Das Altpapier am 5. März 2021 Einmaliger Fehltritt über Wochen
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05. März 2021, 11:49 Uhr
Ein deutscher US-Korrespondent schickt einer Kollegin sexistische Nachrichten. In der Folge zeigt sich, was im medialen Umgang mit Sexismus noch immer falsch läuft. Man schiebt es auf die Umstände, bemüht sich um Gesichtswahrung, aber man spricht nicht über das eigentliche Problem. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Ein bemerkenswerter Fall
Am Montag ist Weltfrauentag, und als wäre alles auf diesen Tag hin geplant geworden, sind pünktlich gleich mehrere Texte erschienen, in denen es um Probleme geht, über die man an diesem Tag sprechen sollte. Das ist natürlich kein Zufall, es liegt daran, dass diese Probleme auch in jeder anderen Woche des Jahres allgegenwärtig sind. Zum Beispiel Sexismus.
Stefan Niggemeier berichtet für Übermedien (€) über den Fall des USA-Korrespondenten D., der einer Kollegin Nachrichten geschickt hat, für die man nur schwer andere Bezeichnungen als übergriffig und sexistisch findet. Schon das ist bemerkenswert, es ist ja schließlich schon 2021. Aber der ganze Fall ist bemerkenswert, und zwar aus mehreren Gründen.
Bei der Kollegin handelt es sich um Lauren Wolfe, ehemals freie Reporterin der New York Times. Seit Januar ist sie das nicht mehr (Altpapier). Die Trennung geschah offenbar in Zusammenhang mit einem Tweet, den sie am Tag vor der Amtseinführung von Joe Biden veröffentlicht hatte. Sie schrieb zu einem Foto der Regierungsmaschine, sie habe "chills", eine Gänsehaut. Es folgte das, was man einen Shitstorm nennt. Vorgeworfen wurde ihr Parteilichkeit, allerdings in einer Weise, in der Männer solche Angriffe selten bis nie erleben. Wolfe postete Bilder von Mails, die sie bekommen hatte – homophobe und misogyne Nachrichten, sie sprach auch von Todesdrohungen.
Der deutsche US-Korrespondent D. war einer der Männer, die ihr schrieben. Er meldete sich über den Facebook-Messenger, also unter seinem Klarnamen. Er schickte eine Nachricht, in der er sie "hun" nannte, "Liebling", in einer zweiten bezeichnete er sie als "tingle tingle girl", Stefan Niggemeier übersetzt das mit "Kribbel-kribbel-Mädchen". D. fragt in seiner Nachricht, ob sie "noch heiß" sei. Wir befassen uns in dieser Kolumne mit den Strukturen und strukturellen Problemen von Medien, und das hier ist eines. Lauren Wolfe schrieb in einer von Niggemeier zitierten Nachricht:
"(…) Die Tatsache, dass er (D. - Anm. d. Altpapier) seinen echten Namen benutzte, spricht dafür, dass er sich unangreifbar fühlt."
Auch das ist bemerkenswert. Ein Mann, der sich seit Jahrzehnten professionell mit Medien und hoffentlich auch mit ihrer Funktionsweise beschäftigt, kalkuliert das Risiko nicht ein, dass seine Nachricht veröffentlicht werden könnte. Er scheint sich in dem Moment, in dem er auf Senden gedrückt hat, also entweder nicht darüber im Klaren gewesen zu sein, dass er hier eine Grenze sehr deutlich überschritt, oder er wusst das, ging aber davon aus, dass es keine Konsequenzen haben würde.
Deformierte Denkstrukturen
Die erste Möglichkeit erscheint unwahrscheinlich bei einem Menschen, der beruflich mit Sprache hantiert. Die zweite wäre nur innerhalb von Strukturen denkbar, in denen ein Machtungleichgewicht festlegt, was möglich ist. Zur Einschätzung dessen, wie sie das empfunden hat, was passiert ist, schreibt Lauren Wolfe:
"Es ist furchteinflößend und erschütternd und sollte meiner Meinung nach als Straftat verfolgt werden können."
Doch die Nachrichten von D. gelten nicht als Straftat, sie hätten offenbar nicht einmal beruflich nennenswerte Konsequenzen gehabt, wenn D. sie in einem Fall nicht selbst gezogen hätte. Stefan Niggemeier hat die Auftraggeber befragt. Keiner von ihnen hat die Zusammenarbeit mit D. beendet.
Und auch, wenn sich die Fälle von D. und Lauren Wolfe nicht vergleichen lassen, fällt das Ungleichgewicht im Ergebnis doch ins Auge: Sie verlor ihren Job, weil sie einen Moment lang ihre professionelle Rolle vergaß und eine Gefühlsregung öffentlich machte. Er verschickte im Abstand von mehreren Wochen sexistische Nachrichten, darf aber weiterarbeiten.
