Teasergrafik Altpapier vom 27. Januar 2020: Sachsen, Leipzig: Teilnehmer einer linken Demonstration zünden Pyrotechnik.
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Das Altpapier am 27. Januar 2020 Pressefeindliche Stimmung bei Demo für die Pressefreiheit

27. Januar 2020, 12:00 Uhr

Bei einer Demo in Leipzig werden Journalistinnen und Journalisten bedroht und geschubst. Der Spiegel hat ein Fake-Account-Netzwerk enttarnt. Außerdem: ein Plädoyer für eine "umfassende Debatte darüber, was wir Hass und Hetze entgegensetzen können". Ein Altpapier von René Martens.

Bevor wir hier zu Wochenbeginn richtig ernst machen, kümmern wir uns doch erst einmal um den Nackensteak-Rückgrat-Mumpitz bzw. die Gaga-Überschrift des Wochenendes aus dem Hause Springer.

Wie also kam die über einem Bild-am-Sonntag-Interview mit dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus platzierte Headline "Nackensteak-Esser sind das Rückgrat unserer Gesellschaft" zustande?

Der Bildblog führt dazu aus, dass die Idee, über Nackensteaks zu sprechen - oder Zweibeiner, die die Eigenart haben, solche zu verspeisen - keineswegs von Brinkhaus stammt, sondern von den beiden Steakfreunden, die ihn interviewt haben. Und die Formulierung "Nackensteak-Esser" stamme nicht von Brinkhaus. Bildblog-Autor Moritz Tschermak kommentiert genüsslich:

"Man hätte sich natürlich schon denken können, dass die sprachlich ziemlich ungelenke Konstruktion "Nackensteak-Esser" von jener Redaktion stammt, die auch 'Dumm-Aussage' und 'Clever-Foul' schreibt."

Die allgemeine Forderung, die in diesem Text erhoben wird, lautet: Wird in der Überschrift eine Aussage verwendet, die als Zitat gekennzeichnet ist, dann sollte der/die Zitierte das auch so gesagt haben.

Wenn ein "linker Macker" einen Kameramann von Spiegel TV umstößt

Am Mittwoch prüft das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das vom Bundesinnenministerium verhängte Verbot gegen linksunten.indymedia, das man als Angriff auf die Pressefreiheit sehen kann (Hintergründe siehe Übermedien und MDR aktuell), und bereits am Samstag fand dort anlässlich der Verhandlung eine Solidaritäts-Demonstration für die Plattform statt - mithin eine für die Pressefreiheit.

Unter den Demonstrierenden waren aber offenbar auch Personen mit einem tendenziell eigenwilligen Verständnis von Pressefreiheit. Die aus Leipzig berichtende freie taz-Mitarbeiterin Helke Ellersiek erwähnt zum Beispiel bei Twitter, ein "Typ in 'Good night white pride’-Pulli" habe sie bedroht ("Noch ein Foto, dann hau ich dir aufs Maul und das Handy ist weg") und derselbe "linke Macker" habe auch einen Kameramann von Spiegel TV "so übel geschubst, dass der zu Boden ging". Auch der MDR berichtete in einem Live-Ticker von Angriffen auf eigene Leute bzw. einer "sehr pressefeindlichen Haltung vieler Demo-Teilnehmer".

Ellersiek schreibt aber auch:

"Bitte um Hinweis, wenn Nazis mein Material teilen. Irre, wie Rechte, auf deren Demos ich stets krass und kollektiv bedroht werde, nun über gestörte Einzelne bei #le2501 triumphieren."

"Wahrscheinlich ist, dass hier eine hohe Mediendichte auf teils international zugereiste Vermummte trifft, welche durchaus Lust auf Krawall zu haben scheinen und etwas gegen zuviel Licht haben. Auch durchaus regional szenebekannte Journalisten beklagen sich bereits während und nach der Demonstration über die teils feindliche Stimmung gegenüber jenen, die das Demonstrationsgeschehen filmen wollen."

Anja Maier schreibt in einem Kommentar für die taz:

"Eine sich als solidarisch verstehende Bewegung hat in ganz besonderer Weise die Pflicht, AggressorInnen in ihren Reihen erstens zu ächten und sich mit Angegriffenen – zweitens – zu solidarisieren. JournalistInnen, denen ein Bein gestellt wird oder die wegen ihrer Arbeit 'aufs Maul' kriegen sollen, haben ein Recht auf Unterstützung. Dass niemand dazwischen gegangen ist, ist ein Armutszeugnis."

