Teasergrafik Altpapier vom 08. Oktober 2020: Porträt Autor René Martens
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Das Altpapier am 8. Oktober 2020 Gott ist tot

08. Oktober 2020, 13:00 Uhr

Wer sich über Donald Trump informieren will, sollte deutsche Medien meiden. Rechtsextreme Gruppierungen nutzen die auf den allerersten Blick möglicherweise unpolitisch wirkende Plattform Instagram aus ihrer Sicht erfolgreich. Hätte es Herbert Feuerstein nicht gegeben, würden journalistische Schlagzeilen in Deutschland heute anders formuliert werden. Ein Altpapier von René Martens.

Das Rumgedruckse deutscher Medien

Remdesivir, Dexamethason, Melatonin, Famotidin - welche Drogen und Medikamente Donald Trump derzeit zu sich nimmt, ist bekannt. Der NDR hat in seinem Corona-Podcast mit der Virologin Sandra Ciesek darüber gesprochen, und unter anderem t-online hat darüber geschrieben.

Was die Redakteure der Sendung "Maybrit Illner" zu sich nehmen, ist nicht bekannt, aber offenbar ist der Stoff auch nicht von schlechten Eltern - jedenfalls, wenn man den Titel der heutigen Sendung als Maßstab nimmt.

"Keine Angst vor Corona - hat Trump Recht?"

lautet dieser. "Corona, ein Segen Gottes - hat Trump Recht?" wäre nach der Logik des öffentlich-rechtlichen Talkshowgewerbes natürlich der geilere Titel gewesen, aber dass das Virus "a blessing from God" sei, hat der Patient unter Programmankündigungs-Aspekten dummerweise ein bisschen zu spät gesagt.

Dieser Sendungstitel ist nur ein weiterer Tiefpunkt in der Niederlagenserie, die der deutsche Journalismus gegen Donald Trump verzeichnet. Ralf Heimann hat an dieser Stelle bereits einen Teil dieser Niederlagenserie beschrieben.

Was deutsche Medien in der Berichterstattung über Trump schlechter machen als US-amerikanische, beschreibt Johanna Henkel-Waidhofer in der Wochenzeitung Kontext. Ein Beispiel:

"Sick and in isolation, Mr. President, you have become a symbol of your own failures. Failures of recklessness, ignorance, arrogance."

Dieser Ausspruch stammt von dem CNN-Mann Jake Tapper. Im deutschen Journalismus sei so etwas nicht denkbar derzeit, so Henkel-Waidhofer, da werde "rumgedruckst" in Sachen Trump. Was wiederum korrespondiere mit dem "insgesamt reichlich verklemmten Umgang mit der AfD". Die Autorin schreibt weiter:

"Wer wirklich beschreiben will, wie sich deren Abgeordnete in den Parlamenten aufführen, wie Räpple, Baum, Wolle, Rottmann und Merz den Stuttgarter Landtag für unsägliche Auftritte nutzen, muss zu Begriffen greifen, vor allem zu Verben, an die NutzerInnen klassischer Medien nicht gewöhnt sind. AfDler rufen nämlich nicht dazwischen, sie kreischen, sich über ihren Tisch werfend (Claudia Wolle), sie kritisieren nicht, sie diffamieren."

Wobei: Es gibt auch Journalisten, für die es ein Fortschritt wäre, wenn sie sich einen "verklemmten" Umgang mit der AfD aneignen würden. Das gilt zum Beispiel für den nassforschen Moderator dieses Deutschlandfunk-Interviews mit dem Grünen-Politiker Danyal Bayaz.

Faschisten lügen nicht

Um bei der AfD zu bleiben: Mely Kiyak befasst sich in ihrer alle 14 Tage erscheinenden Kolumne für das Gorki-Theater mit den  Migrantenvernichtungsvisionen des gewesenen AfD-Bundestagsfraktionssprechers Christian Lüth, die seit der Pro-Sieben-Dokumentation "Rechts. Deutsch. Radikal." (Altpapier, Altpapier, Altpapier) bekannt sind. Kiyak schreibt:

"Es ist diese frappierende Ehrlichkeit, die ich an den Faschisten so mag. Sie lügen nicht. Sie lügen nie."

