Das Altpapier am 9. Oktober 2017 "Vorgespielte Äquidistanz"

Der Spiegel mischt sich in die Debatte über ARD und ZDF ein, nennt sich "naturgemäß Partei" – schickt aber Mathias Döpfner in den Ring. Kernaussage des Spiegels: Es gibt Reformbedarf, Freunde. Wir haben uns brav durchs Heft gearbeitet. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Okay. Der Spiegel. Es war zu erwarten, dass das Sturmgeschütz sich irgendwann mit einem größeren Aufschlag in die laufende Debatte über die Öffentlich-Rechtlichen einmischen würde. Am Samstag war es nun so weit (derzeit 1,99 Euro plus zweimal 0,75 Euro bei Blendle); wir haben alles brav gelesen, und weil auf den Medienseiten sonst nicht so viel los ist, geht es heute hier erstmal nur darum.

Die Titelzeile lautet "Die unheimliche Macht", schauder schauder. "Wie ARD und ZDF Politik betreiben" ist der Untertitel. Zusammen mit dem AfD-Cover, das im Nachgang zur Bundestagswahl erschien ("Sie sind da" – dazu das Bild der AfD-Spitzenkandidat*innen, die die Kanzlerin erschrecken), ergibt das fast schon ein Horror-Remake (hier kleines gif). Das düstere Cover verspricht jedenfalls eine harte Geschichte.

Leichte Produktenttäuschung

Drinnen dann aber doch leichte Produktenttäuschung. Denn da erwarten einen, erstens, ein langer gebauter Textbeitrag mit diversen Grauschattierungen (wobei der Grundton schon stark Richtung dunkles Anthrazit geht). Dazu gleich mehr.

Zweitens, eine Polemik von Jan Fleischhauer, die natürlich den "Staatsfunk" schon in der Überschrift haben muss – und spätestens da ist klar, dass der Hefttitel nicht vom Inhalt gedeckt sein würde, denn sonst hätte man ja mehr als eine Polemik dazu. (Ob etwa die Schlussthese – "Die Politik sichert die Finanzierung, dafür haben ihre Vertreter freien Zugang zum Programm" – die Spiegel-Dokumentationsabteilung passiert hätte, wenn nicht "Polemik" über dem Text stünde, wäre interessant zu erfahren.)

Und, drittens, ein Interview mit Frank Plasberg, dem Moderator der Talkshow "hart aber fair", und Georg Diedenhofen, dem Redaktionsleiter. Es ist das Verdienst dieses Spiegel-Titels, dass Plasberg in der Debatte über die Mitverantwortung seiner Krawallsendung für den Erfolg der AfD auch mal was rauslässt (siehe Altpapierkorb). Aber ja Gottchen. "Die unheimliche Macht", geh’, bitte.

Aber okay, Titelseiten sind halt auch nur Titelseiten. Es stecken gute Gedanken in dem Paket. Der Berliner Tagesspiegel etwa schreibt zwar, es handle sich insgesamt um eine "Generalabrechnung" mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und findet nicht viel Neues ("ein durchaus bekannter Befund"). Was Tagesspiegel-Redakteur Kurt Sagatz aber auch liest, ist "am Ende eine Ermunterung zur Erneuerung".

Das kann man so lesen. Auch wenn das Buzzword "Staatsfunk" auftaucht, das allein der Diskreditierung dient; auch wenn das Cover gängige Spinnereien eher stützt als bricht; und auch wenn befremdlicherweise zahlreiche Hasskommentare gegen ARD und ZDF zitiert werden, als wären es Expertenmeinungen aus der sogenannten Mitte und keine argumentfreien Einlassungen einer krass schlecht gelaunten Minderstheit: Die Gesamtaussage des Spiegel-Titels lautet nicht etwa, ARD und ZDF seien des Teufels und müssten weg. Die Grundaussage lautet eher: Es gibt dringenden Reformbedarf, Freunde. Natürlich ist Journalismus dafür da, solchen Bedarf auszuformulieren.

Es gibt Reformbedarf, Freunde

Mit Patricia Schlesinger vom RBB und Stefan Raue vom Deutschlandradio (einst Chefredakteur beim MDR) kommen auch zwei öffentlich-rechtliche IntendantInnen zu Wort, die diese Ansage im Kern stützen. Raue wird zitiert:

"Wer sich angesichts der hohen Glaubwürdigkeitswerte für die Öffentlich-Rechtlichen zurücklehnen mag, der mag das tun" […]. "Er verwechselt allerdings eine diffuse Grundzufriedenheit mit einer echten Zustimmung oder gar Wertschätzung."

Und an anderer Stelle heißt es:

"Die Anstalten sollten sich aus sich selbst heraus reformieren, so Raues Forderung, und nicht auf die Politik hoffen. Denn ‚für die Öffentlich-Rechtlichen mag sich kein Politiker mehr beschimpfen lassen‘."

Schlesinger derweil wird eingeführt als Frau, die sich aufgemacht habe, "den RBB zu entstauben", etwa durch Spar-, Kooperations- und Reformwille.

