Das Altpapier am 11. Dezember 2020 Unfall oder Glücksfall?
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11. Dezember 2020, 12:50 Uhr
Die Debatte über den Umfang der öffentlich-rechtlichen Sender läuft bereits. Das war das Ziel der CDU in Sachsen-Anhalt. Ist das nun gut oder nicht? In jedem Fall geht schon wieder einiges durcheinander. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Argument vs. Haltung
Inzwischen liegen einige Zahlen vor, die verdeutlichen, welche Folgen es hätte, wenn der Rundfunkbeitrag bei seiner bisherigen Höhe bliebe. NDR-Intendant Joachim Knuth hat der dpa gesagt, seinem Sender würden weitere 35 Millionen Euro fehlen, "zusätzlich zu den 300 Millionen, die wir in den kommenden vier Jahren sowieso schon an Kürzungen und Einschnitten vor uns haben". Dem ZDF würden danach 150 Millionen Euro fehlen, dem RBB in den kommenden vier Jahren 60 Millionen, dem SWR 39 Millionen Euro, dem Hessischen Rundfunk 15,6 Millionen Euro und der kleinsten ARD-Anstalt Radio Bremen immerhin 800.000 Euro.
Wenn das Bundesverfassungsgericht so entscheiden sollte, wie es beim Blick in die neblige Glaskugel derzeit aussieht, wird es so weit nicht kommen. Im für die Sender besten Fall fällt eine erste Entscheidung schon im Dezember in einem Eilverfahren. Dann kann der Beitrag zum 1. Januar erst einmal steigen. Aber: "Sie wissen: vor Gericht und auf hoher See", sagt Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte im Interview mit Christoph Sterz für den Deutschlandfunk. Sein Bundesland und das etwa acht Mal so große Saarland wollen zur Klage von ARD, ZDF und Deutschlandradio nun eine flankierende Stellungnahme verfassen, in der ein paar passende Worte stehen. Vor allem für die beiden Länder könnte das Ganze nämlich finanziell unangenehm werden. Wenn den Sendern das Geld fehlt, müssen die Länder unter Umständen dafür haften. Das wollen sie natürlich möglichst vermeiden.
Für den Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht wird entscheidend sein, ob das Gericht die Begründung für schlüssig hält. Um es noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Im Jahr 2007 hatte es geurteilt, dass die Länder den KEF-Vorschlag unter besonderen Bedingungen ablehnen dürfen, um "die Angemessenheit der finanziellen Belastung der Gebührenzahler jenseits der Bedarfskalkulation der KEF zu wahren und damit auch die Akzeptanz der Gebührenentscheidung bei den Betroffenen zu erleichtern". Das könnte in der Corona-Zeit der Fall sein. Aber:
"Sachsen-Anhalt hat kein richtiges Argument vorgetragen, sondern eine politische Haltung geäußert",
sagt Bovenschulte. Die CDU in Sachsen-Anhalt hat sich tatsächlich keine große Mühe gegeben, zu verhehlen, dass hinter dem Nein zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht nur eine sachliche Kritik an der finanziellen Ausstattung der Anstalten steht, sondern die Unzufriedenheit mit den Inhalten. Allerdings hatte CDU-Fraktionssprecher Markus Kurze noch vor einer Woche betont, es gehe hier darum, in der Corona-Krise nicht noch größere Belastungen entstehen zu lassen. Bovenschulte macht deutlich, dass er das für die Unwahrheit hält. Und nicht nur er.
Die relative Rundfunkfreiheit
Die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger sagt im Interview mit Anton Rainer ("Frau Schlesinger, muss das Sandmännchen sterben?") für den Spiegel:
"Die CDU hatte den heißen Atem der AfD im Nacken, sie hat sich in eine Entscheidung treiben lassen, die niemandem guttut, nicht der CDU, nicht der Koalition und Sachsen-Anhalt auch nicht. Die Regierung hat verantwortungslos gehandelt, aus minderen, sachfremden Gründen. Es ist Ranküne, was sich hier abspielt."
