Das Altpapier am 3. Februar 2020 Busenblitzerampel
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03. Februar 2020, 14:00 Uhr
In der neuen, 15. Staffel "Germanys Next Topmodel" marschieren wieder Mädchen und Frauen zum Showlauf auf, und die Frage bleibt: Konsumieren, kommentieren oder ignorieren? Die meisten Medien versuchen alles auf einmal. Ein Altpapier von Jenni Zylka.
Ein befreundeter DJ klagte mir gegenüber, dass er immer dann merkt, wie alt er ist, wenn sich bei einem Partyjob ein junger Mensch "Das Topmodel" von Kraftwerk wünscht. Diese Generation scheint verloren!
Kraftwerks grandiosen Hit in der kollektiven Erinnerung sukzessive verändert zu haben, das mag nicht der schlimmste Effekt von Heidi Klums despektierlicher Frauen- und Mädchenshow auf die Gesellschaft sein. Aber er ist nicht zu vernachlässigen. Wo kämen wir denn da hin, wenn generationsdefinierende Songs falsch gespeichert werden? Wenn nach Madonnas "Like a Surgeon" gefragt wird? Nach Oasis' "Wonderbra"? Nach "(I can’t get no) Contraception", dem Rolling Stones-Lament über fehlende Kondomautomaten? Und das alles nur, weil die Infos nicht mehr im Teenagerkopf, sondern in riesengroßen, stromzehrenden Servern in Newport und North Carolina umhersurren, und somit erst über das Handy herausgekramt werden müssten?
Spannende Backstorys von Stottern und Spielerfrauen
Noch absurder als die Pleite mit dem nachlassenden Kulturgedächtnis ist, dass diese Show nach 15 Jahren immer noch läuft, und immer noch angeschaut wird. Allerdings, wenn man die Berichterstattung richtig versteht, ausschließlich, um sich darüber lustig zu machen. Die Münchner tz ist diesbezüglich besonders breit aufgestellt:
"Wie immer sind auch viele spannende Backstorys mit dabei. Julia F. leidet etwa an kreisrundem Haarausfall, Daria stottert seit ihrer Kindheit. Aline ist als 'einzige Schwarze im Umkreis von 20 Kilometern' bei einer Pflegefamilie auf dem bayerischen Land aufgewachsen. Alinas Freund ist Profifußballer, Charlotte ist sehr spirituell, glaubt an Astrologie und Tarot-Kartenlegen und hat sogar eine Prophezeiung für Heidi, und Lucy war früher mal ein Junge."
Eben "spannende Backstorys" die das Leben schrieb. Wenn man die Geschichte mit dem spannenden kreisrunden Haarausfall und dem spannenden Stottern vielleicht noch mit sehr viel gutem Willen unter Diversität/Selbstermächtigung zusammenfassen könnte, ist das mit der "einzigen Schwarzen im Umkreis von 20 Kilometern" schon ein wenig pfiffig, denn ich bezweifle, dass auf dem bayerischen Land überhaupt irgendjemand im Umkreis von 20 Kilometern wohnt, ganz egal ob deren Eumelanin in der Basalschicht der Epidermis ein sichtbares Nebenprodukt erzeugt hat (wie Jarett Kobek es in seinem "nützlichen Roman" "Ich hasse dieses Internet" beschreibt).
Richtig pfiffig wird es allerdings bei der spannenden Backstory "Alinas Freund ist Profifußballer". Denn diese den unbekannten Freund, und nicht das angehende Model selbst definierende Formulierung macht jene Alina damit eindeutig zu einer "Profifußballerfrau", und die stehen im sozialen Ranking mindestens neben, wenn nicht sogar über der aus einer Perlweiss-Werbung von 1990 bekannten "Zahnarztfrau". Zut alors, ob es zu spät ist Zahnarztfrau zu werden? Oder ist der Zug abgefahren, und ich darf nur noch Zahnärztin sein? Und muss mir folgerichtig einen prächtigen Zahnärztinnenmann suchen??
Wechselseitige Abhängigkeit
Wo wir schon beim Genderbending sind: "Lucy war früher mal ein Junge" ist der krönende Abschluss des latent ignoranten, rassistischen und misogynen Absatzes in der Boulevardzeitung. So lange es sich nicht bis zu den Münchnern herumgesprochen hat, dass Lucy auch früher kein Junge, sondern ein Mädchen im falschen Körper war, bleibt einiges zu tun.
Aber es gibt ja auch andere Münchnerinnen. Die Süddeutsche Zeitung analysiert trocken die wechselseitige Abhängigkeit von Heidi und ihren Kandidatinnen:
"Realistisch gesehen ist keine von ihnen länger auf irgendeine Topmodel-Qualifizierung angewiesen. Vielleicht ist es sogar umgekehrt: Heidi ist von ihnen abhängig, um relevant und zeitgemäß zu bleiben."
