Die Hälfte wäre nur noch ein halbes Pfund.
In Kontext aus Stuttgart, wo man Programmdirektorin Strobl auch als Frau des baden-württembergischen Innenministers kennt, erscheint obendrein ein deutlicher Beitrag des ehemaligen "Weltspiegel"-Moderators vom SWR, Jörg Armbruster. Die Verlegung wäre, schreibt er, "ohne jeden Zweifel der schleichende Tod dieses Magazins". Er werde
"den Verdacht nicht los, dass die Buchhalter der Programmdirektion in München früher oder später die Quoten genauer anschauen und angesichts der zu erwartenden schwachen Zuschauerakzeptanz des neuen Sendeplatzes verkünden, ein derartig teures Programm rechne sich nicht."
Ob der prominente und vielstimmige Einspruch etwas ändert an den Plänen? 2019, als das Magazin einen neuen Sonntagssendeplatz bekommen sollte, ist es jedenfalls "dank einer außergewöhnlichen Mobilisierung gelungen", das zu verhindern, schrieb René Martens im Altpapier Ende Juni. Noch einmal zur Erinnerung, was bei daserste.de steht: "Die besondere Stärke der ARD sind ihre Korrespondenten in den 30 Auslandsstudios." Und die besondere Stärke der Korrespondenten, die den Brief unterzeichnet haben, wäre dann, dass sie die besondere Stärke der ARD sind. Soweit mal eine optimistische Deutung.
RTLs "Angriff" auf die "Tagesthemen"
Jörg Armbruster hält die Verlegungsidee – er spricht von einem drohenden "Kahlschlag" – auch deshalb für falsch, wie er schreibt, weil "zur gleichen Zeit einige Privatsender ihre Informationssendungen ausbauen und optimieren, zum Beispiel Programmflächen für Dokus über Rechtsradikalismus freischaufeln oder prominente ARD-Moderatorinnen und Moderatoren wie Linda Zervakis oder Matthias Opdenhövel für eigene Informationsformate abwerben".
Es hängt natürlich tatsächlich alles mit allem zusammen: In den Mediatheken, die gestärkt werden, haben es Magazinsendungen relativ schwer. Private gehen in die Offensive, was die Öffentlich-Rechtlichen dazu motivieren könnte, privater zu werden – oder mediathekenaffiner, was auch unterhaltsamer bedeuten kann –, was aber nicht für jeden Inhalt optimal ist. Und die Quote spricht womöglich tendenziell für die Annäherung journalistischer und dokumentarischer Programme ans Unterhaltungsfach, wie sie beim bisweilen hybriden ZDF-"Magazin Royale" stattfindet. Und wie sie auch in einer Kooperation zwischen "Monitor" und der "Carolin Kebekus Show" angedacht ist (DWDL).
Diese Kooperation bedeutet zunächst keine erkennbare Schwächung des Politikmagazins, weil von einer auf Dauer angelegten Verzahnung nicht die Rede ist. Aber wenn man solche Kooperationen weiterdenkt, stellt sich die Frage nach der Priorisierung: Wer würde in solchen Kooperationen, gäbe es sie immer wieder, die Themen setzen? Würde eine Unterhaltungsformatredaktion – wie die von Carolin Kebekus – Themen in ihrem Sound bearbeiten, die ein Politikmagazin ohnehin recherchiert? Oder kämen vorrangig Themen infrage, die von vornherein anschlussfähig für Unterhaltungsformate sind?
Weniger hypothetisch ist der "Angriff" von RTL auf die "Tagesthemen" vor der Bundestagswahl, den man auch bei der ARD natürlich zur Kenntnis genommen hat und dessen Ausformung DWDL ausbuchstabiert. Unter anderem besteht er laut DWDL im Sendeplatz: RTL will Jan Hofer und irgendwann auch Pinar Atalay (Korrektur: nein, nicht Linda Zervakis, Anm. d. Autoren), die beiden ehemaligen "Tagesschau"-Leute, das Nachrichtenmagazin "RTL direkt" dort zeitgleich zu den "Tagesthemen" präsentieren lassen.
