Das Altpapier am 2. Oktober 2017 Nur nichts ansehen lassen
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Die gedruckte taz macht sich zum Sterben schön. ARD, ZDF und Deutschlandradio möchten, dass man ihnen das Sparen nicht ansieht. Warum für die große Spiegel-Schulz-Titel-Reportage bezahlen, wenn es Twitter gibt? Unter welchen Bedingungen die FAZ großer Fan von Google wird. Und richtig schlechtes Fernsehen. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Doch, das ist lustig.
"Denn wenn so viel gelikt und geklickt und getwittert wird, wird die Wirklichkeit manchmal zerhackt. Man schaut auf und hat eine Matschbirne. Da tut etwas Klares gut: auf Papier. Jeden Morgen. Auf dem Tisch. Auch in der Variante als ePaper und tägliche App hat das Prinzip Tageszeitung etwas Klärendes. Man blättert durch, hält hier an, liest dort hinein, und am Ende hat man eine Vorstellung vom Geschehen eines Tages. Das Internet ist endlos, eine Tageszeitung nicht. Man kann sie schaffen – das erleichtert auch."
So schreibt es heute Morgen taz-Chef Georg Löwisch auf der frisch gerelaunchten Titelseite seiner Zeitung, die als Ansichtsexemplar komplett hier heruntergeladen werden kann und auch wirklich schön aussieht (mehr Stilkritik u.a. unter #neuetaz bei Twitter).
Aber, aber, und wenn man die "Matschbirne" abzieht: Riechen Sie beim Lesen nicht auch die muffige Schreibstube mit dem antiken Stehpult, der Schreibmaschine und dem 82-jährigen Redakteur im Tweed-Jacket, den zumindest ich mir bei der Erwähnung der FAZ vorzustellen angewöhnt habe? Die zerhackte Wirklichkeit, das Klärende und das Klare, nicht im Glas, sondern auf Papier - das ist wahrlich eine interessante Anmoderation der eigenen Zukunft.
Andererseits muss man den Relaunch ins Verhältnis zu den Zahlen setzen, und die lauten laut Horizont aus der vergangenen Woche so:
"Der Verkauf am Kiosk trägt (..) nur noch sechs Prozent zum Umsatz bei, und auch die werktägliche Aboauflage sinkt".
(Konkret: In den vergangenen zehn Jahren ging es beim Abo von 46.600 auf knapp 39.000 runter, dokumentiert die IVW).
Wäre ich nicht (Offenlegung) selbst Autorin der taz, müsste ich wohl den Eindruck formulieren, dass hier nicht etwa die Braut für die Hochzeit, sondern eher Tante Hildegard für ihren allerletzten Bingo-Nachmittag hergerichtet wurde.
Ein melancholisches Ende, das nur nach Aufbruch aussieht.
Unsichtbares Sparen, ein Telekolleg mit ARD, ZDF und Deutschlandradio
Damit zu Medien, die sich aus Sicht mancher etwas zu sehr nach vorne ins Digitale stürzen sowie der Einlösung des Versprechens vom Freitag, das vorgestellte Reformpaket von ARD, ZDF und Deutschlandradio noch genauer anzuschauen. Das - kurz gesagt - vorsieht, 951 Millionen Euro bis zum Jahr 2028 einzusparen, und zwar vor allem durch Veränderungen in schönen Verwaltungssprechbereichen wie "Doppelstrukturen", "Produktionsabläufen" oder "It-Systemen".
"Sie hat den Berg zum Kreißen gebracht", lobt Hans Hoff in der SZ am Wochenende zunächst die MDR-Intendantin und aktuelle ARD-Vorsitzende Karola Wille, um dann doch nachzurechnen und festzustellen,
"dass in dem Betrag auch 363 Millionen Euro stecken, die ohnehin wegfallen, weil Programme künftig kostengünstiger digital verbreitet werden können. Bleiben also 588 Millionen Euro Einsparung, die man dann durch zehn Jahre teilt, um festzustellen, dass knapp 59 Millionen gerade mal ein Prozent der im Jahr 2015 eingenommenen 5,7 Milliarden ausmachen. Ein Prozent. Da schrumpft der Elefant rasch auf Mäuschengröße."
