Das Altpapier am 6. Januar 2020 Unter dem Bus
Hauptinhalt
06. Januar 2020, 13:30 Uhr
Eine Formulierung in einem Kinderlied beschäftigt scheinbar seit einer Woche das ganze Land. Doch in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes – um Macht, Strategien und die politische Diskurshoheit. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Ungefähr vor einer Woche habe ich gelesen, es sei jetzt auch langsam mal gut mit dem Thema Umweltsau. Das sei jetzt durch. Alles gesagt. Man könne sich nun wieder den wichtigen Dingen zuwenden. Aber das ist natürlich so, wie mit den Aufforderungen "Fahr vorsichtig!" oder "Ganz ruhig bleiben!". In der Regel bewirken sie eher das Gegenteil. Und so reden wir weiter über die Umweltsau, die innerhalb von etwas mehr als einer Woche von einer Debatte zu einer Affäre herangewachsen ist, wobei natürlich auch das Auslegungssache ist.
In Köln haben dazu am Wochenende wieder Demonstrationen stattgefunden. Der Tagesspiegel bringt es im Teaser seines Berichts zum dpa-Artikel auf den Satz.
"Am Samstag demonstrieren in Köln hunderte Menschen für und gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk."
Doch das vermittelt ein falsches Bild. Man möchte in aller Kürze irgendwie objektiv bleiben. Es waren ja Demonstrationen aus unterschiedlichen Lagern. Doch es standen sich nicht zwei ähnlich große Gruppen gegenüber, sondern nach Polizeiangaben etwa 50 rechte Demonstranten, wie weiter unten im Text auch zu lesen ist. Auf der anderen Seite demonstrierten laut dem gleichen Bericht, der sich auf Polizeiangaben stützt, mehrere hundert Menschen. Der WDR schreibt von 1000. Die Frankfurter Rundschau spricht in ihrem mit epd-Material angereicherten Live-Ticker von 1500 Demonstranten. Diese Relationen sollte man auch den Überschriften-Leserinnen und -Lesern nicht unterschlagen.
Es sind auch noch andere Dinge durcheinandergeraten. Am Sonntag kletterten, wie Alexander Krei für DWDL berichtet, fünf Identitäre auf das WDR-Funkhaus und befestigten ein Banner, auf dem zu lesen war: "WDRliche Medienhetze stoppen! GEZ sabotieren". Die Männer werden wissen, dass es die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) schon seit 2012 nicht mehr gibt. In ihren Kreisen, in denen Fakten eh keine Rolle spielen, stehen die drei Buchstaben ohnehin eher für eine ganz ekelhafte Zumutung (GEZ). Unter Journalisten sollte sich dagegen schon herumgesprochen haben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk inzwischen von Rundfunkbeiträgen lebt. Hier der Hinweis an die Frankfurter Rundschau, das auch in ihrer Redaktion bekannt zu machen. Im FR-Live-Ticker steht weiterhin konsequent die alte Bezeichnung ("Rechte protestieren erneut gegen den WDR und GEZ-Gebühren in Köln").
Kontext is King
Das sind aber - zugegeben - eher Kleinigkeiten. Wir steigern uns langsam. Die Vorwürfe der WDR-Redakteursvertretung in Richtung Tom Buhrow und Geschäftsleitung haben schon etwas größere Dimensionen. Michael Hanfeld schreibt in der FAZ-Montagsausgabe (55 Cent bei Blendle).
"Stärkeren Tobak kann man dem Letztverantwortlichen eines öffentlichrechtlichen Senders kaum verabreichen. Die Einschätzung der Redakteure klingt nach einem Grund für die sofortige Kündigung."
Stefan Niggemeier hat das im Intranet des Senders veröffentlichte Schreiben der Redakteursvertretung, um das es hier geht, für Übermedien dokumentiert. Darin heißt es, die Redakteure seien
"außerordentlich irritiert über diese eklatante Verletzung der inneren Rundfunkfreiheit und das schlechte Krisenmanagement der Geschäftsleitung, das Kolleg*innen und Kollegen beschädigt und dem Ansehen des WDR zudem schadet".
Niggemeier hat unter anderem auch herausgefunden, dass das "Umweltsau"-Lied schon einmal beim WDR zu hören war, am 9. November bei WDR5. Dort stützt es allerdings eine ganz andere Botschaft.
"Im Kontext der 'Satire Deluxe'-Show richtet sich das Lied (…) eher satirisch gegen angebliche Auswüchse der Klimaschutzbewegung und das 'Denunzieren' von Angehörigen."