Es werde, so Kiyak weiter,

"bei dem Versuch unsere Vernichtung sprachlich zärtlich vorzubereiten, nicht darum gehen uns zu schonen und uns die Angst vor dem Sterben zu nehmen, sondern darum, die Wählerschaft nicht mit obszönen Begriffen zu belästigen. Was immer geschehen wird, sprachlich wird nichts an 'die zwölf Jahre' erinnern. 'Zwölf Jahre' nennt man in der AfD übrigens die Zeit der NSDAP-Herrschaft. Müssen Sie mal drauf achten. Die sagen nicht Faschismus oder Nationalsozialismus, sondern immer 'die zwölf Jahre.'".

Ihr Fazit:

"Ein gutes Indiz, dass alles so kommen könnte, wie es kommen könnte, ist die gesellschaftliche Lethargie. Da verkündet abends um 20.15 Uhr in Deutschland der Pressesprecher der größten Oppositionspartei, dass demnächst vergast und erschossen wird und es passiert – nichts. Als ob die Entlassung Christian Lüths die Ehre der demokratischen Öffentlichkeit wieder hergestellt hätte."

Nun ist zwar nicht nichts passiert - aber eher wenig, wenn man es vergleicht mit dem, was für Reaktionen vor vielen, vielen Monden ein lustiges Lied des WDR-Kinderchors ausgelöst hat.

Instagram als Rekrutierungs-Tool für Rechtsextreme

Dass Lüth, um Mely Kiyak aufzugreifen, so "ehrlich" war - einen Anteil daran hatte bekanntlich eine Frau mit dem nom de guerre Lisa Licentia (Altpapier). In einem aus anderen Gründen Aufsehen erregenden journalistischen Beitrag begegnen wir ihr nun wieder: Für eine auf mehrmonatiger Arbeit basierende Correctiv-Serie zur Strategie rechtsextremer Gruppierungen auf Instagram diente die "ehemalige IB-Aktivistin", die "heute nach eigener Aussage an einem Aussteigerprogramm für Rechtsextreme teilnimmt", als eine von mehreren Gesprächspartnerinnen. Man kann die Correctiv-Recherchen als Beitrag zum zehnjährigen Jubiläum von Instagram verstehen (siehe auch die Altpapierkörbe von Montag und Mittwoch).:

"Gerade Frauen spielen in der Szene auf Instagram eine zentrale Rolle, wie unsere Recherche zeigt: Sie bilden die Brücke von der vorgeblich unpolitischen Ästhetik auf Instagram in ein rechtes Weltbild und letztlich in rechtsextreme Kreise."

Zum Beispiel auf dem Account eines Fotografen, "der sich auf Instagram 'germanyspride' nennt". Sein Account wirke "in großen Teilen wie ein Hochglanz-Portfolio" der AfD und deren Jugendorganisation JA. In dem Text heißt es:

"Zu sehen sind dort zum Beispiel Mary Khan, stellvertretende Bundesvorsitzende der JA, oder Marie-Thérèse Kaiser, Kreisvorsitzende der AfD Rotenburg und Kampagnengesicht der AfD. Mehrfach taucht zudem Lisa Lehmann aus dem Vorstand der JA Sachsen-Anhalt auf."

Unter seinem bürgerlichen Namen ist dieser Fotograf "Beisitzer im Bundesvorstand der JA", und gegenüber Correctiv plaudert er auch über die "Erfolge" der Instagram-Strategie seines Ladens. Das Autorenteam zitiert ihn indirekt mit den Worten, dass "etwa die Hälfte des Mitgliederzuwachses der JA Berlin seit einem Jahr" auf Instagram zurückzuführen sei.

Und was unternimmt Instagram dagegen, dass "die rechte Szene auf der vermeintlich unpolitischen Plattform junge Menschen verführt"? Spoiler: wenig (um es moderat zu formulieren). Carolina Are - Doktorandin an der Universität London, Forschungsgebiete unter anderem: "online abuse, conspiracy theories, disinformation" - befürchtet,

"dass Rechtsextreme auch algorithmische Schwachstellen ausnutzen könnten. 'Hassrede ist auf der Plattform momentan nicht gut reguliert', sagt sie. Nacktheit filtere Instagram effektiv aus den Nutzer-Feeds – bei Hassrede und verbotenen Symbolen tue sich die Plattform aber ungleich schwerer."

