Das Altpapier am 17. Dezember 2020 Der Wert der Metadaten
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17. Dezember 2020, 12:27 Uhr
Der BND darf laut Gesetzentwurf Metadaten sammeln wie Karnevalisten Kamelle. Der Quellenschutz von Journalisten steht vor einem digital-analogen Paradox. Sind Journalist:innen sich dessen bewusst? Die Podcast-Welt bekommt royale Player und ist auf dem Radar der Medienwissenschaft. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Quellenschutzkosmetik
Das Kabinett hat ein Häkchen dran gemacht und das Gesetz zur BND-Reform weiter in den Bundestag katapultiert (es berichten u.a. Netzpolitik.org, Heise und die Zeit). Zum Jahresende müssen halt nochmal die wichtigen Dinge geregelt werden – also nicht das Lieferketten- bzw. jetzt "Sorgfaltspflichtgesetz"…
Kurzer Recap: Das neue Gesetz für die Auslandsspähereien des Bundesnachrichtendienstes wurde nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (PDF) nötig. Die Richter kamen im Mai (Altpapier) zu dem Urteil, das die Legislative sich nochmal ein bisschen Nachhilfe in Sachen Grundgesetz holen sollte, weil das bisherige BND-Gesetz grundlegende Schutzrechte daraus nicht für die deutschen Aktivitäten im Ausland vorsah.
Dabei will diese kleine, mäkelige Medienkolumne – Sie ahnen es – natürlich auf den Schutz von Journalist:innen außerhalb Deutschlands hinaus, die nach Spiegel-Recherchen (2017) vom BND ausgespäht wurden (u.a. bei der BBC und New York Times).
Einige Details dazu wurden im Vergleich zum vorherigen Entwurf in der nun vom Kabinett abgenickten Version (PDF) tatsächlich etwas verändert. Beil Golem schreibt Friedhelm Greis, Ausnahmen vom Abhörverbot seien bei den besonders geschützten Berufsgruppen (§21) wie Journalisten, Rechtsanwältinnen, Geistlichen und Verteidigerinnen nur noch erlaubt, wenn sie als
"Täter oder Teilnehmer an bestimmten Straftaten beteiligt sind oder dies zur Verhinderung einer Gefahr erforderlich ist. Zuvor war geplant, das Abhören auch zur Aufklärung 'krisenhafter Entwicklungen im Ausland* zuzulassen."
Ansonsten ist die "gezielte Erhebung von personenbezogenen Daten" laut Entwurf für diese Geheimnisträger nicht zulässig.
Die Reporter ohne Grenzen (RSF), die die Verfassungsbeschwerde gegen den BND unterstützt hatten, sehen in den nun verabschiedeten Änderungen aber nur eine kleine Botoxbehandlung für die Wahrung des Quellenschutzes und keine Veränderung in der DNA des Gesetzes bzw. keinen "wirksamen Grundrechtsschutz". Nach Einschätzung der Organisation bleibt der Entwurf deutlich hinter den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts (PDF) zurück. Grund dafür seien unter anderem Befugnisse für die "Verkehrsdaten" (§26):
"Höchst problematisch bleibt aus Sicht von RSF unter anderem, dass der BND auch nach dem jetzt vom Kabinett beschlossenen Entwurf (PDF) weiterhin Verkehrsdaten wie Informationen über Kommunikationsverbindungen oder die Betreffzeilen von E-Mails sammeln und ungefiltert an ausländische Geheimdienste weitergeben dürfte."
Denn solche Verkehrs- und Metadaten seien leicht auf einzelne Personen zurückzuführen und ließen weitreichende Rückschlüsse darüber zu, mit wem eine Journalistin oder ein Journalist in Kontakt steht. In nicht rechtsstaatlich regierten Ländern könnten diese Informationen deshalb leicht zur Verfolgung kritischer Medienschaffender verwendet werden, kritisiert RSF. Auch die Tatsache, dass die Entscheidung darüber, wer als Journalist:in gilt und so einen Anspruch auf besonderen Schutz hat, weitgehend beim BND liege, sei problematisch.