Und Schlesinger sagt:
"(…) es ist nicht in Ordnung, die Beitragserhöhung an inhaltliche Vorgaben zu knüpfen."
Und:
"Die Verfasser unseres Grundgesetzes haben schlicht nicht vorgesehen, dass die Politik sagt: ‚Das Programm gefällt uns nicht.‘, oder ‚Der Osten muss aber öfter vorkommen‘ – und davon eine Beitragserhöhung abhängig macht."
Es ist ein Ringen um die Deutungshoheit, um das Framing. Sachliche Kritik, sachfremde Gründe, politische Erwägungen. Was am Ende hängenbleiben wird, hängt vermutlich auch davon ab, wo man ohnehin schon steht. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das alles wohl keinen Einfluss haben.
Aber was, wenn das Gericht der Beitragserhöhung nicht zustimmt?
"Wir haben keinen Plan B geschmiedet. Wir hoffen, dass die Erhöhung am Ende des Tages kommt",
sagt Patricia Schlesinger. Und das deutet schon in etwa darauf hin, für wie wahrscheinlich man bei den Sendern einen Sieg vor Gericht hält.
Interessant ist natürlich, dass Menschen aus der CDU in Sachsen-Anhalt im Verlauf der Debatte tatsächlich deutlich gemacht haben, dass die Freiheit des Rundfunks für sie ein sehr relativer Wert ist. Wenn die Berichterstattung zu sehr dem Mainstream entspricht und wenn der Osten nicht so dargestellt wird, wie man es sich wünscht, dann muss man die Sender dafür eben bestrafen. So könnte man ihre Aussagen interpretieren.
Hier ist nun genau das passiert, was auch in der Diskussion um die Subventionen von Zeitungen immer wieder angeführt wird. Zeitungsverlergerpräsident Mathias Döpfner hat mehrfach die Sorge geäußert, dass die Presse nicht mehr ganz so unabhängig sein könnte, wenn sie erst einmal von den staatlichen Zahlungen abhängig ist und die Möglichkeit besteht, dass irgendwer sagt: Die Zeitungen bekommen zu viel Geld. Das muss sich ändern – aber damit eigentlich meint: Wie ihr berichtet, gefällt uns nicht. Das muss sich ändern.
Ein Argument gegen die Sorge Döpfners ist, dass es in vielen europäischen Ländern seit Jahren eine Presseförderung gibt und das dort in der Regel gut funktioniert. Aber vielleicht muss man Döpfners Sorge anders bewerten, wenn man eine Möglichkeit in Betracht zieht, die noch vor wenigen Jahren unmöglich schien. Es kann das passieren, was in den USA geschehen ist, nur eben auf anderer Ebene. Dort hat es ein antidemokratischer Politiker, der demokratische Institutionen bekämpft, bis an die Spitze geschafft. In Deutschland kann es passieren, dass eine im Kern antidemokratische Partei, die demokratische Institutionen bekämpft, eine Landesregierung stellt, zusammen mit einer demokratischen Partei, deren Mitglieder teilweise rechtsradikale Positionen mit bürgerlichen verwechseln. Und Medien sind Ländersache.
Ostdeutsche Perspektive als Synonym
Das gegenwärtige System ist schon so konstruiert, dass es schwer ist, politisch Einfluss zu nehmen. Aber es ist nicht unmöglich, wie sich nun zeigt, ganz unabhängig davon, wie das Urteil des Bundesverfassungsgericht ausfällt.
Die Diskussion darüber, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu üppig ausgestattet ist, läuft bereits. Christian Meier etwa beschäftigt sich für die Welt in einem Beitrag damit, was mit dem Rundfunkbeitrag gemacht wird ("Wofür der öffentlich-rechtliche Rundfunk 38 (sic!) Milliarden Euro braucht"). Dass es diese Diskussion nun gibt, kann man auf unterschiedlich Weise bewerten.
