Das Altpapier am 1. März 2021 Einflussnahme und Erwartungshaltung
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01. März 2021, 11:21 Uhr
Bei der New York Times scheint man sich um die aufgeregte Cancel-Culture-Debatte in Deutschland nicht groß zu scheren. Beim Neuen Deutschland deutet sich ein struktureller Umbruch an. Und die Golden Globes bewerben sich um einen Platz in der Liste der reformbedürftigen Institutionen. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Inhalt des Artikels:
Was wird aus dem Neuen Deutschland?
Es gibt nicht so viele überregionale Tageszeitungen in Deutschland. Schon deshalb ist es eine Nachricht, wenn einer von ihnen "die Auflösung droht". Nicht weniger, wenn es (Nachtrag: neben der jungen Welt) die einzige mit einer DDR-Geschichte ist, die – anders als etwa die mittlerweile regional ausgerichtete Berliner Zeitung – bis heute überregional erscheint.
Es geht um das Neue Deutschland, das werktags mittlerweile unter dem Kürzel nd erscheint. (Deren Samstagsausgabe allerdings leider immer noch nicht Wochen-nd heißt.) Der Zeitung beziehungsweise der "Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH" drohe am Jahresende das Aus in ihrer bisherigen Form, hat die Gewerkschaft Verdi mitgeteilt. Auf Nachfragen wurde das von der ND-Geschäftsführung und der Linkspartei bestätigt.
"Es gebe 'Gespräche über eine mögliche Umstrukturierung', sagte der Bundesschatzmeister der Linkspartei, Harald Wolf. Die Umwandlung in eine genossenschaftliche Struktur sei möglich", meldete am Samstag, via epd, etwa die Printausgabe der FAZ. Die Linkspartei steckt deshalb mit drin, weil sie "über die Föderative Verlags-, Consulting- und Handelsgesellschaft mbH (Fevac) an der Berliner Tageszeitung beteiligt" ist und darüber 50 Prozent an der Zeitung halte, wie die dpa aufdröselte.
Völlig überraschend kommen die Vorgänge eigentlich nicht. Als Grund für die Überlegungen nannte Linkenschatzmeister Wolf "die in den vergangenen Jahren rückläufigen Abonnentenzahlen", so die dpa. Das ND ist derzeit die überregionale Tageszeitung mit der geringsten IVW-Auflage (bei Statista gibt es dazu eine schicke Balkengrafik). Die wirtschaftlichen Nöte sind also bekannt. Zuletzt war über eine mögliche Abwicklung des Neuen Deutschland Ende 2019 groß in der taz berichtet worden (Altpapier).
Diesmal taucht die Süddeutsche Zeitung am tiefsten ein und schreibt, die "100 Mitarbeiter (…) hätten nun zwei Optionen: Die Zeitung aufgeben – oder sie mittels einer Genossenschaft selber in die Hand nehmen."
Eine genossenschaftliche Lösung: Das klingt erst einmal gar nicht so verkehrt. Andere, wie die taz, haben auch eine Genossenschaft hinter sich. Auch die ND-Belegschaft könnte sich damit anfreunden, heißt es nicht nur in der SZ. Es kommt aber darauf an, wie eine entsprechende Struktur geklöppelt wäre. Man brauche für ein zukunftsfähiges Konzept "Zeit und Geld", wird ein Gewerkschafter im Tagesspiegel zitiert. Müsse schon bis Jahresende eine neue Struktur stehe, könnte eine Genossenschaft vor allem eine billige Lösung sein. In der Verdi-Mitteilung heißt es:
"Auch wenn es in der Belegschaft schon früher den Wunsch gab, die Strukturen des ND zu verändern und eine Genossenschaft teils als Chance angesehen wird, die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitung zu stärken: Die Genossenschaft darf nicht die 'Billig-Lösung' sein. Die neu zu gründende Unternehmensstruktur muss sich selbst tragen können, und der Weg dahin muss solidarisch, sozial und kooperativ ablaufen."