Ein wortspielsüchtiger Unglückssucher

Ja, Herbert Feuerstein ist mit dem Grimme-Preis, dem Bambi und dem "Ehrenpreis des Deutschen Comedy-Preises" ausgezeichnet worden, und er hat dem "Job des Entertainers durch anarchische Blödelkunst eine neue Qualität verliehen", wie es der WDR formuliert, aber auf einflussreichste Weise wirkte der am Dienstag verstorbene Blattmacher und Satiriker möglicherweise für das Magazin MAD. Zwei Jahrzehnte lang prägte er die Zeitschrift - bis er dort 1992, fernsehkarrierebedingt, aufhörte -, und unter anderem diese Zeit stellen Alexander Gorkow und Willi Winkler in ihrem Nachruf für die SZ heraus:

"Während der Helmut-Schmidt-Helmut-Kohl-Ära und ehe die Titanic zu Ruhm und Einfluss kam, war Mad mit seinem gewerbsmäßigen Irrsinn für den halbwegs vernünftigen Deutschen noch der einzige Grund, nicht auszuwandern, das garantierte mit seiner unheilbaren, ja kochenden Wortspielsucht der Remigrant Herbert Feuerstein."

So gesehen, war Feuerstein für Teile einer Generation wichtiger als … (Setzen Sie hier den Namen eines legendären deutschen Magazinmachers Ihrer Wahl ein). Gorkow/Winkler schreiben darüber hinaus:

"Schließlich kam es, wie es kommen musste, das Fernsehen nämlich. Feuerstein wurde mit Harald Schmidt zusammengespannt, erst bei 'Pssst…', dann für 'Schmidteinander', eine Verbindung, die für eine Glücksstunde sorgte und das Fernsehen vorübergehend vor der Verblödung bewahrte. Bei einem Unglückssucher wie Feuerstein konnte das nur schiefgehen, denn Schmidt wurde neben ihm nur noch größer, während er die Pointen raushaute, die ihm meist Feuerstein vorher aufgeschrieben hatte. Aber auch wenn diese Spielart des Sadomasochismus einen eigenen Eintrag in der 'Psychopathia sexualis' verdient hätte: Die Zuschauer hatten den Gewinn, und nichts sonst zählt."

Der Nachruf endet mit einem auf Feuersteins Körpergröße anspielender Satz:

"Am Dienstag ist ein kleiner Gott gestorben."

Und auch wenn folgender Hinweis vom zeitlichen Ablauf her etwas widersinnig erscheinen mag: Der Einstieg des SZ-Textes ist phänomenal.

Stefan Kuzmany geht für den Spiegel ebenfalls auf die Bedeutung des Mad-Magazins ein:

"Nicht nur bereicherte (Feuerstein) mit seinen Übertragungen der amerikanischen Comics etwa Don Martins die deutsche Sprache um seither allgemeingebräuchliche Befindlichkeitsbekundungen wie ‚Würg!‘ für Missfallen und ‚Lechz!‘ für leidenschaftliche Sehnsucht, nicht nur prägten von ihm erdachte Wortspiele nachhaltig den Stil, in dem heute in Redaktionen Schlagzeilen und in Agenturen Werbeslogans formuliert werden. Feuerstein pflanzte darüber hinaus eine grundsätzliche Geisteshaltung in die Köpfe seiner jungen Leser: Alles kann, alles muss verarscht werden."

Bei Springers Welt fällt die Preisung folgendermaßen aus:

"Was für eine Kunst, seine eigene Misere, schlechte Laune, Hoffnungslosigkeit nicht nur mit einem Schulterzucken abzutun, nein, sie als Inspiration zu genießen, den Humor in ihr auch da schon zu erkennen, wo man mit der Verarbeitung noch gar nicht begonnen hat!"

Wie so oft bei Todesfällen, zirkulieren in den Timelines ältere Interviews des Verstorbenen, weil sie über diesen möglicherweise mehr aussagen als die ersten Nachrufe. Herausgegriffen sei zum Beispiel ein taz-Interview von 2007, für das Feuerstein das Zitat "Das Leben ist ein ewiges Guantánamo" als Headline geliefert hat.

