Das Altpapier am 9. Dezember 2020 Rundfunkbeitrags-Erhöhungsweigerung-Katastrophenserie Staffel 2
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09. Dezember 2020, 12:12 Uhr
Es läuft und läuft: Ist die Medienpolitik "kaputt"? Oder wird zumindest sprachlich alles besser? Ein Altpapier von Jenni Zylka
"Selbstmord aus Angst vor dem Tod"
Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo eine Absage her. So geschehen in der ersten Staffel des Dramas um das Kabinett in Sachsen-Anhalt, von dem man ja zunächst hoffte, es sei nur eine abgeschlossene Mini-Serie. Aber weit gefehlt:
"Haseloff hat zwar das Bild – AfD und CDU sagen Nein zum Staatsvertrag – verhindert, doch um den Preis, dem Staatsvertrag eigenhändig den Garaus zu machen. Das wirkt wie Selbstmord aus Angst vor dem Tode"
kommentiert die taz nüchtern, um ein ebensolches Fazit zu ziehen:
"Das Ergebnis ist trostlos: Der Machtkampf in der CDU zwischen gemäßigtem und rechtem Flügel ist nur vertagt. Die Kenia-Koalition ist nur noch eine Notgemeinschaft ohne Agenda und Zukunft. Und 31 CDU-Abgeordnete in Magdeburg haben, ohne dafür die Hand heben zu müssen, zusammen mit der AfD-Fraktion den Staatsvertrag kaputtgemacht, einen zentralen Baustein der Medienpolitik der Bundesrepublik."
In der Verfassung für eine Beschwerde
Alle Wetter. Das kurz vor Weihnachten, wo vielleicht auch Verfassungsrichter*innen lieber Geschenke für ihre abgezählten Haushaltsmitglieder aussuchen wollen (ich meine jetzt einen echten, privaten Haushalt, keinen Staatshaushalt oder so!). Denn dass "eine Verfassungsbeschwerde leider unausweichlich" ist, sagte ARD-Vorsitzender Tom Buhrow am Dienstag, und mit dem Zweiten klagt man besser: "Damit bleibt leider keine andere Möglichkeit, als das Bundesverfassungsgericht anzurufen", scheint sich auch der ZDF-Intendant Thomas Bellut zu entschuldigen, flankiert vom Deutschlandradio-Intendanten Stefan Raue, dessen Ansage durch das fehlende "leider" etwas weniger bedauerlich, aber dafür umso mehr nach Nägel mit Köpfen klingt:
"Ein Ausbleiben der Erhöhung würde sich daher unweigerlich auf die Programmgestaltung auswirken. Dies wäre insbesondere für unsere Hörerinnen und Nutzer sehr bedauerlich."
Bühnenzauber
Hier steht alles noch einmal im Tagesspiegel zusammengefasst. Und apropos fassen, und auch apropos "bedauerlich für Hörerinnen und Nutzer": Da sich während der gesamten Diskussion ja auch immer wieder von verschiedener Seite an verschiedene Köpfe gefasst wird ob der Verwendung dieser Gelder und ihrer Höhe, hat rnd genau das einmal zusammengefasst – hier. (Besonders interessant ist das mit dem Orchestern und den Chören!) Kommentiert wird das ebenfalls vom rnd hier, und zwar inklusive des schönen Wortes "Bühnenzauber":
"Das rituelle Aufjaulen der Intendanten angesichts der politischen Aufforderung, den digitalen Wildwuchs zu bekämpfen, sich strukturell zu verschlanken und kräftiger zu sparen, ist überwiegend Bühnenzauber. Da geht noch viel mehr, und alle wissen das. Es ist höchste Zeit, das Existenzrecht des Saarländischen Rundfunks oder Radio Bremens in Frage zu stellen. Niemand braucht 129 Standorte wie die ARD und knapp hundert neue Krimis im Jahr oder muss in Zeiten von 4K-Handykameras mit Sechs-Mann-Kamerateams durch die Lande ziehen."
Das klingt doch schon ganz anders. (Auch wenn die Sechs-Mann-Kamerateams eher Schnee von gestern sind: auch die Öffentlich-Rechtlichen Journalist*innen lernen inzwischen längst, ihr eigener Videojockey zu sein, und das EB-Team möglichst "schlank" zu halten). Dennoch ist anzunehmen, dass die zweite Staffel der Rundfunkbeitragserhöhungsverweigerungskoalitionskatastrophenserie im nächsten Jahr ausgestrahlt wird - aber nicht überall, harhar! Diesen Witz hat vor mir zugegeben schon gestern jemand gemacht, der Cartoonist Mario Lars in der taz nämlich, der vor einer angedeuteten Nachrichtenstudiowand einen Tagesschausprecher zeichnete, aus dessen Mund die Worte "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den Nachrichten für Deutschland außer Sachsen-Anhalt" kommen. So ein Schelm. Und dabei den absurden Zustand mit der Mehrheit der zustimmenden anderen Bundesländer schick auf den Punkt gebracht, und auch noch gleichzeitig sanft das Tal der Ahnungslosen zitiert – Respekt.
Privatnachrichten aus Unterföhring
Eine interessante Entwicklung verfolgt die Süddeutsche hier: Mit der Begründung, sich damit besser von Streaming-Anbietern wie Netflix abzusetzen, will der Privatsender ProSieben Sat1 anscheinend wieder selbst Nachrichten produzieren.