Wie die Linkspartei die Kritik aus der ND-Belegschaft kontern will, sie plane, "sich kurzfristig aus der Verantwortung zu stehlen" und habe offensichtlich kein Problem damit, ein linkes Unternehmen zu zerschlagen und während einer Pandemie knapp hundert Leute auf die Straße zu setzen: Das bleibt abzuwarten, wie ein ordentlicher Leitartikler es formulieren würde. In der Redaktion gibt es jedenfalls "Informationsbedarf, Befürchtungen, Erwartungen", schreibt ND-Chefredakteur Wolfgang Hübner.
Jenseits der wirtschaftlichen und auch parteipolitischen Fragen ist aber vor allem ein anderer Aspekt bedenkenswert – nämlich dass der Rückzug der Partei gar nicht schlecht sein müsste für das Neue Deutschland. Aus zwei Gründen. Die SZ berichtet vom am Wochenende beendeten Linken-Parteitag, dass die Eigentümerstruktur zum einen das Geldverdienen erschwere:
"Als das Gesundheitsministerium seine Anzeigenkampagne zum Impfen startete, blieb das nd außen vor – eben aufgrund der Eigentümerstruktur, wie" (Linken-Politiker Bernd) "Riexinger am Samstag sagt. Es ist Geld, das die Zeitung gut hätte gebrauchen können."
Zum anderen kann die Beteiligung einer Partei die Glaubwürdigkeit einer Zeitung beschädigen. Das sagt in diesem Fall auch die Partei: Schatzmeister Harald Wolf wird zitiert, man müsse "diskutieren, ob eine Partei als Gesellschafter ein Hindernis sei, wenn die Zeitung bei aller redaktionellen Unabhängigkeit von vielen als Parteizeitung betrachtet werde".
Dieser Eindruck – die Partei sei ein Hindernis – wird auch in der Redaktion geteilt. Sie sehe nun die "Chance, die redaktionelle Unabhängigkeit zu stärken", schreibt Chefredakteur Hübner. Das ist etwas unglücklich formuliert: Die redaktionelle Unabhängigkeit von der Partei sollte doch ohnehin nicht in Zweifel stehen. Vielleicht hilft ein Blick die Unternehmenspraxis dabei, die Grautöne zu identifizieren, die es zwischen offizieller Einflussnahme und einer inoffiziell bei einigen vorhandenen Erwartungshaltung gibt. Die Süddeutsche richtet ihn dorthin:
"Das Verhältnis von Partei und Redaktion ist ein schizophrenes. Auf der einen Seite ist da die recht junge und weibliche Belegschaft, die die DDR nur noch aus Geschichtsbüchern kennt und über Frauenquoten und Transfeindlichkeit schreibt. Auf der anderen Seite sind da die alten Parteikader, die das nd teils noch als ihre Zeitung sehen und sich wundern, wenn auch mal ein kritisches Wort über die Linke geschrieben wird."
Im allerschlechtesten Fall stünden also bald weitere Medienschaffende auf der Straße. Im erheblich besseren Fall gäbe es am Ende des Prozesses eine weitere Tageszeitung, an der keine Partei beteiligt ist.
Die "New York Times" macht so weiter
Junge Belegschaft, alte Parteikader: Nein, das lässt sich nicht auf die New York Times übertragen. Aber jung und alt, da war doch irgendwas?
Die Times beschäftigt die deutsche Journalismusbranche seit einiger Zeit; derzeit, weil ein älterer Mitarbeiter – tja, was? – gecancelt wurde, weil er in einem nicht beleidigenden Kontext das N-Wort benutzt hatte?, oder weil unter Beweis gestellt hat, dass er vor etwas längerer Zeit aufgehört hat, sich mit Rassismus zu beschäftigen? Die Süddeutsche, die FAZ, der Spiegel, die Zeit, alle haben sich in den vergangenen zwei Wochen mit diesem Fall beschäftigt. Eindrucksvoll tat es vor allem die New York Times selbst, die mit Ben Smith einen Medienjournalisten hat, der sich mit dem eigenen Haus notfalls auch scharf auseinandersetzt.