Einerseits hat die CDU in Sachsen-Anhalt erreicht, was sie wollte. Es wird über Umfang und Programmauftrag diskutiert. Anton Rainer übernimmt in seinem Interview die Wertung, es sei nicht gelungen, neue und andere Perspektiven auf den Osten ins Programm zu bringen ("Das hat offensichtlich nicht geklappt.")
Auch darin liegt wieder die Annahme, es gehe hier tatsächlich um den Umfang Berichterstattung aus dem Osten des Landes, und man könnte es den Kritikerinnen und Kritikern recht machen, wenn der Osten im Programm mehr Gewicht bekommen würde. Im Gesamtbild der Aussagen ergibt sich jedoch der Eindruck, dass es nicht um darum geht, häufiger ostdeutsche Städtenahmen zu hören, sondern eher die eigenen Ansichten. Ist also die ostdeutsche Perspektive hier nur ein Synonym für eine bestimmte politische Haltung?
Es klingt jedenfalls nicht so, als hätten die Sender den Osten einfach vergessen. Aber es klingt, als gebe es Verständigungsbedarf über den Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und von Journalismus generell. Schlesinger sagt:
"Aus der Politik höre ich immer wieder – und nicht nur aus dem Osten –, wir würden das Negative in den Vordergrund stellen: Nazis, Arbeitslosigkeit, verödete Dörfer. Dazu sage ich: Journalismus soll sagen, was ist – dazu gehört auch Negatives."
Würde man dem hier geäußerten Wunsch auch in der Diskussion um den Rundfunkbeitrag entsprechen, müsste man sagen: Sprechen wir nicht über Sachsen-Anhalt. Sprechen wir doch lieber über die 15 Bundesländer, die für die Beitragserhöhung gestimmt haben.
Populistische Rhetorik und Populismusverdacht
Natürlich ließe sich hier gleich eine Diskussion darüber anschließen, ob der Journalismus die kritischen Dinge wie mit einer Lupe hervorheben muss, damit diese Probleme besser betrachtet und im besten Fall gelöst werden können, oder ob es eher darum geht, die ganze Wirklichkeit abzubilden, auch mit ihren schönen Seiten. Speziell im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dessen Unterhaltungsprogramm ja in gewisser Weise auch als gesellschaftliches Bindemittel gedacht ist, lässt sich diese Frage sicher nicht ganz eindeutig beantworten, aber all das kann Teil einer Debatte sein.
Und um den Gedanken von oben wieder aufzugreifen: Das wäre die andere Weise, das nun vorliegende Ergebnis zu bewerten. Man kann Patricia Schlesinger und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits in der Defensive sehen. Aber man kann das alles auch als üblichen Teil eines demokratischen Prozesses betrachten, in dem sich nun die Gelegenheit bietet, die Legitimierung einer demokratischen Institution wie der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erneuern.
ZDF-Intendant Thomas Bellut regt genau das nun an. Im Interview mit der Wirtschaftswoche (€) hat er den Satz gesagt: "Am Ende entscheidet die Gesellschaft, wie stark und wie groß das öffentlich-rechtliche System ist." Und das müsse nun geklärt wird.
Wichtig dabei wird sein, "die Gesellschaft" nicht mit ihrem rechtspopulistischen Teil zu verwechseln. Darauf weist Georg Altrogge in einem Beitrag für die Funke-Mediengruppe (hier in der Berliner Morgenpost) hin. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist der teuerste weltweit. Er kostet acht Milliarden Euro im Jahr, etwa drei Milliarden mehr als die britische BBC, nach deren Vorbild er geschaffen wurde. Das muss in einer Demokratie immer wieder in Frage gestellt werden. Über Altrogges Beitrag aber steht, und das ist sein Kritikpunkt: "Wer die Öffentlich-Rechtlichen kritisiert, gilt schnell als Populist." Auch so eine Aussage muss man in Frage stellen. Stimmt das denn wirklich? Gilt schon die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Populismus? Oder spielt vielleicht auch die Wortwahl bei diesem Eindruck eine Rolle, also das Framing?