Das Lied kann also, je nach Kontext, die Botschaft der Klimaschützer unterfüttern oder sich über ihren Eifer lustig machen. Der Rahmen entscheidet. So war es auch schon beim Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann, das für sich genommen eine Beleidigungsorgie war, in dem Rahmen, den Böhmermann ihm gab, dagegen als Aneinanderreihung von Beispielen verstanden werden konnte, die die Grenzen der Meinungsfreiheit aufzeigen. Im Falle des "Umweltsau"-Songtexts sind diese Grenzen zwar nicht in Sichtweite, aber auch hier kann der Kontext die Botschaft komplett auf den Kopf stellen. Und den liefert wahlweise auch ein auf links oder rechts gepoltes Gehirn. Das erklärt in Teilen die unterschiedliche Wirkung der Formulierung. Möchte man in dem Stück ein harmloses Kinderlied sehen, geht das ohne Weiteres. Möchte man darin eine Beleidigung erkennt, geht anscheinend ohne Problem auch das.
Das Lied kann je nach Blickwinkel das sein, was es sein soll. Im vorliegenden Fall ist es vor allem ein Symbol.
Michael Hanfeld schreibt:
"In diesem Streit geht es längst nicht mehr um Urteile über die Qualität der vermeintlichen Satire oder um Satirefreiheit. Es geht um Diskurshoheit und Macht. Es geht um die Frage, für wen der öffentlich-rechtliche Rundfunk da ist und wie er seinen Auftrag erfüllt. Es geht darum, wer das Sagen und wer das letzte Wort hat – im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk und im Netz. Und es geht darum, wer Kritik üben 'darf' und wer nicht."
Hanfeld beobachtet dabei eine "Umkehrung der Argumentationsmuster":
"Bemühen sonst gerne diejenigen von rechtsaußen die Meinungsfreiheit, die sie bedroht sehen, unter anderem durch ein vermeintliches öffentlich-rechtliches Informationsdiktat, wittert diesmal die linke Blase und Antifa-Phalanx eine Verschwörung gegen die Meinungsfreiheit – von rechten 'Trollen'. Auf die, so der Vorwurf, sei Tom Buhrow hereingefallen, vor ihr sei er zurückgewichen."
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Hanfeld mit einer Verschwörung die inzwischen von den Datenanalysten Luca Hammer und Philip Kreißel belegte Vermutung meint, dass die Empörung in rechten Blasen gezielt angefacht wurde. Aber so völlig aus der Luft gegriffen scheint das nicht zu sein. Daniel Bouhs liefert in einem kurzen Twitter-Thread einen Hinweis darauf, wie beim WDR anscheinend der Eindruck verfestigt wurde, dass die Empörungsspirale sich nicht nur im Internet dreht, sondern auch bei ganz realen alten Menschen zu Hause, die dann sogar zum Telefon greifen und anrufen. "Auch über klassische Kommunikationswege wurde Empörung am verg. Wochenende inszeniert", schreibt Bouhs und zeigt Screenshots von Kommentaren von Hotline-Nummern und E-Mail-Adressen die reihenweise in Facebook-Kommentarspalten gekleistert wurden.
Michael Hanfeld ist, wie man bei Twitter sagen würde (oder vor vier Jahren gesagt hätte, ich weiß es nicht), eher #TeamBuhrow. Der WDR-Intendant hatte im Spiegel-Interview mit Markus Brauck gesagt:
"Man wird doch noch mal Entschuldigung sagen dürfen, ohne dass einem gleich Zensur vorgeworfen wird."
Im Groben bringt das die konservative Perspektive auf den Punkt, die natürlich auch Hanfeld vertritt.
"(…) (E)s muss dem WDR-Chef Buhrow möglich sein, Selbstkritik zu üben, ohne das ihm dies als Dolchstoß ausgelegt wird."
Das setzt die Annahme voraus, dass hier tatsächlich eine Beleidigung stattgefunden hat, die aber Teil der konservativen Deutung ist. Wer das anders sieht, muss in Hanfelds Augen ein linker Verschwörungstheoretiker sein. Er schreibt:
"Dass es eine solche Kritik und Grund gibt, auf sie zu reagieren, wie es der Intendant getan hat, wird von denjenigen die nur noch von rechter Verschwörung reden, negiert."