Digital-analoges Paradox
Bei epd Medien kritisierte der Journalist Daniel Moßbrucker im November, der journalistische Quellenschutz bei digitaler Überwachung werde seit Jahren schleichend geschwächt und erreiche nicht mehr das Schutzniveau aus analogen Zeiten.
Moßbrucker promoviert an der Uni Hamburg zum Thema Journalismus und Überwachung und bezieht sich neben dem BND-Gesetz auch auf die Einigung, Staatstrojaner im deutschen Inland einzusetzen, Sicherheitsbehörden die Entschlüsselung von Ende-zu-Ende Verschlüsselung bei Messengerdiensten zu ermöglichen und weitere deutschland- sowie EU-weite Regelungen zur Datenerhebung und zu deren internationalem Austausch. Insgesamt sieht er
"die paradoxe Situation in Deutschland, dass Journalistinnen und Journalisten als Folge des 'Spiegel'-Urteils (PDF) weiterhin umfassend vor Gericht schweigen dürfen über ihre Recherchen und Quellen. Aber Ermittlungsbehörden können das, was im Gerichtssaal nicht zur Sprache kommen muss, an vielen Stellen mittels heimlicher Überwachung legal erfahren und verwerten."
Dabei wundert er sich dezent,
"dass die journalistische Branche diese Entwicklung überwiegend schulterzuckend hinnimmt, vielfach dürfte diese schleichende Erosion des Quellenschutzes in Verlagen und Rundfunksendern gar nicht bekannt sein. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zuvorderst dürfte dies darin begründet sein, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist und Redaktionen natürlich nicht flächendeckend bespitzelt werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es eine hohe Dunkelziffer geben dürfte. Auskunftsrechte für Betroffene von Überwachung sind in Deutschland äußerst schwach. Wer überwacht wurde, erfährt dies fast nie."
Lesenswert ist der Text auch, weil Moßbrucker verschiedene Szenarien entwirft, wie die Pressefreiheit in der Praxis noch digital abgesichert werden könnte.
Royale und andere Podcasts
Machen wir etwas heiterer weiter, es stehen nämlich grundlegende Einschnitte im audiovisuellen Bereich an, naja, fast. Harry und Meghan (ja genau, das royale, irgendwie nicht mehr royale Paar) wollen Liebe und Verbundenheit in die Welt bzw. ins Podcast-Business bringen, berichtet der Standard. Ihre neu gegründete Produktionsfirma Archewell Audio kuschelt jetzt exklusiv mit Spotify, mit denen ein mehrjähriger Vertrag unterschrieben wurde.
Das Ganze hört sich im Trailer, unterlegt von vergnüglicher Gitarrenmusik und Gesumme des Paars, mit Versprechen wie "change really is possible", "celebrate kindness and compassion" und "bring forward different perspectives and voices", zunächst mal ein bisschen sehr plakativ nach Weltrettung und Seelenstreichelpodcast an. Das cremefarbene, fast schon aggressiv nach Zurückhaltung und Ausgeglichenheit rufende Logo tut sein übriges dazu…
Aber genug der spöttelnden Stilkritik. Warten wir mal ab, was da so kommt. Mit dem Ganzen setzt einerseits der schwedische Dienst seine Investitionsstrategie im Podcast-Game und mit Mega-Promis (mehr bei CNBC) fort. Andererseits bauen Harry und Meghan nach dem Deal mit Netflix (mehr bei der Süddeutschen) auch ihre Obamaesken Produktions-Aktivitäten aus.
