Teasergrafik Altpapier vom 14. Oktober 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 14. Oktober 2020 Das gedruckte Facebook

14. Oktober 2020, 10:30 Uhr

Ein Verleger verrät seine Erfolgsrezepte für Lokalzeitungen. Wird die Bundes-Presse-Subvention zum Erfolg oder führt sie in eine "Subventionsfalle"? Den Medien in einem deutschsprachigen Nachbarland geht es jedenfalls trotz "Pressehilfe" schlecht. Und wird dank der Dominanz-Streamingdienste "immer mehr Mist produziert", in dem dann Juwelen unerkannt versinken? Ein Altpapier von Christian Bartels.

Lokalzeitungsverleger Ippen und seine Erfolgsrezepte

Dass es so was noch gibt! Ein Zeitungsverleger "mit Herz und Seele", der einst in Hamm als 28-Jähriger loslegte, als "David" den lokalen "Goliath schlug" und nun das "fünftgrößte Zeitungsimperium" Deutschlands, das "von Fehmarn über Hamm und Frankfurt bis in den Chiemgau ... reicht", sein eigen nennt und für Porträtfotos gerne eine seiner Zeitungen aufschlägt. Gestern wurde Dirk Ippen 80, und es graturi- pardon: gratulierten alle, vom steil aufstrebenden Ministerpräsidenten Söder bis zu "Barlegende Charles Schumann", um nur einige zu nennen.

Die Zitate entstammen dem gründlichen Gratulations-Artikel der Frankfurter Rundschau sowie dem erzählenderen und analytischeren Audio- (und Schrift-)Stück "Die Erfolgsgeschichte eines Verlegers", das Brigitte Baetz für Deutschlandfunks "@mediasres" erstellte. Fotos von der Geburtstagsfeier, bietet "die wohl bayerischste Zeitung mit enormem Einfluss auf Regierung und Opposition" (wie der trotz seiner unzähligen Termin hingeeilte Markus Söder gesagt habe), der Münchener Merkur.

Brigitte Baetz nennt offenkundig weiterhin gültige Erfolgsrezepte, z.B. "Lokalkolorit", dass eine lokale Zeitung "das gedruckte Facebook" sein sollte,und "nicht am Leser vorbeischreiben, auch nicht am Online-Leser" und natürlich "geschickte Zukäufe". Zu denen zählt ja auch die erwähnte Frankfurter Rundschau, die einst, als sie noch eine ambitionierte überregionale Zeitung war, durch ihren Kaufpreis das Zeitungsimperium des deutlich ambitionierteren Erfolgsverlegers Alfred Neven DuMont spätestens nach dessen Tod zum Einsturz gebracht hatte. Jetzt ist die FR eine Ippen-Lokalzeitung und funktioniert offenbar ganz gut.

Was macht die Bundes-Presse-Subvention?

"Für die Leser*innen wiederum scheint der journalistische Qualitätsbegriff ... sehr viel facettenreicher zu sein, als es so manche Edelfeder in den Büros der renommierten Verlage aus Hamburg oder Berlin gerne hätte",

pflichtet Alexander Graf für die (bekanntlich in Berlin gemachte) taz einigen Ippen-Thesen bei. In seinem Artikel geht's um die Lage der Anzeigenzeitungen. Rosig ist sie nicht, da viele Werbekunden in der Corona-Krise weniger Anzeigen schalten. Und fen Ausweg, der sich kostenpflichtig verkauften Zeitungen zumindest theoretisch bietet: halt Online-Abos zu verkaufen, können gedruckt kostenlos verteilte Blätter auch nicht beschreiten. Eine Idee, die der Wochenblätter-Verband BVDA ersann: mit correctiv.org zu kooperieren (was schon wieder zum gedruckten Facebook führt; schließlich wurden das stiftungsfinanzierte Recherche-Projekt vor allem durch seine Faktenchecks bekannt). Eine andere, wichtigere Idee, den angeschlagenen Anzeigenblättern zu helfen: die Presseförderung der Bundesregierung, also die im Juli (Altpapier) sehr überraschend beschlossene, rund 220 Millionen Euro umfassende Bundes-Presse-Subvention.