So steht er also mittendrin im Getümmel, hat sich auf die übliche Seite geschlagen, kommt sich aber selbst anscheinend weiterhin wie ein objektiver Beobachter der Auseinandersetzung vor, der sich das alles kopfschüttelnd anschaut ("So geht es also links gegen rechts, rechts gegen links (…)").
Strategien und Trugschlüsse
Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer steht nicht unbedingt im Verdacht, an rechte Verschwörungstheorien zu glauben, hätte Buhrow trotzdem nicht zu einer Entschuldigung geraten, aber vielleicht doch dazu, die Kritiker ernst zu nehmen – und gleichzeitig zu dem Beitrag zu stehen. Das geht? Es wird immer verrückter.
"Als das nette 'Umweltsau'-Liedchen des WDR nach vielen Wochen unbeachteter Existenz durch eine gezielte Kampagne von rechts zum Mittelpunkt zuerst digitaler und dann gebrüllter Empörung wurde, entschuldigte sich Buhrow schnell und fulminant, nämlich 'ohne Wenn und Aber' und übersah, dass es auch die Möglichkeit gibt, zugleich Senioren ernst zu nehmen ('Wir wollten Sie nicht beleidigen …') und zum eigenen Beitrag zu stehen ('… aber das ist Satire.')."
Was tatsächlich passiert ist, nicht nur in diesem Fall, auch in dem des in einen seit Jahren andauernden rechten Shitstorm geratenen Journalisten Richard Gutjahr, über den wir hier in der vergangenen Woche im Altpapier ebenfalls schon gesprochen haben, erklärt Brinkbäumer als eine in den USA anscheinend ganz übliche Vorgehensweise, die dort als "throwing under the bus" bekannt ist. Brinkbäumer:
"Der Stärkere wirft den Schwächeren unter (oder eher wohl vor) den Bus, damit der Stärkere unversehrt davonkommt."
Brinkbäumer beschreibt den Zweck des Musters, das Hanfeld oben in einer Umkehrung wirken sieht.
"Es ist eine Methode autoritärer Parteien oder Systeme, gesellschaftliche Parameter dadurch zu verschieben, dass sie die Freiheitsgefährdung durch Liberale unterstellen – die 'Umkehrung der Verhältnisse von Opfern und Tätern, in der die Feinde der Freiheit sich verfolgt sehen von deren Verteidigern', so nennt es der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering in 'Was heißt hier 'wir'?'."
Um es zusammenzufassen: In Hanfelds Lesart sitzen Linke hier dem gleichen Trugschluss auf, der sonst eher das Bild verzerrt, wenn man sich die Welt von rechtsaußen aus ansieht.
Brinkbäumer beschreibt das als Strategie, um den Nullpunkt zu verschieben, Parameter umzudeuten und Maßnahmen zu rechtfertigen, die der vermeintlichen Bedrohung entgegenwirken.
Das legt den Blick darauf frei, dass die Diskussion darüber, ob die Formulierung "Umweltsau" eher eine Beleidigung oder doch eine satirisch zulässige Überzeichnung ist, vielleicht doch ein bisschen am Thema vorbeigeht, weil sie in Wirklichkeit möglicherweise nur ein Vorwand ist.
Menschen sind symbolgeil
Die Frage, um was es sich handelt, wird damit überflüssig. Es zählt, wie oben schon erklärt, was es sein soll. Das ist ein altes Muster, aber zeigt sich in den aktuellen Debatten sehr deutlich, auch in der um den Fall Richard Gutjahrs. Caroline Fetscher beschreibt in einem Kommentar für den Tagesspiegel, wie Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Gutjahrs Brief als Beleg gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hetzen, obwohl das der Botschaft des Briefs, wenn man ihn in Gänze betrachtet, diametral widerspricht.
"Klar hatte er (Gutjahr, Anm. Altpapier) in seinem Offenen Brief allerdings auch gesagt: 'Der BR ist eine einzigartige Institution! Wer sich in der internationalen Medien-Welt umschaut, weiß zu schätzen, was wir am öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland haben.' Das ignorieren die trollenden Trittbrettfahrer, und um Solidarität mit Gutjahr geht es ihrem Chorgeschrei gegen die 'Zwangsgebühren' und deren Nutznießer ohnehin nicht."
Sascha Lobo schreibt in seiner aktuellen Spiegel-Online-Kolumne, den schönen Satz:
"Menschen sind symbolgeil bis in ihre ältesten Kleinsthirnwindungen hinein (…)."