Wer sich weniger mit Royals, dafür detailliert mit den vielfältigen Entwicklungen der sonstigen Podcast-Sphäre auseinandersetzen will, dem sei die Text-Sammlung im Journal für alte und neue Medien der Uni Hamburg empfohlen. 14 Aufsätze, Praxisnotizen und Forschungsberichte geben dort selbst Podcast-Streber:innen noch neue Impulse, unter anderem zu hyperintimen Formaten (in die Richtung könnten dem Trailer nach zu urteilen Harry & Meghan mit ihrem Format tendieren – nicht unbedingt was private Details angeht, sondern eher mit Blick auf die Posi-Vibes-Wohnzimmer-Atmosphäre), zur Wissenschaftskommunikation (die vor allem in diesem Pandemie-Jahr nochmal ordentlich zugelegt haben dürfte) oder zu Formaten mit narrativem Journalismus.
Altpapierkorb (#Netzwende Award, eigene Nachrichten bei ProSiebenSat.1, Charlie-Hebdo-Prozess, Berichterstattung über Anschlag in Wien)
+++ Wir gratulieren unserem Altpapier-Kollegen Ralf Heimann! Der Mann hat mit seinem Team von RUMS in Münster den #Netzwende Award gewonnen. "Die konsequente Ausrichtung auf das Lokale, das Arbeiten in der Nische, die Unabhängigkeit von der Werbeindustrie zeichnen das junge Projekt aus. RUMS hat das Potenzial, große Strahlkraft für die Medienbranche und darüber hinaus zu entwickeln und andere Medienmacher*innen zu ermutigen, ähnliche lokaljournalistische Unternehmungen zu wagen", sagte Martin Fehrensen in seiner Laudatio. Kein anderes journalistisches Start-up habe im Jahr 2020 einen so fulminanten Start hingelegt wie RUMS, erklärte die Jury. Der #Netzwende-Konzeptpreis geht an das Hamburger Newsletter-Magazin FLIP. Die Jury lobt das Vorhaben, mit interaktiven Insta-Stories Hintergrundrecherchen zu Wirtschaftsthemen lösungsorientiert aufzubereiten, um junge Menschen für komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge zu interessieren.
+++ Im Interview mit Caspar Busse von der Süddeutschen erklärt der ProSiebenSat.1-Vorstandssprecher Rainer Beaujean die Pläne, eine eigene Nachrichtenredaktion aufzubauen und ab 2023 wieder selbstproduzierte News zu senden. Harald Hordych kommentiert, ebenfalls in der Süddeutschen (nicht frei online): "Die Entscheidung, nicht nur ein Zerstreuungssender sein zu wollen, sondern das Weltgeschehen selbst einzuordnen und sich vom Allerlei der Streamingdienste abzuheben, fordert auch die Platzhirsche ‚Tagesschau‘ und ‚Heute‘ heraus." Das wäre zumindest wünschenswert.
+++ Im Prozess um den Anschlag auf das Pariser Satire-Magazin Charlie Hebdo (2015) ist ein erstes Urteil gesprochen worden. Infos gibt‘s bei der FAZ und auf der neuen Seite (Beta-Version) der "Tagesschau".
+++ Speaking of which: Die "Tagesschau" plant für 2021 einen Relaunch im Netz und hat dafür schon mal eine neue Beta-Version rausgehauen. Verlegern gefällt das nicht so, twittert Daniel Bouhs – hier blinkt das Buzzword "Presseähnlichkeit".
+++ Wegen der Berichterstattung über den Terroranschlag Anfang November in Wien leitet die Medienregulierungsbehörde KommAustria laut Standard ein Verfahren wegen möglicher Verletzungen der Menschenwürde, der journalistischen Sorgfalt und von Programmgrundsätzen ein. Auch der österreichische Presserat hat mehrere Verfahren eingeleitet.
+++ Sie werden nicht glauben, welches Thema in ARD- und ZDF-Talkshows in diesem Jahr dominiert hat. Und Nummer drei hat mich übrigens zum Weinen gebracht. In der jährlichen Talkshow-Auswertung des Meedia-Kollegen Jens Schröder sind neben den präsentesten Themenkomplexen auch die häufigsten Dauergäste und die präsentesten Parteien aufgelistet.
Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.
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