Das ist bemerkenswert, zumindest bei der späteren Nachricht, denn hier ist nichts im Affekt geschehen. D. hätte lange Zeit gehabt, über sein Verhalten nachzudenken, sich im Nachgang zu entschuldigen (was er offenbar später gemacht hat – da war er allerdings schon blockiert). Stattdessen schickte er einen Monat später eine weitere Nachricht, in der er schrieb: "Wazzup beetch?" Wie auch immer man das übersetzt, die Formulierung bleibt übergriffig und respektlos.
Lauren Wolfe fügte ihrer Nachricht, in der sie schrieb, D. fühle sich offenbar unangreifbar, noch einen weiteren Satz an: "Und leider scheint das bislang zu stimmen", schrieb sie. Er sei also offenbar tatsächlich unangreifbar. Damit hat sie anscheinend Recht. Das soll nun nicht die Forderung sein, D. doch noch hinauszuwerfen. Aber es ist die Forderung, klar zu benennen, was hier passiert ist, und deutlich zu sagen: Das können die Umstände nicht erklären. Das geht unter keinen Umständen.
Bislang passiert etwas anderes. D. zeigt sich zwar reuig, erklärt die Sache aber als als "einmaligen, höchst bedauernswerten 'Fehltritt'". Das ist falsch. Es war kein einmaliger Fehltritt. Es handelt sich um mehrere Nachrichten, zwischen denen Wochen liegen.
D. hat noch eine weitere Ausrede: "Ich habe die anstößige Wortwahl während einer Phase hoher persönlicher Belastung eingesehen (…)", schreibt er. Das mag sein, aber das spielt hier keine Rolle, denn es klingt, als müssten Frauen damit leben, dass Männer, die eine schwere Zeit durchleben, ungehemmt ihren Sexismus ausleben. Vor allem aber klingt es, als wäre das Problem gelöst, wenn die schwere Zeit vorbei ist. Doch genau das ist nicht der Fall. Das Problem ist nicht die persönliche Krise, das Problem ist das Ventil, das Männer in so einer Situation finden.
Relativierung und Gesichtswahrung
Es geht hier nicht um ein Stress-Syndrom, sondern um deformierte Macht- und Denkstrukturen. Doch D. kommt mit seiner Ausrede durch, und das ist ein Beleg dafür, dass das Bewusstsein für die Dimension des Problems offenbar nicht so weit verbreitet ist, wie es das sein sollte. Amien Idires, der stellvertretende Chefredakteur der Aachener Zeitung, schreibt in einer Stellungnahme, die Stefan Niggemeier zitiert:
"Herr D. hat glaubhaft versichert, dass er eine persönlich schwierige Zeit durchlebt, und er hat sich aus unserer Sicht ebenso glaubhaft bei Frau Wolfe entschuldigt."
Die Information, dass D. eine "persönlich schwierige Zeit durchlebt" dient dazu, ihn und seine Reputation zu schützen, er soll sein Gesicht wahren können. Die Botschaft ist: Eigentlich ist er ja ganz anders. Es war ein Aussetzer.
Hier hätte stehen müssen: Dieses Verhalten lässt sich mit einer persönlichen Krise nicht erklären, schon gar nicht rechtfertigen. Es ist ohne Einschränkung inakzeptabel.
Am Ende hätte keine Kündigung stehen müssen, aber ein uneingeschränktes Eingeständnis. Ein Satz zu dem gesellschaftlichen Problem, das hinter Nachrichten wie denen von D. steht, wäre hilfreich gewesen, aber so viel kann man heute wahrscheinlich noch nicht erwarten.
D. hat das anscheinend noch immer nicht verstanden. Ihm geht es offenbar weiter darum, seine Nachrichten zu relativieren und sein Ansehen zu retten. Am Donnerstagabend twitterte Stefan Niggemeier, D. habe ihn aufgefordert,
"(…) den Begriff den Begriff 'sexistische Nachrichten' zu korrigieren, weil es sich nur um 'überspitzte politische Nachrichten in satirischer Form gehandelt' habe. Auch habe er @Wolfe321 nicht 'Schlampe' genannt (sondern nur 'beetch')."
Dabei wäre es doch so leicht gewesen. Das große Problem sind nicht die schwierigen Lebensumstände, es ist sexistisches Denken. Das muss man klar benennen. Aber es ist nicht nur ein Defizit von D., es ist ein gesellschaftliches Problem, ein strukturelles. Lösen lässt es sich nur, wenn Menschen aus diesen Strukturen ausbrechen. Beginnen kann das mit einem Eingeständnis, dass es diese Strukturen im eigenen Kopf gibt. Dann kann die Absicht glaubwürdig erscheinen, sich ändern zu wollen. Im Fall von D. ist das bislang nicht der Fall.