Wie genau wofür genau das Geld fließen soll, ist weiterhin unklar. Klar ist, dass es, sobald Genaueres bekannt wird, Kritik hageln wird. Einen Überblick über die Lage gibt Helmut Hartung in seinem Onlinedienst medienpolitik.net unter der Überschrift "Pressemedien in der Subventionsfalle?". Der Beitrag ist seiner harten Zahlen ("Für das Gesamtjahr werden im Anzeigengeschäft Umsatzeinbußen um bis zu zwei Fünftel befürchtet") wegen lesenswert, die den Ippenschen Ansatz erneut bestätigen:

"Das größte Stück vom Paid-Content-Kuchen von 527 Millionen Euro können die regionalen Tageszeitungen für sich verbuchen. Auf sie entfallen 2019 mit 250 Millionen Euro, knapp die Hälfte der Paid-Content-Umsätze deutscher Publikumsmedien. Die überregionalen Titel kommen auf knapp 140 Millionen Euro Erlöse. 137 Millionen Euro erlösen die Publikumszeitschriften."

Was freilich mitnichten heißt, dass die Zukunft der Lokalzeitungen damit gesichert sei, wie gleich der anschließende Satz belegt:

"Mit in Summe 390 Millionen Euro machen die Digitalvertriebserlöse der Tageszeitungen laut pv digest nur einen Anteil von ca. acht Prozent an den gesamten Vertriebserlösen von rund 4,8 Milliarden Euro aus (2019)."

Außerdem wirft Hartung Blicke auf "digitale Kioske" wie Readly und Blendle, das wir hier im Altpapier ja gerne verlinken (" ... werden in Deutschland von den Nutzern nicht angenommen") sowie auf die Presseförderung in anderen Ländern wie Österreich und der Schweiz, die schon lange besteht und zu Vergleichen gerne herangezogen wird.

Von Luxemburgs "Pressehilfe" lernen?

Es gibt noch ein weiteres auch deutschsprachiges Land in Europa, und das bezieht sich nicht auf die Markus-Lanz-Heimat Südtirol. Sondern auf jenes Land, für das das "L" in RTL steht.

"Den Medien in Luxemburg geht es schlecht", leitete Cordelia Chaton kürzlich einen Beitrag im mehrsprachigen, auf deutsch, französisch und moselfränkisch ("Kräizwuerträtsel") erscheinenden Letzeburger bzw. Lëtzebuerger Journal ein und gab dann einen in der Tat krassen Überblick:

Die inzwischen flämisch, also belgisch besessene Mediengruppe Saint-Paul, zu der das Luxemburger Wort gehört, wolle "ein Viertel der Belegschaft von rund 330 Leuten ... entlassen". Die Editpress-Gruppe habe sich durch den teuren Verkauf ihrer Immobilie vorübergehend Luft verschafft. Und das eigene Medium, das Lëtzebuerger Journal – das soll "zum Jahresende das letzte Mal nach 72 Jahren in gedruckter Form" erscheinen.

"Kritiker entgegnen: Was soll‘s, wir haben ja noch RTL! Doch dort wurde gerade der Kollektivvertrag durch die Direktion gekündigt. Beim Mutterhaus Bertelsmann kracht es ordentlich: Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann und Chief Executive Officer der RTL Group, hat im vergangenen Monat den Abbau von hundert Stellen in der Konzernzentrale und anderswo angekündigt. Der Sitz der RTL Group in Luxemburg wurde bereits vergangenes Jahr von über 112 Stellen auf kaum mehr als ein Dutzend reduziert, der Rest wurde nach Köln verlegt. Der Wille Rabes, hier einen personalintensiven TV-und Radiosender zu erhalten, dürfte im Wesentlichen davon abhängen, wieviele Millionen Luxemburg dafür bereitstellt."

Womit sich der Zusammenhang zum Absatz drüber ergibt: In Luxemburg gibt's seit 1976 eine Subvention namens "Pressehilfe", die inzwischen natürlich, wie die künftige deutsche Presse-Subvention, unter Digitalisierungs-Aspekten vergeben wird. Zuständig ist in Luxemburg der Kommunikationsminister. Und der ist, in Personalunion, Premierminister Xavier Bettel ... Falls Sie einsteigen wollen: Im erwähnten Luxemburger Wort findet man zum Suchwort "Pressehilfe" nicht viel Aktuelles, aber diesen Beitrag. Okay, es ist ein "Leserbrief" des Moderators eines offenbar stark betroffenen Radionsenders. Klar scheint jedenfalls: Unter dem Aspekt, wie unabhängige Medien durch staatliche Subventionen in eine Falle gehen können, verdient Luxemburg Beachtung.

Anstatt jetzt noch anzuschneiden, dass Bettels Vorgänger Jean-Claude Juncker ja durch Steuerbegünstigungen Amazons Europa-Hauptsitz nach Luxemburg geholt hatte, so dass der Datenkrake von dort aus nach dem Herkunftsland-Prinzip ... lieber noch ein Blick ins weiterhin wichtigste Medien-Land der Welt.

Führen mehr Streamingdienst-Inhalte zu mehr Mist?