Nun gibt es weiteren Nachschub. In der Welt (Abo) schreibt Christian Meier über eine Untersuchung, die die Times vor acht Monaten in Auftrag gegeben habe:
"Dies nicht im Sinne von Marketingfragen, sondern ganz konkret mit dem Ziel, die Mitarbeiter zu ihrer Identität zu befragen, also Kategorien wie etwa Herkunft und ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Hintergrund. (…) Das Ergebnis des Teams, das die Untersuchung durchgeführt hat, kommt zu dem Schluss, dass die 'New York Times' vor allem für 'people of color' ein Arbeitsplatz sein könne, der es ihnen schwer mache und der in nicht ausreichendem Maße vielfältig sei. Darum sei es dringend notwendig, die Arbeitskultur der 'New York Times' zu verändern."
Harald Staun lobt das Vorgehen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Abo): "Unbeirrt von deutschen Leitartiklern setzt die ‚New York Times‘ ihren Weg zu einer diverseren und gerechteren Unternehmenskultur fort." Er zitiert den in der Times erschienenen Bericht über die Untersuchung, demzufolge es bei den internen Aushandlungsstreits "nicht um eine ‚politisch korrekt‘ besetzte Redaktion als Selbstzweck" gehe, "sondern um einen Journalismus, der ‚ein wahrheitsgetreueres, reichhaltigeres und vielschichtigeres Abbild der Welt‘ liefert und eine Leserschaft erreicht, ‚die die Breite der Gesellschaft, der wir dienen, besser widerspiegelt‘".
Altpapier-Kollegin Jenni Zylka kritisiert im Freitag allerdings, dass für interne Streitigkeiten in Redaktionen – namentlich in der New York Times – zunehmend Social Media genutzt würden und so Leserinnen und Leser eingespannt würden: "Der Versuch, mit dem Hinweis auf Basisdemokratie innerhalb und außerhalb der Redaktion Unterstützer*innen für eine angestrebte redaktionsinterne Entscheidung zu finden, kann eine Diskussion nur ungenau wiedergeben."
Was tatsächlich auffällt in der "Cancel Culture"-Debatte, ist die wiederkehrende Detailungenauigkeit. Alle möglichen Vorfälle, die unter dem Schlagwort laufen, werden immer wieder vornehmlich zur Selbstbestätigung herangezogen. Schön wäre, das wäre nur langweilig.
Haben Entertainment-Journalisten die Golden Globes verkauft?
Und wo haben wir etwas gelernt über Kurzweil-, besser bekannt als Entertainment-Journalismus? Am Samstag in der Süddeutschen, wo es um ein paar Verwicklungen rund um die Golden Globes ging: Haben sich die Mitglieder der ausrichtenden Hollywood Foreign Press Association (HFPA) kaufen lassen und quasi als Kollateralschaden die schwarze Schauspielerin Michaela Coel bei der Nominierung übergangen?
Die Serie "Emily in Paris" jedenfalls könnte, so wird wohl gemutmaßt, auch deshalb nominiert worden seien, weil "mehr als 30" Mitglieder der HFPA – Journalistinnen und Journalisten, allerdings keine schwarzen – zu einer recht luxuriösen Reise zu den Dreharbeiten nach Paris eingeladen worden seien. Und nun? Die HFPA gelobe strukturell Besserung – aber die in der Nacht zum Montag verliehenen Golden Globes riechen halt trotzdem irgendwie komisch.