Wer sich noch ein besseren Eindruck von Feuersteins Mad verschaffen will: Ein 2017 beim Spiegel erschienenes Interview böte sich an.

Und auf madmag.de findet sich ein Gespräch, das 1995 Titanic-Redakteure mit ihm geführt haben. Vermutlich hat Feuerstein hier zum ersten Mal jenen Satz über seine Grabinschrift gesagt, der in den folgenden Jahren (und auch von ihm selbst) immer wieder in unterschiedlichen Variationen aufgegriffen wurde:

"Meine MAD-Grabinschrift soll verkünden, daß ich bestimmte Teenager-Onomatopöien erfunden habe wie 'lechz, hechel, ächz, würg‘."

Wie man es von einem "kleinen Gott" (Gorkow/Winkler) beinahe erwarten darf, hat Feuerstein für einen Nachruf selbst gesorgt. Unter dem Titel "Herbert Feuersteins Nachruf auf sich selbst" hält der WDR eine Hörfunk-Produktion bereit, in der der jetzt Verstorbene aus seinen Erinnerungen liest und dies mit von ihm ausgewählter Musik kombiniert. Die fast zwei Stunden lange Sendung für den Hörfunk entstand im Januar 2015. Außerdem lief gestern im WDR Fernsehen die Dokumentation "Herr Feuerstein schreibt seinen Nachruf - Und lebt noch 2091 Tage", die zum einen in Making-of-Manier die Produktion des Radio-Nachrufs zeigt, zum anderen Ausschnitte aus zahlreichen TV-Sendungen mit und über Feuerstein.


Altpapierkorb (die sehr seltsame Popularität einer alten Doku über die Schweinegrippe, Facebook versus QAnon, kohero-Magazin, schlechte Stimmung bei der Volksstimme, mutmaßlicher #MeToo-Fall beim SWR)

+++ Corona-Verschwörungsgläubige finden offenbar Gefallen an einer elf Jahre alten Arte/NDR-Dokumentation über den Umgang mit der Schweinegrippe. Diese verzeichnet seit einigen Monaten recht hohe Zugriffszahlen bei YouTube. Senta Krasser informiert bei dwdl.de über die Hintergründe.

+++ Dass der Facebook-Konzern seit Dienstag sein "Hausrecht" nutzt und "Facebook-Seiten und -Gruppen sowie Instagram-Kanäle" der rechtsextremen Bewegung QAnon löscht, komme zu spät, moniert Johannes Drosdowski (taz). Dass "auch einige Seiten und Gruppen in Deutschland" von der Maßnahme betroffen seien, notiert die SZ. "Im Umfeld der Anti-Corona-Demos waren zuletzt (…) auch immer wieder QAnon-Gläubige beobachtet worden."

+++ Was das in Hamburg produzierte Magazin kohero anders machen will als der Vorgänger mit dem recht nüchternen Titel Flüchtling-Magazin, weiß die taz.

+++ "Desaströs" seien die "Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung ausgefallen", die die Bauer Media Group bei einem Personalberatungsunternehmen zur Mitarbeiterzufriedenheit in der Redaktion der Magdeburger Regionalzeitung Volksstimme in Auftrag gegeben hatte. Das berichtet kress.de. Über Chefredakteur Alois Kösters heißt es: "Mitarbeiter sehen in (ihm) vor allem einen unbarmherzigen Kostenmanager, der die Vorgaben der Bauer Media Group ohne Pardon umsetzt. Auch gestandene Redakteure mit viel Berufserfahrung verdienen bei der Volksstimme demnach nur rund 40.000 Euro im Jahr, im Lokalen teils darunter. Die Bauer Media Group wollte die Zahl nicht kommentieren."

+++ Die frühere stellvertretende Redaktionsleiterin des "Tigerenten-Clubs" "kämpft vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht um ihre berufliche Existenz", schreibt die heute oben schon erwähnte Wochenzeitung Kontext. Die Geschichte dieser juristischen Auseinandersetzung beginne mit einem "Fall von sexueller Belästigung". Der langjährige SWR-Intendant Peter Boudgoust "half wohl kräftig mit", diesen "mehr als zehn Jahre 'unter der Tischdecke' zu halten", mutmaßt die Zeitung.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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