"Millionen von Amerikanern hocken derzeit ... länger vor ihren Fernsehgeräten als in früheren Jahren", schreibt Medienkorrespondent Franz Everschor im jüngsten seiner stets lesenswerten MK-Berichte aus den USA. Allerdings hätten die klassischen Sender nichts davon, im Gegenteil. Die "neue Fernsehsaison", die der anlaufenden oder fortgesetzten Serien wegen vor wenigen Jahren ja noch international interessierte, sei selbst in den USA "derzeit kaum irgendwo ein Thema". Und außer der New York Times, wie wir neulich hier schon ansprachen, hat auf die Los Angeles Times das gedruckte Fernsehprogramm abgeschafft.

Wer profitiert, sind die Streaming-Anbieter, die ja auch allesamt in den USA sitzen. Deshalb hat der Disney-Konzern gerade eine "grundlegende Neustrukturierung" vorgenommen, wie dwdl.de berichtet:

"Über welche Kanäle die Inhalte ... nun im Detail verbreitet werden - ob beispielsweise ein Film also in die Kinos kommt oder via Streaming ausgewertet wird - entscheidet künftig global die neue, zentralisierte Media and Entertainment Distribution Group."

Das dürfte in der Praxis heißen, dass der Disney-Konzern, der inzwischen ja zahlreiche klassische Filmstudios besitzt, auf Kinos, die mittelfristig geschlossen oder dünn besetzt ausverkauft bleiben dürften, verzichtet und umso mehr Inhalte in seine Streamingangebote lenkt. Da hat er ja direkte Abo-Beziehungen zu Kunden und kann ihnen zu den "erstklassigen, Franchise-basierten Inhalten" (wie dwdl.de Disney-Chef Bob Chapek zitiert) passendes Plastikspielzeug verkaufen, oder Familienreisen in Freizeitparks, sobald die wieder möglich sind, ohne die Profite mit irgendjemandem teilen zu müssen.

Was zu einem Artikel von Susan Vahabzadeh im SZ-Feuilleton führt. "Warum die Kinos nicht sterben dürfen" heißt er online (€), "Das wollt ihr nicht wirklich" gedruckt. "Die neuen Dienste, Apple TV+ und Disney+, hatten virusbedingt mit ihrem Timing mehr Glück, als sie ahnen konnten", während in den USA das Kino-Geschäft noch kaputter sei als hierzulande, schreibt sie. Um einen der Gründe zu zitieren, warum Kinos nicht sterben dürfen:

"Im Kino kann ein Film volle Konzentration herstellen und auch einfordern, oder er kann mit Absicht zunächst Verwirrung stiften, um eine bestimmte Emotion herzustellen. ... Die Hemmschwelle, deswegen gleich aus dem Kino zu laufen – man ist ja erst einmal hingegangen und hat sich eine Karte gekauft – ist hoch. In der Streaming-App auf die nächste Kachel zu klicken, die einem der Algorithmus anbietet, nur weil der Film, den man anzuschauen begonnen hat, zunächst verwirrt, ist dagegen allzu verlockend. Alles, was anstrengend ist, herausfordernd, komplex, hat also schlechtere Chancen, angenommen zu werden."

Überdies enthält Vahabzadehs Text sehr konkrete und plastische Belege aus bekannten Kinofilmen für ihre Thesen sowie Spitzen gegen "Fernsehnasen" ("latschen ins Zimmer, während man auf dem Sofa sitzt und mit Keksen krümelt"). Wohin die weiterhin steigende Dominanz der Streamingdienste bereits jetzt führe:

"Da jeden Tag neue Filme und Serien eingestellt werden müssen, um den Zuschauern das Gefühl zu geben, dass sich die Mitgliedschaft lohnt, wird heute bereits immer mehr Mist produziert, und in dem versinken unerkannt Juwelen.."

Da wir's oben erwähnten: Diesen fulminanten Artikel gibt es außer bei der SZ kosten- bzw. anmeldepflichtig auch für 79 Cent bei Blendle.