Zumindest in dieser Hinsicht kommt es also nicht darauf an, ob es sich bei den "gestörten Einzelnen" (Ellersiek) um "international zugereiste Vermummte" (L-IZ) oder vielleicht auch um Agents provocateurs (siehe G20 in Hamburg) handelt.

Ebenfalls als Kommentator in Sachen #le2501 im Einsatz: Deniz Yücel für die Welt ("Diese Blamage können keine noch so grellen Bengalos vernebeln").

Eine der interessantesten Volten rund um das Demogeschehen in Leipzig lieferte bisher ein Social-Media-Onkel von RTL, der offenbar beim Hin-und-her-Switchen zwischen seinen Accounts vergaß, auf welchem er sich gerade befindet - weshalb es dazu kam, dass RTL Twitter-Posts aus der rechten Szene mit "Gefällt mir" bedachte. Inzwischen hat jemand diese "offiziellen" Likes aber entfernen lassen.

Die diskurs­politische Erfolgsgeschichte der Alt-Right in den 10er Jahren

Lange nichts von der "Alt-Right” gehört? Im Altpapier kam die Formulierung ja zuletzt vor zwei Jahren vor.

"Der Begriff 'Alt-Right' (scheint) in letzter Zeit sowohl an Bindungs- wie an Sprengkraft verloren zu haben",

schreibt dann auch Johannes von Moltke (Uni Michigan) bei Geschichte der Gegenwart. Dennoch ließen sich

"die 10er Jahre (...) rückblickend als diskurs­politische Erfolgsgeschichte der 'Alt-Right' lesen. Im selben Maß, in dem einer­seits deren führende Köpfe, von Richard Spencer über Milo Yiannopoulos bis Steve Bannon, an persönlichem Einfluss verloren (wenn auch nur um diesen, wie Bannon, auf der europäischen Seite des Atlantiks wieder aufzubauen), haben sich ihre Provokationen im medialen Diskurs normalisiert. (...) (V)ordem als extremistisch tabuisierte Begriffe und Meinungen – etwa zum 'Ethnonationalismus',” zur 'Invasion' durch Migration, zur 'WQ' (women question) oder gar zur 'JQ' (Jewish question) – (sind) in den medialen Sprachgebrauch eingegangen. In Deutschland sind mit der AfD Teile der Bevölkerung politisch durch prominente Abgeordnete wie Alice Weidel vertreten, die ungehemmt 'Alt-Right'-Verschwörungstheorien über einen nun eingedeutschten 'Kulturmarxismus' verbreiten. Diskurse, die zunächst auf 4chan und 8chan geschürt wurden, sind mittlerweile auf die sogenannten 'mainstream media' übergesprungen."

Als "Paradebeispiel" für ein Medium, das in diesem Sinne "alternative" Positionen übernommen hat, nennt von Moltke

"Fox News, nach wie vor der führende Nachrichtenbetreiber im Kabelfernsehen (...). Der Sender hat (...) jegliche Abgrenzung zum Internetdiskurs der 'alt-right' auf 4-chan und YouTube (aufgegeben). So werden etwa die wirren Manifeste, welche die Attentäter von Christchurch, Poway, El Paso und anderswo auf 4chan und Facebook veröffentlichten, in Nachrichtensendungen auf Fox kaum entwirrt – im Gegenteil, der Sender hat sich längst die Sprache der Attentäter anverwandelt."

Als Problem benennt der Autor auch, dass sich

"Twitter inzwischen außer Stande sieht, den weißen Suprematismus einzudämmen. Zwar lassen sich, wie Twitters Vorgehen gegen den IS im Netz zeigt, Algorithmen entwickeln, welche die Verbreitung von Hass und Hetze eindämmen. Doch der Versuch, solche Algorithmen auch für den ethnonationalistischen, rechtsextremen Terrorismus zu entwickeln, scheiterte, weil zu viele Twitterkonten im republikanischen Mainstream, darunter auch solche von Abgeordneten der Partei, in die Fangnetze geraten wären (...) – was (...) nicht im geschäftlichen Interesse eines Medienkonzerns läge, dessen ökonomische Macht auf der Akkumulation von Accounts, Clicks und Retweets beruht."