Altpapierkorb (Bayerischer Rundfunk, Österreich, Esther Sedlaczek, Donald McNeil, Online-Medienmarkt)
+++ Und noch einmal zum bevorstehenden Weltfrauentag: Das Jugendradio Puls des Bayerischen Rundfunks will in diesem Jahr nicht mehr, wie es sich auch am Muttertag so schön etabliert hat, einen Tag lang alles anders machen als sonst und danach wieder zur alten Fehlstellung zurückkehren. Ab sofort soll sich dauerhaft etwas ändern. Die Stimmen von Frauen und Männern sollen im Musikprogramm des Senders ab Montag etwa gleich häufig zu hören sein, schreibt Stefan Winterbauer für Meedia.
++++ Eine kleine Erfolgsmeldung zum Thema kommt noch aus Österreich. Das Magazin Österreichs Journalist:in hat das Geschlechterverhältnis von Frauen und Männern in Redaktionen untersucht und herausgefunden: Bei der Zeitschrift News sind 86 Prozent aller Führungspositionen mit Frauen besetzt, beim Falter 55 Prozent und beim Standard, der über das Ranking berichtet, immerhin die Hälfte. Anders sieht das Bild weiter bei der Presse aus, wo Frauen nur 28 Prozent aller Leitungspositionen haben, bei Profil sind es 33 Prozent. In den Führungsetagen vieler deutscher Regionalzeitungen unterscheidet sich das Geschlechterverhältnis dagegen weiter nicht wesentlich von dem in einem Priesterseminar. Das meldete Kress schon vor einer Woche:
+++ Und auch die folgende Meldung ist weiter keine ganz normale Personalie. Das erkennt man daran, dass die Sportschau nicht einfach nur meldet, dass Esther Sedlaczek neue Moderatorin wird, sondern Tom Buhrow in seiner Stellungnahme auch noch den Satz sagt: "Der Wechsel von Esther Sedlaczek in die ARD bedeutet, dass die Sportschau weiblicher wird." Programmdirektor Volker Herres sekundiert: "Damit sind wir unserem Ziel, den Anteil an Frauen auch in der Sportberichterstattung des Ersten weiter zu erhöhen, wieder einen Schritt nähergekommen."
+++ Donald McNeil, der Wissenschaftsreporter der New York Times, der seinen Job verlor, weil er auf einer von seiner Zeitung organisierten Studienreise das N-Wort gesagt hatte – so wurde der Fall jedenfalls zusammenfasst –, schildert seine Version der Geschichte in einem vierteiligen Text. Und wenn man diesen Text liest, versteht man an sehr vielen Stellen, warum es im Journalismus wichtig ist, beide Seiten zu hören, oder besser alle. In der Version von McNeil entsteht der Eindruck, der New York Times sei es nicht darum gegangen, die Vorwürfe zu aufzuklären, sondern vor allem darum, die auf die Sache gerichtete Aufmerksamkeit zu ersticken. Keine glückliche Figur gibt der New-York-Times-Chefredakteur Dean Baquet ab, der es sich in der Diskussion um das N-Wort leicht gemacht hatte, indem er sagte, es sei ganz egal, mit welcher Absicht oder in welchem Zusammenhang das Wort verwendet worden sei ("We do not tolerate racist language regardless of intent"). Vor allem aber ist der Text interessant, weil in ihm deutlich wird, wie sehr einzelne Informationen das Gesamtbild verändern können, wie leicht Missverständnisse entstehen und wie schnell eine Darstellung ins Wanken gerät. McNeil betont dabei, dass es seine Version der Geschichte ist. Wenn sie stimmt, würde das bedeuten: Wesentliche Fakten in der Berichterstattung über ihn waren falsch.Auf der anderen Seite stehen allerdings die nicht so ausführlich dokumentierten Perspektiven von Kolleginnen, Kollegen und Highschool-Schülern, die sich über ihn beschwert hatten. Die wären natürlich ebenfalls wichtig.
+++ Die NRW-Landesregierung hat ausführlich auf eine umfangreiche Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation auf dem Online-Medienmarkt in Nordrhein-Westfalen geantwortet. Das Dokument hat 313 Seiten, ist sehr kleinteilig, aber für Menschen, die sich für den Medienmarkt interessieren, eine interessante Fundgrube.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Neues Altpapier gibt es am Montag.
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