Die in den SZ-Text eingebettete Hierarchie der Wege, auf denen Entertainment-Journalisten Stars interviewen können, ist aber generell ganz interessant, denn so schön hat man’s ja bislang nicht geordnet gekriegt:
Es gibt, vereinfacht ausgedrückt, vier Stufen. Ganz unten am Totempfahl sind die sogenannten Roundtables. Man sitzt mit bis zu einem Dutzend anderer Journalisten 15 Minuten lang rings um einen Promi und darf, wenn man Glück und Mut hat, eine oder zwei Fragen selbst stellen. Besser ist der Besuch bei den Dreharbeiten, weil man da ein bisschen mehr Material zum Schreiben bekommt. Die zweitbeste Form ist das Einzelinterview (das selten länger als 20 Minuten dauert), darüber steht die semiprivate Begegnung: Es ist eine völlig andere Situation, ob man zum Beispiel Jeff Goldblum als 14. Interviewpartner des Tages im Hotelzimmer begegnet – oder ob man mit ihm in einem Jazzclub zu Abend isst, seinen Auftritt am Klavier verfolgt und dann noch ein Glas Wein trinkt. Das Gespräch wird entspannter und ergiebiger."
Altpapierkorb (vorgeschlagene Fernsehimpfung der Kanzlerin, Albrecht von Luckes Nicht-Lob für "Bild Live", Bertelsmann-Chef im Interview, Presserat in der Kritik)
+++ Die deutsche Samstagabendunterhaltung könnte ein wenig frischen Wind vertragen, oder wie ist der Vorschlag zu verstehen, die Kanzlerin möge sich live im Fernsehen mit AstraZeneca impfen lassen (etwa bei n-tv.de)? "Der Astrazeneca-Impfstoff habe ein reines PR-Problem", wird ein Immunologe zitiert. Und falls noch jemand aus Presse und Medien sich minimal einlesen will, bevor die nächsten halsbrecherischen Überschriften rausgepfeffert werden: Hier der einige Tage alte NDR-Podcast mit Christian Drosten. Die Frage "Sie sagen, der AstraZeneca Impfstoff ist eigentlich besser als sein Ruf, zumindest als sein Ruf in Deutschland ist?" beantwortet er darin so: "Ja, das kann ich ohne Zögern sagen. Wenn ich mir die öffentliche Diskussion um diesen Impfstoff so anschaue, da ist schon vieles falsch verstanden worden."
+++ Albrecht von Lucke hat in den Blättern für deutsche und internationale Politik unter dem Titel "Rechte APO mit medialer Macht" über "die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause ‚Springer‘" geschrieben, Bild Live. Bild zitierte den Text am Wochenende selbst und behauptete unter Auslassung aller nicht genehmen Passagen, es handle sich um eine Würdigung. Das erinnert ein wenig an die selektive Wahrnehmung von Buchverlagsleuten, die auch aus Verrissen zielsicher das eine positive Adjektiv herauszupicken und für ihre Zwecke einzusetzen verstehen. Nur ist das halt dann auch nicht Journalismus. Die Redaktion der Blätter sah sich nun veranlasst, "die manipulativen Auslassungen und falschen Zitationen" zu beklagen: "Dieser Text ist ein Paradebeispiel für den von "Bild" praktizierten Fake-News-Journalismus, der Aussagen aus dem Zusammenhang reißt, damit radikal entstellt und im Ergebnis in ihr Gegenteil verkehrt."
+++ Mehr zur New York Times? Bei Dirk von Gehlen, der in seinem Blog "fünf Dinge" benennt, die er durch sein NYTimes-Abo "über den Journalismus der Zukunft gelernt habe".
+++ Der Spiegel (Abo) hat Bertelsmann-Chef Thomas Rabe interviewt und zur möglichen Fusion Gruner+Jahrs mit RTL befragt.
+++ In der taz geht es um eine Vernetzungsidee für Journalistinnen und Journalisten in Nil-Anrainerstaaten.
+++ Und Übermedien findet, dass der Presserat nicht nur ein zahnloser Tiger ist. Sondern dass er auch wenig dagegen tue, so wahrgenommen zu werden.
Neues Altpapier erscheint am Dienstag.
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