Altpapierkorb (Assange-Prozess & die deutsche Botschaft, Datenübermittlungen von Google an die Polizei, Kommentare zur Facebook-Wende, "Böckchenkrieg", RTLs Quiz und die ARD-Quoten)

+++ "Gerade läuft in London ein Jahrhundertprozess. Gut, es ist wenigen aufgefallen, denn viel berichtet wird nicht", schrieb Milosz Matuschek gerade in der Berliner Zeitung zum beschämenden britisch-amerikanischen Verfahren gegen Julian Assange. Berichtet wird in den newsgetriebenen Medien auch deshalb wenig, weil es kaum Neues gibt. Das mindestens folter-ähnliche Verschleppen der Prozesses soll ja abschreckende Wirkung entfalten. Die Reporter ohne Grenzen aber sind Reporter genug, um einen neuen Dreh gefunden zu haben: "Während die deutsche Bundesregierung auf Journalistenfragen stets betont, sie habe keinen Grund, an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahren in Großbritannien zu zweifeln, zeigen Unterlagen des Auswärtigen Amtes (AA), dass die deutsche Botschaft in London durchaus Beobachter zur ersten Sitzungswoche des Auslieferungsverfahrens entsandt hat. Die entsprechenden Unterlagen hat das AA auf einen Antrag von fragdenstaat.de nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugänglich gemacht ..." Wird am Ende gar noch Außenminister Maas appellieren?

+++ "Im Zuge ihrer Ermittlungen fragte die US-amerikanische Polizei die Daten aller Nutzer:innen an, die kurz vor einem Brandanschlag nach der Wohnanschrift der Betroffenen gegoogelt hatten. Google gab die Liste der gespeicherten IP-Adressen daraufhin raus, wie der Journalist Robert Snell auf Twitter bekannt machte", berichtet Marie Bröckling mit vielen Links bei netzpolitik.org. "Die Anzahl der Datenübermittlungen von Google an Polizei und andere staatliche Stellen wächst in den letzten Jahren stetig, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Das liegt teils an den hohen Nutzungszahlen, aber vor allem daran, dass Google so viele Daten speichert."

+++ Viel Kommentare zur Facebook-Entscheidung, künftig global keine Holocaust-Leugnung mehr zu akzeptieren (AP gestern): "Zu wenig, zu spät", heißt Simon Hurtz' Kommentar auf der SZ-Meinungsseite. +++ Das Problem ist größer, meint auch Daniel Kretschmar in der taz: "Die Verbreitung zum Beispiel der Holocaustleugnung wird durch die algorithmische Sortierung besonders gefördert. Je zugespitzter die Position, umso intensiver die Reaktionen, umso höher die maschinelle Bewertung und daraus folgend die Reichweite sind.  ... Das wird sich mit dem Facebook-Verbot für Holocaustleugnung nicht ändern." +++ "Endlich ist Facebook aber zur Vernunft gekommen", schreibt Jörg Schieb im WDR-Blog Digitalistan, aber: "Wichtig ist schließlich auch, international aktiv zu werden – und auch in allen Sprachen. So müssen auch Postings und Inhalte in arabischer Sprache überprüft werden." +++ Top in Form ist die FAZ, für deren "Deutschland und die Welt"-Seite Theresa Weiß in Frankfurt die Holocaust-Überlebende Aviva Goldschmidt besuchte, deren Protest zu Mark Zuckerbergs Entschluss beitrug.

+++ Die FAZ-Medienseite stellt den Kriegsreporter Ashwin Raman vor, der von Selm bei Dortmund aus weiterhin die Krisengebiete der Welt bereist und sich bei den Öffentlich-Rechtlichen "Redakteure, die 'weitwinklig' denken", wünscht.

+++ "Die schlimmste Form der Strafe ist die Nichtbeachtung", hatte Professor Simoneit an der Journalistenschule zwar gelehrt, aber angesichts des "veritablen Böckchenkriegs", den Gabor Steingart gegen den Spiegel führe (siehe wiederum AP gestern) hat sich Thomas Knüwer doch noch mal zum Eingreifen entschlossen und zergliedert sehr ausführlich Steingarts "Gegenmitteilung".

+++ Und während das Durcheinander der innerdeutschen Reisebeschränkungen womöglich gar kommende Fußballspiel-Übertragungen gefährdet (Tagesspiegel), sah sich die SZ-Medienseite an, wie deutsche Nationalspieler (und damit Millionäre) bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär?" performten. "Vermutlich war der Auftritt mehr ein Imagegewinn für die Sendung als für die Teilnehmer", meint Martin Schneider. Wozu sich noch die Frage stellt, ob RTL denn da nicht die Einschaltquoten unserer ARD aufgepeppt hat. Die war es ja, die dank des millionenteuren Einkaufs der Fernsehrechte am Turnier namens "Nations League" gestern abend übertragen durfte, wie die Nationalmannschaft der Schweiz ein Unentschieden abtrotzte ... Offenbar ja.

+++ Ach so, und noch ein 80. Geburtstag wurde gestern in München gefeiert. Klaus Lemke, der Veteran des Jungen Deutschen Films, beging ihn. Und zu ihm läuft einiges in den Mediatheken, wie z.B. dieser Twitter-Thread zeigt.

Neues Altpapier gibt's dann wieder am Donnerstag.

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