Noch mehr Briefe an die ARD
"Beschwerden erreichen die ARD unentwegt, das sind die öffentlich-rechtlichen Sender gewohnt. Nicht alle Kritik an ihnen ist substanziell." So steigt Stefan Fischer in der Süddeutschen Zeitung in seinen Text ein, der einen offenen Brief des Bundesverband Regie vom 1. Juli nachbereitet. Die Filmleute beklagen demnach, dass sie, statt Filme mit der "Handschrift jener (…), die sie geschrieben und inszeniert haben", "nur noch austauschbare Massenware" produzieren müssten.
"Immer wieder würden die Regisseure erleben", zitiert Fischer aus einem persönlichen Gespräch mit Initatioren des Briefs, "dass man für ein gutes Drehbuch nicht das Budget anpasst, sondern umgekehrt das Drehbuch an ein Budget. Offenkundig macht das einen Film nicht besser. Zumal wenn die Zahl der Drehtage immer weiter abnimmt. Es herrsche ein unglaublicher Druck am Set, bestätigen viele Regisseure im Gespräch. Möglichkeiten, etwas auszuprobieren oder noch einmal besser zu machen, bestünden immer seltener. Es gehe in der Regel nur noch darum, schnell und effektiv durchzukommen."
Interessant ist der abschließende Blick nach Frankreich, Großbritannien und Skandinavien, wohin die Regisseurinnen und Regisseure "ein wenig neidisch" blicken würden. Dort "sei das Zusammenspiel von Sendern, Produzenten und Kreativen deutlich besser, da die Sender mehr Verantwortung abträten". Ein potenzielles Thema für den "Weltspiegel"?
Altpapierkorb (Peter de Vries, Medienwahlkampf, Döpfner macht es sich leicht)
+++ Auf den niederländischen Journalisten Peter de Vries wurde ein Mordanschlag verübt. "Er gilt als führender Kriminalreporter der Niederlande und ist wegen seiner öffentlichen Auftritte ein bekanntes Gesicht. Zurzeit ist de Vries als Berater des Kronzeugen Nabil B. in einen Prozess gegen das organisierte Verbrechen involviert" (faz.net via Agenturen). Die taz widmet dem Anschlag zwei Texte, auch einen porträtierenden.
+++ Stefan Niggemeier kommentiert bei Übermedien (Abo), der Wahlkampf sei bislang langweilig und die Fixierung von Medienschaffenden auf Aufreger (Baerbock/Maaßen), die es anders wirken lassen, das Problem: "Es sind nicht zuletzt Medien, die auf diese beiden Themen fixiert sind, aber gleichzeitig ist ihnen selbst dabei schon langweilig. Und deshalb versuchen manche in einer Art Autosuggestion, das Langweilige in Aufregung umzudeuten."
+++ Springer-Chef Mathias Döpfner hat nach einem Bericht des Medieninsiders (Abo), aufgegriffen von Meedia, in einer internen Fragerunde den Bild-Journalismus verteidigt. "Man kann die Stilmittel des Massenjournalismus prinzipiell ablehnen und die Position vertreten, alles in langen Artikeln und hoch intellektuell abzubilden. Nur dann wird man ausschließlich Eliten erreichen." Stefan Winterbauer meint bei Meedia, er mache es sich zu einfach: "Niemand kritisiert das Layout oder die Kürze von ‚Bild‘-Berichten. Journalismus für breite Bevölkerungsschichten zu machen bedeutet doch nicht, dass zwangsläufig Persönlichkeitsrechte ständig mit Füßen getreten werden müssen, oder dass Ressentiments geschürt werden, wie dies bei 'Bild' permanent geschieht."
+++ epd Medien weist in Reaktion aufs Altpapier vom Montag in einem Tweet darauf hin, dass die Intendantenwahl des ZDF nicht die erste transparente Wahl ihrer Art gewesen ist. Stichwort: SWR 2006!
Neues Altpapier erscheint am Freitag.
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