Lobo hebt die Diskussion auf eine noch höhere Ebene, eigentlich so ziemlich auf die höchst mögliche:
"Ich glaube nicht, dass wir einen klassischen Generationenkonflikt vor uns haben, wie es ihn schon oft und eigentlich ständig gab – sondern einen Konflikt der Epochen. Holozän versus Anthropozän, um gleich dickstmöglich aufzutragen."
Und das erscheint mir eine schlüssige Erklärung dafür zu sein, dass diese Debatte über die eine Formulierung in einem Kinderlied nun schon seit über einer Woche anhält. Es geht hier nicht um irgendeinen Quatsch, der verhindert, dass Medien sich mit wichtigen Dingen beschäftigen, sondern um eine ganz große Diskussion, die auf ein ganz kleines Symbol heruntergebrochen und so für viele erst greifbar wurde. Die Debatte wird uns in diesem Jahr ganz sicher weiter begleiten, wenn auch irgendwann niemand mehr über die "Umweltsau" sprechen wird, sondern über die nächste Sau, die durch die Kommentarspalten, Twitter-Threads und Meinungsseiten getrieben wird – und die relativ sicher keine Sau sein wird, aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf den ersten Blick wieder aussehen wird wie eine absurde Kleinigkeit.
Altpapierkorb (Connewitz, Kurz und die Medien, Saarland, Sexszenen, Jan Fedder)
+++ Andrej Reisin hat sich für Übermedien ansgesehen, was in der Berichterstattung über die Auseinandersetzung im Leipziger Stadtteil Connewitz (Altpapier) in der Silvesternacht schiefgelaufen ist. Sein Resümee: "Journalisten sollten Polizeimeldungen insbesondere über umstrittene und unübersichtliche Einsatzgeschehen allerdings mit derselben Skepsis betrachten wie Erfolgsmeldungen anderer Behörden und Unternehmen. Denn die polizeiliche Darstellung der Realität ist nicht in jedem Fall zutreffender als die anderer Beteiligter – und auch sie kann von Eigeninteressen durchsetzt sein."
+++ Seit dieser Woche steht die neue Regierung in Österreich. Ralf Leonhard analysiert für die taz, wie Sebastian Kurz Medien vor seinen Karren spannt, sich aber gelegentlich auch von eigenen Medien ziehen lässt. Leonhard: "So erscheint der jungenhafte Kanzler mit den Großen und Wichtigen dieser Welt stets in aktiver Rolle, so als würde er ihnen die Welt erklären. Der Erfolg ist messbar: Obwohl die tatsächliche Leistungsbilanz des ÖVP-Chefs, der schon zwei Regierungen in die Luft gesprengt hat, überschaubar ist, nimmt sein Image keinen Schaden."
+++ Die Landesmedienanstalt des Saarlands braucht einen neuen Direktor, weil Uwe Conradt sein Amt abgegeben hat, um Oberbürgermeister von Saarbrücken zu werden. Warum die Besetzung so kompliziert ist, erklärt Volker Nünning für die Medienkorrespondenz. Es geht unter anderem um die Frage, ob man sich wirklich Mühe gegeben hat, den besten Kandidaten oder die beste Kandidatin zu finden, und ob er oder sie den Posten nur bis zum Ende der Amtsperiode des Vorgängers bekommen darf, oder für die kompletten sieben Jahre.
+++ Für die SZ-Medienseite vom Samstag hat Patrick Heidemann mit Ita O’Brien gesprochen, die Regisseure und Schauspieler berät, die vor der großen Aufgabe stehen, eine Sexszene spielen zu müssen.
+++ Tobias Rüther hat für die FAS-Medienseite ein liebevolles Porträt über den Schauspieler Jan Fedder geschrieben, der am vergangenen Montag gestorben ist. "Fedder musste ja (…) nur den Mund aufmachen, und man hörte, woher er kam und auf was man sich deswegen bei ihm gefasst machen musste. Vielleicht lag es am Rauchen und am Suff, Fedder hatte sich mit beidem nicht zurückgehalten: Aber diese Stimme klang halt, als habe ihr Besitzer morgens und abends mit Elbwasser gegurgelt. Dass man nicht mehr unterscheiden konnte, ob das wirklich so war oder ob Fedder es nur darauf anlegte, darin lag seine Schauspielkunst. (Und sie war ansteckend, weil man auch gleich so reden und immer 'Moin' sagen wollte, Moin, Moin, Moin.)"
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/dc34fe09-69c8-4c4a-a33b-10e26c965d6e was not found on this server.