Altrogge schreibt, nicht erst seit die ein ostdeutscher Ministerpräsident die Beitragserhöhung gekippt habe, "stehen sich die Lager in Sachen Staatsfunk unversöhnlich gegenüber". Vielleicht hätten die Redaktion besser einen anderen Satz über den Beitrag geschrieben. Der würde dann lauten: "Wer die Rhetorik von Populisten übernimmt, gilt schnell als Populist."
Altpapierkorb (Jahresrückblick, Brinkbäumer, Youtube, Zeitungsdruckerei, Facebook, Google Peter Frey)
+++ Wenn Sie jetzt vom Rundfunkbeitrag noch nicht genug haben, sondern gerade erst auf den Geschmack gekommen sind, hätten wir hier noch etwas für Sie: einen Altpapier-Jahrerückblick zu einem einzigen Thema. Sie haben schon erraten, zu welchen.
+++ In einer Woche stellt die EU das neue Plattformgesetz vor. Alexander Fanta hat für Netzpolitik.org aufgeschrieben, was jetzt schon bekannt ist.
+++ Der Ex-Spiegel-Chefredakteur und zukünftige MDR-Programmchef Klaus Brinkbäumer wehrt sich gegen die Darstellung des Spiegels in der im Oktober erschienen Aufarbeitung seiner 27 Jahre alten Titelgeschichte zum missglückten Antiterroreinsatz auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Das berichtet Georg Altrogge für Funke (hier im Hamburger Abendblatt). Laut Altrogge steht nun Aussage gegen Aussage: "Brinkbäumers Kernaussage: Der Eindruck, er habe die brisanten Unterlagen ‚im Archiv begraben wollen‘, sei falsch. Latsch, selbst mehrfacher Nannen-Preisträger, bleibt bei seiner Darstellung und beruft sich zudem auf einen Dokumentar, mit dem er die Fragen zusammen entwickelt habe." Der Streit wird nun wahrscheinlich vor Gericht enden. Geeinigt hat der Spiegel sich dagegen mit Hans Leyendecker, der die Titelgeschichte damals geschrieben hatte. Der Spiegel hat acht Punkte in seinem Bericht geändert. Bei seinem grundsätzlichen Fazit bleibt das Magazin allerdings.
+++ Youtube muss bei Urheberrechtsverstößen nur die Postadresse von Nutzern oder Nutzerinnen herausgeben, nicht aber IP-Adresse oder E-Mail-Adresse. Das hat der Bundesgerichtshof nun entschieden, wie unter anderem der Spiegel berichtet.
+++ In seiner taz-Medienkolumne stellt Steffen Grimberg fest, dass Rechte sich für ihre Tweets und Posts oft einfach bei klassischen Medien bedienen, weil die Inhalte so aufbereitet sind, dass auch Rechte sie als "Argumentationsmaterial" verwenden könnten.
+++ Thürigen wird das erste Bundesland ohne eigene Zeitungsdruckerei sein. Anne Fromm berichtet für die taz.
+++ 48 Bundesstaaten gehen in den USA gegen Wettbewerbsverletzungen von Facebook vor, berichtet unter anderem der Spiegel. Im für das Unternehmen schlimmsten Fall könnte am Ende die Zerschlagung stehen. Und hält auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg offenbar durchaus für realistisches Szenario.
+++ Auch die übrigen Plattformen haben Ärger mit den Behörden. Google soll in Frankreich hundert Millionen Euro zahlen, weil es sich bei Web-Cookies nicht an Datenschutzvorschriften hält. So lautet der Vorwurf, und auch Amazon soll zahlen, allerdings nur 35 Millionen, hier nachzulesen beim Spiegel.
+++ ZDF-Chefredakteur Peter Frey hat fürs DJV-Magazin Journalist mit Catalina Schröder gesprochen. Unter anderem darüber gesprochen, dass er nicht gerne von zu Hause aus arbeitet, weil sich dann das schlechte Gewissen meldet, wenn er mal eine halbe Stunde Mittag macht.
Haben Sie ein schönes Wochenende! Neues Altpapier gibt es am Montag.
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