Die inszenierte Scheinwelt professioneller Fake-Accounts

Wenn es um das Thema rechte Strategien im Netz geht, muss natürlich auch das Thema Fake-Accounts zur Sprache kommen. Der Spiegel (€) berichtet aktuell über einen Rechercheerfolg in diesem Bereich:

"Sie gaben vor, für das Militär und die Polizei oder auch in der Modeindustrie zu arbeiten, verbreiteten rassistische Kommentare, verehrten Wladimir Putin oder Donald Trump – und waren allesamt nur erfundene Charaktere: Der Spiegel und das Digital Forensic Research Lab (DFRL) der US-Denkfabrik Atlantic Council haben ein weltweites Geflecht aus mehreren Hundert gefälschten Facebook-Profilen enttarnt."

Dieses Netzwerk, "seit mindestens 2011 in über 30 Ländern aktiv", habe Facebook nach Hinweisen der Rechercheure nun aus dem Verkehr gezogen. Die Autoren Maik Baumgärtner und Roman Höfner rekapitulieren, wie die Account-Befüller drehbuchähnlich Konzepte entwickelten und sich für die erfundenen Personen Familiengeschichten und Schicksalsschläge ausdachten, die dann von echten Accounts kommentiert wurden. So entstand eine "professionell inszenierte Scheinwelt" (Baumgärtner/Höfner).

Aber: Warum baut jemand solche Welten? Warum werden Dienstleister dafür gebucht? Nicht nur, um die Meinung von Personen zu beeinflussen, sagt der israelische IT-Experte Michael Fire. Zum Beispiel auch "zum Sammeln personenbezogener Daten, (…) für Forschungszwecke, für Werbezwecke, zur Verbreitung von Viren (…). Selbst Strafverfolgungsbehörden nutzen solche Profile."

Baumgärtner und Höfner betonen aber auch:

"Die Frage nach den Hintermännern solcher Netzwerke lässt sich nur selten beantworten. Es sei 'schwierig, mit hundertprozentiger Gewissheit zu sagen, wer hinter solchen Kampagnen steckt', sagt Nika Aleksejeva, die für das DFRLab an der Auswertung der vom Spiegel entdeckten Profile mitgearbeitet hat. Jedoch lasse sich die Liste der Verdächtigen eingrenzen."

Hasnain Kazim bekam innerhalb von rund drei Monaten 400 Morddrohungen

Dass Strafanzeigen von Journalisten, die sich gegen Morddrohungen im Netz zur Wehr zu setzen versuchen, stets im Sande verlaufen, haben bisher unter anderem die Autorinnen Sibel Schick und Margarete Stokowski berichtet (siehe Altpapier), Und daran wird sich auch kurzfristig kaum etwas ändern, denn:

"Eine ernsthafte, umfassende Debatte darüber, was wir Hass und Hetze entgegensetzen, wie wir die Menschenverachtung eindämmen können, was wir also gesamtgesellschaftlich tun können und müssen, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern, findet kaum statt. Nicht im Journalismus, nicht in der Politik, nirgendwo."

Dies betont Hasnain Kazim in einem Beitrag für Zeit Online, und er tut das nicht zuletzt in eigener Sache. Hintergrund unter anderem: Reaktionen auf einen Tweet, den er im Rahmen der Diskussion um die Landtagswahl in Thüringen absetzte:

"Es geht nicht darum, AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu 'erreichen'. Es geht darum, sie auszugrenzen, zu ächten, sie klein zu halten, ihnen das Leben schwer zu machen, sie dafür, dass sie Neonazis und Rassisten den Weg zur Macht ebnen wollen, zur Verantwortung zu ziehen",

schrieb Kazim - also etwas, was unter Journalisten, die ein Interesse am Fortbestand der Demokratie haben, Minimalkonsens sein sollte. Darauf reagierten am 4. November Jörg Meuthen unter anderem bei Facebook ("Ein solches Ausmaß an Hass und Hetze ist selbst für die Verhältnisse in unserem unter Merkel verrückt gewordenen Land …" etc. pp.) sowie Lutz Bachmann, der, wie Kazim schreibt, in Dresden bei einem später auf YouTube verbreiteten Auftritt verkündete, "er stelle 'öffentliche Strafanzeige' gegen mich, den 'sogenannten Journalisten', und zwar wegen 'Verdachts auf Volksverhetzung'." Seit diesem Tag hat sich Kazims Alltag nicht unwesentlich verändert. Bzw.:

"Seit dem 4. November habe ich täglich Hunderte, manchmal mehr als tausend Zuschriften erhalten. Darunter täglich ein Dutzend Morddrohungen, fast 400 insgesamt."