Und das Problem mit der behaupteten, tatsächlichen oder scheinbaren Relevanz lässt auch die taz nachdenken, und ihren sehr knappen Kommentar unter der Überschrift "Dafür wurde die taz nicht gegründet" laufen, was hervorragend passt, und das Dilemma auf den Punkt bringt: Was macht man als zur Berichterstattung verpflichtetes Kommunikationsmittel mit solchen Formaten? Ist es wirklich besser, sie zu ignorieren? Schießt man sich mit einem solchen Artikel also einen kapitalen Bock (oder auch eine kapitale Ricke? Wir wollten doch auf die Sprache achten, Zeiten gendern sich!
Nebenbei: was reimt sich auf Ricke und passt zur Sendung? Und hebt gleichzeitig "das Abweichen von bestimmten Geschlechterrollen-Stereotypen in Konfliktsituationen negativ hervor"? Ha!)
Tiefgründige Busenblitzer
Am meisten weiß natürlich wie immer die Gala, die in Sachen GNTM-Bashing Zurückhaltung übt, ebenfalls die Diversität und Heidis "ruhiger werden" betont, und sich freut, dass "sich Heidi Klum - ihrem Alter entsprechend – jetzt wieder mehr ihrer Arbeit und tiefgründigeren Themen widmen" kann, oops, oder ist das etwa eine ganz zarte Ageism-Klatsche?
Ich bin nicht ganz sicher, möchte aber hiermit mein Misstrauen gegenüber jedem Text ausdrücken, in dem das Wort "Busenblitzer" auftaucht. Meiner Ansicht nach können Busen nicht blitzen, es sei denn, man klebt sich kleine Glitzersterne auf die Mamillen, so wie Janet Jackson in ihrem und Justin Timberlakes "Rock Your Body"-Duett beim Superbowl 2004, das wegen der 0,001 Sekunden lang aufblitzenden Brust, also wegen dieser neuen Art des Blitzkriegs eine ganze Nation an den Rande der Anarchie getrieben, und zu der seitdem nicht mehr live, sondern zeitlich verzögerte Ausstrahlung des medialen Großereignis geführt hat.
Und noch ein letzter Gedanke: Wenn man jetzt im Sommer nur mit einem Bikini bekleidet mit extrem hoher Geschwindigkeit auf dem Fahrrad an einer Geschwindigkeitsüberwachungsanlage der Polizei vorbeirast, und einem von dem Fahrtwind das Neckholderband reißt – nennt man das dann etwa Busenblitzerblitzerflitzer? OMG.
Altpapierkorb (Barbara Sukowa wird 70, Stars und der menschliche Makel, Bad Banks, Lebensmittelpreise)
+++ Im Interview mit dem Tagesspiegel erzählt das Geburstagskind Barbara Sukowa, dass sie im Umgang mit ihrer sechsjährigen Enkelin genüsslich all die Errungenschaften des Feminismus zunichtemacht, ihr Kleider mit Einhörnern drauf schenkt und sie mit scheußlichen Apps spielen lässt, in denen man kleinen Hunden Schleifen in die Haare bindet. Und Simone de Beauvoir rotiert im Grab!!
+++ Im Spiegel denkt Nils Minkmar über die Idealisierung von Stars nach, und fordert den öffentlichen Diskurs auf, Spannungen in Personen erkennen und auszuhalten. Machen wir gern, lieber Herr Minkmar. Siehe oben bei Heidi.
+++ Das ZDF muss die zweite Staffel seiner Serie "Bad Banks" promoten, und tut dies unter anderem mit einem Artikel über die Realitätsnähe bestimmter Serieninhalte, zum Beispiel der so genannten "FinTechs und, noch gruseliger, der "Inkubatoren", die rein verbal an Matrix-Brutkästen erinnern. Ein Grund mehr, sein Geld in unter der Matratze aufzubewahren. Aber am besten nur die Scheine.
+++ Und apropos Scheine: Regierung will unser Essen teurer machen! Das titelt die Bildzeitung. Sie schiebt zwar hinterher, dass es um eine fairere Bezahlung der Bauern geht. Aber bilanziert, dass so ein Gipfel, wie er heuer im Kanzleramt dazu stattfindet, eh nichts daran ändern kann. Was nur bedingt stimmt, denn Subventionen und Regeln gegen Preisdumping sind natürlich auf Regierungsebene verhandelbar. Also wieso nicht gipfeln (und dazu Catering aus angemessen bezahlten Produkten genießen)?
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.
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