Die vier Spiegel-Autorinnen und -Autoren, die den Aufmachertext geschrieben haben, selbst sprechen von "einem neuen Gesellschaftsvertrag", den es zu schreiben gelte. Darin

"müsste erst einmal neu definiert werden, was der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Zukunft eigentlich sein soll – und wo sie tatsächlich unersetzlich sind. So ließe sich ein Kernbereich benennen, mit Journalismus, Kultur, Unterhaltung, Filmen."

Es folgt eine längere Liste, wo man mit dem Nachdenken ansetzen könnte:

"Ernsthaft diese Frage zu stellen, das hieße, Abschied zu nehmen vom gebührenfinanzierten Allerlei. Vielleicht vom dauernden Fußball. Davon, dass sich das Erste und das ZDF Abend für Abend mit verwechselbarer Ware Konkurrenz um dieselbe Klientel machen. Dass jede Landesrundfunkanstalt rund um die Uhr senden muss. Es würde auch bedeuten, dass die Öffentlich-Rechtlichen das, was andere besser können, diesen anderen überlässt. Den Verlagen den Textjournalismus. Dem Privat-TV manche Unterhaltung. Den Streamingdiensten manche Serie."

Sich so etwas auszumalen, ist natürlich legitim. ARD und ZDF wurden in einer anderen Medienwelt begründet. Würden die Öffentlich-Rechtlichen heute entstehen, sähen sie zweifellos anders aus – wobei sie dann womöglich gerade im Internet Dinge tun dürften, die ihnen von den Verlagen streitig gemacht werden.

Der Spiegel schickt Mathias Döpfner vor

Was ich aber befremdlich finde, ist, dass der Spiegel seine eigene Rolle nicht klarmacht und Fragen an den Journalismus insgesamt mit Fragen an die Öffentlich-Rechtlichen verwechselt.

Was fehlt im Text, ist etwa ein Satz wie der, der im online verbreiteten "Morning Briefing" des Spiegels steht. Darin kündigt die stellvertretende Chefredakteurin Susanne Beyer an, worum es in der Titelgeschichte geht, und am Ende heißt es: "Wir sind naturgemäß Partei." Ja. Ist Leuten, die professionell mit Medien zu tun haben, vermutlich klar. Steht aber so explizit nicht im Heft.

Etwas verdruckst wird an drei Stellen der Spiegel selbst als Akteur jener privaten Presse erwähnt, die sich von den "gebührenfinanzierten Anstalten" bedroht sieht. Die Vertretung eigener Interessen wird aber anderen untergejubelt. Der Text beginnt mit Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, der "seit gut einem Jahr […] auch der oberste Lobbyist der Zeitungsverleger" ist, "genaue Amtsbezeichnung: Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger". Als solcher heize er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade ordentlich ein". Döpfner etwa spreche von "Staats-Presse", heißt es (siehe Altpapier). Und während sein Ansinnen nachvollziehbar sei, sei die Wortwahl "fragwürdig". Das ist auf Spiegel-Seite 11. Die Polemik auf Seite 17 hat dann das fragwürdige Wort, wie gesagt, selbst im Titel: "Vorsicht, Staatsfunk!" Polemik, ja, schon klar. Aber warum muss Döpfner denn hier seinen Kopf hinhalten, wenn man doch selber herumbolzt?

Was sich hier beobachten lässt, ist das, was Claus Strunz von Sat.1, einer der Moderatoren des "TV-Duells", der hier in die Position des nicht-öffentlich-rechtlichen Idealtyps versetzt wird, an anderer Stelle im Text über den Journalismus diagnostiziert – und was der Spiegel "vielleicht richtig" nennt:

"dass nicht die politische Haltung das Problem sei, sondern der Versuch, sie als neutral zu ummänteln, die 'vorgespielte Äquidistanz', wie er das nennt."

Genau das tut der Spiegel meines Erachtens selbst in diesem Text: Er vertritt eine politische Haltung, was an sich kein Problem ist – aber er nimmt sich als Player dabei weitgehend aus dem Spiel und überspielt so, dass ein Text über die Öffentlich-Rechtlichen, der tatsächlich aus einer reinen Beobachterrolle geschrieben würde, sicher anders ausfiele. Es würde darin vielleicht auch die Frage gestellt: Können die öffentlich-rechtlichen Textangebote den Verlagen wirklich so sehr schaden, wie die behaupten? Welche Zahlen oder Prognosen sollen das eigentlich hergeben? Oder es würde vielleicht um die Frage gehen, welche Funktion die Öffentlich-Rechtlichen (und da dürfte dann auch der Hörfunk eine Rolle spielen, der im Grunde nicht auftaucht) gesellschaftlich haben – und nicht vorrangig als Konkurrent für die Verlage. Wirtschaftliches würde vielleicht stärker in die Gesellschaft eingebettet als umgekehrt. So aber handeln vier von vier Grafiken im Aufmachertext davon, wie viel Geld der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Verfügung hat.