Ähnlich argumentieren auch Michael Hanfeld in der FAZ heute ("Für die Fachpolitiker in der Rundfunkkommission der Länder gilt es nun, genau hinzuschauen und zu verhindern, dass ihnen ARD und ZDF eine Mogelpackung andrehen. Danach sieht der 'Zukunftsplan' der Sender nämlich aus", 0,45 Euro bei Blendle) sowie Daniel Bouhs bei taz.de:
"Einige Werkzeuge, die den Sendern nun beim Drücken der Kosten helfen, sind ihnen wiederum praktisch in den Schoß gefallen: Spezial-Rucksäcke, die Fernsehbilder über mehrere LTE-Karten an die Funkhäuser streamen und Satelliten-Übertragungswagen bei immer mehr Einsätzen verzichtbar machen, genauso wie energiesparsamere Ausstrahlungswege für die Fernseh- und Radiosender, etwa über die Standards DVB-T2HD und DAB+ , die ohnehin am Markt entwickelt wurden und eingeführt werden. Die Sender listen diese Effekte dennoch auf den Listen ihrer eigenen Spar-Ideen auf."
Was hier auch so ausführlich zitiert wird, weil sich der Text ebenfalls in der heutigen Printausgabe im Medienressort (S.17) wiederfindet, das nun "Medien" heißt, und wo die Passage zu "Dazu kommen Einsparungen bei der Produktion und der Verbreitung des Programms. Der Digitalisierung sei Dank" zusammenschnurrt.
Ist halt echt ein Garant für Klarheit und Klärung, dieses Print. Aber wir sprechen ja über die Öffis, die den Verlagen zwar Manches streitig machen, aber nicht das Drucken.
Sparen wollen sie also, aber lieber automatisch und nicht am Programm, was Joachim Huber im Tagesspiegel zu folgendem Fazit und der Forderung führt:
"Akzeptanz im Publikum muss mit Exzellenz im Programm einhergehen. (…) Es gilt, den Auftrag zu konzentrieren, zu qualifizieren. Der Wahn zu Omnipräsenz und Omnipotenz in allen Formaten und Farben muss sein Ende finden. Dafür: Phoenix wird zur deutschen BBC World News, ARD-alpha zum nachhaltigen Bildungskanal. Zwei Beispiele für die glasklare Unterscheidbarkeit zur kommerziellen Konkurrenz. Nicht Elitismus ist gemeint, gefordert ist Exzellenz."
(Bevor Sie sich über die Wahn-Wortwahl aufregen, schauen Sie lieber bei Horizont vorbei, wo Ulrike Simon schon am Freitag festhielt, dass auch ARD und ZDF mal wieder nicht auf Seitenhiebe verzichten konnten und Formulierungen wie "Die Journalistinnen und Journalisten in der ARD arbeiten politisch und wirtschaftlich unabhängig – sie müssen nicht für die Maximierung von Klickraten oder Werbeeinnahmen sorgen" im Reformpapier platzierten.)
Die Idee der Spartensenderfusion teilt auch Imre Grimm von der Hannoverschen Allgemeinen, für die er mit NDR-Intendant Lutz Marmor über die Sparvorschläge sprach, und der wiederum etwa Tagesschau24 und ZDFinfo auf keinen Fall miteinander vereinbar findet, weil
"die beiden völlig unterschiedliche Programmangebote haben. Das sind keine Konkurrenten, da gäbe es so gut wie keine Synergien."
Auch der Klassiker
(Grimm:) "Und wann geht Radio Bremen im NDR auf und der Saarländische Rundfunk im SWR?
(Marmor:) Das würde nicht sehr viel Geld sparen. Und außerdem liegt das gar nicht in unserer Hand. Darüber entscheidet die Landespolitik"
wird gespielt.
Die öffentlich-rechtlichen Sender möchten sparen, ohne dass man es ihnen von außen ansieht, womit sie allerdings die Chance vergeben, ein von außen sichtbaren Zeichen für die Sparbemühungen zu setzen.
Als Zwischenfazit lasse ich das jetzt mal so stehen.
Ein Spiegel-Titel als Twitter-Kurzgeschichte
Apropos Print, Refinanzierung online und so: Falls Sie sich für die aktuelle Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins Der Spiegel interessieren, aber weder online oder am Kiosk 4,99 Euro bzw. 1,99 Euro bei Blendle dafür ausgeben mögen, haben zahlreiche Journalisten und Medienmenschen da mal was vorbereitet:
Ein paar Absätze dazwischen fehlen leider noch, aber ein bisschen was können Sie ja auch noch tun angesichts des enormen Einsparpotenzials Ihrerseits.
Altpapierkorb (NetzDG, Bezahlen mit Google, die dümmste Sendung im deutschen Fernsehen)
+++ Das Gesetz, an dessen Namen jeder Deutsch-Erlerner seine helle Freude haben dürfte ("Wir koppeln halt gerne"), ist gestern in Kraft getreten. Bei Netzpolitik.org erklärt Markus Reuter aus diesem Anlass, was am NetzDG gleich nochmal problematisch war. Das Nachrichtenmagazin namens Spiegel weiß derweil, dass beim Justizministerium 50 neue Mitarbeiter dessen Umsetzung überwachen sollen.
