Das Altpapier am 22. Dezember 2020 Sie verstehen Spaß
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22. Dezember 2020, 10:00 Uhr
Wieso Komiker*innen und Kabarettist*innen gern gesehen Talkshowgäste auch bei humorfremden Themen sind, und ob das lustig ist, oder nicht. Ein Altpapier von Jenni Zylka
Kichernde Mönche
In Umberto Ecos überwältigendem, 1980 erschienenen Debüt(!)roman "Der Name der Rose" ging es um ein bestimmtes Buch: Weil ein fieser Mönch und Bibliothekar eines mittelalterlichen Klosters Angst vor der Macht des Humors hat, vergiftete er die Seitenecken des einzigen, erhaltenen Exemplars des "Zweiten Buchs der Poetik" von Aristoteles, in dem die Komödie und die den Menschen eigene Fähigkeit zum Lachen beschrieben wird.
Jeder Mönch, der kichern, oder etwas über das Kichern lesen will, muss daraufhin sterben – die Mönche lecken zum Umblättern der Seiten ihren Zeigefinger an, patschen damit aufs Gift, und sind beim nächsten Anlecken geliefert. (Hier eine kleine Zusammenfassung dieses wichtigen Handlungsmotivs in einer Szene aus Jean-Jacques Annauds Eco-Verfilmung, in der Sean Connery dem philosophischen Diskurs über Witze einen eigenen, gespielten Witz hinzufügt, indem er kurz seine von den Mönchen argwöhnisch beäugten, weil im Mittelalter noch sehr exotischen "Augengläser" vor die Augen hält, so dass sie aussehen wie aus dieser hervorragenden "Shaun das Schaf"-Folge mit dem Titel "Die Brille".)
Humor ist nicht nur nach Ecos Ansicht ein wichtiger Punkt im Zusammenleben der Menschen – auch wenn die dafür zuständigen Narren zunächst, im Mittelalter, trotz ihres Freifahrtscheins in Sachen Königsbeleidigung gesellschaftlich an letzter Stelle standen, und dazu auch noch unkleidsame Kappen tragen mussten. (Ich würde sehr gern wissen, worüber man damals wirklich gelacht hat – wie sah die Situationskomik aus? Wieherte man schadenfroh über anderer Menschen Unglück? Selbstironisch über die eigene Dummheit? Pubertär über Pimmelwitze? Oder in alter Kiffermanier eh über alles, wenn man genügend Met beziehungsweise Branntwein intus hatte? )
Unterhaltungssüchtiges Fernsehen
Die Stellung von Witzen und Humor hat sich zweifelsohne verändert – noch immer darf Humor und damit auch Satire zuweilen, was anderswo verboten ist. Doch Humor ist überall, und mit allem verbunden: Je nach Witz fordert er sehr unterschiedliche Regionen des Gehirns, und unterschiedliche Arten des Denkens und Kombinierens. Humor eint und trennt (und Albernheit erst recht. Ich weiß wovon ich rede, gacker.) In diesem Zusammenhang macht die Süddeutsche Zeitung in ihrer Sonntagsausgabe ein wirklich interessantes mediales Phänomen aus:
"Im öffentlichen Diskurs, vor allem im unterhaltungssüchtigen TV, geht der Trend zum Kabarett-Clown",
schreibt sie und begründet die Beobachtung mit Beispielen wie diesen:
"Der stets mit telegenem Grundzorn ausgestattete Serdar Somuncu liest der deutschen Integrationspolitik bei Anne Will in einer Art semi-soziologischer Tirade die Leviten. Seit ein paar Jahren schon versichert der Mediziner Eckhart von Hirschhausen als approbierter Klinik-Clown den Menschen, dass Lachen immer noch die beste Medizin sei. Lisa Eckhart, die Zarah Leander der deutschsprachigen Kleinkunst, plaudert im Literarischen Quartett süffisant über Bücher-Neuerscheinungen und wirft dabei mit ein paar Schriftstellernamen um sich."
Wobei man zwischen Hirschhausen, den man wegen seiner medizinischen Expertise ja tatsächlich als Experten zumindest zu medizinischen Themen befragen könnte (wenngleich beispielsweise aktive Virus-Forscher*innen vermutlich eine sicherere Informationsquelle sind), und den anderen beiden genannten unterscheiden muss: Bei denen hat die SZ Recht. Es ist eigentlich nicht verständlich, jedenfalls nicht im formalen Konzept des "Literarischen Quartetts", wieso eine Komikerin als Buchkritikerin eingesetzt, und wieso, jedenfalls im Konzept der Talkshow "Anne Will", ein Kabarettist zu Integrationspolitik gefragt wird – Somuncu hat einen Migrationshintergrund, doch bei Will werden sonst (bestenfalls) Politiker mit Migrationshintergrund zu diesem Themen befragt. Der Besuch liegt allerdings auch schon ein paar Jahre zurück.