"...die Sender sollen wieder mehr eigenes Profil erhalten. Gleichzeitig nimmt in der Corona-Pandemie die Bedeutung von Nachrichten deutlich zu"
heißt es in einem Bericht über den Aufbau einer zentralen Nachrichtenredaktion in Unterföhring, mit bis zu 60 Mitarbeiter*innen und einem geplanten "Hauptstadtbüro" in Berlin. Man wird sehen, was daraus wird – dass in der Vergangenheit aus den ehemals separierten Sendern durchaus seriöse Nachrichtenberichterstattung kam, ist bekannt. Darüber hinaus ist interessant, dass mit einer autarken, stärkeren und besser ausgestatteten Nachrichtenredaktion auch der Fokus verändert wird: Nachrichten sind das Distinktionsmerkmal eines linearen Programms, denn sie sind ausschließlich linear von Nutzen: Sie sind DER Content, den man nicht streamen kann. Momentan, auch das ruft einem der Artikel wieder ins Gedächtnis, stammt der ProSieben Sat1-Service dahingehend von Springer, und das, man verzeihe mir das altmodische Bashing, kann ja fast nur besser werden.
All eyes on Elliot Page
Als Abschluss kurz ein Hoffnungsschimmer, man darf ihn auch "Silver Linings" nennen (so wie damals die gut gemeinte Psycho-RomCom): Der Spiegel hatte, neben vielen anderen Medien, über den Schauspieler Elliot Page berichtet, und dabei gemäß einer dementsprechenden ignoranten dpa-Meldung falsche Formulierungen, unter anderem mehrfach den falschen Namen benutzt. Das fiel intern und extern auf – und wurde entsprechend kommentiert, hier im eigenen Blatt, und hier unter anderem in der taz. Die Korrektur folgte auf dem Fuße – und auch andere Medien zogen nach: Gibt man den inkriminierten Satz aus der dpa-Meldung in die Suchmaschine ein, dann bekommt man Hunderte von Ergebnissen, die beim Nachprüfen allesamt korrigiert wurden. Fast allesamt: Es scheint, als hätten die "Münsterländische Volkszeitung" und ein Radiosender namens "Radio Gütersloh" (man muss sich aktiv eine schnippische Bemerkung verkneifen) den Schuss nicht gehört beziehungsweise die korrigierte dpa-Meldung ignoriert. Aber immerhin war das die Ausnahme, und mit unverwüstlichem Optimismus möchte ich die schnellen Reaktionen der großen Mehrheit gern als kleinen Erfolg für eine größere Sensibilisierung zum Thema Transgender verbuchen, bitte. Es ist doch schließlich immer noch fucking Advent.
Altpapierkorb (... mit Ulf Poschardt, El Ouassils Kaftan und Glühwein)
+++ Gruselig: Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt gibt hier in einem Interview mit dem journalist zu, dass er versucht, "die Empörungsstürme auf Twitter als Marketinginstrument für seine Zeitung zu nutzen", und konstatiert dass "ein Teil des Journalismusbetriebs sich auf ein bestimmtes "Werte-, Moral-, Diskurs- und Sprachnormierungsprogramm geeinigt" habe. Dabei bräuchte er nur das Wörtchen "normierung" zu streichen, und schon hätte er die Grundlagen für eine gerechte, menschenwürdige, tolerante und offene Gesellschaft genannt. Aber ich fürchte, er streicht es nicht.
+++ Bei der Prä-Show zur Oscar-Verleihung, in der Hinz und Kunz und Lady Gaga und Rami Malek über den roten Teppich flanieren, wird Schauspielerinnen von den US-amerikanischen Medienkolleginnen vor allem eine Frage gestellt: "Honey, who are you wearing?". An diese Frage, die den meisten von uns noch nie gestellt wurde und auch nie gestellt werden wird, was, ja nun, auch irgendwie schade ist, musste ich mit all meiner euphemistischen Kraft bei der Bild-Berichterstattung zur Anne Will-Talkshow vom Sonntag Abend denken. Unter der Überschrift "Bemerkenswerter Newcomer mischt Trump-Talk auf" wurde das Gespräch in klassischer Manier mehr oder weniger launig kommentiert, unter dem Foto des Republikaners Peter Rough stand "Republikaner Peter Rough". Und unter dem Foto der Autorin Samira El Ouassil stand: "Autorin Samira El Ouassil trug bei "Anne Will" einen eleganten Kaftan". Nicht zu fassen.
+++ Sicher kann man nie sein, aber ich glaube, ich bin etwas Großem auf der Spur, "Verschwörungstheorie"-Kategorie: Wenn man allein in der Süddeutschen das Wort "Glühwein" sucht, findet man momentan bis zu ZWÖLF Meldungen PRO TAG, bei der Welt, in der natürlich offiziell süffisant darüber gewitzelt wird, ist es ähnlich, bei der taz (die hatte die Hamburg-verbietet-Glühwein-to-go-Meldung anscheinend als marginal abgetan) sind es immer noch drei bis vier. Wenn dieser kopfschmerzige, süßlich-süffige, falsche Gemütlichkeit vorgaukelnde Begriff nicht schleunigst zum Unwort des Jahres gewählt wird, dann weiß ich auch nicht mehr.
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