Er versuche zwar seit Jahren, "den wütenden Mails mit Humor zu begegnen". Aber:

"Die Masse der Drohungen der vergangenen Monate hat mich (...) umgehauen."

Die zumindest für die eigene Arbeit fatalsten Auswirkungen benennt er im letzten Absatz:

"Die Unbeschwertheit ist dahin, die Leichtigkeit, die Freude an der Debatte, an der Auseinandersetzung."

Immerhin: Ganz dahin ist sie dann doch nicht.


Altpapierkorb (Ein Gespräch über das neue Buch "Die rechte Mobilmachung", Oliver Kahns Experteneinheitssound, ZDF/BBC-Spielfilm anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz)

+++ Am Freitag ist das bereits am Sonntag zuvor im ARD-Kulturmagazin ttt vorgestellte Buch "Die rechte Mobilmachung" erschienen, für das die beiden Journalisten Sören Musyal und Patrick Stegemann unter anderem mehr als 50 rechte YouTube-Kanäle in den Blick genommen haben. Nina Monecke, die für ze.tt mit den Autoren gesprochen hat, zitiert Stegemann mit folgenden Worten: "Viel zu lange habe man Räume wie YouTube rechtsextremen Kräften überlassen (...). Das räche sich jetzt. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Medien müssten dort viel präsenter werden."

+++ Dem umfangreichen Wirken des Haupt- und Nebenjobbers Oliver Kahn, das am vergangenen Montag an dieser Stelle ausführlich Thema war, widmet sich die FAS (Blendle-Link): "Auf Sky preist er unermüdlich Tipico-Sportwetten an (...). Und nur wer von Multitasking überfordert ist, wird staunen, dass Kahn auch nach seinem Eintritt in den Vorstand der FC Bayern München AG weiterhin werben und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF als Experte dienen möchte (...). Wobei seine Expertise im Fernsehen sich in den typischen unterschiedslosen Experteneinheitssounds auflöst und in der Sache meist nur die Selbstgefälligkeit des einstigen Titanen und die Vorzugsbehandlung seines alten und neuen Arbeitgebers bleibt." Diese Einschätzung ist Teil eines Überblicks über das Wirken von Sportlern und Ex-Sportlern als TV-Experten; einige von ihnen werden, anders als Kahn, gelobt.

+++ Nur weil Schauspieler möglicherweise ihren Job gut machen, heißt das noch lange nicht, dass sie jenseits dessen Dinge sagen oder tun, die es wert wären, öffentlich weiter verbreitet zu werden. Paula Irmschler schreibt dazu im Neuen Deutschland: "Na klar wollen wir uns verzaubern lassen von interessanten Figuren, von Filmen, die uns verschlingen, uns identifizieren mit Leinwandheld*innen. Aber wir müssen dringend aufhören, hinter die Fassade gucken zu wollen. DA IST NICHTS. Tom Schilling macht schrecklichen Jazz? Ignorieren! Gwyneth Paltrow und ihre esoterische Gesundheitsscheiße? Ignorieren! Lars Eidinger gibt Interviews? Ignorieren, ignorieren, ignorieren!"

+++ Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zeigen ZDF und BBC 2 parallel den Spiel­film "Die Kinder von Windermere", der die Geschichte von mehreren hundert Shoa-Überlebenden erzählt, die 1945 in Großbritannien aufgenommen wurden. "Ein Nachteil ist der fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht untypische Charakter eines leicht hölzernen historischen Kammerspiels", meint die SZ. Wohingegen die FAZ (Blendle-Link) lobt: "Innerhalb des Gedenkprogramms, das zurzeit im Fernsehen an die Befreiung des Lagers Auschwitz erinnert, trägt er nicht weniger zur Aufklärung bei als die Dokumentationen, die aus der Hölle berichten."

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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