Selbstpersiflierende Protagonist*innen
Stimmt es also, wenn die SZ ferner schreibt, dass Kabarettisten heute,
"Protagonisten einer neuen Art von Aufklärung (sind), die ihren Wert für die oft feigen oder auch nur der Intelligenz ihres Publikums misstrauenden Fernsehredakteure dadurch steigert, dass sie sich bei Bedarf im Zweifel schnell noch selbst persiflieren kann, bevor der Shitstorm losgeht".
Und das alles mit der eingangs erwähnten Geschichte des Humors im Hinterkopf, der ja eigentlich genau für die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung stehen sollte – und nicht dafür, eine starke Meinung schnell zu relativieren beziehungsweise unter dem Deckmantel des Humors beleidigend, ungerecht, gar menschenverachtend zu sein, siehe die Debatte um einen RBB-Podcast mit Somuncu?
Hier noch ein Zitat aus dem Artikel:
"Beide, Kabarettisten wie Zornbürger, eint eine Grundannahme: Die Eliten, bestehend aus Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten, müssen in ihrer Verlogenheit und Unredlichkeit entlarvt werden."
So wie einst der mittelalterliche böse König, der tendenziell Kuchen isst und das Volk ausbeutet. Es geht dann noch ein bisschen um den Irrtum, eine "Bühnenpersona", also die Figur, die ein*e Kabarettist*in verkörpert, sei nicht verantwortlich für die erbrachten Inhalte, und um die Gründe für das konstatierte verstärkte Auftauchen des Berufshumorigen in Expertenrunden: Schuld daran sei die
"Nachfrage nach einer neuen Kultur des Raunens und der Uneigentlichkeit"
und gleichzeitig
"die klandestine Lust des Publikums, dem offenbar langweilig gewordenen Aufklärungstext von Soziologen, Politikern, Virologen und Journalisten etwas hinter der Hand Gesprochenes gegenüberzustellen, das die Wahrheit zwar nicht lauthals infrage stellt, aber doch immerhin so tut als ob" –
eine sehr schöne und bildliche Beobachtung. Die dazu stimmt. (Wie flach alles noch werden kann, sieht man an vielen US-amerikanischen Beispielen, in denen der zwingende Talkshow-Humor auch das letzte originäre Interesse an einem Gespräch tilgt.)
Sich räkelnde Historikerinnen
Allerdings sehe ich auch die Gründe der Redaktionen, Komiker*innen einzusetzen, selbst wenn es gar nicht um Humor, Satire, Cancel Culture oder ähnliche Themen geht: Ganz banal heißen sie Quoten und Telegenität, Zitierfähigkeit, Unterhaltung und vor allem Aufmerksamkeit. Die britische Komikertruppe "Monty Python’s Flying Circus", um ein Beispiel aus einem passenden Bereich zu nehmen, veröffentlichte in ihrer Fernsehserie einst einen Sketch (Staffel 1, Episode 11), in dem eine Frau (natürlich Carol Cleveland) sich in einem Negligé auf einem Bett räkelt, und dazu lippensynchron einen Vortrag über die "soziale Gesetzgebung im 18. Jahrhundert" hält.
Ich will jetzt nicht sagen, dass die Komiker*innen die gleiche Funktion wie die Sex-Sells-Blondine haben, aber eine ähnliche – und großartig wäre es, wenn sie sich dessen genauso bewusst wären. Zudem glaube ich nicht, dass das ein neuer Trend ist – und überhaupt müsste man die Verwendung von Humor in sachlichen Themen nicht künstlich herbeiführen, wenn die Menschen, die Expert*innen, Politiker*innen und Virolog*innen ein kleines bisschen alberner wären. Mit jemandem, der nicht aus beruflich-narzisstischen Gründen, sondern ganz ohne Not und nur aus eigenem Vergnügen Witze macht, lässt es sich eh besser kichern.
Altpapierkorb (... mit Nachhaltigkeit bei der ARD, Telefonstreichen bei Nawalny und Gebärden bei Aschenbrödel)
+++ Die taz berichtet hier über das Bestreben nach Nachhaltigkeit bei der ARD – unter anderem durch Einsparen von CO2 Emissionen, nachhaltige Filmdrehs und so weiter. Das sei natürlich nur ein ganz kleiner Anfang – inwieweit Nachhaltigkeit auch durch eine ganz andere Art von Einsparen, zum Beispiel von angeschlossenen Sendern, erreicht wird, kann man dann ja demnächst im Rundfunkbeitrags-Erhöhungs-Krimi weiter evaluieren.
+++ Unter anderem die Tagesschau berichtet über den Coup des so genannten "Kreml-Kritikers" Alexej Nawalny, durch ein simples Telefonat ein Geständnis eines Mannes bekommen zu haben, der mutmaßlich am Anschlag auf Nawalny beteiligt war. Wenn das stimmt, muss aber nun ganz schnell hinterfragt werden, wieso diese uralte Telefonstreich erst von Nawalny selbst gespielt wurde – wäre das nicht das erste, an das man bei einer Ermittlung denkt?
+++ Wurde auch Zeit, dass der MDR 50 Märchen barrierefrei gemacht hat! Endlich "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" in DGS und mit Audiodeskription! Ich freue mich schon auf die Gebärde für "Armbrust".
Neues Altpapier kommt am Mittwoch.
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