Den Zuschauer ernst nehmen, hm, ja

Es sind Grafiken, die nicht etwa die Perspektive der Nutzer und Zuschauer spiegeln, sondern die der Verlage. Sonst würden etwa nicht die Gebührengesamteinnahmen ausgewiesen, die seit 1995 um 70 Prozent gestiegen seien. Sondern etwa die Beitragshöhe. 1995 zahlten Gebührenzahler 23,80 D-Mark, 2016 belief sich die Abgabe auf 17,50 Euro. Das wäre eine Steigerung nicht um 70, sondern nur um 43,7 Prozent.

Natürlich kann man auswählen, was die eigene Geschichte am Besten stützt. Die Öffentlich-Rechtlichen können auch rechnen (und rechnen zum Beispiel ihre Gebühreneinnahmen in anderen Zeiträumen, so dass sie recht genügsam aussehen).

Als Leser, Zuschauer, Nutzer ohne mittlere Medienlandschaftsdurchblickungskompetenz hat man aber halt womöglich keine Ahnung, was man nun davon wie einschätzen soll, wenn Lobbyismus und Journalismus miteinander verschwimmen. "Es ist Zeit, dass ARD und ZDF ihre Zuschauer ernst nehmen", schreibt der Spiegel im Untertitel des Aufmachertexts. Hm ja, klar, das kann man so sagen. Aber man fragt sich doch, warum eigentlich nur ARD und ZDF?

PS: Diese Kolumne erscheint seit einem Monat auf einem öffentlich-rechtlichen Angebot. Fast vergessen vor lauter Neutralität.

Altpapierkorb ("Babylon Berlin", Kulturbruch Schulz-Story, Ostukraine, Reisejournalismus)

+++ Was Frank Plasberg etwa über den Umgang mit der AfD sagt, wollte noch nachgetragen werden. "Es ist nicht Aufgabe von Journalisten, Parteien kleinzuhalten." Was bei Twitter recht gut ankam, war die Erwiderung von Martin Sonneborn. Zusammenfassung bei Spiegel Online hier, weitere Zitate etwa hier.

+++ "Babylon Berlin", die Serie von ARD und Sky, die nun bei Sky anläuft, wird vom Spiegel gelobt. Die Süddeutsche Zeitung vom Samstag hat ihr das "Buch Zwei" gewidmet (derzeit nicht kostenfrei abrufbar).

+++ Mehr über den Spiegel: Bettina Gaus vertritt in der taz die Position, die Reportage von Markus Feldenkirchen über Martin Schulz – vor einer Woche hier gewürdigt – wäre "besser nie erschienen"; es handle sich um einen Kulturbruch. Weitere Position zum Thema: seit Freitag bei Meedia.

+++ Der ehemalige Altpapier-Autor Matthias Dell und Per Leo haben in der Deutschlandfunk-Sendung "Breitband" Kluges über "die Verantwortung der Medien im Umgang mit dem Rechtspopulismus" gesagt. Dell erinnert etwa daran, dass Jörg Haider von der FPÖ den "Talk im Turm"-Moderator Erich Böhme einst auch schon vor größere Probleme stellte.

+++ In der FAZ vom Samstag geht es noch einmal um die Online-Verwertung von Filmen in Mediaktheken: "Fünfzehn Verbände der Branche appellieren nun in einem gemeinsamen Schreiben an die Ministerpräsidenten der Länder, die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender nicht losgelöst von deren anstehender Strukturreform sowie ohne umfassende Klärung des Sachverhalts auszuweiten."


+++ Ebd. steht ein Gespräch mit David Chavern, dem Präsidenten und Geschäftsführer der News Media Alliance über Google und Facebook

+++ Die SZ schaut in die Ostukraine: "Unter Lebensgefahr berichten der Medienunternehmer Alexej Mazuka und sein Team."

+++ Ebd. Geht es um das neue Layout der taz und das "Der Preis ist heiß"-Revival.

+++ Papenburg ist schön? Wenn Sie das lesen, könnte es an dem Journalistenauflauf in der Stadt liegen: Übermedien über Reisejournalismus.

+++ Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung widmet ihr Feuilleton dem Gastland der Frankfurter Buchmesse, Frankreich – auch die Medienseite. Um den deutsch-französischen Sender Arte immerhin geht es: "Was auch immer der Plan war, als Arte gegründet wurde, damals, 1991: Deutsch-französisches Kulturfernsehen hatte es davor schon gegeben. Es nannte sich 'Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe' oder 'Der Greifer', 'Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh' oder 'Die Filzlaus' oder 'La Boum' beziehungsweise 'La Boum 2'".

+++ In der Montags-FAZ wird "Die Story im Ersten: Der unbekannte Terrorist – Jaber Albakr und das Versagen des Staates" besprochen (22.45 Uhr, ARD). Ein Problem hat Oliver Jungen mit dem "durchweg raunenden, mitunter reißerischen Tonfall".

Altpapier gibt es wieder am Dienstag.