+++ Außerdem im Spiegel: Eine neue Folge der Serie "Wie viel eigene NS-Geschichte kehrt die Verlagsgruppe Madsack denn nun unten den Tisch?" Zuletzt hatte sich dazu bei Springers Welt Christian Meier auf die Seite der Hannoveraner geschlagen. Jetzt pöbelt der Spiegel zurück, "(w)ie die Erbin der hannoverschen Mediengruppe Madsack die Firmengeschichte schönt – und die ,Welt’ sich dafür einspannen ließ".
+++ Normalerweise ist man bei der FAZ ja skeptisch, wenn Google immer neue Daten von seinen Nutzern sammeln möchte. Aber wenn es darum geht, Zeitungs-Abonnenten zu identifizieren und ihnen über Google Bezahlinhalte leichter zugänglich zu machen, liest sich das fast euphorisch ("Anmeldung zum Bezahlen vereinfachen", "geht es dem Unternehmen darum, die Verlage darin zu unterstützen, für journalistische Inhalte Geld von ihren Lesern zu erhalten", "will der Konzern mit seinen Daten Verlagen ermöglichen, die Zahlungsbereitschaft der Nutzer zu erfahren"), und zwar im FAZ-Wirtschaftsteil auf Seite 19 sowie, oh Ironie, frei online.
+++ Österreich, Italien, Niederlande: andere Länder haben auch populistische Parteien im Parlament. Ob Journalisten von diesen etwas zum Umgang mit jenen lernen können, ist heute Thema auf der Medienseite der SZ.
+++ Als Projekt und Team, "das ideologisch ehrenhafte Ansätze verfolgt, intern aber durch und durch schlecht aufgestellt ist", bewertet Volker Lilienthal in einer Studie das Correctiv, dessen Arbeit er wissenschaftlich begleiten durfte, wie Meedia meldet und dazu auch gleich noch den correctiven Chef David Schraven interviewt.
+++ Nur weil die berühmten russischen Hacker den deutschen Wahlkampf nicht eines größeren Angriffs wert fanden, sollten wir das Thema nicht abhaken, erklärt bei den Faktenfindern der "Tagesschau" Silvia Stöber.
+++ "Mein Wunsch wäre, dass Anfang des nächsten Jahres jemand auf eine gut ausgeleuchtete Bühne träte und folgenden Satz sagte: ,Der Preis für die dümmste Sendung im deutschen Fernsehen geht an ,Willicks weltweit' und den WDR als ausstrahlende Anstalt.’" Schreibt Hans Hoff in seiner DWDL-Kolumne.
+++ Warum im Fernsehen plötzlich alle Musical-Darsteller-Mikrophone tragen, hat Ralf Heimann für Übermedien bei einem Toningenieur des WDR erfragt.
+++ Wie bei allen gedruckten Medienseiten schaut man auch bei der FAS gerne Netflix. Dort startet am Freitag die Mafia-Serie "Suburra", und Anne Vollmer urteilt: "Die Serie ist schnell, brutal und verfällt manchmal der Effekthascherei. Warum sonst brauchte es schon in den ersten drei Minuten einen koksenden Priester inmitten nackter Frauen? Doch man verzeiht ,Suburra’ einiges, weil die Schauspieler so gut, ihre Figuren so interessant sind." (0,45 Euro bei Blendle)
+++ Schon morgen läuft im Ersten "Willkommen bei den Honeckers", die kuriose Geschichte einer Homestory im chilenischen Exil, nach einer wahren Begebenheit. "Regisseur Phlipp Leinemann wird im Zeit- und Stimmungsbild der nur untergetauchten DDR zum Feinzeichner. (D)ie sonst so prall-plastische Komödie schiebt den Aberwitz beiseite, porträtiert und präzisiert Menschen auf der Suche", meint Joachim Huber im Tagesspiegel, während in der SZ Honnecker-Darsteller Martin Brambach persönlich von seinem Job erzählen darf ("Als mir angeboten wurde, Erich Honecker zu spielen, war mein erster Gedanke: Welcher ältere Kollege hat denn da abgesagt?"). Auch die FAZ berichtet (Heike Hupertz: ",Willkommen bei den Honeckers’ erzählt die fragwürdige Entstehung der Story als leicht satirisch angehauchtes Schelmenstück. Kamera, Szenen- und Kostümbild (...) vermitteln ein bemerkenswertes Sittengemälde der Wendezeit im Osten", 0,45 Euro bei Blendle).
Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. Frohen Feiertag morgen!